25 August, 2007

Am Schreibtisch

(1)

Seit Monaten sitzen wir nun schon am Schreibtisch zusammen: Ulrich Peltzer und ich. Es ist eine glückliche Drehbucharbeit: anstrengend, erhellend und herausfordernd.

Vielleicht das Gefährlichste am Schreiben: Zufriedenheit. Gerade Szenen, die uns gut und sicher schienen, erweisen sich beim Wiederlesen oft als blass, während andere, um die wir kämpfen mussten, die kaum mehr als Platzhalter waren, bessere Überlebenschancen haben.

Meine größte Furcht: Einfälle, die mich heute begeistern, morgen als ausgedacht und leblos zu empfinden. Wie kann man überhaupt hoffen, zu einer Einheit zu kommen, Materialien in einen brauchbaren Zusammenhang zu bringen, wenn jedes Ich dynamisch ist? Man steigt kein zweites Mal in denselben Fluss...

Für mich liegt der Schlüssel in der Zusammenarbeit. Ein (gutes) Gegenüber vervielfacht nicht nur die Ideenfrequenz, sondern hilft auch, den Wald wieder zu lichten. In der Kommunikation entstehen Schneisen und Lichtungen. Und die „Holzwege” verkürzen sich, einfach, weil Verbündete auch abtrünnig werden können: „Meinst du wirklich?” „Und weiter?”


(2)

Vor einiger Zeit habe ich ein Seminar zum Thema „Dramaturgie” gegeben. Es war schwer für mich, verbindliche Aussagen zu treffen, so viele Wege sind möglich, so wenig lässt sich verallgemeinern. Aber wo man in der Theorie zumindest über bewährte Modelle sprechen kann, zumal anhand fertiggestellter Filme, ist die Praxis unübersichtlicher. Woran soll man sich halten?

Jede Dramaturgie ist experimentell. Man kannn sich nicht sicher sein. Am Ende gilt, was „funktioniert”, was man sehen will. Aber auch wenn die Ökonomie der Aufmerksamkeit vielleicht das Rennen entscheidet, Fragen beantwortet sie nicht. Und so betreiben wir eine Mischkalkulation, gebrauchen gegensätzliche Systeme, je nach Lage: Intuition, Alltagserfahrung, Handlungslogik, Verhältnismässigkeit, Erzählhandwerk, Kinobildung. Im besten Falle diktiert das Material die Werkzeuge der Bearbeitung.

Mein Ziel sind Strukturen, die mühelos das Portrait der sie begründenden Figuren zeichnen. Ich will von Menschen unserer Zeit erzählen, so genau, so plastisch, so eindringlich wie möglich. Aber ich fürchte, der Wille ist das schwächste Glied in der kreativen Arbeit.


(3)

Welche Schlüsse kann man aus grossen Filmen ziehen?

Nehmen wir „Goodbye South, Goodbye” von Hou Hsiao-Hsien (Taiwan 1996). Für mich einer der beeindruckensten Filme seit langer Zeit (ich habe ihn vor zwei Wochen zum ersten Mal gesehen). HHH verzichtet weitgehend auf Erzählung im Sinne einer Pädagogik, die bereits erkaltete Erkenntnis vorführen will. Niemals wird die „Folgeleistung” des Publikums belohnt. HHH arbeitet auf eigene Rechnung und seine Puppen tanzen nicht für uns. Natürlich gehört die kalte Schulter zum Spiel der Liebe, aber dieser Film ist nicht kokett - er ist frei.

Der Film besteht aus einer Serie unvermittelter Gruppenszenen von verblüffender Welthaltigkeit. Ein filmisches Universum, das in jedem Moment über den Aufnahmewinkel hinauszugehen scheint. Die Kamera bestätigt die „Endlosigkeit” der Fiktion durch ein Bewegungsvokabular, das in seinen besten Momenten intuitiv und mühelos einer fremden Neugier folgt. Es geht hier nicht um „Realismus” - der Film leugnet keinen Augenblick die Künstlichkeit seiner Herstellung - sondern um die Realität einer Situation. HHHs Szenen haben eine Energie, die eigengesetzlich ist, die über Drehbuch und inszenatorische Anordnung weit hinaus gehen. Die Kamera wird von realen Kraftfelder angezogen, sie ist bei aller technischen Virtuosität zuerst ein Aufzeichnungsgerät.

Welche Schlüsse also?

