27 Dezember, 2006
Klassizismus
Die Sehnsucht nach dem Fehlerlosen führt immer wieder zur Gipsbüste, heilig und hohl. So wie wir uns die Antike weiss geträumt haben, haben wir auch die Klassik Hollywoods zu Nippes veredelt. Was wir aber lernen könnten vom Kino der 30er und 40er ist das Raue, Furchtlose.
So gesehen sind die Schlüsse, die Towne und Polanski aus der Serie Noir gezogen haben, zweifelhaft. „Chinatown” ist so etwas wie ein klassizistischer Film geworden. Makellos wie eine Büste von Canova, aber vielleicht zu sehr an einem Genreideal interessiert.
Wenn ich den Film sehe, kann ich nicht umhin, die Intelligenz seiner Konzeption und die Vollkommenheit seiner Ausführung zu bewundern, aber ich vermisse jenen „männlichen” Zugriff, der die billigen Vorbilder so elektrisierend macht.
26 Dezember, 2006
Definitionsversuche
Film: Eine Abfolge von visuellen und akkustischen Ausschnitten, die Körper und Objekte auf eine für den Zuschauer wirksame Weise in einen brauchbaren Zusammenhang bringt.
Auf eine für den Zuschauer wirksame Weise: die Organisation eines Materials nach Massgabe der Anschaulichkeit.
Ein brauchbarer Zusammenhang: eine glaubwürdige Erzählung, die sowohl nach Innen (im Verhältnis zu den eigenen Setzungen) als auch nach Aussen (im Verhältnis zur Fülle der Tatsachen) zuverlässig ist, und damit anwendbar.
Poesie ist praktisch, weil sie der Übersetzung bedarf. Jede Übersetzung ist Verwandlung. Was nicht übersetzt werden muss, kann nicht erfahren werden. Ein Film aber muss Erfahrung verursachen.
Erfahrung: Der Weg durch das Eigene.
Auf eine für den Zuschauer wirksame Weise: die Organisation eines Materials nach Massgabe der Anschaulichkeit.
Ein brauchbarer Zusammenhang: eine glaubwürdige Erzählung, die sowohl nach Innen (im Verhältnis zu den eigenen Setzungen) als auch nach Aussen (im Verhältnis zur Fülle der Tatsachen) zuverlässig ist, und damit anwendbar.
Poesie ist praktisch, weil sie der Übersetzung bedarf. Jede Übersetzung ist Verwandlung. Was nicht übersetzt werden muss, kann nicht erfahren werden. Ein Film aber muss Erfahrung verursachen.
Erfahrung: Der Weg durch das Eigene.
24 Dezember, 2006
EMPIRE (2)
Parade
Ich nehme die Parade ab, vor dem Regal. Filme ziehen vorrüber. Das geistige Auge bewegt sich hin und her. Die Wahl ist heikel. Ich will etwas frisches sehen, aber nicht enttäuscht werden. Ich will etwas vom Menschen erfahren, fürchte aber Pädagogik. Und so lande ich wieder und wieder bei Geschichten. Überraschend vielleicht, denn ich habe das Kino der Moderne immer wieder als Befreiung erlebt. Und doch ... es ist so monolithisch, immer Ausnahme. Ich vermisse die soziale Verknüpfung. Mit mir zum Beispiel.
Müsste ich mich festlegen auf „definitive” Meisterwerke, wären zweifellos viele Ausnahmen darunter. Meine tiefsten Eindrücke stammen von einsamen Filmen. Aber ewige Listen werden von Fetischisten geschrieben. Im Leben interessiert mich auch die kleine Münze. Wie sonst könnte ich die Abweichung schätzen? Die Filmgeschichte muss ein Nebeneinander sein.
Ist der Cinephile nicht eigentlich moderner Pharisäer? „Danke Gott, dass ich nicht so bin wie die.” Die Kennerschaft jedenfalls ist ein süßes Gift. Sich im Verweis auf „heilige” Werke erhaben fühlen: wie klein. Es muss um alles gehen - in beliebiger Reihenfolge. Aber ohne Beliebigkeit.
Müsste ich mich festlegen auf „definitive” Meisterwerke, wären zweifellos viele Ausnahmen darunter. Meine tiefsten Eindrücke stammen von einsamen Filmen. Aber ewige Listen werden von Fetischisten geschrieben. Im Leben interessiert mich auch die kleine Münze. Wie sonst könnte ich die Abweichung schätzen? Die Filmgeschichte muss ein Nebeneinander sein.
Ist der Cinephile nicht eigentlich moderner Pharisäer? „Danke Gott, dass ich nicht so bin wie die.” Die Kennerschaft jedenfalls ist ein süßes Gift. Sich im Verweis auf „heilige” Werke erhaben fühlen: wie klein. Es muss um alles gehen - in beliebiger Reihenfolge. Aber ohne Beliebigkeit.
20 Dezember, 2006
Bestimmung
„Bessern sollen uns alle Gattungen der Poesie; es ist kläglich, wenn man dieses erst beweisen muss; noch kläglicher ist es, wenn es Dichter gibt, die selbst daran zweifeln. Aber alle Gattungen können nicht alles bessern; wenigstens nicht jedes so vollkommen, wie das andere; was aber jede am vollkommensten bessern kann, worin es ihr keine andere Gattung gleichzutun vermag, das allein ist ihre eigentliche Bestimmung.”
Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 1768.
Die Vorstellung, dass ein Medium, wenn es ganz bei sich ist, stärker wirken kann, leuchtet mir ein. Und auch, dass sich mit diesem Kern eine Art kategorischer Imperativ verbindet: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.” Aber was „gehört” dem Kino ganz allein? Wo kann es uns „am vollkommensten bessern”?
Sofort hat man „Montage” auf den Lippen; wenn vom „Wesen” des Kinos die Rede ist, wird sie zuverlässig zum Kronzeugen des Eigentümlichen gemacht. Und zweifellos spricht einiges dafür. Aber gibt es nicht auch Zusammenfügungen von Bewegtbildern, die mit der „eigentlichen Bestimmung” des Kinos nichts zu tun haben?
Ich glaube, nur eine Montage, die Materialien so kombiniert, dass der Zuschauer zu einer Synthetisierung gezwungen ist, kann dem „charakteristischen Vergnügen” des Kinos zugerechnet werden. „Perfektion ist Fantasie.”
Ich versuche kurz, die üblichen Montageprinzipien zu kategorisieren:
FLUSS
Additive (geschlossene) Montage.
Bildfolge, die offenkundige Zusammenhänge verbindet. Bewegungs- Bild- und / oder Inhaltssukzession (erwartet).
KETTE
Elliptische (lückenhafte) Montage
Bildfolge, die in der Sukzession auf Auslassungen setzt, die der Zuschauer mühelos ergänzen kann (sinngemäss erwartet)
SPRUNG
Dialektische (offene) Montage.
Bildfolge, die in ihren Widersprüchen im Zuschauer etwas drittes hervorruft / in der Synthese ihre Harmonie findet. Bewegungs- Bild- und / oder Inhaltskontraste (empathisch überbrückbar).
GEGENSATZ
Agitative (gegensätzliche) Montage.
Bildfolge, die so dissonant ist, dass sie nicht zu einem Zustand vereinigt werden kann und so eine Art ungerichtete Erregung erzeugt. Bewegungs- Bild- und/oder Inhaltsgegensätze (empathisch unüberbrückbar).
Natürlich ist kaum ein Film einer einzigen Montage-Grammatik verpflichtet - vielmehr vermischen sich alle Spielarten fortwährend. Aber nur die Kategorien SPRUNG und GEGENSATZ scheinen den Zuschauer - tiefer als in jeder anderen Kunstform - in die Herstellung der Erzählung zu involvieren. Der Zuschauer wird sozusagen zum „Erfüllungsgehilfen” des Filmemachers, der die Lücken ja konstruiert hat; im Bauen der Brücken aber kommt der Zuschauer zu sich - und mit ihm vielleicht auch das Medium.
Das betrifft natürlich nicht nur die visuelle Ebene; im Gegenteil ist eine bloss visuelle Aufrauung kontraproduktiv. Die Erzählung muss auf jeder Ebene in den Zuschauer getragen werden. Die aristotelischen Begriffe von „Verknüpfen und Lösen", „Jammern und Schaudern”, „Peripetie und Wiedererkennen” sowie „Katharsis” sind dafür nach wie vor brauchbare Stichworte, auch wenn der Weg dorthin ganz unklassisch sein kann.
Ich plädiere also für eine tiefere Verschränkung von filmischer Form und dramatischer Struktur, für eine „unauflösliche” Erzählung, die im Sehen lebendig wird. Zu viele Filme scheinen mir heute am Papier zu kleben oder aber „filmisch” gegen die auf Papier organisierte Erzählung anzuspielen. Beides ist unbefriedigend. Improvisatorische Mittel mögen stimmige Momente hervorbringen, dramatisch führen sie oft zu blosser Addition - den großen dramaturgischen Rahmen zu bedenken überfordert die Intuition und mitunter führt die Spontanität gerade in jenes Klischee, das man zu vermeiden suchte.
Ich breche hier große Fragen übers Knie, keine Frage. Es geht mir aber durchaus nicht ums Rechthaben, sondern um die Skizzierung eines Gedankens. Mehr dazu bei Gelegenheit.
Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 1768.
Die Vorstellung, dass ein Medium, wenn es ganz bei sich ist, stärker wirken kann, leuchtet mir ein. Und auch, dass sich mit diesem Kern eine Art kategorischer Imperativ verbindet: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.” Aber was „gehört” dem Kino ganz allein? Wo kann es uns „am vollkommensten bessern”?
Sofort hat man „Montage” auf den Lippen; wenn vom „Wesen” des Kinos die Rede ist, wird sie zuverlässig zum Kronzeugen des Eigentümlichen gemacht. Und zweifellos spricht einiges dafür. Aber gibt es nicht auch Zusammenfügungen von Bewegtbildern, die mit der „eigentlichen Bestimmung” des Kinos nichts zu tun haben?
Ich glaube, nur eine Montage, die Materialien so kombiniert, dass der Zuschauer zu einer Synthetisierung gezwungen ist, kann dem „charakteristischen Vergnügen” des Kinos zugerechnet werden. „Perfektion ist Fantasie.”
Ich versuche kurz, die üblichen Montageprinzipien zu kategorisieren:
FLUSS
Additive (geschlossene) Montage.
Bildfolge, die offenkundige Zusammenhänge verbindet. Bewegungs- Bild- und / oder Inhaltssukzession (erwartet).
KETTE
Elliptische (lückenhafte) Montage
Bildfolge, die in der Sukzession auf Auslassungen setzt, die der Zuschauer mühelos ergänzen kann (sinngemäss erwartet)
SPRUNG
Dialektische (offene) Montage.
Bildfolge, die in ihren Widersprüchen im Zuschauer etwas drittes hervorruft / in der Synthese ihre Harmonie findet. Bewegungs- Bild- und / oder Inhaltskontraste (empathisch überbrückbar).
GEGENSATZ
Agitative (gegensätzliche) Montage.
Bildfolge, die so dissonant ist, dass sie nicht zu einem Zustand vereinigt werden kann und so eine Art ungerichtete Erregung erzeugt. Bewegungs- Bild- und/oder Inhaltsgegensätze (empathisch unüberbrückbar).
Natürlich ist kaum ein Film einer einzigen Montage-Grammatik verpflichtet - vielmehr vermischen sich alle Spielarten fortwährend. Aber nur die Kategorien SPRUNG und GEGENSATZ scheinen den Zuschauer - tiefer als in jeder anderen Kunstform - in die Herstellung der Erzählung zu involvieren. Der Zuschauer wird sozusagen zum „Erfüllungsgehilfen” des Filmemachers, der die Lücken ja konstruiert hat; im Bauen der Brücken aber kommt der Zuschauer zu sich - und mit ihm vielleicht auch das Medium.
