20 Oktober, 2006

Die Nische, die ich meine

In einer Art Selbstbeschreibung der Filmzeitschrift REVOLVER habe ich einmal formuliert:

„Dahinter (...) steht die Annahme, dass es die Chance Europas ist, radikale Filme zu machen. Das heisst aber gerade nicht, sich von Hollywood in eine Nische drängen zu lassen. Wer genau hinsieht, wird bemerken, dass es der Hollywoodfilm ist, der sich allenthalben auf die Füße tritt - so eng ist das Revier - während weite Ebenen des Films brach liegen. In diese Weiten wollen wir! Wir streiten für einen persönlichen Film, einen Film, der aus dem Standpunkt eines Autoren hervorgeht - im Unterschied zu dem Industrieprodukt, das mit einer Zahl im Kopf beginnt. Und wir glauben, dass sich dieser persönliche, radikale, europäische Film verbünden muss, um überleben zu können.”

Das ist sicherlich noch immer gültig. Ich bin überzeugt, dass wir von hier aus sinnlicher, politischer, intelligenter, ambivalenter, charmanter, gefährlicher mit Film arbeiten könnten als die Amerikaner zum Beispiel, die am Gängelband einer vertikal integrierten, geldfixierten Industrie wenig Spielraum für das künstlerische Wagnis haben. Aber die Realität sieht anders aus. Der europäische Film, der sich kommerziell nicht beweisen muss, ist schüchtern, zweifelnd, mutlos, ohne den breiten Rücken ununterbrochener Erfolgserlebnisse, zwischen Imitation und Esoterik, während von den kommerziellen Systemen Hollywoods, Hong Kongs und Bollywoods immer wieder entscheidende Impulse ausgehen. Klasse scheint eben doch einen Zusammenhang mit Masse zu haben, insofern die Kunst besser das „Andere” sein kann, wenn ihr Gegenüber vulgär und allmächtig ist.

Aus meinem Notizbuch:

„Der „Filmkunst” scheint die Disziplin der konventionellen Erzählung zu fehlen, die, da gewissermassen öffentlich, eine andere Schärfe, eine andere Sichtbarkeit hervorbringen kann. Eine Disziplin auch, die durch die direkte Einbindung in den Warenverkehr ihre Gültigkeit jeden Tag neu verhandeln muss. Dahinter steckt die Annahme, der Markt könne für soziale Verhältnisse (wie es auch eine Erzählung darstellt) eine „hygienische” Funktion haben: Was nicht verstanden wird, muss neu formuliert, klarer gefasst werden, wenn es nicht verschwinden will.”

Im besten Falle jedenfalls vertieft sich im Widerstand gegen den Ungeist der Verkäufer der eigene Standpunkt und das Bewusstsein für das, was man nicht preisgeben kann. Man kennt diesen Relief-Effekt ja auch aus Diktaturen, aber es wäre eine absurde Folgerung, deshalb die Zensur wieder einzuführen. Man muss es so pathetisch sagen: Unsere Freiheit ist Verpflichtung, und wer sie nicht nutzt, höhlt sie aus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen