21 Juli, 2018

Böse Form?

Aus der (Negativ-) Sammlung des Werkbundarchives.

In dem Bändchen „Böse Dinge” wird darüber nachgedacht, warum eine Kaffeekanne aus gewelltem, teilvergoldeten Plastik einem falschen Bewusstsein entspringt. Unter meinen Freunden wäre das nicht kontrovers, aber Form- und Geschmacksfragen bleiben heikel, bis zu einem gewissen Grade heben sie sich gegenseitig auf. Immerhin ist vorstellbar, dass auch „Scheinporzellan” einmal „richtig” sein wird.


Neben der erwähnten Kanne ist eine Euro-Palette aus Tropenholz abgebildet, die das „Böse” des Titels vielleicht am besten auf den Punkt bringt. Ein Luxusartikel, der primitive Massenform bewusst mit zerstörerischer Exklusivität kreuzt. Eine aufreizende Kombination, die mich in ihrer Gewalt fasziniert hat. Gibt es filmische Äquivalente? 


Die Filmkritik bezieht die Herkunft des Materials nur selten in die ästhetische Auseinandersetzung ein. Rivette empörte sich über die – semantische – Niedertracht einer Rekadrage (die für einen sterbenden KZ-Häftling das Bild zurecht rückt, in Pontecorvos KAPÒ) aber die großen Fragen einer Ethik der Kunst bleiben zumeist für echte Nazis reserviert.


Ich denke an Leni Riefenstahl und die über 100 Sinti und Roma, die sie als Kleindarsteller und Komparsen für ihren Film TIEFLAND aus zwei Lagern „lieh”, um sie nach den Dreharbeiten ihrem „Schicksal” zu überlassen, was für die meisten hieß: Tod in Auschwitz. Die Close-ups der Opfer soll sie nach dem Krieg vernichtet haben, um eine Identifizierung zu erschweren. 


Oder natürlich die Infamien der NS-Gesinnungspropaganda, von TRIUMPH DES WILLENS (wieder Riefenstahl) über HEIMKEHR (Gustav Ucicky) bis JUD SÜSS, von denen man weiss, dass sie den staatlichen Massenmord direkt befördert haben (womit Veit Harlans Sohn Thomas ein Leben lang gerungen hat).


Aber hat sich nicht auch Francis Coppola schuldig gemacht, als er die Hubschrauber des philippinischen Diktators Marcos für seinen „Antikriegsfilm” APOCALYPSE NOW mietete? Und müssen wir die Naturzerstörungen in der sensiblen Dünenlandschaft Namibias zum Beispiel, die bei den Dreharbeiten zu MAD MAX: FURY ROAD entstanden sind, ästhetisch verrechnen? Oder, nicht erst seit Weinstein, die Vergewaltigungen, den sexuellen Missbrauch von oder durch Darsteller, Regisseure, Produzenten? 


Kurz: Ist die Schuld in der Form enthalten?


Das ist sicher keine Frage, der man mit einem kurzem Blogpost beikommt. Trotzdem möchte ich hier (auf die Schnelle) für eine Trennung der Sphären plädieren, die in den letzten Jahren ein wenig ins Schwimmen geraten ist.


Natürlich muss man die Entstehung (oder auch: den Erwerb) eines Kunstwerkes politisch diskutieren. Und selbstverständlich ist Riefenstahls Menschenfeindlichkeit, zum Beispiel, wichtiger als jede ihrer Innovationen. Aber produktiver ist es, die Politik ihrer Filme ästhetisch zu diskutieren, und parallel die Untiefen ihrer Karriere zu beleuchten – ohne die Sphären gleichzusetzen. 


Dass Künstler Komplizen der Macht sind, ist eher die Regel als die Ausnahme. Für eine so teure Kunst wie den Film gilt das um so mehr – übrigens auch unter Subventionsbedingungen. Aber auch die Diener schlechter Herren können große Künstler sein und (vielleicht nur in einer Szene, einem Moment) Kinowahrheit hervorbringen. 


Jean Dubuffet hat einmal gesagt: „Die Kunst legt sich nicht in die Betten, die man für sie gemacht hat.” Bei aller Sympathie für den Satz (den ich hier brutal aus dem Kontext reisse) kann ich nicht zustimmen. Ich denke, „die Kunst” ist vor allem eines: unzuverlässig, und muss es sein – die Momente der Wahrheit aber sind zu selten, als dass wir es uns leisten könnten, auf die charakterliche / politische / ökologische Zuverlässigkeit ihrer Entstehung zu beharren. 


Ich plädiere für einen aufgeklärten, kritischen Betrachter, der der Kunst- oder auch Filmgeschichte „mit den Augen des Diebes” begegnet, nimmt, was er brauchen kann – ohne im Prozess der Aneignung den Preis zu vergessen, den andere gezahlt haben.

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