28 Dezember, 2011

Überblendung (4)





In Sam Peckinpahs THE GETAWAY (USA 1972) gibt es ziemlich am Anfang, gleich nachdem Doc McCoy (Steve McQueen) aus dem Gefängnis kommt, eine Reihe irritierend dekorativer Überblendungen wie die hier gezeigte, wo ein einfacher Vorgang („Badefreuden”) in die gespiegelte identische Einstellung überblendet wird. Die ganze Sequenz dreht sich um die Konkurrenz von Vorstellung (McCoys Gefängnis-Welt) und Umsetzung (die wiedergewonnene Freiheit). Robert L. Wolfe, eine Cutter-Legende, unterschneidet die Szene zu Anfang immer wieder mit Bildern aus dem weiteren Verlauf und für eine Weile glaubt man, McCoy würde es bei der Vorstellung belassen, angekleidet ins Wasser zu springen. Doch dann erweisen sich diese Bilder (die teilweise verlangsamt zu sehen waren) als seine Gegenwart, er springt „wirklich”, und Ali MacGraw mit ihm. Ich mag den Film gerne, dieses Oszillieren zwischen Pose und Härte, und MacGraw und McQueen sind einfach ein perfect match - trotzdem bleibt ein Nachgeschmack des Werblichen im Einsatz der Mittel.

Benedikt Schiefer


Auf der soundcloud von Benedikt Schiefer kann man sich eine kleine Auswahl seiner Filmmusiken anhören, darunter Stücke aus UNTER DIR DIE STADT, FALSCHER BEKENNER und MILCHWALD. Das hier eingebettete Stück ist die Anfangsmusik für UNTER DIR DIE STADT, die mich immer wieder begeistert.

26 Dezember, 2011

talking pictures

Am 9. Januar mache ich ein neues REVOLVER LIVE zum Thema „Sprechen im Spielfilm”. Zu Gast ist die französische Kuratorin, Dozentin und Kritikerin Marie-Pierre Duhamel.



Anhand konkreter Filmbeispiele wollen wir über die Entwicklung des Dialogs in der Filmgeschichte sprechen, mit einem besonderen Augenmerk auf die Rolle des Fremden im Kino, im Sinne einer Figur, der fremden Erfahrung, und als Rahmen des „Eigenen”. Dabei soll es insbesondere auch um verschiedene Realismen im Schreiben von Dialogen gehen - und um die Frage, welcher Grad der Abstraktion im Kino am besten mit unserer Erfahrung im Leben korrespondiert. Ich stelle mir den Abend schlaglichtartig und diskursiv vor; es geht durchaus nicht um Vollständigkeit oder Ausgewogenheit.

Die Diskussion wird auf Englisch stattfinden, auch um den Aufwand der Einmischung seitens des Publikums möglichst gering zu halten. Alle Filminteressierten sind herzlich eingeladen.

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REVOLVER LIVE (26)
'I AM A STRANGER HERE MYSELF' - NOTES ON TALKING PICTURES
MARIE-PIERRE DUHAMEL in discussion with Christoph Hochhäusler
Monday, 9.01.2012, 19.30 h at Roter Salon / Volksbühne.

15 Dezember, 2011

Überblendung (3)















Eine Szene aus THE WRONG MAN (Alfred Hitchcock, USA 1956).

Eine der eigentümlichsten Überblendungen der Filmgeschichte: Manny Balestrero (Henry Fonda), der beschuldigt wird, eine Serie von Raubüberfällen begangen zu haben - und dem es bisher nicht gelungen ist, seine Unschuld zu beweisen - wird von seiner Mutter, als letztem Mittel, zum Beten aufgefordert. Er geht ins Nebenzimmer, zieht sich für den Abend um - die Kamera fährt auf ein Jesus-Bild zu - und er beginnt widerstrebend zu beten. Dann sehen wir Fondas Gesicht, in das langsam der wahre Täter eingeblendet wird, der auf die Kamera zuläuft, bis er Fondas Gesicht ganz ausfüllt. Er begeht einen weiteren Raub, wird gefasst, und Balestreros Unschuld ist bewiesen.

Das Überlagern der zwei Gesichter löst bei mir ganz widersprüchliche Gefühle aus. Das Gebet wirkt nicht „fromm” auf mich, eher wie die unheimliche Beschwörung eines Doppelgängers, die Schuld auf sich zu nehmen - als ein letztes, archaisches Mittel, die eigene Haut zu retten. Fonda beschwört, so scheint es, das Böse (der wahre Täter begeht einen weiteren Überfall), um davon zu kommen.

P.S.:
Eben lese ich bei Rosenbaum: Jean-Luc Godard hätte die „längste Kritik seines Lebens“ diesem Film gewidmet, und die hier gezeigte Überblendung nehme in seinem Text eine Schlüsselrolle ein (ich kenne die Kritik leider nicht - vielleicht kann ein Leser helfen?).

Übrigens habe ich mich hier ausführlicher mit einer anderen Szene von THE WRONG MAN beschäftigt.

