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DAS UNHEIL (Peter Fleischmann, 1972). |
Jeder Sammler weiß um die Vorteile eines geschlossenen Sammlungsgebiet. Selbst wenn nicht alle relevanten Gegenstände beizubringen sind, hat man den Komfort des Überblicks, kann Prioritäten setzen, seine Mittel einteilen, auf Gelegenheiten warten. Die DEFA-Stiftung – die „die Bewahrung des Kinoerbes der DDR” als ihre Hauptaufgabe bezeichnet – ist ein gutes Beispiel dafür. Inzwischen ist der ostdeutsche Kinofilm nicht nur besser erforscht als der westdeutsche, sondern auch breiter verfügbar – nach meinem Eindruck jedenfalls. * Nein, die Arbeit ist noch längst nicht getan, und nichts liegt mir ferner als eine Neiddebatte. Und wäre es nicht ohnehin sinnvoll, auch die westdeutsche Filmgeschichte für abgeschlossen zu erklären? Aber wie sinnfällig die Epochengrenze für den westdeutschen Film auch immer sein mag, fest steht, dass das westdeutsche Kino bis 1990 (und natürlich auch das gesamtdeutsche danach) ausnehmend schlecht erschlossen ist. Sehr viele Filme, die zur Entstehungszeit von sich reden machten, auf wichtigen Festivals ihre Premieren feierten und Preise gewannen, sind heute in der Versenkung verschwunden und nicht ohne weiteres verfügbar. Nehmen wir, nur zum Beispiel, die deutschen Filme, die 1970-90 in Cannes gezeigt wurden, als das Interesse am deutschen Kino dort noch groß war. Kaum einer der damals gezeigten Filme – jenseits der großen Marken-Auteurs Fassbinder, Herzog, Wenders usw. (die hier kein Thema sein sollen und in der Liste deshalb fehlen) – ist heute noch bekannt, oft auch nicht öffentlich zugänglich.
Ich meine Filme wie MALATESTA (Peter Lilienthal, 1970), APOKAL (Paul Anczykowski, 1971), LENZ (George Morse, 1971), MATHIAS KNEISSL (Reinhard Hauff, 1971), ICH LIEBE DICH, ICH TÖTE DICH (Uwe Brandner, 1971), DAS UNHEIL (Peter Fleischmann, 1972 - VoD), TROTTA (Johannes Schaaf, 1971), DIE ZELLE (Horst Bienek, 1970), DESASTER (Reinhard Hauff, 1973), DER SCHWARZE ENGEL (Werner Schroeter, 1974), HAUPTLEHRER HOFER (Peter Lilienthal, 1975) GOLDFLOCKEN (Werner Schroeter, 1976), LIEBE DAS LEBEN, LEBE DAS LIEBEN (Lutz Eisholz, 1977), DER HAUPTDARSTELLER (Reinhard Hauff, 1977), DIE FRAU GEGENÜBER (Hans Noever, 1978), KALTGESTELLT (Bernhard Sinkel, 1980), DER WILLI-BUSCH-REPORT (Niklaus Schilling, 1979) , REINHEIT DES HERZENS (Robert van Ackeren, 1980), ORDNUNG (Sohrab Shahid Saless, 1980), SONNTAGSKINDER (Michael Verhoeven, 1980), DESPERADO CITY (Vadim Glowna, 1981), DIE BERÜHRTE (Helma Sanders-Brahms, 1981), TAG DER IDIOTEN (Werner Schroeter, 1981), MALOU (Jeanine Meerapfel, 1981), BELLA DONNA (Peter Keglevic, 1983), EISENHANS (Tankred Dorst, 1983), GRENZENLOS (Josef Rödel, 1982), KANAKERBRAUT (Uwe Schrader, 1983), KOLP (Roland Suso Richter, 1984), LAPUTA (Helma Sanders-Brahms, 1986), TAROT (Rudolf Thome, 1986), 40 QM DEUTSCHLAND (Tevfik Başer, 1986), DER PASSAGIER (Thomas Brasch, 1988), MAPANTSULA (Oliver Schmitz, 1988), ZUGZWANG (Matthieu Carrière, 1989), DER PHILOSOPH (Rudolph Thome, 1989), MARIA VON DEN STERNEN (Thomas Mauch, 1989).
Ja, von dem einen oder anderen Film hat man schon gehört. Werner Schroeter, Peter Lilienthal, Peter Fleischmann (und noch einige andere) sind oder waren große Regienamen, aber ihr Werk spielt in aktuellen Diskussionen kaum eine Rolle und ist nur lückenhaft sichtbar. Über Tankred Dorsts „unsichtbares” Meisterwerk EISENHANS habe ich kürzlich geschrieben. Zu Oliver Schmitz’ fulminanten Debüt MAPANTSULA, der kürzlich restauriert wurde, möchte ich demnächst einmal etwas machen. Sohrab Shahid Saless erfährt gerade eine sehr verdiente Wiederentdeckung.
Trotzdem ist diese Liste von Filmen erstaunlich obskur, übrigens auch wenn man sie mit den Filmen aus anderen Ländern abgleicht, die zur gleichen Zeit in den gleichen Reihen zu sehen waren und heute sehr viel häufiger als Meilensteine gelten. Für Filme, die ich nicht kenne, kann ich meine Hand nicht ins Feuer legen, aber es scheint mir doch vor allem ein Mangel an Liebe, an Interesse für die eigene Filmgeschichte und ein Versagen der Vertriebe (und der Filmkritik?) zu sein, warum die Zeit diese Filme weitgehend verschluckt hat. Der Gedächtnisschwund gehört unbedingt zu der Misere des deutschen Films. Denn wie sollen wir weiterkommen, aus Fehlern lernen, auf Gelungenem aufbauen, wenn wir uns nicht erinnern? Warum gelingt es uns so selten, das Geglückte zu feiern und in Ehren zu halten?
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DER SCHWARZE ENGEL (Werner Schroeter, 1974) |
*)Die Murnau-Stiftung könnte man auf den ersten Blick für ein Äquivalent halten, aber sie konzentriert sich auf Filme vor 1960; präsent ist sie vor allem mit Klassikern des Weimarer Kinos.
Lesetip zur Ergänzung: Hasen und Karnickel