18 März, 2024

(Wieder-) Gesehen [21]

THE INTRUDER (Roger Corman, USA 1962)


Ein Mann in strahlend weißem Anzug kommt in eine Kleinstadt, um sie einzuseifen. William Shatner spielt den Rassisten „Adam Cramer” als fiebrig-kalten Verführer, der die eigenen Defizite in der Wirkung auf andere korrigiert sehen will. Besonders im Gedächtnis bleibt mir die Entzauberung des Demagogen durch den Mut eines „einfachen” Mannes, mit überraschenden Zwischentönen gespielt von Leo Gordon. Der Film ist, für Corman ungewöhnlich, der Versuch einer direkten politischen Intervention, inmitten einer vom Ende der Segregation aufgewühlten amerikanischen Gegenwart, und gehört angeblich zu Cormans größten kommerziellen Misserfolgen – was noch einmal ganz andere Fragen aufwirft.


BELLE (Mamor Hosoda, Japan 2021)


Die Welt wartet noch immer auf einen Film, der jenen wachsenden Teil unseres Lebens, den wir online verbringen, auf den Punkt bringt. Dieser Film ist ziemlich nah dran, finde ich. Nie jedenfalls habe ich das digitale „Wir” zwischen warmer Dusche und Lynchmob überzeugender erlebt.


HER (Spike Jonze, USA 2013)

Science Fiction ist ja notwendig Spekulation, die die Gegenwart verlängert. In diesem Fall geht das auf, finde ich, zehn Jahre später kann man sagen: die Zukunft, die heute unsere Gegenwart ist, hat vielsagende Berührungspunkte mit dieser Fiktion, in der die „Affäre” mit einer künstlichen Intelligenz (Scarlett Johansson) in intimere Seelenwinkel vordringt, als es dem professionellen Briefeschreiber „Theodore” (Joaquin Phoenix) gegenüber und mit Menschen möglich ist.


WENN DIE KRANICHE ZIEHEN (Michail Kalatosow, UdSSR 1957)

Beim Wiedersehen hat mich die meisterhaft „entfesselte” Kamera noch mehr und die Liebesgeschichte etwas weniger beeindruckt – sie kam mir jetzt seltsam unspezifisch vor und ist dadurch natürlich besonders offen für Projektionen eines sehnenden Publikums. Aber wie die Kamera zaubert!

ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA (Nuri Bilge Ceylan, Türkei 2011)

Ein Film, der sich über seine lange Laufzeit verjüngt, der immer lebendiger und dringlicher wird und den Zuschauer am Ende eine ganze Welt bewohnen lässt. Ein Meisterwerk, das ich nach der ersten Stunde noch nicht habe kommen sehen, was nicht heißen soll, dass die erste Stunde enttäuscht, sondern nur, dass ich Abstand gewinnen musste von meinem Alltag, entlang langer gewundener Straßen, bis ich bereit war.

THE WILD PEAR TREE (Nuri Bilge Ceylan, Türkei 2018)

Ich war immer der Meinung, dass Zeigen seliger denn Reden sei im Kino, aber hier ist das anders. Die tour de force der (größtenteils verbalen) Konfrontation zwischen dem etablierten Autor und dem arroganten jungen (Anti-) Helden zum Beispiel dauert „endlose” acht Minuten, aber entwickelt eine Intensität, die über die eines üblichen Film-Dialogs weit hinausgeht. Und dann ist da noch die Begegnung mit der Frau, die heiraten wird, und die ihn zu seiner Überraschung erwählt, die schon besiegelte Abzweigung einen Moment lang aufzuheben. Diese Szene der sich aufbäumenden Lust am Leben, das Haar im Wind, zwischen Süße und Bitterkeit, ist herzzerreissend.

TOKYO YAKYOKU (Jun Ichikawa, Japan 1997)

Mit leichter Hand skizziert Jun Ichikawa eine Fülle kleiner, alltäglicher Momente, die sich nach und nach zu einem schwebenden Panorama verpasster Chancen fügen. Traurig und schön.


