In der FAZ suchen Peter Körte, Claudius Seidl und Harald Staun nach Antworten auf eine abwegige Frage: „Woran liegt es, dass das deutsche Kino so reich ist an Talenten und Könnern? Und so arm an guten Filmen?” (Der erste Teil der Frage meint Christoph Waltz & Co bei Tarantino, der zweite Teil alles Andere.)
Ich wäre eher geneigt zu fragen: Wie kommt es, dass es - trotz oft genug problematischer Rahmenbedingungen - so viele gute Filme gibt im deutschen Kino? Und warum um alles in der Welt will diese Blüte in Deutschland (fast) niemand anerkennen? Wie schon in den 20er und 70er Jahren, den letzten Hochzeiten, gibt es nur lauwarme Unterstützung für das eigene Kino, seitens des Publikums wie der Medien. Jedes Lob steht unter Vorbehalt seines internationalen, am besten: amerikanischen Echos. Kommt aber das Auslands-Echo vor dem nationalen Lob an, verbittet man sich die Einmischung. Wie ein roter Faden ziehen sich die Krisendiskussionen durch die deutsche Filmgeschichte, begleitet von einem ungesunden Schielen nach Hollywood. Ein völlig unangemessener Minderwertigkeitskomplex sorgt dafür, dass Erfahrungen nicht zu Traditionen werden können. Auch die Entwicklung des Neuen Deutschen Films, dessen Autoren bis heute das Bild des deutschen Films im Ausland prägen, wurde brutal abgeschnitten. Wenn man Herzog, Kluge, Syberberg heute fragt, warum sie damals, Anfang der 80er, ins Ausland, zum Fernsehen oder ins innere Exil gegangen sind - ähneln sich die Antworten. Sie handeln von einem feindlichen Klima, einem „toten Land” (Herzog), einer „Schlucht, durch die wir nicht durchgekommen sind” (Kluge) und dem erzwungenen Rückzug „in die eigenen vier Wände” (Syberberg). Vertrieben von Verächtern, die mit der „geistig-moralischen Wende” Oberwasser bekommen hatten - und das nach Jahren größter Produktivität und übrigens auch beispielloser äusserer Erfolge.
Wenn ich vor meinem geistigen Auge die letzten Jahre Revue passieren lasse - fallen mir sofort acht, neun großartige Filme ein, die - und das ist sicherlich nicht ihre wichtigste Eigenschaft - aus Deutschland kommen. Filme von Thomas Heise, Romuald Karmakar, Angela Schanelec, Benjamin Heisenberg, Dominik Graf, Christian Petzold, Maren Ade, Valeska Grisebach und vielen Anderen. Dass neben Monolithen wie Heises MATERIAL allzu vieles aus deutscher Produktion klein und zahm wirken muss, liegt in der Natur der Sache. Aber wenn es unter 100 Filmen nur eine Handvoll gibt, die brennen, die mir bis in die Träume folgen, über die ich sprechen muss, weil sie mich getroffen haben --- dann ist das ein guter Schnitt. Nicht, dass alles wunderbar wäre im deutschen Kino, beileibe nicht. Und ganz sicher können sich auch die genannten Filmemacher noch steigern, wenn man sie lässt. Aber ich kann nicht finden, dass der französische oder amerikanische Erfolgsquotient höher wäre. Was aber mit Sicherheit höher ist in den USA wie in Frankreich - das ist die Begeisterung für das eigene Kino.
Danke Christoph,
AntwortenLöschendu sprichst mir aus dem Herzen! Ich frage mich in dieser Diskussion - die es einmal pro Quartal in die Feuilletons schafft - ständig, seit wann denn der deutsche Film nun eigentlich in der Krise steckt? Wenn man die deutsche Filmgeschichte verfolgt, scheint die Krise 1895 begonnen zu haben. Aus der amerikanischen Filmschmiede wird Tarantino erwähnt. Ein Gott, der allein es schafft, dass das deutsche Publikum den deutschen Film für minderwertig hält. Und weiter? Hat sich je ein Kritiker des deutschen Films mit dem temporären amerikanischen Kino auseinandergesetzt, bei dem ein und die gleiche Ware (vermeintliche "Independent"-Produktionen) in Sundance, South by Southwest oder Tribeca durchgenudelt werden? Wenn Graf einer aus 100 ist, dann ist Tarantino einer aus 1000.