Ein gutes Drehbuch ist unvollendet - und zielt gewissermassen auf Prozesse ab, die es überflüssig machen. Im Falle HHHs heisst das wohl: das Drehbuch muss Situationen organisieren, die aus sich selbst heraus leben (können). Je einfacher der Rahmen, desto komplexer das mögliche Innenleben. An anderer Stelle dieses Blogs habe ich geschrieben: „Ein Film muss Erfahrung verursachen.” und: „Erfahrung ist der Weg durch das Eigene”. Das trifft sicherlich auch auf Drehbücher zu. Zwar kann ich über das Buch zu „Goodbye” nur spekulieren, doch scheint mir diese Forderung nach einer Struktur, die Erfahrung hervorbringt (und voraussetzt) sehr gut auf HHHs Arbeit zu passen.

(Fortsetzung folgt)

23 August, 2007

Reife

Alle Rollen, die wir spielen / leben, sind relativ zu bestimmten Verhältnissen, mindestens so stark von einem Gegenüber geprägt wie von unserer inneren Verfassung. Und es ist die Wechselwirkung zwischen diesen Polen, die die Frage nach der persönlichen Freiheit so heikel macht. Das betrifft die privaten Rollen wie die beruflichen. Wie sieht mich der Redakteur / Schauspieler / Kritiker? Wie will ich, dass er mich sieht? Was will er von mir? Was will ich von ihm?

Auch die Rolle, die man innerhalb einer Filmkultur inne hat, gibt ein Relief vor – und diese Maske entspricht unmöglich der Fülle unserer Möglichkeiten. „Die Gegenwart ist so knapp bemessen, dass man sich permanent daran verletzt”, meinte Rolf Dieter Brinkmann einmal. Gibt es einen Weg aus dieser Enge?

Meine Schwester hat eine Weile lang ihre Zehen trainiert, weil sie der Meinung war, unsere körperlichen Fähigkeiten seien Verpflichtung. Ich weiss nicht, ob sie ihre Briefe heute mit den Füssen schreibt, aber der Anspruch einer „Entfaltung” aller in uns schlummernder Möglichkeiten hat mich fasziniert. Scientology wirbt drohend mit der Behauptung, wir nutzten „nur zehn Prozent unseres geistigen Potentials”. Unabhängig davon, ob diese steile These haltbar ist, scheint es verlockend, Filme zum Beispiel wirklich aus der Fülle unserer Möglichkeiten, Erfahrungen und Sensibilitäten heraus herzustellen.

Man nennt es: Reife.

*

Ab und an werde ich gefragt, warum ich, der ich doch im privaten Leben so „positiv” sei (oder oder oder), so „depressive” Filme mache: „Du bist doch gar nicht so tragisch.” Ich sage dann meistens: „Ich will ganz verschiedene Filme machen” oder „Man sucht sich seine Themen nicht aus.” oder „Mein letzter Film ist doch eine Komödie.” aber ein leiser Zweifel bleibt.

Siehe oben.

22 August, 2007

Komplex












Moritz Bleibtreu (als Andreas Baader) und Martina Gedeck (als Ulrike Meinhof) bei der Mimikry (Bild: Constantin Film)

Erwartungsgemäss sind die „flankierenden Massnahmen” für Eichingers DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX schon in vollem Gange. Sah das PR-Kommando bislang nur Drehberichtsgeplänkel vor, inklusive Kostümfotos (oben), hat Frank Schirrmacher die Schlacht nun „ernsthaft” mit einer Breitseite im Feuilleton der FAZ eröffnet. Eine ganze Seite Interview mit Stefan Aust - ähnlich begann auch die heisse Phase der Kampagne für DER UNTERGANG. Der SPIEGEL-Herausgeber spricht mit dem nimmermüden Erinnerungspolitiker über den „metaphysischen Endkampf” Baaders, erteilt Eichinger seinen historischen Segen* für die Filmversion seines 1985 erschienenen Beststellers und empfiehlt, die Wartezeit mit der Lektüre von Herman Melvilles MOBY DICK zu verkürzen - der Film erscheint erst im Herbst 2008. Zeit genug für eine neue RAF-Serie im SPIEGEL?

*) Fast so überzeugend (obwohl ohne finanzielle Beteiligung) äusserte sich kürzlich Tobias Kniebe in der SZ, der über eine aus dem Netz gefischte Drehbuchversion von VALKYRIE meinte, der Film werde „historisch korrekt” und „vielleicht ein Meisterwerk”.

03 August, 2007

Amphibienforschung

Heute in der Berliner Zeitung: Ein Interview (mit mir) über den Einfluß des Fernsehens.

www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/feuilleton/675021.html