KILLERS OF THE FLOWER MOON (Martin Scorsese, USA 2023)

Beinahe so etwas wie ein Comeback für Scorsese; ein Film, der thematisch und visuell neue Herausforderungen sucht und sich nicht (wie zuletzt THE IRISHMAN) mit Eigen-Pastiche zufrieden gibt. Es entsteht das detailreiche Bild einer Gesellschaft, in der die Gier – wie es in dem schönen Teaser heißt – „ein Tier ist, das nach Blut durstet”, und Gewalt und Rassismus weniger als „Ursünde” denn als Standard-Betriebssystem des amerikanischen Kaptalismus' kenntlich werden.

COUP DE TORCHON (Bertrand Tavernier, F 1981)

Entgrenzung als Programm: Wenn es niemanden gibt, dem man Rechenschaft schuldig ist, warum dann noch mühsam den Firnis der Zivilisation nachpinseln? Für „Lucien Cordier” (Phillippe Noiret in seiner besten Rolle) gibt es kein Halten mehr, als er – einer plötzlichen Eingebung folgend – versteht, dass er die Demütigungen, die er bis dahin geduldig ertragen hat, auch erwidern kann. Im Irgendwo Französisch-Westafrikas, am Vorabend des 2. Weltkriegs, nimmt er sich fortan alles heraus, was ihm zupass kommt, von Sex bis Mord. Seine unmoralische Ermächtigung ist rasend komisch, haarsträubend grausam und gerade in seiner befreiender Wirkung verstörend. 


IL SORPASSO (Dino Risi, Italien 1962)

Eine Ehrenrettung des Angebers? Ein Lob der Dreistigkeit? In jedem Fall bringt die Figur des „Bruno Cortona”, die Vittorio Gassmann hier mit Gusto spielt, den Film, unsere brave Stellvertreterfigur „Roberto” (Jean-Louis Trintignant) und auch das weitere Personal des Filmes groß in Fahrt. Bruno hupt, beschleunigt, überholt, macht sich über alles und jeden lustig (sogar Antonioni!), aber natürlich entstehen mit der Beschleunigung Fliehkräfte... die zunächst vor allem auf Roberto wirken, der seine Lebensabwehr, als Vernunft getarnt, zu hinterfragen beginnt. Eine temporeiche Komödie, ja, (der deutsche Titel will es dabei belassen: „Verliebt in scharfe Kurven”) aber die „Strecke” wird nach und nach brüchiger, der Humor doppelbödiger, und konsequenter Weise endet der Film im Schrecken. 


VERBRANNTE ERDE (Thomas Arslan, D 2024)

Kein Gramm Fett – die Ökonomie dieser Genre-Erzählung ist beinahe schmerzhaft, was zu den verengten Spielräumen der Hauptfigur „Trojan” (Mišel Matičević) passt, 14 Jahre nach dem ersten Auftauchen in Arslans IM SCHATTEN. Gleichzeitig hat die Effizienz nichts mit dem gedankenfaulen Primat des Erzählens zu tun, wie wir es aus vielen Serien kennen, sondern interessiert sich für Handlungen, die die Haltung der Figuren auf den Punkt bringen. Gelegentlich hat das Züge eines bresson'schen Gestenspiels, entleert und modellhaft, dann wieder gibt der Film sich ganz dem Spaß am Genre hin. Ein Glücksfall. (Kinostart: 18.07.2024.)