Ich bin sicher, in 40 Jahren wird man Meisterwerke der Filmgeschichte auch anhand Beispielen des temporären deutschen Kinos besprechen...
Maxi
--- und wenn man dominik graf fragt, wie das damals war, anfang der achtziger, so bekommt man zur antwort:
AntwortenLöschen"für jemanden wie mich war der autorenfilm, deutscher autorenfilm, tot. also, das war 'ne folter. [...] ich fand, dass der autorenfilm sich für mich desavouiert hatte. das, was da kam, war für mich irgendwie selbstverliebtes zeug, mit dem ich als zuschauer nichts anfangen konnte." [http://www.cargo-film.de/kino-dvd/fighter-im-system-dominik-graf-im-gesprach-teil-1/]
ein feindliches klima spürte auch er:
"von außen bekam man irgendwie so gesagt, au, jetzt geht's bergab mit dem deutschen film!" [ebd.]
so gern ich diesen blog auch lese, deine argumentation hier (besonders die passive formulierung "wurde brutal abgeschnitten") finde ich nicht wirklich überzeugend... ist dominik graf für dich ebenfalls einer jener verächter, "die mit der 'geistig-moralischen wende' oberwasser bekommen hatten"?
fräncis
Wir haben auf der Filmhochschule gelernt, der Autorenfilm habe sich „onanistisch selbst abgeschafft”. Davon abgesehen, dass diese Formulierung eine Frechheit ist - trifft sie auch einfach nicht zu. Es war erklärter politischer Wille, einem neuen Produzentenkino zum Durchbruch zu verhelfen. Mit Wort und Tat ist dafür zum Beispiel Günther Rohrbach immer wieder eingetreten. Das ist auf der Ebene des Fernsehens (als wichtigstem Spieler im deutschen Film) und natürlich der Förderungen geschehen, die ja ab 68 erst nach und nach ausgebaut wurden und zu einem wichtigen (film-) politischen Instrument geworden sind. Nicht zuletzt die Einführung des Privatfernsehens hat die alten Gewichte nachhaltig verschoben - übrigens auch in Italien, wo der Bruch zwischen dem vielleicht reichsten Kino der Welt und einem nur mehr regional wahrgenommenen Dümpeln noch krasser ausgefallen ist. Natürlich hat das alles auch mit sich verändernden Sensibilitäten zu tun, mit einem anderen Zeitgeist usw. (So weit ich weiss ist Fassbinder nicht von Friedrich Zimmermann umgebracht worden) Ich bin nicht naiv. Ich kann auch den jungen Dominik Graf verstehen, der gegen die Achse Wenders-Handke auf Jess Franco und Mario Bava setzen wollte (ohne übrigens selbst je wirklich in diese Untiefen zu steigen). Das Autorenkino deutscher Ausprägung hat und hatte ja natürlich auch Defizite. Aber die Politik des reinen Tisches, das Entweder-Oder deutscher Kulturpolitik hat in jedem Fall mitgeholfen, diese alles in allem interessanteste Phase des deutschen Nachkriegskinos zum Zeitpunkt ihres größten internationalen Erfolges abzubrechen (Fitzcarraldo - 1982, Paris, Texas - 1984).
AntwortenLöschenLieber Christoph Hochhäusler,
AntwortenLöschenes gibt ja bei jedem Text, ob literarisch oder journalistisch, die einfache Frage: Wer spricht? Wer ist der Erzähler?
In unserem Text spricht die Branche über sich selbst, was genau die Absicht war. Und wäre die Frage so "abwegig" gewesen, dann hätte vermutlich nicht nur Bettina Reitz unserer Arbeitshypothese widersprochen. Der Widerspruch, mit dem wir gerechnet hatten, ist duchweg ausgeblieben - was eben auch etwas über die Befondlichkeit jenes Gebildes sagt, ads man in Ermangelung eiens besseren Begriffs "deutsche Filmindustrie" nennt.