Das betrifft natürlich nicht nur die visuelle Ebene; im Gegenteil ist eine bloss visuelle Aufrauung kontraproduktiv. Die Erzählung muss auf jeder Ebene in den Zuschauer getragen werden. Die aristotelischen Begriffe von „Verknüpfen und Lösen", „Jammern und Schaudern”, „Peripetie und Wiedererkennen” sowie „Katharsis” sind dafür nach wie vor brauchbare Stichworte, auch wenn der Weg dorthin ganz unklassisch sein kann.
Ich plädiere also für eine tiefere Verschränkung von filmischer Form und dramatischer Struktur, für eine „unauflösliche” Erzählung, die im Sehen lebendig wird. Zu viele Filme scheinen mir heute am Papier zu kleben oder aber „filmisch” gegen die auf Papier organisierte Erzählung anzuspielen. Beides ist unbefriedigend. Improvisatorische Mittel mögen stimmige Momente hervorbringen, dramatisch führen sie oft zu blosser Addition - den großen dramaturgischen Rahmen zu bedenken überfordert die Intuition und mitunter führt die Spontanität gerade in jenes Klischee, das man zu vermeiden suchte.
Ich breche hier große Fragen übers Knie, keine Frage. Es geht mir aber durchaus nicht ums Rechthaben, sondern um die Skizzierung eines Gedankens. Mehr dazu bei Gelegenheit.
08 Dezember, 2006
Revolver Filmbuch
Die besten Texte und Interviews aus den ersten neun Jahren Revolver - in einem Buch versammelt. Ausserdem: Unveröffentlichte Zugaben, ein Nachwort von Hanns Zischler, ein Stichwort-Register sowie ein aktualisiertes Glossar.
Beiträge von/mit: Maren Ade, Barbara Albert, Jens Börner, Jean-Claude Carrière, Katrin Cartlidge, Patrice Chéreau, Jacques Doillon, Jean Douchet, Christopher Doyle, Bruno Dumont, Harun Farocki, Helmut Färber, Dominik Graf, Michael Haneke, Jessica Hausner, Benjamin Heisenberg, Werner Herzog, Christoph Hochhäusler, Romuald Karmakar, Wong Kar-Wai, Abbas Kiarostami, Roland Klick, Alexander Kluge, Harmony Korine, Peter Kubelka, Noémie Lvovsky, Jonas Mekas, Christian Petzold, Jacques Rivette, Eric Rohmer, Ulrich Seidl, Angela Schanelec, Georg Seeßlen, Hans-Jürgen Syberberg, Lars von Trier, Reinhold Vorschneider, Jeff Wall, Nicolas Wackerbarth, Henner Winckler u.a.
Revolver. Kino muss gefährlich sein. Herausgegeben von Marcus Seibert. 468 Seiten. 22 Euro. Erschienen im Verlag der Autoren. Seit heute erhältlich.
09 November, 2006
THE NIGHT OF THE HUNTER
Die Kollegen von „new filmkritik”, Michael Baute und Volker Pantenburg, haben ein Buch über THE NIGHT OF THE HUNTER herausgebracht, in dem 93 Autorinnen und Autoren über die 93 Minuten von Charles Laughtons einzigem Film schreiben. Der Band versammelt einige der interessantesten Köpfe kritischer Filmreflektion in Deutschland: Diedrich Diederichsen, Ekkehard Knörer, Gertrud Koch, Bert Rebhandl, Klaus Theweleit u.v.a. Auch viele Regisseure, etwa Harmut Bitomsky, Harun Farocki, Angela Schanelec, Christian Petzold oder Ulrich Köhler sind mit von der Partie.
Das starre Konzept, den Film nach Minuten und nicht etwa nach Sequenzen, Szenen oder Bedeutungseinheiten zu gliedern, macht die Lektüre mitunter beschwerlich. Weil jeder Beitrag von Neuem ansetzt und der Text, wiewohl grafisch eine Einheit, nicht parallel zum Film wächst, entstehen statt der gewünschten Tiefe gelegentlich Redundanzen. Aber wie so oft bei episodischen Strukturen ist die Vielstimmingkeit am Ende doch ein Gewinn, zumal das Niveau der Texte hoch und der Gegenstand reichhaltig ist. Und natürlich regt das Buch an, den Film wieder und mit neuen Augen zu sehen, und diese Anleitung zur Relektüre eines unklassischen Klassikers ist vielleicht das Hauptverdienst des Buches. In der kargen Landschaft deutscher Filmpublizistik ist das Buch in jedem Fall eine Insel, auf der es viel zu entdecken gibt. Es sei hiermit herzlich empfohlen.
"Minutentexte. The Night of the Hunter". Hrsg. von Michael Baute & Volker Pantenburg. Berlin 2006. 4to. 288 S. mit 189 Abb. & Zeichn., brosch.
06 November, 2006
Leute, die rot werden
Rainer Knepperges schreibt in der taz über Klaus Lemke – unbedingt lesenswert.
05 November, 2006
31 Oktober, 2006
Kleine Theorie des Populären (2)
Wir alle werden zu dem Glauben erzogen, der Markt sei ein notwendiges Regulativ. Aber was regelt er eigentlich? Welche Qualitäten haben die Dinge, die sich auf dem Markt bewähren? Was sagt der Markterfolg?
Ich glaube, in der Hauptsache ist Markterfolg ein soziales Phänomen. Ein Produkt, das von vielen gekauft, benützt, gestützt wird, verliert den lästigen Zweifel, der allen übrigen Dingen anhaftet. Ist es nützlich? Ist es schön? Ist es angemessen? Die Antwort des Marktes auf diese unlösbaren Fragen lautet: „Millionen Kunden können nicht irren.”
Unser Leben ist ein Haushalt der Sinnstiftung, mit individuellen und kollektiven Anteilen. Die Überschätzung des Individuellen als Grundpfeiler unserer Kultur spielt dabei die Rolle der Verklärung. Man will sich als Individualist fühlen, aber man möchte nicht einsam sein. Als Besitzer eines Massenartikels ist man Teil einer Gemeinschaft, in der auch und gerade der Fehler für Unterhaltung sorgt. Nichts ist verbindender, als die gemeinsam erlebte Panne. In der Bewertung kann man sich dann ja wieder individualisieren...
Aber welche Eigenschaften haben die Produkte, die eine breite Zustimmung auf sich vereinigen können? Sind sie „besser”? Sind sie „brauchbarer”? Vielleicht ist der zentrale Punkt ist ihre „Robustheit”. Damit meine ich nicht Qualität im Sinne von Haltbarkeit, sondern eine Robustheit in der Kommunikation. Ein Produkt muss sich robust erzählen lassen. Es darf also nicht zu subtil, zu streitbar, zu mehrdeutig sein.
Die Meister der „klassischen” Periode haben es verstanden, verschiedene Ebenen zu vereinen, sozusagen Küche, Stall und gute Stube gleichzeitig zu bespielen. Diese Vielströmigkeit hatte den Vorteil der grösseren Kontraste: Das Feine kam im Rahmen des Groben stärker zur Geltung. Vielleicht hat so auch „mehr Welt” in einen Film gepasst. Heute scheint der Film jedenfalls viel stärker ausdifferenziert. Die sehr vulgären Filme stehen unversöhnlich neben den sehr zarten. Und was die einen umbringt, macht die anderen nur härter.
Fortsetzung folgt.
Ich glaube, in der Hauptsache ist Markterfolg ein soziales Phänomen. Ein Produkt, das von vielen gekauft, benützt, gestützt wird, verliert den lästigen Zweifel, der allen übrigen Dingen anhaftet. Ist es nützlich? Ist es schön? Ist es angemessen? Die Antwort des Marktes auf diese unlösbaren Fragen lautet: „Millionen Kunden können nicht irren.”
Unser Leben ist ein Haushalt der Sinnstiftung, mit individuellen und kollektiven Anteilen. Die Überschätzung des Individuellen als Grundpfeiler unserer Kultur spielt dabei die Rolle der Verklärung. Man will sich als Individualist fühlen, aber man möchte nicht einsam sein. Als Besitzer eines Massenartikels ist man Teil einer Gemeinschaft, in der auch und gerade der Fehler für Unterhaltung sorgt. Nichts ist verbindender, als die gemeinsam erlebte Panne. In der Bewertung kann man sich dann ja wieder individualisieren...
Aber welche Eigenschaften haben die Produkte, die eine breite Zustimmung auf sich vereinigen können? Sind sie „besser”? Sind sie „brauchbarer”? Vielleicht ist der zentrale Punkt ist ihre „Robustheit”. Damit meine ich nicht Qualität im Sinne von Haltbarkeit, sondern eine Robustheit in der Kommunikation. Ein Produkt muss sich robust erzählen lassen. Es darf also nicht zu subtil, zu streitbar, zu mehrdeutig sein.
Die Meister der „klassischen” Periode haben es verstanden, verschiedene Ebenen zu vereinen, sozusagen Küche, Stall und gute Stube gleichzeitig zu bespielen. Diese Vielströmigkeit hatte den Vorteil der grösseren Kontraste: Das Feine kam im Rahmen des Groben stärker zur Geltung. Vielleicht hat so auch „mehr Welt” in einen Film gepasst. Heute scheint der Film jedenfalls viel stärker ausdifferenziert. Die sehr vulgären Filme stehen unversöhnlich neben den sehr zarten. Und was die einen umbringt, macht die anderen nur härter.
Fortsetzung folgt.
20 Oktober, 2006
THE BIG HEAT
Die herzzerreissend lebenshungrige Gloria Grahame mit Lee Marvin als ihrem brutalen Freund in Fritz Langs THE BIG HEAT (1953). Faszinierend, wie direkt ihr die Kommunikation mit dem Publikum gelingt, trotz Langs berüchtigten Regiestils, bei dem jede Bewegung mit Zahlen auf dem Studioboden fixiert war. Nur Peter Lorre in M - EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER war ähnlich lebendig und anrührend im wundervollen, aber doch oft sehr starren Universum Fritz Langs. Interessant wäre, ob Lorre und Grahame (die auch in Langs HUMAN DESIRE wunderbar ist) auch in den Augen Langs Ausnahmen waren, ob er selbst von ihnen besonders berührt war.
Körpergrenze
Die Gedanken sind frei, sehnen sich aber nach Konkretion: Das Mögliche will wirklich werden. Auch das Wirkliche will sich verwandeln, die Last des Körpers soll sich in der Fiktion lösen. Wir leben in einer Januswelt, in der sich, entlang der Körpergrenze, alles verflüssigt. Das Wirkliche wird zunehmend unwirklicher, das Unwirkliche zunehmend wirklicher. Immer vollkommeneren Simulationen stehen immer unglaubwürdigere Fassadenarchitekturen gegenüber. Im Filmpark von Babelsberg oder am Potsdamer Platz stapft man durch schlechte Kulissen, in denen man die hyperrealen Spektakel des Kinos nachspielen soll, während die Avatare in simulierten Welten in Richtung Fotorealismus steuern und online sogar virtuelle Immobilien gehandelt werden (zum Beispiel: www.secondlife.com). Der amerikanische Geheimdienst hat eine Strategie der Desinformation entwickelt, die jeder Operation eine oder mehrere „Wahrheits-Varianten” zuordnet, die wenn nötig in Konkurrenz zur Wirklichkeit treten - und natürlich ganz reale Folgen haben. Eames Demetrios, Filmemacher und Künstler, strickt mit Freunden an einem parallelen Universum, das er Kymaerica nennt (www.kymaerica.com) und das eine alternative Geschichte Amerikas erzählt. In Kunstaktionen werden Artefakte ins wirkliche Amerika gepflanzt, die die Kymaerica-Version „beweisen” sollen. Dazu passt die heutige Meldung der Nachrichtenagentur AP, wonach es zum ersten Mal gelungen sei, ein reales Objekt „augenscheinlich” zum Verschwinden zu bringen. Mit technischen Mitteln hat man an der Duke University eine Fata Morgana nachgebaut, also jenes Hitzephänomen, das die Lichtbrechung so verändert, dass der Blick in die Irre geht. Die postindustrielle Gesellschaft produziert Auflösung.