DER PANTHER (Jan Bonny, D 2024)

Der rare Fall einer echten Dreistigkeit im deutschen Kino. Bonny und die Titelfigur „Johnny“ – gespielt von Lars Eidinger, den ich noch nie so gut gesehen habe – scheinen sich gegenseitig anzustacheln, sind Sparringspartner in dieser erschreckenden und schön riskanten Schlachtplatte, die auf einem wahren Fall basiert (oder sich zumindest daran entzündet hat). Solche „unentschuldbaren“ Charaktere, die ihr Umfeld - und uns - verlegen machen und zum Bekenntnis zwingen, gespielt von Schauspielern, die sich nicht selber richten, die nicht dauernd „Sorry” sagen und in Richtung Publikum blinzeln, sind in der deutschen Kino- und Fernsehbürokratie quasi nicht vorgesehen; um so schöner, dass der Film in der kurzen Morgenluft der Streaming Wars entstehen konnte und jetzt die Hand aus dem frischen Grab von Paramount+ hervorstreckt. Wir sollten sie ergreifen! 


(Ich hoffe sehr auf ein Double Feature mit VERBRANNTE ERDE, im Kino, als zwei faszinierend gegensätzlichen Spielarten des Gangsterfilms, die – zusammen mit dem schönen SCHOCK von Daniel Rakete Siegel & Denis Moschitto – beinahe so etwas wie eine Gangster-Dämmerung im deutschen Film darstellen.)


THE ZONE OF INTEREST (Jonathan Glazer, UK 2023)

Ein Film über die entmenschlichende Aufspaltung der Welt in berührungslose Sphären. Jonathan Glazer hat eine schlüssige Form gefunden für die moderne Abstraktion des Massenmords. Der Horror heißt Kontext. Der Film erzählt, einerseits, von den Banalitäten eines Täterlebens, des Lagerkommandanten Höß und seiner Familie in Auschwitz, ohne eindeutige Angebote der Identifikation, ohne klassische Mittel der Subjektivierung. Ein Haus, ein Garten, eine Mauer – und kein Blick ins Jenseits dieser Mauer. Die Bildpolitik des Films ist vielleicht manchmal zu sehr „Klinik”, die der Welt perfekte Präparate abringen möchte, auch wenn das Leben eben wuchert. Aber die Klarheit, die so möglich wird, bedeutet, dass man das „Modell” drehen und wenden kann. Die Praxis des Mordens in Auschwitz wird, andererseits, verlagert in einen „B-Film”, der nur aus Tönen besteht, und den wir uns komplementär zum häuslichen Idyll, komplettierend, vorstellen müssen. Diese sozusagen auf Schienen geführte, audio-visuelle Schizophrenie antwortet auf die bekannten Repräsentationsprobleme, und auch wenn sie für mich (beim ersten Sehen) unter „Originalitätsverdacht” stand, habe ich dem Film vertrauen können. Interessant sind die Ausnahmen, die sich Glazer eben dann doch erlaubt: das Rot der Blume, die die Leinwand flutet, Höß, der aus „Hänsel und Gretel” vorliest, ein Mädchen, das – gefilmt mit Wärmebildkameras – für die KZ-Häftlinge Äpfel versteckt und ein Notenblatt der Hoffnung rettet.

11 März, 2024

(Wieder-) Gesehen [20]

Gothic Romance: Untote Männer & Tote Frauen 

„Aus Gründen” ist die Filmgeschichte randvoll mit untoten Männern und toten Frauen. Man könnte meinen, weil die Männer nicht leben können – nicht leben können ohne ihre lebensfeindlichen Fiktionen –, und die Frauen die Fiktionen der Männer als Zwangsvorstellung sichtbar werden lassen. Deshalb müssen sie (viel zu oft) sterben, um dann verehrt und ins Gespinst gewoben werden zu können.

FALBALAS (Jacques Becker, F 1944)


Jemanden anziehen, verpuppen, verwandeln, Männer, die Frauen einnähen, in ihre Vorstellung, in ihr Nervenkostüm und – in diesem Fall – selbst daran zugrunde gehen. Ein großer Mode- und Horrorfilm, verblüffender Weise während der deutschen Besatzung gedreht.



