Die Frage,
ob wir wissen, was wir brauchen, wenn es um das Lebensmittel Film geht, schwebt weiter. Fest steht, dass viele der Filme, die ich in den letzten Wochen sehen wollte, eine Tendenz hatten. Trotz düsterer Weltlage habe ich mir fast ebenso düstere Filme angesehen, dunkle Märchen über (oft lächerlich) ernste Männer. Damit sie nicht zu einem Metafilm verklumpen, hier ein paar Erinnerungsstützen:
FEUERWERK AM HELLICHTEN TAGE (Diao Yinan, China 2014)
Irgendwo im chinesischen Heilongjiang wird der Ermittler Zhang Zili (Fan Liao) bei einem Einsatz verwundet und traumatisiert. Aus dem Dienst entlassen taumelt er alkoholisiert durch die schmutzige, kalte Stadt – bis ihm der alte Fall gewissermassen vor die Füße fällt. In der Schnittmenge der ungeklärten Morde ist man auf eine Frau (Gwei Lun-Mei) aufmerksam geworden, die sich mit allen Toten in Verbindung bringen lässt. Zhang beginnt sie zu verfolgen, ohne Auftrag und ohne Plan. Seine Obsession bringt ihn immer tiefer ins Geheimnis... und in Gefahr. Auch wenn die Frau glücklicherweise nicht im altmodischen Sinne „fatale” ist, verbinden sich in Diaos Berlinale-Gewinner amerikanischer Noir und chinesische Gegenwartstristesse zu einer Erotik der Erschöpfung, die man gesehen haben muss.
MR 73 (Olivier Marchal, Frankreich 2008)
Noch ein traumatisierter Ermittler, noch ein Säufer, allerdings in einem Film, der weit weniger an Glaubwürdigkeit als am Charisma des Leidens interessiert ist. Die melodramatischen Klischees türmen sich mitunter schwindelerregend, ohne den Film aus der Balance zu bringen. Vielleicht könnte man von einer Operette der Verzweiflung sprechen, die Daniel Auteuil mit vollem Körpereinsatz zur Aufführung bringt. Am Ende kommt der Film dem Schauer- und Ammenmärchen für meinen Geschmack vielleicht doch zu nahe, aber nach so viel schwarz auf schwarz ist es eben schwierig zu differenzieren.
THE BATMAN (Matt Reeves, USA 2022)
Geliehene Augen in einem Konzert für eine Note, in Moll: auch Batman ist nahe der Erschöpfung, alles fließt in dunklen Tönen zu einer atmosphärischen Pfütze auf Teer zusammen. Höhepunkt ist die Sequenz, in der Batman (Robert Pattison) sich die Augen von Selina Kyle (Zoë Kravitz) „leiht”, um ins korrupte Herz der Finsternis zu sehen. Von dieser Aufregung erholt sich der Film dann zwei Stunden lang auf eine sehr redundante, aber sehenswerte Art der Schwarzmalerei. Ich hatte meinen Spaß, auch und gerade an der Bildgestaltung übrigens (Kamera: Greig Fraser).
SOMETHING WILD (Jonathan Demme, USA 1986)
Die Wildnis beginnt einen Schritt neben dem Weg: Ohne Zweifel der reichste und reifste Film in dieser Auswahl, mit einer unglaublichen Melanie Griffith alias Lulu alias Audrey, die den Everyman Charles (Jeff Daniels) dazu verführt, sich dem Dschungel des Lebens zu stellen, indem sie seine „Normalität” als hysterische Konstruktion entlarvt. Ray Liotta als ihr Ex-Mann und Ex-Con ist ein Vulkan im Ausbruch; unmöglich, wegzuschauen, wenn sich die Lava seiner kriminellen Energie zerstörerisch den Weg bahnt. In meinen Augen Demmes bester Film, so detailreich und erfinderisch wie tief in seiner Menschenkenntnis. Große Empfehlung!
I BASTARDI (Duccio Tessari, Italien 1968)
Das Leidensbild als Selbstzweck: generischer Rache-Thriller um ein kriminelles Brüderpaar, das sich entzweit. „Adam” (Klaus Kinski) kann nicht teilen und bringt „Jason” (Giuliano Gemma) um – beinahe – alles: die Beute, die Freundin, die Schusshand. Fortan sinnt er auf Rache. Einer jener Filme, die im Fahrwasser des Erwartbaren immer wieder zu tollen Bildideen kommen. Gemma wiederum ist so schön, dass er ohne die (etwas mechanisch zubereiteten) Grausamkeiten / Leidensstationen wahrscheinlich ungenießbar wäre. Sehenswert.