Das Kino hat seinen Teil zur Entkörperlichung beigetragen, und doch kann es nicht ohne Körper sein. Das Filmbild braucht den Körper als Gegenüber - egal wie fantastisch die Handlung, das Wissen, dass jedes Bild eines Körpers aus einem wirklichen Körper hervorgegangen ist, bestimmt ganz wesentlich sein Gewicht. Ohne reales Pendant ist das Bild nicht mehr Stellvertreter, sondern nur noch Zeichen. Vielleicht ist das der Grund, warum ich computeranimierte Bilder im Kino immer als „Fremdkörper” empfinde. Eine computeranimierte Figur oder Landschaft ist nichts weiter als ein Phantom, während der Avatar im Computerspiel zum Beispiel eindeutig ein Geist ist, abhängig von seinem Meister. Keine Frage, die Beziehung ist nicht so symmetrisch, aber ähnlich wie der Schauspieler, der zu seinem Abbild im Film ein Spiegelverhältnis hat, über die Körpergrenze hinweg, ist auch der Avatar nichts ohne seine bessere Hälfte - und darin liegt seine Kraft.
Das Kino hat seinen Teil zur Entkörperlichung beigetragen, und doch kann es nicht ohne Körper sein. Das Filmbild braucht den Körper als Gegenüber - egal wie fantastisch die Handlung, das Wissen, dass jedes Bild eines Körpers aus einem wirklichen Körper hervorgegangen ist, bestimmt ganz wesentlich sein Gewicht. Ohne reales Pendant ist das Bild nicht mehr Stellvertreter, sondern nur noch Zeichen. Vielleicht ist das der Grund, warum ich computeranimierte Bilder im Kino immer als „Fremdkörper” empfinde. Eine computeranimierte Figur oder Landschaft ist nichts weiter als ein Phantom, während der Avatar im Computerspiel zum Beispiel eindeutig ein Geist ist, abhängig von seinem Meister. Keine Frage, die Beziehung ist nicht so symmetrisch, aber ähnlich wie der Schauspieler, der zu seinem Abbild im Film ein Spiegelverhältnis hat, über die Körpergrenze hinweg, ist auch der Avatar nichts ohne seine bessere Hälfte - und darin liegt seine Kraft.
Die Nische, die ich meine
In einer Art Selbstbeschreibung der Filmzeitschrift REVOLVER habe ich einmal formuliert:
„Dahinter (...) steht die Annahme, dass es die Chance Europas ist, radikale Filme zu machen. Das heisst aber gerade nicht, sich von Hollywood in eine Nische drängen zu lassen. Wer genau hinsieht, wird bemerken, dass es der Hollywoodfilm ist, der sich allenthalben auf die Füße tritt - so eng ist das Revier - während weite Ebenen des Films brach liegen. In diese Weiten wollen wir! Wir streiten für einen persönlichen Film, einen Film, der aus dem Standpunkt eines Autoren hervorgeht - im Unterschied zu dem Industrieprodukt, das mit einer Zahl im Kopf beginnt. Und wir glauben, dass sich dieser persönliche, radikale, europäische Film verbünden muss, um überleben zu können.”
Das ist sicherlich noch immer gültig. Ich bin überzeugt, dass wir von hier aus sinnlicher, politischer, intelligenter, ambivalenter, charmanter, gefährlicher mit Film arbeiten könnten als die Amerikaner zum Beispiel, die am Gängelband einer vertikal integrierten, geldfixierten Industrie wenig Spielraum für das künstlerische Wagnis haben. Aber die Realität sieht anders aus. Der europäische Film, der sich kommerziell nicht beweisen muss, ist schüchtern, zweifelnd, mutlos, ohne den breiten Rücken ununterbrochener Erfolgserlebnisse, zwischen Imitation und Esoterik, während von den kommerziellen Systemen Hollywoods, Hong Kongs und Bollywoods immer wieder entscheidende Impulse ausgehen. Klasse scheint eben doch einen Zusammenhang mit Masse zu haben, insofern die Kunst besser das „Andere” sein kann, wenn ihr Gegenüber vulgär und allmächtig ist.
Aus meinem Notizbuch:
„Der „Filmkunst” scheint die Disziplin der konventionellen Erzählung zu fehlen, die, da gewissermassen öffentlich, eine andere Schärfe, eine andere Sichtbarkeit hervorbringen kann. Eine Disziplin auch, die durch die direkte Einbindung in den Warenverkehr ihre Gültigkeit jeden Tag neu verhandeln muss. Dahinter steckt die Annahme, der Markt könne für soziale Verhältnisse (wie es auch eine Erzählung darstellt) eine „hygienische” Funktion haben: Was nicht verstanden wird, muss neu formuliert, klarer gefasst werden, wenn es nicht verschwinden will.”
Im besten Falle jedenfalls vertieft sich im Widerstand gegen den Ungeist der Verkäufer der eigene Standpunkt und das Bewusstsein für das, was man nicht preisgeben kann. Man kennt diesen Relief-Effekt ja auch aus Diktaturen, aber es wäre eine absurde Folgerung, deshalb die Zensur wieder einzuführen. Man muss es so pathetisch sagen: Unsere Freiheit ist Verpflichtung, und wer sie nicht nutzt, höhlt sie aus.
„Dahinter (...) steht die Annahme, dass es die Chance Europas ist, radikale Filme zu machen. Das heisst aber gerade nicht, sich von Hollywood in eine Nische drängen zu lassen. Wer genau hinsieht, wird bemerken, dass es der Hollywoodfilm ist, der sich allenthalben auf die Füße tritt - so eng ist das Revier - während weite Ebenen des Films brach liegen. In diese Weiten wollen wir! Wir streiten für einen persönlichen Film, einen Film, der aus dem Standpunkt eines Autoren hervorgeht - im Unterschied zu dem Industrieprodukt, das mit einer Zahl im Kopf beginnt. Und wir glauben, dass sich dieser persönliche, radikale, europäische Film verbünden muss, um überleben zu können.”
Das ist sicherlich noch immer gültig. Ich bin überzeugt, dass wir von hier aus sinnlicher, politischer, intelligenter, ambivalenter, charmanter, gefährlicher mit Film arbeiten könnten als die Amerikaner zum Beispiel, die am Gängelband einer vertikal integrierten, geldfixierten Industrie wenig Spielraum für das künstlerische Wagnis haben. Aber die Realität sieht anders aus. Der europäische Film, der sich kommerziell nicht beweisen muss, ist schüchtern, zweifelnd, mutlos, ohne den breiten Rücken ununterbrochener Erfolgserlebnisse, zwischen Imitation und Esoterik, während von den kommerziellen Systemen Hollywoods, Hong Kongs und Bollywoods immer wieder entscheidende Impulse ausgehen. Klasse scheint eben doch einen Zusammenhang mit Masse zu haben, insofern die Kunst besser das „Andere” sein kann, wenn ihr Gegenüber vulgär und allmächtig ist.
Aus meinem Notizbuch:
„Der „Filmkunst” scheint die Disziplin der konventionellen Erzählung zu fehlen, die, da gewissermassen öffentlich, eine andere Schärfe, eine andere Sichtbarkeit hervorbringen kann. Eine Disziplin auch, die durch die direkte Einbindung in den Warenverkehr ihre Gültigkeit jeden Tag neu verhandeln muss. Dahinter steckt die Annahme, der Markt könne für soziale Verhältnisse (wie es auch eine Erzählung darstellt) eine „hygienische” Funktion haben: Was nicht verstanden wird, muss neu formuliert, klarer gefasst werden, wenn es nicht verschwinden will.”
Im besten Falle jedenfalls vertieft sich im Widerstand gegen den Ungeist der Verkäufer der eigene Standpunkt und das Bewusstsein für das, was man nicht preisgeben kann. Man kennt diesen Relief-Effekt ja auch aus Diktaturen, aber es wäre eine absurde Folgerung, deshalb die Zensur wieder einzuführen. Man muss es so pathetisch sagen: Unsere Freiheit ist Verpflichtung, und wer sie nicht nutzt, höhlt sie aus.
14 Oktober, 2006
Freihei
Der deutsche Fi, der deutsche Fil - wie viele langweilige Texte schon so begonnen haben. Der deutsche Film hat Freiheiten, die überdurchschnittlich sind. Stimmt das? „Dürfen” wir mehr als Hollywood? Falls das der Fall ist, vergrössert es nur unsere - Schande? Grosse Freiheit ist unseren Filmen jedenfalls nicht anzumerken.
Selbstzitat:
„Niemand darf glauben, dass sich in dem engen und ängstlichen Geflecht aus Fernsehindustrie und Förderspekulation, am Katzentisch der Kultur, ein Film entwickeln wird, der über das Ziel, Gebrauchsware für den täglichen Konsum zu produzieren, so „unvernünftig” hinausschießt, dass er das Medium selbst herausfordert.”
Selbstzitat:
„Niemand darf glauben, dass sich in dem engen und ängstlichen Geflecht aus Fernsehindustrie und Förderspekulation, am Katzentisch der Kultur, ein Film entwickeln wird, der über das Ziel, Gebrauchsware für den täglichen Konsum zu produzieren, so „unvernünftig” hinausschießt, dass er das Medium selbst herausfordert.”
13 Oktober, 2006
THE SHOP AROUND THE CORNER
Regisseur Ernst Lubitsch zwischen Margaret Sullavan und James Stewart, am Set von THE SHOP AROUND THE CORNER (1939).
Die Konkurrenz von Vorstellung und Wahrnehmung, Täuschung und Ent-Täuschung als notwendige Voraussetzung einer Liebesbeziehung: Die vielleicht realistischste romantic comedy der Filmgeschichte spielt nicht umsonst in einem Geschäft...
Verführung zur Aufmerksamkeit
„Gestern Abend war bei der Tante eine kleine Gesellschaft. Ich wusste, Cordelia würde ihr Strickzeug hervorholen. Darin hatte ich ein kleines Billett versteckt. Sie ließ es fallen, hob es auf, wurde bewegt, sehnsuchtsvoll. So muss man stets die Situation zu Hilfe nehmen. Es ist unglaublich, welche Vorteile man davon haben kann. Ein an und für sich unbedeutendes Billett wird, unter solchen Umständen gelesen, für sie unendlich bedeutsam. Mich konnte sie nicht sprechen; ich hatte es so eingerichtet, dass ich eine Dame nach Hause begleiten musste. Sie musste sich also bis heute gedulden. Das ist stets gut, um den Eindruck sich noch tiefer in ihre Seele einbohren zu lassen. Immer hat es den Anschein, als sei ich es, der ihr eine Aufmerksamkeit erweist; der Vorteil, den ich habe, ist der, dass ich überall in ihren Gedanken angebracht werde, überall sie überrasche.”
Aus: Sören Kierkegaard: Tagebuch des Verführers. Aus dem Dänischen von Heinrich Fauteck. Deutscher Taschenbuch Verlag 12463. Seite 129.
Aus: Sören Kierkegaard: Tagebuch des Verführers. Aus dem Dänischen von Heinrich Fauteck. Deutscher Taschenbuch Verlag 12463. Seite 129.
Geheimnis der Konserve
Jeder Filmliebhaber, der seiner Neigung durch den Erwerb von Konserven frönt, ist an Haltbarkeit interessiert. Der Besitz eines Filmes „rechnet” sich schliesslich erst mit dem zweiten oder dritten Sehen. Das führt zu dem Irrwitz, dass man bevorzugt Filme kauft, die man schon kennt - und die sich „gut gehalten” haben. Ohnehin verschärft der DVD-Markt die Erfolgsschablonen noch einmal; die Eignung zum Oft-Sehen ist dabei wie die „Fernsehtauglichkeit” eine kinofremde Angelegenheit. Ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn ein Film „immer wieder gut” ist? Man ertappt sich dabei, die Frage sofort zu bejahen. Aber natürlich kann Wiederholung auch zerstörerisch sein.