THE PORTRAIT OF JENNY (William Dieterle, USA 1948)


Ein Künstler in der Krise, einer, der ohne das geeignete Modell nicht (an sich) glauben kann, und dann quer zur Zeit, mit Hilfe einer (Un-) Toten, die sich in der Gegenwart verirrt hat, seinen Glauben wieder findet. Der Film wird im Verlauf immer wahnhafter, erotisiert die Kindfrau Jenny auf problematische Weise (zu dieser Zeit quasi ein Rollenfach der Schauspielerin Jennifer Jones, obschon in ihren späten 20ern), gerät aber bald so stark in ästhetische Seenot, dass das Unbewusste des Films faszinierend direkt an die Oberfläche gespült wird.


VERTIGO (Alfred Hitchcock, USA 1958)


Ein Film eben auch über die Regie als eine Form der Aneignung des Lebendigen, und der Eifersucht, die es auslöst, wenn die Wirklichkeit ihr Recht fordert. 



PHANTOM THREAD (Paul Thomas Anderson, USA 2017)


Wirkt beinahe wie der Versuch, FALBALAS und VERTIGO zu verschmelzen. Das hat etwas Unzeitgemässes, aber womöglich wirkt das von „Alma” (Vicky Krieps) verabreichte (Gegen-) Gift auch gegen diese Anmaßung.



KURONEKO (Kaneto Shindō, Japan 1968)

Interessantes Kontrastprogramm zu den genannten Filmen oben: Ein beinahe (?) feministischer Geisterfilm, mit scharfen Krallen. Zwei Frauen, Yone und ihre Schwiegertochter Shige, werden zum Opfer marodierender Soldaten in Japans Feudalzeit. Die gegen sie verübte sexuelle Gewalt mit tödlichem Ausgang ist Auftakt für ein Nachleben als Rächerinnen. Sie locken vom Krieg verrohte, lüsternde Männer in ihr Waldhaus, bewirten und töten sie – selten habe ich Vergeltung im Kino als so befriedigend erlebt. Eines Tages kehrt Yones Sohn, Shiges Mann zurück. Die Frauen stehen vor einem Dilemma: Zwar sind sie glücklich, den totgeglaubten Ehemann und Sohn wiederzusehen, aber sie haben sich dem Katzendämon verpflichtet... 


21 Februar, 2024

Frankfurt schaut einen Film


Die Idee ist einfach und bestechend. An einem Tag in vielen Kinos einer Stadt einen Film zu zeigen, der in eben dieser Stadt spielt – als Einladung, ins Gespräch zu kommen über Stadt, Film und Leben. Seit 2016 gibt es in Hamburg „Eine Stadt sieht einen Film”, seit 2022 „Frankfurt schaut einen Film”. 

Ich freue mich sehr, dass mein Film UNTER DIR DIE STADT (D 2010) am Sonntag, den 17.03.2024 Gegenstand und Katalysator einer Unterhaltung in und über Frankfurt sein wird. Das komplette Programm findet sich hier. Neben meiner Person werden auch Produzentin Bettina Brokemper, Hauptdarsteller Nicolette Krebitz und Robert Hunger-BühlerDrehbuchautor Ulrich Peltzer und Kameramann Bernhard Keller anreisen und an Gesprächsveranstaltungen teilnehmen. Außerdem sind Teammitglieder aus Frankfurt dabei, u.a. Location Scout Yvonne Wassong und Motivaufnahmeleiterin Christiane Zietzer.

Ich werde um 11 h im Filmmuseum / Deutsches Filminstitut zusammen mit Ulrich Peltzer und der Sammlungsleiterin des DFF, Eva Hielscher, ein Werkstattgespräch machen („Von der Idee zum Film”), um 14:45 h im Cinestar Metropolis mit Mirco Becker (Damals in Frankfurt) über den Schauplatz Frankfurt sprechen („Wie dreht man in einer Stadt der Kontraste?”), und natürlich bei der von Heiko Hanel moderierten Abschlussveranstaltung um 20:30 h im Cinéma Frankfurt dabei seinVielleicht sehen wir uns? 

