19 Juli, 2018

Ringer

Stanley Kubrick filmt den Faustkampf in BARRY LYNDON (GB 1975).

Ein paar Jahre lang wollte ich auf dem Schulhof vor allem eines: Kämpfen. Ich war 'Stärkster der Klasse' und musste es bleiben. Das „Rangeln” in den Pausen hat mich wahrscheinlich tiefer geprägt als der reguläre Unterricht damals. Noch heute ertappe ich mich dabei, abzuschätzen, ob ich mein Gegenüber (im Fall des Falles) niederringen könnte. Auch kann ich sagen, dass ich den Körperkontakt zwischen Männern vermisse - und nein, das ist nicht homoerotisch gemeint. (Im Grunde meines Herzens fände ich es toll, auch mit Frauen zu raufen – in unserer Gesellschaft haben Berührungen jenseits der Erotik erstaunlich wenig Platz).

Das Schulhof-Kräftemessen war eingehegt von 'ritterlichen' Regeln: Gekämpft wurde nur auf Ansage; jeder konnte jederzeit abbrechen; Schlagen, Treten, Beißen, Kratzen oder Haareziehen waren tabu; der Kampf galt als entschieden nach einem Schultersieg, der ausgezählt wurde (was meistens die Zuschauer besorgt haben); nach dem Kampf gab man sich die Hand. Es ging also nicht nur um Kraft und Geschicklichkeit, sondern immer auch um Selbstbeherrschung. Im Grunde war nichts ehrenhafter, als ein guter Verlierer zu sein.

Einmal wurde ich herausgefordert von S., einem Jungen aus einer Parallelklasse. In Sachen Kraft war er mir ebenbürtig, aber weil ich technisch überlegen war, habe ich ihn schnell besiegt. Statt mir die Hand zu reichen fing er nach seiner Niederlage an, zu verbotenen Mitteln zu greifen. Sein Tritt in meine Weichteile war schmerzhaft, daran erinnere ich mich, aber ich fühlte mich weniger körperlich als geistig herausgefordert. Nach dem ich ihn ein zweites Mal niedergerungen hatte und er nur noch wütender wurde, war ich ratlos. 

Meine Klassenkameraden haben schließlich unseren Direktor geholt, der den Kampf beendete und die 'Streithähne' gleichermaßen ausschalt, was wiederum gegen meine Ehre ging.

Wie soll man umgehen mit einem, der den Regelbruch für Stärke hält? An dieser Frage habe ich damals lange gekaut. Von meinem Vater hatte ich gelernt, dass Fairness - also der gemeinsame Respekt für die Regeln des Spiels - mehr zählt als „Erster” zu sein. Der Kampf ist Spaß, aber die Regel so ernst wie sinnlos (und nur weil sie sinnlos ist, kann man sie so ernst nehmen). Aber heißt das, dass man nur unter Gleichen, nur unter 'Rittern' kämpfen kann? 

In David Landes’ „The Wealth and Poverty of Nations” kann man nachlesen, dass Japan im späten 16. Jahrhundert mehr Musketen hergestellt hat als irgendein europäisches Land (obwohl die Waffe in Europa erfunden worden war) – um wenig später, nach der Beilegung der Bürgerkriege, Gewehre ganz zu verbieten, hauptsächlich, um den Ehrbegriff der Samurai zu schützen. Denn eine Muskete abzufeuern ist kunstlos, und damit gleichmacherisch. 

An die Samurai – und meine Grundschulzeit – musste ich denken angesichts des seltsamen Gebarens von Donald Trump. Ich glaube, mehr als alles andere – und gewissermassen vorpolitisch – empört mich sein Mangel an Ehrgefühl. Und mir scheint, Trumps überraschender Erfolg hat sehr viel mit der Weigerung zu tun, sich an „die Regeln” zu halten, gleich welcher Art. Womöglich ist das sogar seine einzige Botschaft: „Wir [weißen amerikanischen Männer] sind an Regeln nicht gebunden – noch nicht mal an die, die wir selbst aufstellen.” Auf einer archaischen Ebene beeindruckt mich das – und macht mich zugleich (als „Regelspieler”) hilflos.*

Mindestens so verstörend wie Trumps „Politik” ist für mich denn auch die (bisherige) Ohnmacht seiner Gegner. Egal wie viele Fehler und Lügen und Verstöße gegen demokratische Standards man ihm nachweist… den Kern seines „Arguments” – sein Angebot der Unreife – berührt es nicht. 

Was also macht dem Spuk ein Ende?

*)
Es passt ins Bild, dass Trump letztlich alle „Regelspieler” – demokratisch gewählte Präsidenten, Kanzlerinnen, Verbündete – verhöhnt, während er „feindliche” Diktatoren, korrupte Monarchen und ähnliche Autoritätsfiguren als seinesgleichen anerkennt. 

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