28 April, 2016

Jean Gabin


Ich liebe Jean Gabin, übrigens auch dafür, dass er Held und Tröster meines Vaters war, der sich (in seiner Jugend) sonntags aus dem Haus gestohlen hat, um in der Münchener Schauburg, damals noch ein Kino, für zwei Stunden ein anderer zu sein. Manchmal meine ich, Gabin in meinem Vater zu erkennen - die Mischung aus volkstümlich und schüchtern, voller Zutrauen in die eigene Kraft, aber die Niederlage trotzdem für unvermeidlich haltend.

Was für ein Gegenstand ist eine Stadt?


Wir müssen die Objekte zum Sprechen bringen, denn wir ertragen ihr Schweigen nicht. Der Baum sagt „Schüttle mich.”, das Brot „Hol' mich heraus.” Alles muss belebt werden. 

Was für ein Gegenstand ist eine Stadt? Einerseits ein Behälter von Geschichte/ Geschichten. Die Häuser, Straßen, Bahnhöfe, Kirchen, Fabriken repräsentieren die Vergangenheit, enthalten sie. 


Andererseits sind einige dieser Geschichten noch nicht zu Ende oder werden neu erzählt. Stadt bedeutet immer neues Leben in alten Gehäusen. Wir leben in den Überresten anderer Leben. Vielleicht könnte man sagen, je mehr Geschichten „laufen”, desto jünger die Stadt. 

Architektur, offiziell oder nicht, ist immer Ausdruck eines Konzeptes, eines Programmes, einer Vorstellung davon, was Leben sein sollte, ausgehend von vorangegangenen Leben. Eine sich (manchmal) selbst erfüllende Prophezeiung. 


Kaum eine Kunst ist so anfällig für Heuchelei, für Ideologie, für Euphemismen und das trotz der vielfach realistischen Anforderungen.

Leben heißt Kritik. „Wer lebt, stört.” Man stößt sich den Kopf = ist am Leben = im Konflikt mit den Vorstellungen, dem Plan, (dem Drehbuch), der Vergangenheit.

In Berlin gibt es besonders viele zerbrochene Gehäuse, unmöglich gewordene Vorstellungen von Leben. Ein Museum der Misserfolge, eine Galerie gescheiterter Systeme.

Man kann das als Verpflichtung zur Freiheit verstehen.


(Aus den Notizen zu einem Abend über Berlin im Film, den ich im letzten Jahr zusammen mit Amie Siegel gemacht habe.)