Alexander Kluge schrieb 1983 in seinen Thesen: „Videokassetten fordern Filme, die auf Wiederholbarkeit angelegt sind. Ähnlich einer Schallplatte. Niemand kauft Schallplatten, deren „Handlung” man nach einmal Abhören kennt. Das Rätselhafte erhält eine neue Chance.”
Demnach müsste eine Filmgeschichte, die mit DVDs geschrieben wird, eine ganz anderes Spektrum in den Olymp befördern, als die des Kinos. Etwa so wie die Kunstbuchindustrie jene Künstler gerne „vergisst”, deren Arbeiten sich schlecht reproduzieren lassen, wird auch das Konservierungsmittel DVD eine eigene Geschmackspalette hervorbringen.
Alexander Kluge schrieb 1983 in seinen Thesen: „Videokassetten fordern Filme, die auf Wiederholbarkeit angelegt sind. Ähnlich einer Schallplatte. Niemand kauft Schallplatten, deren „Handlung” man nach einmal Abhören kennt. Das Rätselhafte erhält eine neue Chance.”
Demnach müsste eine Filmgeschichte, die mit DVDs geschrieben wird, eine ganz anderes Spektrum in den Olymp befördern, als die des Kinos. Etwa so wie die Kunstbuchindustrie jene Künstler gerne „vergisst”, deren Arbeiten sich schlecht reproduzieren lassen, wird auch das Konservierungsmittel DVD eine eigene Geschmackspalette hervorbringen.
12 Oktober, 2006
THE SHINING
Ein Hotel ist ein Haus, das sich verkauft. Seine Bewohner haben alle möglichen, also keine Eigenschaften. Das macht den Ort unbestimmt = unheimlich. Um den Makel des Unverlässlichen zu übertünchen, flüchtet sich das Hotel in die Konvention. Sie soll als schützende Gleichgültigkeit aus einem konkreten Ort mit konkreten Erfahrungen ortlose, reine Gegenwart machen. Dass die „Schweinerei der Geschichte” aber immer anwesend bleibt, davon erzählt der Horrorfilm „The Shining” in überwirklicher Klarheit - einer der wenigen Filme für mich, die sich mit jedem Sehen produktiv verändern.
11 Oktober, 2006
Rest
Sehen heisst Lesen, Zuströme filtern: das Erwartete („richtig”) wird vom Unerwarteten („falsch”) getrennt. Diese Wissens-Arithmetik hält uns oft so auf Trab, dass die unbestimmten Anteile im Augenblick der Wahrnehmung unter den Tisch fallen, zumal der Sehsinn stärker als alle anderen Sinne auf Nützlichkeit geeicht ist. Nachwirkung hat aber oft gerade das, was sich nicht hat bündig machen lassen, und deshalb „zwischengelagert” worden ist. Welche Konsequenzen zieht der Filmemacher?
09 Oktober, 2006
God Mode
Die Trailer-Seite, die ich regelmässig besuche, wird in Schüben mit neuer Ware aufgefrischt. Wenn ich in Stimmung bin, sehe ich mir alle neuen Trailer hintereinander an. Plots, Figuren, Posen verschwimmen dann zu einem Meta-Film, zugleich Ausblick und Psychogramm. Im Überblick werden Muster erkennbar, kollektive Erschütterungen, Moden und Rezepte.
Spätestens seit den 80er Jahren versucht Hollywood, die visuellen „Herausforderer” Comic, Werbung, Musikvideo und Computerspiel im Spielfilm zu verschmelzen, oft mit zweifelhaften Ergebnissen. Filme wie „Sin City” (Rodriguez) oder demnächst „300” (Snyder), „Pathfinder” (Nispel) oder auch „Apocalypto” (Gibson) bringen diese Alchemie auf ein neues Level. Exzessive Gewalt, extrem manipulative Musik und eine Kamerasprache, die spürbar vom unkörperlichen Blick des Computerspiels beeinflusst ist, feiern Wirklichkeitsverlust als Rausch. Vielleicht könnte man von einer Ästhetik des „God Mode” sprechen - also des Spielmodus', bei dem der Spieler unverwundbar ist.
Das Wirken-Wollen dieser Filme ist so zwanghaft, als würde sich der kommerzielle Druck, die „Bedrohung” durch andere Medien, selbst abbilden. Es tobt ein „totaler Krieg”, der alle Resourcen, die Aufmerksamkeit binden könnten, in Stellung bringt, sozusagen die letzte Glocke zu Geschützen schmilzt und dabei doch hinter der gleichgültigen Hoheit über Raum und Zeit, die das Computerspiel besitzt, zurückbleiben muss.
Dagegen Ozu denken: „To use is to misuse”.
www.apple.com/trailers/
Spätestens seit den 80er Jahren versucht Hollywood, die visuellen „Herausforderer” Comic, Werbung, Musikvideo und Computerspiel im Spielfilm zu verschmelzen, oft mit zweifelhaften Ergebnissen. Filme wie „Sin City” (Rodriguez) oder demnächst „300” (Snyder), „Pathfinder” (Nispel) oder auch „Apocalypto” (Gibson) bringen diese Alchemie auf ein neues Level. Exzessive Gewalt, extrem manipulative Musik und eine Kamerasprache, die spürbar vom unkörperlichen Blick des Computerspiels beeinflusst ist, feiern Wirklichkeitsverlust als Rausch. Vielleicht könnte man von einer Ästhetik des „God Mode” sprechen - also des Spielmodus', bei dem der Spieler unverwundbar ist.
Das Wirken-Wollen dieser Filme ist so zwanghaft, als würde sich der kommerzielle Druck, die „Bedrohung” durch andere Medien, selbst abbilden. Es tobt ein „totaler Krieg”, der alle Resourcen, die Aufmerksamkeit binden könnten, in Stellung bringt, sozusagen die letzte Glocke zu Geschützen schmilzt und dabei doch hinter der gleichgültigen Hoheit über Raum und Zeit, die das Computerspiel besitzt, zurückbleiben muss.
Dagegen Ozu denken: „To use is to misuse”.
www.apple.com/trailers/
07 Oktober, 2006
Kleine Theorie des Populären (1)
Gestern habe ich in der Filmzeitschrift Shomingeki gelesen. In der Hauptsache werden Filme und Filmemacher besprochen, die mir unbekannt sind. T. schreibt ohne Prätention über seine Entdeckungen, sehr direkt. Er scheint sich auf sein Expertentum nichts einzubilden. Angenehm. Trotzdem hat sich meine Neugier bald verflüchtigt. Vielleicht, weil das Lesen über Filme interessanter ist, wenn man vom besprochenen Gegenstand eine eigene Anschauung hat, die man ins Verhältnis setzen kann.
Film ist immer auch ein Vehikel, um zu sprechen, ein wohlfeiles Thema, fast so präsent wie das Wetter und mitunter ebenso harmlos. Über einen unbekannten Film aber spricht sich nicht so leicht. Wer möchte über Wetter reden, das ihn nicht betrifft? Was ich also über einen Film lese, den niemand gesehen hat, werde ich sozial nicht umsetzen können. Diese Funktion hat das Schreiben über Film eben auch: den Leser mit Argumenten zu versorgen, die er für seine Debatten brauchen kann.
Populär ist demnach ein Kino, über das sich gut sprechen lässt. Und umgekehrt wird ein Film populär, über den viel gesprochen wird. Man will mitreden können. Ob der Film der Rede wert ist, ist letztlich zweitrangig – die Einbindung in den allgemeinen Diskurs ist Entschädigung genug, die individuellen Defizite des Films werden sozial beglichen.
Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Film nur von wenigen Menschen gesehen wird. Über die Qualität des Films sagt das nichts aus. Aber ganz ohne soziale Belohnung – und seien es die höheren Weihen cineastischer Zirkel – will kaum jemand ins Kino gehen. Das Kino ist als Massenmedium gruppendynamischen Prozessen unterworfen, und je mehr es seine Selbstverständlichkeit und Verankerung im Alltag verliert, desto stärker verlässt es sich auf gemachte Meinung.
Hollywood bietet ein ganzes Arsenal von Verknüpfungsangeboten auf, um seine Produkte ins Gespräch zu bringen, vom Set-Gerücht über den Skandal des (Bestseller-) Themas zur weitverzweigten Werbekampagne, die bis zu unseren Cornflakes dringt. PR-Agenturen spielen auf der Volksseele Klavier, in der Hoffnung, dass aus einem mutwilligen Funken ein Feuer hysterisierter Wahrnehmung wird. Den „armen Künstlern” bleibt der besonders spitze Ton, das exzentrisch gebrochene Tabu, von John Waters bis Lars von Trier.
Und wir anderen, die wir nicht die Gunst der großen Vertriebe und nicht das Talent zur Hemmungslosigkeit haben, bemühen uns um Zuschauer ohne Herdentrieb und verklären unsere Erfolglosigkeit als grausamen Ausdruck einer verkommenen Zeit.
Aber so verkommen war die Zeit schon immer, dass die Menschen im Kino diesen doppelten Trost gesucht haben: Im Film die Süße einer Welt zu schmecken, in der alles Sinn macht, sogar das Leiden. Und nach dem Film verbunden sein mit der Masse, die sich am selben Stoff gelabt hat. Was wäre daran auch so schlecht? Ist dieses Reden nicht wirkliche, soziale Zärtlichkeit, die sich nach zwei Stunden stummer Empfindsamkeit entladen muss?
Fortsetzung folgt.
Film ist immer auch ein Vehikel, um zu sprechen, ein wohlfeiles Thema, fast so präsent wie das Wetter und mitunter ebenso harmlos. Über einen unbekannten Film aber spricht sich nicht so leicht. Wer möchte über Wetter reden, das ihn nicht betrifft? Was ich also über einen Film lese, den niemand gesehen hat, werde ich sozial nicht umsetzen können. Diese Funktion hat das Schreiben über Film eben auch: den Leser mit Argumenten zu versorgen, die er für seine Debatten brauchen kann.
Populär ist demnach ein Kino, über das sich gut sprechen lässt. Und umgekehrt wird ein Film populär, über den viel gesprochen wird. Man will mitreden können. Ob der Film der Rede wert ist, ist letztlich zweitrangig – die Einbindung in den allgemeinen Diskurs ist Entschädigung genug, die individuellen Defizite des Films werden sozial beglichen.
Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Film nur von wenigen Menschen gesehen wird. Über die Qualität des Films sagt das nichts aus. Aber ganz ohne soziale Belohnung – und seien es die höheren Weihen cineastischer Zirkel – will kaum jemand ins Kino gehen. Das Kino ist als Massenmedium gruppendynamischen Prozessen unterworfen, und je mehr es seine Selbstverständlichkeit und Verankerung im Alltag verliert, desto stärker verlässt es sich auf gemachte Meinung.
Hollywood bietet ein ganzes Arsenal von Verknüpfungsangeboten auf, um seine Produkte ins Gespräch zu bringen, vom Set-Gerücht über den Skandal des (Bestseller-) Themas zur weitverzweigten Werbekampagne, die bis zu unseren Cornflakes dringt. PR-Agenturen spielen auf der Volksseele Klavier, in der Hoffnung, dass aus einem mutwilligen Funken ein Feuer hysterisierter Wahrnehmung wird. Den „armen Künstlern” bleibt der besonders spitze Ton, das exzentrisch gebrochene Tabu, von John Waters bis Lars von Trier.
Und wir anderen, die wir nicht die Gunst der großen Vertriebe und nicht das Talent zur Hemmungslosigkeit haben, bemühen uns um Zuschauer ohne Herdentrieb und verklären unsere Erfolglosigkeit als grausamen Ausdruck einer verkommenen Zeit.
Aber so verkommen war die Zeit schon immer, dass die Menschen im Kino diesen doppelten Trost gesucht haben: Im Film die Süße einer Welt zu schmecken, in der alles Sinn macht, sogar das Leiden. Und nach dem Film verbunden sein mit der Masse, die sich am selben Stoff gelabt hat. Was wäre daran auch so schlecht? Ist dieses Reden nicht wirkliche, soziale Zärtlichkeit, die sich nach zwei Stunden stummer Empfindsamkeit entladen muss?