Schönen Gruß
Peter Körte
Lieber Peter Körte,
AntwortenLöschenals erfahrener Journalist wissen Sie ja, dass in so manche Frage die Antwort schon eingebaut ist. Von einer offenen Frage kann man in diesem Fall jedenfalls nicht sprechen. Im Übrigen finde ich es unredlich, die eigene These mit Zitaten derer „die es wissen müssen” (warum eigentlich?) zu „naturalisieren”. Warum dieses Versteckspiel? Aber es spricht für Sie, dass Sie sich hier melden ...
"Der deutsche Film in der Mainstreaming-Falle." http://filmtagebuch.blogger.de/stories/1543222 - Der Link zum Beitrag geht sogar auch noch
AntwortenLöschenLieber Christoph Hochhäusler,
AntwortenLöschenweiß zwar nicht, warum die Meldung für mich spricht; ich habe bloß vor vielen Jahren im Philosophiestudium gelernt, daß die einzige Antwort oft nur in der Kritik der Frage bestehen kann. Kann man aber auch ohne Philosophie lernen. Wir waren ja geradezu konsterniert, daß praktisch niemand die Voraussetzung der Frage bezweifelt hat. Und wen sonst, wenn nicht die Insassen der Branche selbst, sollte man fragen, ob sie es nicht wissen? Wenn wir es besser wüßten, hätten wir es aufgeschrieben. Und es ist ja auch nicht zu übersehen, daß Graf und Petzold, die bei Ihnen als positive Beispiele auftauchen, auf usnere Frage noch eins draufsetzen, indem sie von "Kosnenszwang" oder "Manufactum-Welt" sprechen.
Nichts für ungut
Peter Körte
Es wäre ein Leichtes, unter der Überschrift „Woran liegt es, dass das deutsche Feuilleton so reich ist an Talenten und Könnern? Und so arm an guten Texten?” einen Artikel zu schreiben über die Misere des „Systems” kulturkritischer Reflexion. Prominente Kronzeugen zu finden wäre kein Problem. Mit Krisenthesen rennt man in Deutschland immer offene Türen ein. Aber auch wenn mir in diesem Fall das Wort einer „Blüte” nur schwer über die Lippen ginge - einen pauschalen Niedergang müsste ich konstruieren. Evident ist er nicht. Diese Konstruktionsarbeit ist es auch, die mich an dem besagten Artikel stört.
AntwortenLöschenWas Übrigens das „Besser-Wissen” der Beteiligten betrifft: ist es nicht nachgerade Voraussetzung der Kritik, diesen Zusammenhang zu bezweifeln?
Da hilft genau zu lesen. Etwa: What Makes Mainstream Media Mainstream (1997)
AntwortenLöschenVon Noam Chomsky
http://le-bohemien.net/2011/02/12/der-mythos-der-freien-presse/
Meinen Sie nicht, dass Sie etwas durcheinanderwerfen, wenn Sie Filme wie Fitzcarraldo oder Paris, Texas dem deutschen Nachkriegskino zurechnen? Das sind doch beides Filme, die weder damals noch heute aus Deutschland heraus entstehen könnten. Beides sind internationale Produktionen, mit internationalen Stars und auf Englisch gedreht. Solche Filme hat das deutsche Kino selbst letztlich nie stemmen können, deshalb sind Leute wie Herzog oder Wenders ja auch sehr bald aus Deutschland raus gegangen, weil es ihnen in Deutschland zu klein war.
AntwortenLöschenUnd solche Regisseure könnten Filme drhen, in denen die deutschen Schauspieler ihre Klasse wirklich zeigen könnten, so zumindest verstehe ich den FAZ-Artikel. Aber von diesem Niveau, vor allem auch von dieser Ambition ist das aktuelle deutsche Kino eben weit entfernt. Das deutsche Förder-Kino, die Berliner Schule nicht zuletzt, schmort allzu oft in ihrem eigenen Saft, will so wenig, so dass selbst dann, wenn man in Kamerun dreht ein kleiner, sehr deutscher Befindlichkeitsfilm das Ergebnis ist, dazu mit arg fragwürdiger Darstellung Afrikas. Immerhin besser als reaktionäres Kino a la Florian Gallenberger, aber nicht viel...
Viel Erfolg für Mittwoch, ich bin trotz allem sehr gespannt...