Weitere Veranstaltungen im Rahmen von frankfurtschauteinenfilm.de:

12 h, Pupille – Kino in der Uni

„Unabhängiges Produzieren: Bettina Brokemper im Werkstattgespräch.” Moderation: Anna Schoeppe (Geschäftsführerin Hessen Film & Medien)

13 h, Mal Seh'n Kino

„Die Stadt im Spiegel – Kameraperspektiven.” Kameramann Bernhard Keller im Gespräch mit Jörg Geißler (BVK)

14.30 h,  Harmonie Kino

„Ich wollte eigentlich über Liebe reden, aber ich glaub's mir nicht.” Toxische Beziehungen im Film. Lesung & Filmgespräch mit Robert Hunger-Bühler, Jill Stickler (Mod., FemSex-Kollektiv)

14.30 h, Treffpunkt: Commerzbank Tower, Kaiserstr. 16, 60311 Frankfurt. 

„Stahlbeton und Glasfassaden.” Drehortführung mit Christiane Zietzer (ehem. Motivaufnahmeleiterin), Yvonne Wassong (ehem. Location Scout), Felix Fischl (Mod., Filmhaus Frankfurt).

17 h, Filmforum Höchst

„Bilder zeigen Zwischenwelten.” Vorgespräche und Filmvorführung mit Kameramann Bernhard Keller, Sabine Hoffmann (Gallus Zentrum), jugendliche Workshopteilnehmende, Sabine Imhof (Moderation, Filmforum Höchst)

18 h, Orfeos Erben

„Machtmissbrauch beim Film.” Filmvorführung & Diskussion mit Produzentin Bettina Brokemper (Heimatfilm)


Siehe auch: Programmflyer als PDF

12 Februar, 2024

Auf Distanz


Drei Angehörige einer deutschen Propaganda-Kompanie drehen eine Kamerafahrt in einer Produktionshalle im Warschauer Ghetto, in der Juden Zwangsarbeit verrichten. Dieses unscheinbare Bild habe ich kürzlich in Warschau im Museum der Geschichte der polnischen Juden gesehen und es hat einen besonderen Eindruck auf mich gemacht. Natürlich, weil es meine Profession berührt, aber nicht nur. 

Die drei Männer in Uniform nutzen eine Rikscha mit Luftreifen, um eine möglichst sanfte Kamerabewegung zu gewährleisten. Sie haben aus der Welt, die sie filmen, einen beliebigen Gegenstand gemacht. Die Geräte helfen ihnen, die Realität auf Distanz zu halten. Natürlich wissen sie, dass die Jüdinnen und Juden unterernährt sind, dass sie Sklavenarbeit leisten und ihr Tod beschlossene Sache ist. Von den 500.000 ins Warschauer Ghetto verbrachten Menschen haben nur wenige Tausend überlebt.

Trotzdem arbeiten die Männer sorgfältig an der Fiktion einer akzeptablen Ordnung. Sie wissen, dass die Wirklichkeit des Ghettos „dem Zuschauer” nicht zumutbar ist. Wahrscheinlich hat man die „Darsteller” vor dem Dreh ausgewählt, ihnen geholfen, ihre Kleidung aufzubessern, vielleicht wurden sie für den Zweck sogar geringfügig besser verpflegt. Es wäre nicht gut fürs Bild, wenn die Not offensichtlich wird. 

Rivettes Aufsatz „über die Niedertracht” fällt mir ein. Auch Rivettes Kritik galt einer Kamerafahrt (und der ästhetisierenden Rekadrage auf eine Sterbende), allerdings in einem Spielfilm, der das Schicksal einer Jüdin in einem Todeslager mit den Mitteln des Publikumskinos schildert, mit Rabatt sozusagen, inklusive Liebesgeschichte. Aber wenn diese sympathisierende Fiktion niederträchtig war – und ich finde, Rivette hat einen Punkt – was ist dann das Verhalten der PK-Leute?