Fortsetzung folgt.
02 Oktober, 2006
Schule machen
Am Freitag hat ein Symposion zum Thema „Berliner Schule” stattgefunden.
„Alle” waren da: Arslan, Farocki, Grisebach, Hauck, Hausner, Heisenberg, Karmakar, Klier, Köhler, Petzold, Schanelec, Stever, Wackerbarth, Winckler; wichtige Mitarbeiter wie Böhler, Fromm, Keller, Kilian, Körner, Müller, Steyer. Ausserdem die Kritiker Althen, Baute, Gansera, Nord, Pethke, Rebhandl, Rother, Schnelle, Weixlbaumer u.a. Ein schönes Wiedersehen.
Die Veranstaltung war ergebnisoffen, die Fragen waren vage. Weil es keinen starken Grundstrom des Wissen-wollens gab, hat sich ein zerklüftetes Bild ergeben. Jede Antwort bildet den Fragenden ab.
Die Gastgeber, die DFFB und ihr neuer Direktor Harmut Bitomsky, haben das Ganze als Sympathisanten organisiert, sich dann aber vornehm zurück gehalten. Wir „Künstler” wurden von geladenen Kritikern untersucht; gegen die Behandlung gab es kein Aufbegehren. Ein eigenes Interesse der „Berliner Schule” aber war nicht zu erkennen. Auch das Forscherfieber hielt sich in Grenzen. Wir haben hingenommen, Gegenstand zu sein, aber die gebotene Bühne nicht bespielt.
Lediglich Bert Rebhandls „Minitheorie” hat für einen Moment Hoffnung auf eine diskursive Zuspitzung gemacht, flankiert durch die von Stefan Pethke vorgetragene, von Pethke, Baute, Pantenburg, Knoerer und Rothöhler gemeinsam erarbeitete, präzise Beschreibung des Status Quo (siehe www.kolikfilm.at). Aber bald war diese Herausforderung verpufft, und das kreuz und quer des Augenblicks ging weiter.
Über das Eigentliche, die Filme, wurde kaum gesprochen. Lob und Kritik waren summarisch. Unverdient, wie ich finde.
Heute schreibt Dietmar Kammerer in der TAZ von unseren Vorbehalten gegen die Schublade, und mokiert sich freundlich. Für den Tagesspiegel berichtet Kerstin Decker und ordnet Zitate mehrmals falsch zu. So wird Schule „gemacht”: mit gut gemeinter Unschärfe.
Die neuen Filme von Thomas Arslan („Ferien”) und Angela Schanelec („Nachmittag”) werden schon durch die Parallelen ihrer Grundkonstellation Anlass sein, Analogien hervorzuheben, Ähnlichkeiten bündig zu machen: Gruppenrabatt.
Trotzdem überwiegt bei mir die Freude über das gemeinsam-unterwegs-sein. Es formt sich ein Zusammenhang, der grosse Filme tragen könnte.
„Alle” waren da: Arslan, Farocki, Grisebach, Hauck, Hausner, Heisenberg, Karmakar, Klier, Köhler, Petzold, Schanelec, Stever, Wackerbarth, Winckler; wichtige Mitarbeiter wie Böhler, Fromm, Keller, Kilian, Körner, Müller, Steyer. Ausserdem die Kritiker Althen, Baute, Gansera, Nord, Pethke, Rebhandl, Rother, Schnelle, Weixlbaumer u.a. Ein schönes Wiedersehen.
Die Veranstaltung war ergebnisoffen, die Fragen waren vage. Weil es keinen starken Grundstrom des Wissen-wollens gab, hat sich ein zerklüftetes Bild ergeben. Jede Antwort bildet den Fragenden ab.
Die Gastgeber, die DFFB und ihr neuer Direktor Harmut Bitomsky, haben das Ganze als Sympathisanten organisiert, sich dann aber vornehm zurück gehalten. Wir „Künstler” wurden von geladenen Kritikern untersucht; gegen die Behandlung gab es kein Aufbegehren. Ein eigenes Interesse der „Berliner Schule” aber war nicht zu erkennen. Auch das Forscherfieber hielt sich in Grenzen. Wir haben hingenommen, Gegenstand zu sein, aber die gebotene Bühne nicht bespielt.
Lediglich Bert Rebhandls „Minitheorie” hat für einen Moment Hoffnung auf eine diskursive Zuspitzung gemacht, flankiert durch die von Stefan Pethke vorgetragene, von Pethke, Baute, Pantenburg, Knoerer und Rothöhler gemeinsam erarbeitete, präzise Beschreibung des Status Quo (siehe www.kolikfilm.at). Aber bald war diese Herausforderung verpufft, und das kreuz und quer des Augenblicks ging weiter.
Über das Eigentliche, die Filme, wurde kaum gesprochen. Lob und Kritik waren summarisch. Unverdient, wie ich finde.
Heute schreibt Dietmar Kammerer in der TAZ von unseren Vorbehalten gegen die Schublade, und mokiert sich freundlich. Für den Tagesspiegel berichtet Kerstin Decker und ordnet Zitate mehrmals falsch zu. So wird Schule „gemacht”: mit gut gemeinter Unschärfe.
Die neuen Filme von Thomas Arslan („Ferien”) und Angela Schanelec („Nachmittag”) werden schon durch die Parallelen ihrer Grundkonstellation Anlass sein, Analogien hervorzuheben, Ähnlichkeiten bündig zu machen: Gruppenrabatt.
Trotzdem überwiegt bei mir die Freude über das gemeinsam-unterwegs-sein. Es formt sich ein Zusammenhang, der grosse Filme tragen könnte.
30 September, 2006
Kino der Fülle
Was mich an Viscontis Filmen fasziniert, ist das Gefühl der Vollständigkeit. Das Off ist so anwesend wie das On, nie hat man das Gefühl, der Ausschnitt müsse verschleiern, dass das Filmbild eine prekäres, mühsam hergestelltes sei --- man glaubt jederzeit in alle Richtungen gehen zu können, hinter dem Film scheint eine EIGENE Wirklichkeit auf, selbstbewusst und zweifellos. Das gilt auch für die Menschen in seinen Filmen, die eine Fülle und Sinnlichkeit haben, wie es sie im Kino kein zweites Mal gibt. Ihr Realismus ist einer der antiken Sagenwelt --- immer ist das Menschliche auch als eine Potenz der Grösse, des grossen Scheiterns sichtbar, während zum Beispiel der „Realismus” britischer Prägung immer auf das Erbärmliche menschlicher Schwäche abzielt. Nicht, dass Visconti seine Figuren verharmloste, im Gegenteil, aber ihr Spektrum ist breiter, nicht von soziologischen Spekulationen begrenzt, sondern im Archaischen wurzelnd bis ins pedantische Detail des richtigen Manschettenknopfes entwickelt.
Luchino Visconti (1906-1976)
„Zivilisation erschöpft sich für Visconti nicht in den sichtbaren Gegebenheiten des Realen. Das Äussere ist bei ihm immer nur der nach aussen gestülpte Zustand innerer Verfassung. Darum kann er an der Realität registrieren, wie in ihr blinde, naturwüchsige Verhältnisse überdauern; wie auf den verschiedensten historischen Stufen eine mythische Vorwelt gegenwärtig wird. Nicht nur OSSESSIONE könnte zu allen Zeiten in allen möglichen Gesellschaften angesiedelt sein.”
Aus: Peter Buchka: Ansichten des Jahrhunderts, Hanser, 1988.
Aus: Peter Buchka: Ansichten des Jahrhunderts, Hanser, 1988.
23 September, 2006
The Boss Of It All
Lars von Triers neuer Film hatte gerade in Kopenhagen Premiere. Dem Vernehmen nach ist DIREKTOREN FOR DET HELE eine Komödie über einen Unternehmer, der nicht nein sagen kann – und deshalb einen Schauspieler anheuert, der in der Rolle des fiktiven Besitzers unpopuläre Entscheidungen verantworten soll. Gedreht ist das Ganze in einer Technik, die Trier AUTOMAVISION nennt. Ein Verfahren, das in Screendaily als „automatic randomised camera” erklärt wird: eine Kamera, die automatisch und zufällig kadriert --- und so eine klassische Gestaltung ausschliesst. Typisch Lars von Trier. Er stellt sich Fallen, in die er dann nicht hineintappt, über die man aber hervorragend schreiben und spekulieren kann. Dieses falsche Spiel, das dann aber reale Folgen hat, passt natürlich zur Handlung. Ich bin gespannt auf den Film, auch wenn mir diese Cleverness längst auf die Nerven geht.
11 September, 2006
Fahrwasser
Das Argument „Fahrwasser”, wonach grosse Mainstream-Erfolge aus deutscher Produktion vertrauensbildend wirkten und auf diese Weise auch „kleine” Filme mit Zuschauern versorgten, halte ich für wenig stichhaltig. Das Vertrauen des Publikums kann über den Umweg schlechter, imitativer Filme nicht gewonnen werden. Im Gegenteil muss man fürchten, dass man das Publikum zum Misstrauen erzieht, wenn man es wieder und wieder mit grosser Trommel in substanzlose Filme treibt. Die Aufteilung in „gross” und „klein” ist ohnehin verlogen. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Qualität und Erfolg, und was Erfolg haben wird, weiss niemand. Wer versucht, die Schauwerte eines Filmes „dem Publikum zuliebe” zu verallgemeinern, wird in den Graben fahren, weil der „unterschätzte Mensch” (Kluge/Negt) mit seiner Statistik eben nichts Wesentliches gemein hat. Leider findet sich in diesem Graben die beste Gesellschaft des deutschen Films... Wäre es nicht grundsätzlich besser, Filme erst nach einer Bewährung unter gleichen Bedingungen vertrieblich zu differenzieren? Nicht, dass ich an die Klugheit des Marktes glaubte, aber das, was unsere Subventions- und Fernsehfunktionäre für „kommerziell” halten, ist in jedem Falle stumpfer als das Interesse des Publikums, das ja beizeiten doch sehr riskant und immer neugierig entscheidet.
06 September, 2006
Selbstportrait?
Der Film blüht hybrid. Das „reine” Kino ist nicht nur zu verletztlich für den Alltag, sondern im wahrsten Sinne ungeniessbar.
Genuss ist eine Ergänzungskunst, wie die Erotik. Lücken und Fehler sind Einladungen.
Das wahre Kino wird im Sehen verfertigt. Perfektion ist eine Fantasie.
Die Oberflächen nicht zum Schein schliessen, gegen den Zuschauer, aber auch nicht pädagogisch perforieren.
Persönliches Kino heisst, die eigene Schwäche überwinden wollen, aber nicht können. Im Unvermögen zeigt sich der Charakter.
Film als Selbstportrait.
Genuss ist eine Ergänzungskunst, wie die Erotik. Lücken und Fehler sind Einladungen.
Das wahre Kino wird im Sehen verfertigt. Perfektion ist eine Fantasie.
Die Oberflächen nicht zum Schein schliessen, gegen den Zuschauer, aber auch nicht pädagogisch perforieren.
Persönliches Kino heisst, die eigene Schwäche überwinden wollen, aber nicht können. Im Unvermögen zeigt sich der Charakter.
Film als Selbstportrait.
Portrait?
Die Fragen: „Was ist menschlich?” und „Was ist möglich?” gleichzeitig denken.
Die Handlung als einen Bogen begreifen, der die Charaktere so in Spannung bringt, dass sie kenntlich werden.
Im Relief der Bewegungen, Gesten und Worte ein dreidimensionales Bild entstehen lassen.
Film als Portrait.
Die Handlung als einen Bogen begreifen, der die Charaktere so in Spannung bringt, dass sie kenntlich werden.
Im Relief der Bewegungen, Gesten und Worte ein dreidimensionales Bild entstehen lassen.