Markus
Ich fand den FAS-Artikel auch dämlich. Und verdammt unehrlich, denn die Vorwürfe der drei sehr unterschiedlichen Autoren hatten sehr differente Stoßrichtungen, ohne deren Unvereinbarkeit auszuweisen. Claudius Seidl und Peter Körte, das geht im Blick auf den deutschen Film natürlich überhaupt nicht zusammen. Unredlich an dem Artikel war nicht zuletzt, dass das dann als vermeintlich bloße Reportage, die nichts weiter tut, als Stimmen zu sammeln, bauchrednerhaft aus drei verschiedenen Positionen sprach, ohne das wirklich auszuweisen. Und selbstverständlich hätte man anders fragen und andere Zeugen suchen können. Und klar, es liegt vieles im Argen mit der deutschen Filmfördersituation. Mehr aber und Grundsätzlicheres noch im Blick vieler ihrer Protagonisten aufs Kino.
AntwortenLöschenUnd, ja: Eine Kritik, die Ulrich Köhler z.B. im Grund ihres Herzens schwierig und spröde findet und mehr als klammheimlich aufzujubeln beginnt, wenn dann so eine läppische "Integrationskomödie" im Berlinale-Wettbewerb gespielt wird, ist selbstredend Teil des Problems.
Das geht übrigens sicher nicht gegen Körte, höchstens bleibt mir unbegreiflich, warum und wie er da mit Claudius Seidl gemeinsame Sache macht. Außerordentlich instruktiv als historisch rückwärts augenöffnender Blick in der Angelegenheit - und überhaupt toll - übrigens das Laurens-Straub-Buch, das Dominik Graf in einer mitreißenden Kritik (na, wo?) besprach.
http://www.buecher.de/shop/allgemeines--lexika/mein-kino/straub-laurens/products_products/detail/prod_id/23420808/#faz
Hallo Markus,
AntwortenLöschen„Fitzcarraldo” und „Paris, Texas” habe ich genannt, weil sie in diese Zeit fallen und sehr erfolgreich waren. Ich hätte aber auch „Der Stand der Dinge” und „Jeder für sich und Gott gegen alle” nennen können.
Lieber Christoph,
AntwortenLöschenIch hab deinen Mailwechsel gelesen zum Artikel "Das System". Guter Disput.
Aber der Artikel meint nicht die anspruchsvollen Filme, oder die der Berliner Schule,
er meint die Filme, die großes wollen und alle durchweg floppen und
künstlerisch oder filmisch gesehen, letztlich erstaunlich ambitionslos bleiben.
Das ist das Dilemma, es gibt ZU WENIG Filme, die innovative Sachen oder neue
Erzählweisen ausprobieren und überraschend sind, und nicht so vorsichtig, denn
darin ähneln sich ja mehr oder weniger alle dt. Filme. Das ist ja auch der Tenor von
Delormes Text in den Cahiers vom letzten November: - die Vorsicht der Regisseure.
Es gab mal vor ein paar Jahren eine Debatte in den Cahiers über subtiles und
kraftvolles Erzählen und das Resumeè lautete, subtiles Erzählen ist schön, poetisch, usf,
aber auch schwach.
Das jetzt alle plötzlich nach radikalen Filmen rufen (in den Statements des Artikels) -
vielleicht ist ja ernst gemeint. Weil man sonst ja irgendwie "verhungert" -
bei der Sehnsucht nach tollen dt. Filmen.
Die Frage ist doch auch, warum dt. Filme immer etwas selbstquälerisches haben,
eine Art zerrissenes oder auch unglückliches Bewusstsein, würde Hegel sagen,
wenn er heute Filmkritiker wäre. Auf Dauer schwächt das.
Michael Klier
Lieber Michael,
AntwortenLöschenes gibt immer zu wenig gute Filme. Und was gelungen ist, darüber muss man sich ja streiten. Aber ich verstehe natürlich, warum Du den deutschen Film für zu vorsichtig hältst. D'accord. Trotzdem erlebe ich unsere filmische Gegenwart als reich und aussergewöhnlich - was sich hierzulande aber nicht herumspricht, den das deutsche Kino wird nicht geliebt. Ohne die Liebe wird dieses Kino, das ich meine, aber nicht weiter wachsen können...