23 Oktober, 2022
Die Nummern der Toten
10 Oktober, 2022
Blickstrukturen
Im Sommer letzten Jahres hat mich Hannes Wesselkämper besucht, um mit mir über „Blickstrukturen hierarchischer Welten” am Beispiel meines Filmes UNTER DIR DIE STADT (D 2010) sowie Akira Kurosawas ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE (Japan 1963) zu sprechen. Hier kann man das Gespräch nachhören:
Hannes Wesselkämper - Blickstrukturen hierarchischer Welten (umkehren): ein filmanalytisches Gespräch mit Christoph Hochhäusler from Cinepoetics on Vimeo.
01 Oktober, 2022
Ernst nehmen
„Du kannst nichts ernst nehmen.“ - den Satz meiner Mutter hab ich noch im Ohr. Stimmt das? Fehlt es mir – without trust, everything is fiction – an Vertrauen? Und was ist mit dem Vertrauen in die (eigene) Fiktion? Ich komme darauf, weil ich im Schneideraum zuletzt wieder feststellen musste, dass ein Film von mir nicht die Gravitas *) hat, die ich dem Stoff ursprünglich zugesprochen hatte.
Alle meine Filme scheinen mir an entscheidender Stelle körperlos flüchtig – eher Gedankenspielen als Erfahrungen verwandt. Man könnte sagen, dass sie nie das Ideengespinst verleugnen, das sie hervorgebracht hat **). Ich will das nicht werten, frage mich aber, worin diese „Tendenz zur Schwebe” eigentlich wurzelt.
Einerseits ist sie natürlich Folge bestimmter filmischer Mittel und ästhetischer Effekte, die meiner Fantasie entgegenkommen. Die Fülle an parallelen Fahrten und Spiegelungen zum Beispiel, die Vorliebe, Ereignisse im Nebenbei zu zeigen, das Publikum weniger in einen Blick zu zwingen als es in die Lage zu versetzen, ein Geschehen zu rekonstruieren, haben daran Anteil. Auch meine Lust auf „filmische Reime” spielt eine Rolle.
Ich habe in meiner filmischen Praxis immer wieder Schwierigkeiten gehabt mit dem „Raubtierblick” des klassischen Auflösungsmodells. Ich will mein handwerkliches Ungenügen nicht verklären, aber es ist mir ein Bedürfnis, als Beobachter diskret zu sein, oder genauer: ich will mich verbergen. Und ich habe andererseits festgestellt, dass der Blick, der eine (erfundene) Sache nur streift, sie für mich paradoxerweise durch die Bei- oder Gegenläufigkeit beglaubigt, während die ganz für das Bild zubereitete Handlung meinen Verdacht erregt.
Wenn ich vor der Wahl stehe, die Reaktion eines Schauspielers nahe an der Achse, im Profil oder als Spiegelung zu zeigen, entscheide ich mich häufig für das Profil oder die Spiegelung, auch wenn der Umweg die Wirkung auf den Zuschauer dämpft. Das Eindringen ins Blickfeld einer Person kostet mich Überwindung.
Gelegentlich habe ich das „verbindende Thema meiner Filme” – eine bei deutschen Filmjournalisten beliebte Frage – als Preis (oder Schmerz) der Fiktion umschrieben. Und wirklich fasziniert mich die Tatsache, dass so viele von uns ihre Vorstellungen ernster nehmen als das, was auch ohne diesen Glauben existiert. Allüberall sehe ich Märtyrer der fixen Ideen, radikal unbescheiden gegenüber der Wirklichkeit.
Filmemachen ist für mich eine Reflexion, ein Spiel darüber, wie man leben könnte, das Basteln an einem Modell von Welt, ohne das Modellhafte zu verdecken. Im Gegenteil interessieren mich die Frankenstein-Nähte manchmal mehr als das, was sie zusammenhalten. Vielleicht neige ich zu „hypothetischen“ Filmen, weil ich mir nicht sicher bin, was mich selbst antreibt, von der Motivation Anderer ganz zu schweigen. Ich mag Theorien darüber haben, warum Menschen tun was sie tun, aber in der Deutung selbst der einfachsten Handlungen bleibt ein Rest Unsicherheit, und diesen Rest kann ich nicht unterschlagen.
Genau genommen will ich deshalb auch keine Geschichten liefern, sondern „Vorprodukte“, die dann vom Zuschauer getreu seiner Erfahrung zusammengesetzt oder „verarbeitet“ werden. Ich mißtraue den geschlossenen Erzählungen. Nicht zufällig begeistern mich Szenen im Kino, die meinen „Möglichkeitssinn” herausfordern: Die Sequenz, in der Yves Montand über das Aussehen seiner Retterin spekuliert und wir verschiedene Varianten des Möglichen gezeigt bekommen, in Alain Resnais’ LA GUERRE EST FINIE. Oder natürlich das Ende in Michelangelo Antonionis L’ECLISSE, das sich auf den Ort einer Verabredung konzentriert, dem beide Hauptfiguren fernbleiben.
Zurück zur Ausgangsfrage: Filme sind Schatten, und erlangen Schwere nur in der Bereitschaft des Zuschauers, die Schranken des Unglaubens abzusenken. Wenn ich als Filmemacher dieser Bereitschaft nicht immer entsprechen kann, dann vielleicht, weil ich gelegentlich selbst an den Schranken des Glaubens scheitere. Meine Mutter hatte also einen Punkt.
*)
Das deutsche Wiktionary erklärt „Gravitas“ übrigens mit folgendem Beispielsatz: „Die scheinbare Gravitas in den Filmen von Christopher Nolan bildet sich auf der Handlungsebene leider selten ab.“
**)
Auch wenn ich dieses Mal ein „fremdes” Drehbuch, von Florian Plumeyer, verfilmt habe.