Film als Portrait.
31 August, 2006
SYNDROMES
27 August, 2006
Future Entertainment
MIAMI VICE ist wie eine Nährlösung, in der filmische Substanzen isoliert aufeinander reagieren, um nach kurzer Blüte wieder zu zerfallen. Mitunter entsteht so eine große Hitze, eine neue Ästhetik des Spektakels, die sehr wenig mit Plot oder Charakterisierung und sehr viel mit Suggestion zu tun hat.
Schade, dass Colin Farell dieses Nichts an Rolle mit Arbeit auffüllen will, etwas zu sein versucht, schau-spielt, wo es doch nur um Charisma geht. Farell kämpft gegen das Verschwinden im Bild und unterliegt - der Film gerät so oft auf lächerliches Terrain. Jamie Foxx ist da zuverlässiger, hat nichts dagegen, seinen Körper hinzuhalten, und auch wenn er ein bisschen brav bleibt, wird er nach und nach doch zum gleichberechtigten Objekt neben den Autos, Waffen und Flugzeugen.
Gong Li, die grossartig ist - ein Gesicht wie eine Landschaft, undeutbar, und dabei in ihrer Wirkung überwältigend, also ideal für die Bedürfnisse dieses Films - lädt das Drehbuch zum Salsa-Tanz mit Farell ein. Ihre Körper werden in der Montage ausgetauscht, um dem Tanz mehr Könnerschaft zu geben. Ein Tiefpunkt des Films. Gemachte Gefühle. Die Behauptung einer Romanze aus dem Geiste des Schmachtromans. Tanz darf man nicht schneiden, weil sein Wesen im Zusammenhang liegt - und einen Tanz, der die Verführung selbst sein soll (der entscheidende Moment, in dem der Schild sinkt, um den Pfeil zu empfangen) schon gar nicht.
Momentweise kommt der Film gross in Fahrt; unvergleichlich, wie Michael Mann im Vibrato der Andeutung, mit Reissschwenks, dokumentarischen Details, Farbpunkten und einem ganz schemenhaften Personal, einen Ort skizziert: Ciudad del Este, eine Stadt, wie es sie nur im Kino geben kann, zugleich ganz gerichtet (Kosmos der Angst) und ganz frei (völlige Erwartungslosigkeit). Nebel der Wahrnehmung. Nie zuvor war HD Video so sinnfällig, vielleicht sogar: conditio sine qua non. Und schon lange nicht mehr habe ich so unheimliche Pole des Bösen gesehen im Kino. Nicht dass man sie kennen lernte, man fürchtet sie nur. Das genügt.
Dazwischen Fahren, Fliegen, Gehen, Blicke ins Weite, ein zielloses Schweben, gelegentlich durchkreuzt von dürftiger Plotmechanik. Ich musste an Buster Keaton denken in SEVEN CHANCES: Wie er in ein Auto steigt um - Schnitt - wieder auszusteigen, und so das Verhältnis des klassischen Kinos zum Raum ironisch auf den Punkt bringt: er wird überbrückt, damit die Erzählung weitergehen kann. MIAMI VICE ist das Gegenteil: der ganze Film ist eine einzige Bewegung, Körper, Maschinen, Wolken, ohne wirkliches Ziel, und es ist die Erzählung, die, wann immer es geht, überbrückt wird.
Man fragt sich unwillkürlich, ob die Handlung so dürftig sein muss, damit sich diese lyrische Leere, diese Suggestions-Grammatik entfalten kann, oder ob der Film trotz seines schwachen Drehbuchs, trotz der dünnen Dialoge, trotz der Abwesenheit von Charakterisierung „funktioniert”. So oder so, kein „guter Film”, aber ein grosser Schritt in Richtung „Fühlkino”, wie von Huxley beschrieben: eine Sensation, die im Sinnenrausch selbst liegt, das cineastische Bärenfell.
Schade, dass Colin Farell dieses Nichts an Rolle mit Arbeit auffüllen will, etwas zu sein versucht, schau-spielt, wo es doch nur um Charisma geht. Farell kämpft gegen das Verschwinden im Bild und unterliegt - der Film gerät so oft auf lächerliches Terrain. Jamie Foxx ist da zuverlässiger, hat nichts dagegen, seinen Körper hinzuhalten, und auch wenn er ein bisschen brav bleibt, wird er nach und nach doch zum gleichberechtigten Objekt neben den Autos, Waffen und Flugzeugen.
Gong Li, die grossartig ist - ein Gesicht wie eine Landschaft, undeutbar, und dabei in ihrer Wirkung überwältigend, also ideal für die Bedürfnisse dieses Films - lädt das Drehbuch zum Salsa-Tanz mit Farell ein. Ihre Körper werden in der Montage ausgetauscht, um dem Tanz mehr Könnerschaft zu geben. Ein Tiefpunkt des Films. Gemachte Gefühle. Die Behauptung einer Romanze aus dem Geiste des Schmachtromans. Tanz darf man nicht schneiden, weil sein Wesen im Zusammenhang liegt - und einen Tanz, der die Verführung selbst sein soll (der entscheidende Moment, in dem der Schild sinkt, um den Pfeil zu empfangen) schon gar nicht.
Momentweise kommt der Film gross in Fahrt; unvergleichlich, wie Michael Mann im Vibrato der Andeutung, mit Reissschwenks, dokumentarischen Details, Farbpunkten und einem ganz schemenhaften Personal, einen Ort skizziert: Ciudad del Este, eine Stadt, wie es sie nur im Kino geben kann, zugleich ganz gerichtet (Kosmos der Angst) und ganz frei (völlige Erwartungslosigkeit). Nebel der Wahrnehmung. Nie zuvor war HD Video so sinnfällig, vielleicht sogar: conditio sine qua non. Und schon lange nicht mehr habe ich so unheimliche Pole des Bösen gesehen im Kino. Nicht dass man sie kennen lernte, man fürchtet sie nur. Das genügt.
Dazwischen Fahren, Fliegen, Gehen, Blicke ins Weite, ein zielloses Schweben, gelegentlich durchkreuzt von dürftiger Plotmechanik. Ich musste an Buster Keaton denken in SEVEN CHANCES: Wie er in ein Auto steigt um - Schnitt - wieder auszusteigen, und so das Verhältnis des klassischen Kinos zum Raum ironisch auf den Punkt bringt: er wird überbrückt, damit die Erzählung weitergehen kann. MIAMI VICE ist das Gegenteil: der ganze Film ist eine einzige Bewegung, Körper, Maschinen, Wolken, ohne wirkliches Ziel, und es ist die Erzählung, die, wann immer es geht, überbrückt wird.
Man fragt sich unwillkürlich, ob die Handlung so dürftig sein muss, damit sich diese lyrische Leere, diese Suggestions-Grammatik entfalten kann, oder ob der Film trotz seines schwachen Drehbuchs, trotz der dünnen Dialoge, trotz der Abwesenheit von Charakterisierung „funktioniert”. So oder so, kein „guter Film”, aber ein grosser Schritt in Richtung „Fühlkino”, wie von Huxley beschrieben: eine Sensation, die im Sinnenrausch selbst liegt, das cineastische Bärenfell.
25 August, 2006
Doppelgänger?
Es versteht sich von selbst, dass fast alle unsere Gedanken unbekannte Nachbarn haben, Vorfahren und entfernte Verwandte. Und natürlich verliert das selbst Gedachte nicht seinen Sinn, wenn man dann, zufällig oder nicht, Bekanntschaft mit einem Gedanken-Doppelgänger gemacht hat. Aber manchmal hat die späte Begegnung tragische Züge. Was, wenn man sich früher getroffen hätte? Ich habe gestern im Zug nach Berlin BESTANDSAUFNAHME: UTOPIE FILM gelesen, eine Art Resumee des deutschen Autorenfilms, herausgegeben von Alexander Kluge, 1983. Und darin findet sich so vieles von dem wieder, was wir bei Revolver oft tastend und ungelenk gesucht haben, dass ich die späte Entdeckung des Buches unwillkürlich bedauert habe. Das hätte Gründungslektüre sein müssen! Andererseits hätten wir es damals vielleicht nicht so schätzen können. So oder so, ich kann es sehr empfehlen, auch weil das Buch ebenso grundsätzlich wie anekdotisch ist und dabei aus Prinzip ergebnisoffen bleibt.
24 August, 2006
Die Wärme des Nebenmannes
Die Zeitung des Nachbarn ist umso interessanter, je konzentrierter er in sie vertieft scheint – sein Interesse lädt das Papier ganz unverhältnismässig zum Warenwert mit Bedeutung auf. Im Kino gibt es verwandte Effekte, Nebenvalenzen nennt sie Alexander Kluge, die im Fernsehen ausbleiben...
17 August, 2006
P.
Wir trafen uns in Paris, im dunklen Hinterraum eines chinesischen Lokals, in dem nur Chinesen assen, ein gutes Zeichen, dachte ich. P. liess eine Fülle undefinierbarer Speisen auftragen, die zumeist in kleinen runden Behältnissen kamen und ihrerseits oft sehr verwickelt waren, nicht näher zu bestimmende mundgerechte Stücke, ummantelt von Blättern, Teig oder gebackener Haut. P. interessierte sich immer für das Neue, und ass von jeder Speise, während ich schnell bei meinen Favoriten blieb. Wir sprachen also über den Film und unter welchen Umständen er sich vorstellen könnte, mit mir zusammen zu arbeiten. Ich sagte ihm, dass ich seine Fotografien liebte, weil er Licht und Farbe als Charaktere behandle, ganz unabhängig vom Sujet. Seinen Blick nannte ich filmisch, ohne genaue Vorstellung, was das heissen könnte für die Fotografie. Er meinte, er habe die Bilder nur machen können, weil er, im entscheidenden Augenblick, nicht durch den Sucher geschaut habe. Das Bild zu beherrschen hiesse es zu zerstören. Die Verständigung war schwierig, aber herzlich. Mein Französisch ist nicht der Rede wert, sein Englisch ist eine Katastrophe und seine hübsche Begleiterin, die sowohl russisch, als auch deutsch konnte, verstand oft nicht, was er meinte. Nach einigem Hin und Her war klar geworden, dass er sich, trotz mancher Vorbehalte das Skript betreffend (eine Freundin hatte ihm die Szenen telefonisch beschrieben), eine Zusammenarbeit vorstellen könnte, unter der Bedingung, dass er keine einzige Einstellung würde wiederholen müssen. Ein einziger Take sollte genügen. Ich bat mir Bedenkzeit aus, verliess das Lokal jedoch abenteuerlustig.
Das Projekt wurde aus Finanzierungsgründen verschoben und der Zeitraum, in dem er sich hätte frei machen können, war nicht mehr in Deckung zu bringen mit dem neuen Drehtermin.
Das Projekt wurde aus Finanzierungsgründen verschoben und der Zeitraum, in dem er sich hätte frei machen können, war nicht mehr in Deckung zu bringen mit dem neuen Drehtermin.
15 August, 2006
SUNRISE
Gestern: Ein Wiedersehen mit SUNRISE von F.W. Murnau. Betörend in seiner Sinnlichkeit. Wenn „Der Mann” durch Nebel und Gesträuch ans Ufer geht, macht man keinen Unterschied mehr zwischen „Figur” und „Hintergrund”, die Teilhabe an „der Natur” scheint selbstverständlich. Der Film ist ansteckend in seiner impressionistischen Emphase. Die „Verflüssigung” filmischer Mittel ist greifbar nah. Wer verfolgt diesen Weg heute?
Diskursives Kino
Ein diskursives Kino kann in seinen Formen und Inhalten nicht festgeschrieben werden - es ist das Ergebnis einer lebendigen Kommunikation. Es geht also zuallererst um Offenheit, aber nicht im Sinne eines esoterischen Kunstbegriffs, der um das Rätsel kreist, sondern im Sinne eines spezifischen und persönlichen Ausdrucks, der sich prozesshaft entwickeln kann.
Während die Praxis des Filmemachens heute bestimmt wird von der Hoffnung auf berechenbare Wirkungen, muss sich ein diskursives Kino der grundsätzlichen Unberechenbarkeit des Mediums hingeben. Die produktions-strukturelle Flexibilisierung ist dabei noch der kleinste Teil der notwendigen Umwälzung.
Während die Praxis des Filmemachens heute bestimmt wird von der Hoffnung auf berechenbare Wirkungen, muss sich ein diskursives Kino der grundsätzlichen Unberechenbarkeit des Mediums hingeben. Die produktions-strukturelle Flexibilisierung ist dabei noch der kleinste Teil der notwendigen Umwälzung.
Währung
Eine Geschichte spielt im sozialen Raum etwa die gleiche Rolle wie eine Währung im Kreislauf der Wirtschaft. Hier wie dort geht es um eine „Ersatzwelt”, ein Abstraktionswerkzeug, mit dem man hofft, die Welt verhandelbar zu machen. Je mehr eine Geschichte / Währung in Umlauf gebracht wird, umso mehr Einfluss gewinnt sie; Einfluss, der sich in beiden Fällen auf das Vertrauen der Benutzer gründet, die Geschichte / Währung sei im Verhältnis zur Welt der Tatsachen „gültig”. Eine Geschichte / Währung hat also – vom Materialwert des Mediums einmal abgesehen – keinen tatsächlichen, sondern nur einen angewandten Wert, der sich ausschließlich sozial (zwischen zwei oder mehr Parteien) realisieren lässt. Das Geschichtenerzählen entwickelt jedoch – wie auch der Umgang mit Geld – eine starke Eigendynamik, die weit über ein festes Tauschverhältnis hinausgeht. Diese Nebeneffekte, möglicherweise Ausdruck ein und desselben Sinndefizits, nähren das Machtgefälle zwischen Erzähler / Anbieter und Zuhörer / Nachfrager bis zu einem bestimmten Krisen- oder Wendepunkt, an dem das Spiel von Neuem beginnt. Einfacher gesagt: Wenn der Markt bei Glaubwürdigkeitsproblemen einbricht, oder Erzählungen sich als nicht vertrauenswürdig erweisen und „floppen”, wird dieses Machtgefälle herausgefordert und zugunsten der Zuhörer / Nachfrager verschoben bzw. ins Gleichgewicht gebracht.
(Aus meinem Notizbuch 2002)
Kann man ein Bild verrechnen?
(Aus meinem Notizbuch 2002)
Kann man ein Bild verrechnen?
14 August, 2006
Schneideraum
Die quälende Bestandsaufnahme im Schneideraum entfernt mich wünschend von den postulierten Idealen. Sicher, eine schwebende Frage, ein echtes Riskio teilt sich mit, aber eben nur, wenn es im Akt des Sehens oder Bezeugens selbst liegt. Am Ende will man nur einen möglichst unterhaltsamen Film gemacht haben. Damit die Szene besser „läuft”, opfert man mit Freuden „heilige” Einfälle.
Der Schnitt ist eine Phase radikaler Kritik. Auch die Dreharbeiten kritisieren das Drehbuch, aber man hat doch eher das Gefühl der Defensive; es geht nicht alles, was man sich erträumt hat, und das empfindet man als Niederlage. Ganz anders im Schnitt. Hier hat der Betrachter ein robustes Selbstbewusstsein. Was „nicht funktioniert”, muss weg. So könnte man aus der Erfahrung des Schneidens einen kategorischen Imperativ entwickeln, der dem Billy Wilders ähnelt: Du sollst nicht langweilen. Oder biblisch: „Einen Baum, der keine Frucht trägt, schlage man ab...”
Aber es bleibt schwierig. Das „Funktionieren” sträubt sich gegen jede Vorhersage. Das Konventionelle bietet keinen Schutz. Das, was im Kino unterhält, sind oft archaische Reizmuster. Faszinierend, wie sich eine Szene durch drei Augenaufschläge vollständig verändert; wo sie zuvor nur auslief, federt sie jetzt, und der Blick springt leicht.
Kann man das wissen, während man inszeniert? In Echtzeit? Manchmal weiß man es. Wer die Körpersprache beherrscht, wird auch ein Publikum fesseln können. Der Gedanke liegt nahe, diese Essenzen zu isolieren, aber als bloße Tricks funktionieren sie eben nicht – glücklicherweise.
Eine „Erzählung” verlässt sich auf andere Dinge und die Versuche, “reines” Kino zu machen, gehen immer wieder ins Leere, buchstäblich. Die Verführung trägt eben schnell auf, wird banal und formlos, überreizt und pornografisch. „2046“ ist das beste Beispiel. Wir müssen also doch Ideen finden, die uns auf ihrem breiten Rücken tragen.
Womit hängt es zusammen, dass so viele Werke der hohen Kinematographie mit Angst verknüpft sind? Weil das Auge ein Kontroll- und Angstorgan ist? Dabei liegt der Horror im Ton, das Knacken der Knochen, der schwere Atem. Vielleicht ist der Grund ganz banal, biografisch. Die Künstler, die sich vom Machtapparat des Kinos angezogen fühlen, weisen psychotische Verwandtschaften auf.
Im Zug. Mein Nachbar liest in einem Buch, lernt. „Handbuch der Beschwerden”. Er arbeitet für eine Mobilfunkgesellschaft. „Geht es darum, dass sich möglichst wenig Leute beschweren?” Das Buch verneint: „Es geht darum, möglichst viele Kunden zufrieden zu stellen und möglichst viele der Unzufriedenen zu einer Beschwerde zu veranlassen.” Das spare nebenbei auch Entwicklungskosten und führe durch Fehlerkorrektur zu noch mehr Zufriedenen. Hallo Publikum.
Die Testvorführungen sind nichts sagend. Kann man überhaupt begreifen, was an einem Film langweilt? Nur dass man sich langweilt, lässt sich zweifelsfrei mitteilen. Aber die Gedanken sind frei. Überzeugungen kreuzen die Wahrnehmung, Wissen lenkt die Meinung, Urteile manipulieren die Erinnerung. Alles ist Kontext. Und die Gesetze des Redens produzieren Nebeninhalte. Was sich gut sagt, muss nicht das Wesentliche sein. Am Ende ist man mit seinem Urteil doch allein. Alles sein-wollen entlarvt sich. Der Film ist ein Spiegel. Hier stehe ich, und kann nicht anders.
(Geschrieben im Februar 2005, während der Postproduktion von FALSCHER BEKENNER)
Der Schnitt ist eine Phase radikaler Kritik. Auch die Dreharbeiten kritisieren das Drehbuch, aber man hat doch eher das Gefühl der Defensive; es geht nicht alles, was man sich erträumt hat, und das empfindet man als Niederlage. Ganz anders im Schnitt. Hier hat der Betrachter ein robustes Selbstbewusstsein. Was „nicht funktioniert”, muss weg. So könnte man aus der Erfahrung des Schneidens einen kategorischen Imperativ entwickeln, der dem Billy Wilders ähnelt: Du sollst nicht langweilen. Oder biblisch: „Einen Baum, der keine Frucht trägt, schlage man ab...”
Aber es bleibt schwierig. Das „Funktionieren” sträubt sich gegen jede Vorhersage. Das Konventionelle bietet keinen Schutz. Das, was im Kino unterhält, sind oft archaische Reizmuster. Faszinierend, wie sich eine Szene durch drei Augenaufschläge vollständig verändert; wo sie zuvor nur auslief, federt sie jetzt, und der Blick springt leicht.
Kann man das wissen, während man inszeniert? In Echtzeit? Manchmal weiß man es. Wer die Körpersprache beherrscht, wird auch ein Publikum fesseln können. Der Gedanke liegt nahe, diese Essenzen zu isolieren, aber als bloße Tricks funktionieren sie eben nicht – glücklicherweise.
Eine „Erzählung” verlässt sich auf andere Dinge und die Versuche, “reines” Kino zu machen, gehen immer wieder ins Leere, buchstäblich. Die Verführung trägt eben schnell auf, wird banal und formlos, überreizt und pornografisch. „2046“ ist das beste Beispiel. Wir müssen also doch Ideen finden, die uns auf ihrem breiten Rücken tragen.
Womit hängt es zusammen, dass so viele Werke der hohen Kinematographie mit Angst verknüpft sind? Weil das Auge ein Kontroll- und Angstorgan ist? Dabei liegt der Horror im Ton, das Knacken der Knochen, der schwere Atem. Vielleicht ist der Grund ganz banal, biografisch. Die Künstler, die sich vom Machtapparat des Kinos angezogen fühlen, weisen psychotische Verwandtschaften auf.
Im Zug. Mein Nachbar liest in einem Buch, lernt. „Handbuch der Beschwerden”. Er arbeitet für eine Mobilfunkgesellschaft. „Geht es darum, dass sich möglichst wenig Leute beschweren?” Das Buch verneint: „Es geht darum, möglichst viele Kunden zufrieden zu stellen und möglichst viele der Unzufriedenen zu einer Beschwerde zu veranlassen.” Das spare nebenbei auch Entwicklungskosten und führe durch Fehlerkorrektur zu noch mehr Zufriedenen. Hallo Publikum.
Die Testvorführungen sind nichts sagend. Kann man überhaupt begreifen, was an einem Film langweilt? Nur dass man sich langweilt, lässt sich zweifelsfrei mitteilen. Aber die Gedanken sind frei. Überzeugungen kreuzen die Wahrnehmung, Wissen lenkt die Meinung, Urteile manipulieren die Erinnerung. Alles ist Kontext. Und die Gesetze des Redens produzieren Nebeninhalte. Was sich gut sagt, muss nicht das Wesentliche sein. Am Ende ist man mit seinem Urteil doch allein. Alles sein-wollen entlarvt sich. Der Film ist ein Spiegel. Hier stehe ich, und kann nicht anders.
(Geschrieben im Februar 2005, während der Postproduktion von FALSCHER BEKENNER)
X
X ist ohne Zärtlichkeit für sein Sujet, er ist sich sicher, was immer der schlechteste Ausgangspunkt ist, etwas zu verstehen. Sein Urteil ist ein schwebendes Schwert, auf dessen Tödlichkeit und Schärfe er sich (wie ein Henker) viel einbildet. Aber was soll ein Urteil, das schärfer sein will als die Wirklichkeit? Es produziert die gefährliche Fiktion einer Teilbarkeit der Welt --- die große Lüge vom leuchtendem Pfad wird auch in der Negation gesungen.
Täuschung
Wenn man die Täuschung auffüllt mit Handlung, beginnt sie mit dem, was vorher wahr war, zu konkurrieren.
Wir neigen dazu, unsere Wirkung für unser Wesen zu halten - insofern äussert sich Charakter in Handlung wie umgekehrt Handlung Charaktere induziert. Spielanweisungen.
„Nichts schweisst so zusammen wie eine Schweinerei”, weil der, den ich zwinge, an einer „obszönen” Handlung teilzunehmen (der Gang ins Bordell) ein Anderer werden muss.
Man wird versuchen müssen, ein seinen Taten gemässes Gefühlskostüm zu erwerben.
Wir neigen dazu, unsere Wirkung für unser Wesen zu halten - insofern äussert sich Charakter in Handlung wie umgekehrt Handlung Charaktere induziert. Spielanweisungen.
„Nichts schweisst so zusammen wie eine Schweinerei”, weil der, den ich zwinge, an einer „obszönen” Handlung teilzunehmen (der Gang ins Bordell) ein Anderer werden muss.
Man wird versuchen müssen, ein seinen Taten gemässes Gefühlskostüm zu erwerben.
Frage
Ist Geschmack überflüssiges Erbe, darin enthalten ein biografisches Menü meiner Klasse, oder kondensierter, unauflösbarer Ausdruck meiner Weltsicht?
