Meine Filme, so liest man oft, seien „kalt”, „kühl”, „unterkühlt” oder gar „eisig”, und noch keinem Film ist diese Eigenschaft so oft angeheftet worden wie UNTER DIR DIE STADT. Die wenigsten Kritiken meinen nur das Setting („kalte Finanzwelt”, „kalte Glasarchitektur”), letzteres aber wird gerne als Zeuge aufgerufen, um die „Temperatur” des ganzen Filmes zu bestimmen. Andreas Kilb *) zum Beispiel glaubt, in meinem Film gäbe es „kein zufälliges Bild, keinen ungeplanten Satz”, und die absichtsvolle „kalte Distanz” sei der Grund, warum die Geschichte „erfriert”. Verächter wie Verehrer mit Reserve vergessen nie zu erwähnen, dass die Filme „kontrolliert” „komponiert” oder „gestylt” seien - wahrnehmbare Gestaltungsmittel empören zuverlässig - bevor sie zu ihrem Kälteurteil kommen. Und natürlich ist es nur ein kleiner Schritt von einem kalten Film zu einem kalten Regisseur.
Wir alle wissen wie das Kino eigentlich sein sollte: „warm”, unauffällig in seinen Mitteln – und identifikatorisch. In Cannes hat Variety geschrieben, ich trüge „den Formalismus stolz am Revers”. Ja, daher weht der Wind. Alles, was die Illusion stört - stört. Die Illusion, das Kino sei nicht das Kino, und die Vorstellung natürlich auch, man könnte an den Gefühlen eines anderen teilhaben. Ich würde behaupten wollen, ein Gutteil der Kritik an der „Kälte” sind Entzugserscheinungen nach den Mitteln der Identifikation, die als „natürlich” gelten. Da will man sich gut fühlen und wird hartherzig am Gefühlsbad gehindert ...
Oder steckt mehr dahinter? So vage der Begriff auch sein mag, jeder kann sich etwas vorstellen unter einem (unangenehm) „kalten Film”. Womöglich jeder etwas anderes, aber vielleicht lohnt es, einen Definitionsversuch zu wagen. „Kalt” könnte heissen: der Erzähler interessiert sich nicht für seine Figuren. Benutzt sie. Will etwas mit ihnen beweisen. Regiert ihre Welt ex machina, arrogant, gegen die Erfahrung. „Kalt” könnte man einen filmischen Kosmos nennen, in dem es keine Freiheit, keine Gefühlsregungen, keinen Überschuss gibt. Und vielleicht – auch das wurde mir oft zugeschrieben – könnte man auch ein Filmemachen „kalt” nennen, das sich sicher ist, keine Einmischung des Lebens kennt, in Absichten erstarrt.
Im Sinne dieser Stichworte kann ich mich nicht schuldig bekennen. Ich wundere mich über meine Figuren - und natürlich liebe ich sie. Ich habe keine andere Wahl. Sie kommen aus mir, gehen durch mich, setzen sich zusammen aus Erinnerungen, Beobachtungen und Mutmassungen über wirkliche Begegnungen. Das Unvorhersehbare, die unerkannt schlummernde Möglichkeit, interessiert mich dabei mehr als das psychologisch Bündige. Und was die Welten betrifft, die ich beschreibe, so mag es durchaus sein, dass man sie als eng und drückend, als unfrei und begrenzt erlebt – so geht es mir auch – aber den Funken der Freiheit, die Entscheidung gegen die Logik dieser Welt, gibt es immer, und sei es nur für einen Augenblick. Was das Filmemachen selbst angeht: ich bin sicher kein Apologet der Improvisation, aber Zufälle, Fundstücke, unvorhergesehene Konstellationen spielen in meiner Arbeit eine große Rolle.
Nein, weder arbeite, denke, fühle ich „kalt”, noch interessiere ich mich für eine „kalte Ästhetik”. Trotzdem aber geraten viele, mindestens im Versuch, die Filme zu beschreiben, ins Frösteln. Warum ist das so?
Die Frage klingt, möglicherweise, larmoyant, als wollte ich mich gegen „böswillige” Kritik verwehren. So ist es nicht gemeint. Ich kann mich über eine mangelnde kritische Würdigung nicht beschweren und es wäre sinnlos, Skeptikern ihre Eindrücke streitig zu machen. Über die Begriffe der Kritik aber muss man sich auseinandersetzen, und die darin verborgenen Ideologeme, zumal dann, wenn sie sich als „Natur” ausgeben.
Zunächst einmal: Die „Natur” des Films – ist seine Künstlichkeit. Die „warmen” Filme sind nicht weniger gemacht als die „kalten”. Interessanter ist die Frage, wie man so etwas herstellt, „Wärme” im Kino. „Wärme” (ein natürlich ebenso unbrauchbarer Begriff wie der der „Kälte”) bezieht sich hier nicht so sehr auf einen bestimmten „Inhalt” als auf die Wirkung eines Films. Es geht um die Wallungen des Zuschauers, der sich nach kathartischer Reinigung verzehrt. Warum auch nicht. Nehmen wir an, diese Wallungen seien unser Ziel. Wie kann man sie herstellen?
Einerseits, indem man eine Geschichte erzählt, die sich im Kern um Veränderung dreht. Das bedeutet A: Jemand will etwas, und hat Schwierigkeiten, es zu bekommen. B: Er lernt und bessert sich nach einer Serie von Prüfungen. C: Er bekommt das Gewünschte, aber auf unerwartete Weise. Wichtiger noch aber ist es, diese Fortschrittsdynamik in das Innenleben der Figuren zu tragen (Dickens:„Für die Lebenden ist es nie zu spät”). Der Erzähler muss die – im Storykosmos berechtigten, moralisch wertvollen – Gefühle so transparent wie möglich machen, und er muss es nach Möglichkeit unauffällig tun, um die Einfühlung zu erleichtern.
Das geht nicht ohne einen bestimmten Ausdrucksüberschuss in Schauspiel und Figurenzeichnung, inklusive der massgeschneiderten Sollbruchstelle, der „back story wound”. Als „gutes Schauspiel” gilt eine Art vibrierender Intensität, die das Passive (und Untote) der Kinosituation vergessen macht und die Konstruktion überstrahlt. Im Zentrum steht die unwillkürliche Suggestion von Nähe - im Dienst eines Zuschauers, der sich Illusionen machen möchte.
UNTER DIR DIE STADT versammelt zwar durchaus dramatische Ereignisse, die die Welt seiner Figuren verändert, der Film will darauf aber nicht hinaus. Wichtiger noch: die Figuren verändern sich kaum, und da wo sie einen neuen Weg einschlagen, entfalten sie eher das zuvor schon Vorhandene. Wir erleben sie als unfähig, zu bewussten „Autoren” ihrer eigenen Geschichte zu werden. Ja, sie bleiben sich und anderen auch dann noch ein Rätsel, wenn sie gute Gründe haben. Die Folge: wir können sie nie ganz „nachvollziehen” und weder die Zuschauer noch die Figuren können sich einer gelernten „Lektion” sicher sein. Einmal, weil der Verlauf der Handlung diesbezüglich ambivalent bleibt, aber auch, weil die Figuren „abweisend” erzählt sind. Ihre Motive, Gefühle, Gedanken werden nicht, wie üblich, vorgeführt. Man muss sie aus ihren Handlungen destillieren. Wie im Leben ist dieses Destillat oft instabil und unzuverlässig. Es gibt kein zeigefreudiges Ventilieren oder Explodieren, wie wir es im Kino gewohnt sind, und so geht unser Leseeifer gelegentlich ins „Leere” - und fällt auf den Film selbst zurück, auf seine Erzählmittel. Was übrigens nicht bedeutet, dass es keine psychologische Idee einer Figur gäbe. Aber neben dieser psychologischen Idee stehen andere Interessen, gleichberechtigt. Archaische. Dokumentarische. Politische. Rhythmische. usw.
Ich will nicht behaupten, es sei „besser”, Filme so zu machen, wie ich sie mache. Es geht mir auch nicht um die „Verweigerung” bestimmter Zutaten. Eher sind meine Filme das Ergebnis eines kreativen Prozesses, der weniger wirkungsopportunistisch funktioniert. Das macht sie in meinen Augen nicht „kalt”, aber womöglich fordernder. Wie immer man diese Beschaffenheit bewertet: Ein Rezept habe ich nicht zu bieten, höchstens Erfahrungen, Ideen und Fragen. Ich folge meiner Neugier, was „Holzwege” natürlich nicht ausschliesst, aber eben auch Entdeckungen möglich macht (auf Holzwegen zum Beispiel). Weggefährten sind willkommen...
Christoph Hochhäusler
*)
Zitiert aus der FAZ-Kritik „Träumen Fassaden von Liebesaffären?” vom 1.04.2011. 2006 hatte Kilb FALSCHER BEKENNER „ein System makellos blaustichiger Bilder” attestiert, „durch deren Arterien eine Mischung aus Desinfektions- und Beruhigungsmitteln zu fliessen scheint.” Allein dieser Satz rechtfertigt den Ehrentitel „Rilke der deutschen Filmkritik”...
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