Bewusst falsches Zeugnis zu geben von der Vernichtung, und so den reibungslosen Ablauf des Tötens zu befördern, ist seinerseits ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit – und wiegt kaum weniger schwer als der Massenmord, finde ich. Denn diese Männer hatten das Wissen und die Mittel, die Situation zu erfassen. Sie haben Bilder und Töne aufgenommen und dieses Material nach Massgabe der Wirksamkeit verändert, der Wirklichkeit oft völlig entgegengesetzt. Die menschenfeindliche Abstraktion ihrer Weltanschauung entsprang nicht der Bequemlichkeit des Zuhauses, in dem es ein Leichtes ist, das Unglück der Anderen auf Abstand zu halten; sie abstrahierten inmitten des Leidens.

Die Täter sind straffrei geblieben. Viele Mitglieder der Propaganda-Kompanien haben nach 1945 große Medienkarrieren in der BRD gemacht, bei Spiegel (1, 2), SternQuick und ZDF zum Beispiel. Gut möglich, dass sie ihre während des Krieges erworbenen Erfahrungen als „wertvoll” empfunden haben. Gut möglich auch, dass das so erworbene Handwerkszeug bis heute nachwirkt. Ich meine damit nicht, dass sich die NS-Propaganda nahtlos fortgesetzt hätte. Sehr wohl aber die „professionelle” Sachlichkeit – die Fähigkeit, zu allem auf Distanz zu gehen – und keinen Unterschied zu machen, wer Auftraggeber ist und was der Gegenstand des Interesses. 

Ich verstehe das Foto als eine Warnung. So flexibel ist der Mensch, sagt es, so grausam – und so gerne „neutral”, auch und gerade im Angesicht leidender Mitmenschen. 


Siehe auch: *

Die Gründe

Ein Bild aus Sam Fullers WHITE DOG (USA 1982).

Die Gründe, warum Leute eine Partei wählen, werden überschätzt. Es geht dabei nur am Rande um etwas Gedachtes. Ganz bestimmt spielen Sachthemen, im Sinne von passenden Antworten auf konkrete Probleme, eine untergeordnete Rolle. Niemand analysiert seine Situation, gewichtet seine Bedürfnisse und leitet daraus eine Partei-Entscheidung ab, Wahl-o-mat hin oder her. 

Viel eher geht es um Zugehörigkeit, um einen Gefühlsverkehr, der beinahe zufällig politische Lösungen berührt. Das ist im Kern irrational, und erst in der Erzählung („Warum ich XY wähle”) wird dieses Gefühl rationalisiert, und mit Argumenten und öfter noch Schein-Argumenten unterfüttert. Das wissen natürlich auch die Politiker, die meist allgemein um Zustimmung und nur ganz selten für konkrete politische Projekte werben. 


Dass die politischen Vorschläge der AfD den konkreten Interessen ihrer Wähler entgegengesetzt sind, fällt bei einer – vorerst – reinen Oppositionspartei noch weniger auf als ohnehin schon.


Gleichzeitig leben wir in der Illusion, dass „Debatten” so etwas wie gesellschaftliche Verständigung strukturieren. Das ist aber nur zum kleinsten Teil der Fall. Im Gegenteil belohnen wir permanent die mit Aufmerksamkeit, die unsere Überzeugungen nicht herausfordern. 


Entsprechend sind Wahlen eher aus anderen Gründen wichtig als allgemein anerkannt. Überschätzt wird die Entscheidung, die Fähigkeit der Wahlberechtigten, das Richtige zu erkennen. (Übrigens können auch gut informierte Wähler nicht hellsehen.)