Werwolf
Warum mag ich die anderen Kinogeher nicht, nach dem Film, obwohl sie mir während der Vorführung so nahe schienen? Vielleicht weil das feuchte Auge, genässt von der zartesten Wahrnehmung, im Spiegel der Anderen zur allgemeinen Peinlichkeit wird. Die Rückkehr ins Licht ist eine Rückverwandlung, schmerzhaft, intim, wie der Übergang vom Werwolf zum Mensch... Niemand soll mich so sehen. Erst das Danach, das „Wolf-Gewesen-Sein” lässt sich im sozialen Verkehr gebrauchen.
13 August, 2006
Vorfreude
Ein großer Teil meines Kinolebens hat immer aus Vorfreude bestanden. Warten auf das Christkind. Das ist natürlich eine heikle Sache, weil die Hysterie der Wahrnehmung oft im Wege steht. Die besten Kinoerlebnisse hatte ich eigentlich immer dann, wenn ich nichtsahnend, ohne Erwartung, einen Film sah. Aber dieser Zustand der Unschuld ist selten geworden, natürlich auch, weil es mir zunehmend schwerer fällt, den Ankündigungen neuer Filme zu entkommen, zumal ich ein völlig schizophrenes Verhalten an den Tag lege: Einerseits forsche ich nach den Filmen der Favoriten, andererseits versuche ich die Informationen so flüchtig zu lesen, dass ich sie bis zum Sehen des Films wieder vergessen habe. Die Hoffnung auf einen Film, der mich überwältigt, durch den harten Panzer des Kinowissens hindurch, hat mitunter etwas Messianisches, und die Enttäuschungen haben sich im Nachhinein oft als gute Filme entpuppt. So oder so, die Intensität der Anfangszeit meiner Filmbegeisterung ist womöglich unerreichbar geworden. Nur in der eigenen Arbeit, im Fantasieren möglicher Filme, hat sich die Hitze erhalten, wenn sie nicht sogar an Intensität zugenommen hat.
Martin Scorsese, dessen letzte Filme mich wenig überzeugt haben, gehört noch immer zu den Regisseuren, auf die ich hoffe. Film um Film das gleiche Spiel. Vorfreude, Erwartung, Enttäuschung. GOODFELLAS ist für mich einer der besten amerikanischen Filme der letzten 20 Jahre und vielleicht auch Scorseses gelungenster Film, weil er überzeugend realistisches Detail, dialektische Struktur und musikalische Überhöhung verbindet, zu gleichen Teilen Traum und Analyse verpflichtet.
Scorseses neuer Film, THE DEPARTED (ein loses Remake von INFERNAL AFFAIRS, mit ultimativer Starbesetzung: Leonardo Di Caprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg, Alec Baldwin, Ray Winstone usw.) kommt diesen Herbst ins Kino. Der Trailer ist seit ein paar Tagen online und ist sicherlich beides: enttäuschend und verheissungsvoll.
http://www.apple.com/trailers/wb/thedeparted/trailer1a/
Martin Scorsese, dessen letzte Filme mich wenig überzeugt haben, gehört noch immer zu den Regisseuren, auf die ich hoffe. Film um Film das gleiche Spiel. Vorfreude, Erwartung, Enttäuschung. GOODFELLAS ist für mich einer der besten amerikanischen Filme der letzten 20 Jahre und vielleicht auch Scorseses gelungenster Film, weil er überzeugend realistisches Detail, dialektische Struktur und musikalische Überhöhung verbindet, zu gleichen Teilen Traum und Analyse verpflichtet.
Scorseses neuer Film, THE DEPARTED (ein loses Remake von INFERNAL AFFAIRS, mit ultimativer Starbesetzung: Leonardo Di Caprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg, Alec Baldwin, Ray Winstone usw.) kommt diesen Herbst ins Kino. Der Trailer ist seit ein paar Tagen online und ist sicherlich beides: enttäuschend und verheissungsvoll.
http://www.apple.com/trailers/wb/thedeparted/trailer1a/
12 August, 2006
Gemeinplatz
Die realistisch erzählte, hässliche deutsche Provinz ist zu einem Gemeinplatz des Nachwuchsfilms geworden. Die Genauigkeit im Umgang mit deutscher Lebenswelt gehört ja zu unseren ältesten Forderungen bei Revolver, trotzdem kann ich mich darüber natürlich nicht freuen. Zum Einen, weil man sich schmerzhaft der eigenen Abhängigkeit vom Zeitgeist bewusst wird, zum Anderen, weil nur der oberflächlichste, wörtlichste Teil dieses Anspruchs reüssiert hat. Begabte Kopisten vollziehen nach, was in der Fotografie - und in der Werbung - schon lange erprobt ist: Die Einverleibung des 'Hässlichen' in den Mainstream. Ich sehe die redlichen Versuche und sehne mich nach den „klassischen” Kinoträumen von Schönheit und Ferne. Letztlich muss es jenseits jeder formalen Eingrenzung immer um „Kinowahrheit” gehen, deren realistischer Kern im Bezug zum lebendigen Leben besteht. In diesem Sinne ist das Marionettentheater besonders realistisch: es setzt den aktiven Zuschauer voraus.
Das Kino entlang dieser Linie erneuern: lebendig in der Anschauung, dialektisch in seiner Wirkung.
Das Kino entlang dieser Linie erneuern: lebendig in der Anschauung, dialektisch in seiner Wirkung.
Möglich
Zweifellos ist der Film ein Vehikel, was-wäre-wenn-Fragen zu verfolgen. Training für den Möglichkeitssinn. Das deutsche Kino ist unsportlich in diesem Sinne. Unsere Filme verlassen kaum je den Gegenwarts-Mittelklasse-Ring, gehen selten über den Radius einer Beziehung / Familie hinaus, und wenn es doch einmal geschieht, hat man es fast immer mit Papierfiguren zu tun.
Informer
Das Unangenehme am Fliegen hat viel mit schlechter Architektur zu tun. Schlechte Architektur ist eine Architektur, die schlecht „informiert”. Das gilt natürlich auch für die Abläufe, die Unbehagen auslösen, so lange sie nicht angekündigt sind. Die Parallelen zum Film sind zahlreich. Wir wollen im Raum der Erwartung überrascht werden. Das Vergnügen an einer Erzählung hat also viel mit Antizipation zu tun, die geweckt und befriedigt werden will. Wenn man so will, ist die Flugreise ein Genre-Film. Man legt sich als Zuschauer ganz anders in die Kurve, ist von Vorne herein eingeweihter Mitspieler, weil es eng gesteckte Erfahrungen und Erwartungen gibt. Mit Lust-Angst erwartet man dann die Abweichung, die geeignet ist, die voran gegangenen Erfahrungen zu überschreiben. Nichts ist langweiliger als der planmässige Vollzug, nichts schrecklicher als der Absturz.
Zusammen
Militär, Kirche, Kino - der unaufhörliche Traum von Gemeinschaft. Das rituelle, hierarchisch organisierte Zusammensein - auf dass niemand herausfällt. Das Zusammen-Tätig-Sein reduziert sich im Kino natürlich auf einen traurigen Rest, aber immerhin.
John Fords lebenslange Faszination für Militär, Tradition und Erinnerung als Systeme der Bezogenheit kann ich gut nachvollziehen, trotzdem mir die militärische Kultur völlig fremd ist. Dass Ford sein Glück in der konzertierten Arbeit des Filmemachens gefunden hat (und nur da) leuchtet gerade auch vor dem Hintergrund seines sentimentalen Fatalismus' ein. Die Arbeit als eine Form „gefasster Zärtlichkeit”...
John Fords lebenslange Faszination für Militär, Tradition und Erinnerung als Systeme der Bezogenheit kann ich gut nachvollziehen, trotzdem mir die militärische Kultur völlig fremd ist. Dass Ford sein Glück in der konzertierten Arbeit des Filmemachens gefunden hat (und nur da) leuchtet gerade auch vor dem Hintergrund seines sentimentalen Fatalismus' ein. Die Arbeit als eine Form „gefasster Zärtlichkeit”...
SYNDROMES AND A CENTURY
Hier die Gegenprobe. Der neue Film von Apichatpong Weerasethkul, SYNDROMES AND A CENTURY, wie auch INLAND im Wettbewerb der Filmfestspiele Venedig. Zu diesem Bild habe ich deutlich mehr Vertrauen. Nach TROPICAL MALADY ist es allerdings auch naheliegend, viel zu erwarten.
Schnittmenge
Immer wieder beschleicht mich beim Schreiben das Gefühl, unter meinen Möglichkeiten als Regisseur zu bleiben. Aber auch den umgekehrten Fall habe ich erlebt: Dass ich bestimmte Dinge schreiben, aber inszenatorisch nicht auf der gleichen Höhe umsetzen kann. Die Frage ist, ob die Konsequenz sein sollte, brav in der Schnittmenge zu bleiben?
Nazis immer besser
Dietrich Kuhlbrodt hat ein Buch über das „Deutsche Filmwunder” veröffentlicht: „Nazis immer besser.” Meine Rezension steht heute in der Berliner Zeitung. Online unter:
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/feuilleton/576776.html
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/feuilleton/576776.html
INLAND EMPIRE
Das erste Bild des neuen Films von David Lynch: INLAND EMPIRE. Ich gehöre ja zu den Leuten, die gerne behaupten, ein einziges Bild würde genügen, um zu wissen, ob ein Film etwas taugt. Tja. In diesem Fall bin ich vorsichtig neugierig, mehr nicht. Nachdem ich Mr. Lynch kürzlich in seiner Rolle als Sekten-Propagandist erleben durfte (was klare Zweifel an seiner geistigen Gesundheit geweckt hat), bin ich skeptischer denn je. Noch gibt es Hoffnung...
Samen
Ich habe eben vor dem Supermarkt einen Mann beobachtet, der in ein (städtisches) Blumenbeet stieg, um die Samen einer langstieligen Zierblume an sich zu nehmen. Er legte sie mit Sorgfalt in ein mitgebrachtes Briefkuvert; offenbar wusste er, was er tat. Der Vergleich mag blumig sein, aber ich musste ans Kino denken; die vielen Ideen, die wir mitnehmen, ein Satz hier, eine Geste dort --- im besten Falle blühen die Fundstücke in einem neuen Kontext auf. In Akira Kurosawas YOJIMBO läuft ein Hund aus dem Haus, der sich eine (menschliche) Hand geschnappt hat. In David Lynchs WILD AT HEART gibt es die gleiche Szene, aber das ist in meinen Augen weder Zitat noch Plagiat, geschweige denn eine 'Hommage'. Nennen wir es besser: Verkehr der Ideen. Apichatpong Weerasethakul spricht in einem Interview von seiner Praxis, die selben Figuren (gespielt von den selben Personen) quer durch seine Filme auftreten zu lassen. Eine reizvolle Idee, auch weil die Dimension der Zeit für die Zuschauer so eine andere Tiefe bekommt, sofern er die früheren Auftritte kennt. Das ist vermutlich auch der Schlüssel zu dem Phänomen der Stars: Dass wir Zuschauer eine intime Vergangenheit mit diesen Gesichtern haben, sie schon einmal verliebt, verzweifelt oder böse gesehen haben. Wir haben mal was mit ihnen gehabt... Die seltsame Dialektik, die sich in Gang setzt, wenn uns Henry Fonda, Mann der Unschuld, in ONCE UPON A TIME IN THE WEST als Bösewicht begegnet.
Feindschema
Beide Welten, „Industrie” und „Kunstfilm”, bringen vergleichbar zählebige Konventionen hervor, porenschliessend, während das LEBENDIGE immer gleich selten bleibt. Es kann also nicht genügen, sich für die „Guten” zu entscheiden.
„Die Kunst legt sich nicht in die Betten, die man für sie gemacht hat.” (Jean Dubuffet)
„Die Kunst legt sich nicht in die Betten, die man für sie gemacht hat.” (Jean Dubuffet)
En Garde!
Hier sollen in loser Folge Gedanken zum Film veröffentlicht werden, als parallele Bewegung zu meiner filmischen Arbeit.
Christoph Hochhäusler
Christoph Hochhäusler
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