14 Dezember, 2011

Überblendung (2)






In Francis Ford Coppolas APOCALYPSE NOW (USA 1979), gibt es eine Overtüre, in der sich Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart vermischen. Wir können nicht sicher sein, ob sich der Held (Martin Sheen) erinnert, ob er von der Zukunft träumt oder ob alles Folgende vielleicht nur eine Fieberfantasie ist. Mit Hilfe einer Serie von Überblendungen verschwimmen aber nicht nur zeitliche, sondern auch räumliche Dimensionen. Cpt. Willard, von Erinnerungen gefesselt, erscheint bald als Gulliver, bald als Zwerg aus Liliput; der Krieg wird zum Dschungel, in dem andere Gesetze gelten.

Interessant finde ich die Gleichzeitigkeit der Eindrücke: wir sehen Willard (verkehrt herum), sehen, was er sieht (den Decken-Ventilator) und darüber, unsteter als diese „realistischen” Bilder, seine Erinnerung an eine Zukunft, der wir im Laufe des Filmes wieder begegnen werden. Die Erzähler-Stimme „normalisiert” diese Eindrücke dann, stellt eine Gegenwart her („waiting for a mission”), deren Widersprüche wir erst, wenn wir die Bilder im Verlauf wiedererkennen, rekonstruieren können. Trotz der Film-Noir-Anleihen wird die Erzählung nicht als Rückblende eingefädelt, der Status der Kriegsbilder bleibt ambivalent, zumal sie perspektivisch nicht Willard gehören. Es ist Coppola, der in der Überblendung „spricht”.

13 Dezember, 2011

11 Dezember, 2011

Überblendung (1)







Schneiden oder Blenden? Das klingt noch heute nach einer moralischen Frage. Der ehrliche „harte” Schnitt gegen die falsche Süße eines „weichen” Übergangs. Aber sind das wirklich Alternativen? Bedeutet eine Überblendung nicht etwas anderes? Ich will mir anhand konkreter Beispiele ansehen, was Blenden „machen”. Dieses Mal: LILITH (Robert Rossen, USA 1964). Ein überragend besetzter (Jean Seberg, Warren Beatty, Peter Fonda, Kim Hunter, Gene Hackman) seltsam unebener Film, der sich in liberalen Klischees des Wahnsinns als Unschuld ergeht, bevor er unverhofft in eine glaubwürdige, tragische Liebesgeschichte mündet.

Die Blende (oder genauer: die Serie von Überblendungen), die ich meine, markiert das „letzte Glück”, die Innigkeit und Hingabe, die dann verloren geht. Das Über- und Ineinander der Bilder - der sonnenfunkelnde Bach und die Liebenden, ihr Gesicht, seine Hände - ist nicht „realistisch” motiviert, auch wenn wir den Bach zuvor gesehen haben. Es geht um eine poetische Übertragung der Ekstase, der Auflösung, die Blende ist eine Metapher etwa in der Art, in der Murnau in SUNRISE Überblendungen verwendet. Das ist gefährliches Terrain, weil das zweite Bild (die Reflexion der Sonne) die Interpretation des Ersten eindeutig macht. Was mir gefällt an diesem Beispiel, auch wenn es nahe am Kitsch ist: dass sich unser Gefühl intensiviert, während wir uns von der Handlung selbst entfernen. Das Bild, das so entsteht, meint nicht (nur) diesen Moment, sondern alle Momente, alle Leben, auch unseres.






06 Dezember, 2011

Humboldt Meetings



Kurzer Hinweis: Am 12.12. werde ich im Rahmen der „Humboldt Meetings” Auskunft über meine Arbeit geben. Ziel ist es, den kreativen Prozess mit einer interessierten Öffentlichkeit zu teilen. Der Eintritt ist frei, jeder ist willkommen.

Die Gesprächsreihe wird organisiert durch Régis Michel, Rudolf Arnheim Gastprofessor 2011/12 und Katharina Lee Chichester. Die nächsten Gäste sind Angela Schanelec (10. Januar 2012), Artur Zmijewski (23. Januar), Anne Tismer (31. Januar), Thomas Ostermeier (7. Februar) und Harun Farocki (21. Februar).

Hillmann & Šalamoun

Ich hatte auf dem Revolver-Blog schon darauf hingewiesen: noch bis 5. Februar ist in der Berliner Kunstbibliothek eine Ausstellung mit Arbeiten von Hans Hillmann und Jiří Šalamoun zu sehen. Heute hatte ich endlich Gelegenheit, sie zu besuchen - und obwohl ich die meisten der ausgestellten Arbeiten von Hillmann und viele von Šalamoun kannte, bin ich ganz begeistert. Zum Einen, weil es eben doch einen Unterschied macht (liebes Internet!) eine Zeichnung im Original zu sehen, auf Papier, einem Medium, das eben nicht nur die Grafik, sondern auch die Arbeitsweise speichert, zum Anderen, weil sich die beiden Meister auf eine glückliche Art ergänzen und in Dialog treten.



Eine Doppelseite aus Hillmanns FLIEGENPAPIER nach Hammett, einer der Höhepunkte der Ausstellung.



Einer der schönen Animationsfilme von Šalamoun, die im Foyer zu sehen sind.

03 Dezember, 2011

Laudatio

Ein Grund, in der Altpapiertonne zu wühlen: am vergangenen Donnerstag (1.12.), ist in der Berliner Zeitung (Kulturkalender, Seite 3) Dominik Grafs schöne Laudatio erschienen - auf Nicolette Krebitz und mich und UNTER DIR DIE STADT, anlässlich der Verleihung des 1. Günter-Rohrbach-Filmpreises. Ich war nicht in Berlin, deshalb der Hinweis erst jetzt.