Eine Wahl ist zentral für eine Demokratie vor allem, weil sie Garant der relativen (d.h. zumindest der personellen) Diskontinuität von Macht ist. Zweitens ist es ein Verfahren der Legitimierung. Welche Macht unterbrochen und welche Macht legitimiert wird, ist relativ gesehen unwichtig, jedenfalls so lange es eine grundsätzliche Bereitschaft gibt, innerhalb des Systems / der demokratischen Regeln zu spielen. 


Gerade das macht die AfD so problematisch, denn ob sie auf dem berühmten „Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ steht, daran gibt es erhebliche Zweifel, und ihr Appeal hat ganz wesentlich mit diesen Zweifeln zu tun. 


Auf die zahlreichen performativen Widersprüche der AfD hinzuweisen, mag helfen, die Anziehung auf diejenigen zu mindern, die nach Argumenten suchen. Das ist aber nur eine kleine Minderheit. Und es ist allemal leichter, die Wähler zu täuschen als sie davon zu überzeugen, dass sie getäuscht wurden (danke an Mark Twain). Je größer die Täuschung, desto schwieriger, weil solcherart Erkenntnis den Stolz verletzt. Selbstkritik setzt Selbstbewusstsein voraus, das AfD-Wähler eher nicht haben (nicht umsonst fühlen sie sich permanent gekränkt und benachteiligt). 


Noch weniger erreicht man mit Wählerbeschimpfung. Im Gegenteil verfestigt man damit womöglich das Wir-Gefühl. So kann man der Partei also nicht beikommen. 


Was also tun? Ich glaube, kein gegen wird je so viel emotionale Kraft wie ein für entfalten. Und auf dem Feld des für sieht die politische Konkurrenz gerade ziemlich blass aus. 


Aber ist nicht gerade die AfD eine Anti-Partei? Gegen Flüchtlinge, den Islam, die EU, gegen „alte Eliten“ usw? Jein. Man muss verstehen, dass der völkische Kern der AfD große Strahlkraft hat, aus mindestens zwei Gründen: er wirkt - frisch vom Tabu befreit - relativ neu. Und er sagt den Wählern: ihr seid gut, besser als die Anderen, vielleicht sogar: auserwählt. Wie definiert Don Draper in MAD MEN gute Werbung? Dem Kunden zu versichern: „You are okay.“ Das macht die AfD sehr gut – natürlich nur für ihr Klientel.


Welches für haben die etablierten Spieler dem entgegen zu setzen? In jedem Fall diffusere Erzählungen, nicht zuletzt, weil sie zu einem erheblichen Teil Verantwortung für unsere politische Gegenwart tragen. Und auch Parteien in der Opposition haben eher komplizierte Erzählungen im Angebot, denn die Probleme sind zu groß, als dass man überzeugend ein „Alles wird gut“ anstimmen könnte. 


An diese Vernunft fühlen sich populistische Parteien nicht gebunden, ihr Verhältnis zur Macht ist zynisch.


Noch einmal gefragt: Was tun? Wir müssen an einem für arbeiten, das zugleich Argument und Gefühl ist, fürchte ich. An einer Erzählung, die nicht diffus „gegen rechts” sondern für den Wandel ist. Und die ausgehend von der Wirklichkeit einen Weg beschreibt, der real ist und positiv in die Zukunft reicht. 


Es muss dabei unbedingt um eine Zukunft gehen, in der sich alle wiederfinden können – denn wenn wir den Universalismus aufgeben, hat uns die Rechte da, wo sie uns haben will: auf der Seite der Privilegierten, der liberalen Elite, der Globalisierungsgewinnler. 


(Auf Facebook geschrieben am 30.09.2020, aus aktuellen Gründen hervorgekramt) 


P.S.:
Beim Studium der jüngsten Wahlergebnisse hat mich, angesichts der großen Zuwächse der AfD in Marzahn, eine Art Schauder erfasst. Plötzlich dachte ich, dass es darum vielleicht geht: den satten Bürgern in den schönen Altbauwohnungen, also mir zum Beispiel, einen Schrecken einzujagen, als Antwort auf die Verachtung, die die „Abgehängten” erleben, während wir im Diskurs, in der offiziellen Kultur vorkommen und uns von der Politik, die von Leuten wie uns gemacht wird, vertreten fühlen dürfen. Das würde (teilweise) erklären, warum das politische Personal der AfD, trotz der Tatsache, dass es sich regelmässig gegen die Interessen ihrer Wähler äussert, als „Alternative” erlebt wird. Die politischen „Orks” der AfD haben keine Manieren, von Anstand ganz zu schweigen, aber wenn man bitter geworden ist und längst aufgehört hat, von der Politik etwas zu erwarten, kann man sich zumindest über die Angst freuen, die sie auslösen – und sich über diesen Umweg ermächtigt fühlen.


Siehe auch * und **

11 Februar, 2024

Winzige Tropfen

Die Fotografie als Medium (und „Wunder“) ist vor lauter Erfolg beinahe unsichtbar geworden. Nach dem foto-chemischen ist inzwischen auch der foto-optische Prozeß technisch überholt. Kameras der nächsten Generation werden Bilder nicht mehr belichten, sondern anhand von Messdaten potentialistisch errechnen – sofern die „Fotos“ nicht gleich einem Prompt entspringen.

Besucherinnen einer Landwirtschaftsmesse in München, 1935 (1)

Beim Sichten der fotografischen Hinterlassenschaften meines Großvaters (1901-1983) ist mir neu bewusst geworden, was für eine „unnatürliche“ Sensation es war, Momente mit Hilfe lichtempfindlicher Substanzen „einzufrieren“. Besonders faszinieren mich dabei die Aufnahmen, deren Inhalte nicht eindeutig zu bestimmen sind. Nicht im Sinne einer Abstraktion der Bilder, sondern in Bezug auf ihre Erzähl- oder Belegabsichten.

Besucherinnen einer Landwirtschaftsmesse in München, 1935 (2)

Zum Beispiel diese, nun ja, Schnappschüsse vom Besuch einer Landwirtschaftsmesse in München, ca. 1935 (1 & 2). Oder das Bild einer Frau, die die Münchner Theresienstraße überquert, aus dem Jahr 1938 (3). Oder natürlich Porträts (4-7), mit mehr oder weniger willigen Objekten, darunter meine Großmutter (letztes Bild, frühe 1930er Jahre). Winzige Tropfen, als Proben dem unumkehrbaren Fluss der Zeit entnommen.
Frau überquert die Münchner Theresienstraße, Ecke Türkenstr.?, 1938 (3).
Mädchen in BDM-Uniform.
Eine Freundin der Familie, Weihnachten 1937.
Meine Großmutter Katharina, Anfang der 30er Jahre.

19 Januar, 2024

London calling


Zum Vergleich: Plakate 2014, 2023

Das Goethe-Institut London zeigt am 31.01.2024 um 19 h meinen jüngsten Film BIS ANS ENDE DER NACHT im Kino und macht gleichzeitig DIE LÜGEN DER SIEGER – meinen Politthriller von 2014 – eine Woche lang auf Goethe on Demand (nur in GB) zugänglich. Mehr dazu hier.

The Goethe Institute London will show my latest film TILL THE END OF THE NIGHT on 31 January at 7 pm on the big screen and will make THE LIES OF THE VICTORS – my 2014 political thriller – available on Goethe on Demand (UK only) for one week. Find out more here.

07 Januar, 2024

„Bis ans Ende” ... im Open End


Am Mittwoch, den 17.01.2024 um 20 h wird im Göppinger Open End - Kino mit Eigenschaften mein Film Bis ans Ende der Nacht zu sehen sein. Im Anschluss an die Vorstellung spreche ich mit Sebastian Selig und dem Publikum. Vielleicht sieht man sich?