29 Mai, 2011
Index
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Nachtrag:
Ich halte Zensur - die es ja nur angeblich nicht gibt - für unnötig und falsch. Die Liste der in der Bundesrepublik indexierten Werke ist wahrscheinlich mindestens so „wertvoll” wie die der prädikatisierten Filme. Hier ein älterer, aber leider nach wie vor aktueller Text von Hans Schmid zum Thema.
28 Mai, 2011
Tony Richardson: MADEMOISELLE
Die Auflösung springt zwischen den Extremen, vermittelt nicht. Die Lücke ist ihr Thema. Aber sparsam ist der Film an keiner Stelle. Eher scheinen die strengen Setzungen ein Versuch, die Fülle im Zaum zu halten. Das Bild ist barock, feiert die Sinnlichkeit der Welt, die Elemente. Tiere spielen eine große Rolle: ihre Unfähigkeit zur Pose soll beleben und authentifizieren. Die Gestaltung sucht Konter.
Tiefes lockendes Schwarz dominiert den Film. Immer wieder sehen wir Schattenrisse, starke hell-dunkel-Kontraste, chiaroscuro. Nur grau ist der Film nie. Richardson und sein Kameramann Watkin trumpfen auf mit den expressiven Möglichkeiten der Lichtgestaltung in schwarz-weiß. Sie filmen gegen die Farbe, gegen den Realismus.
In einer atemberaubenden Szene – das Begehren der titelgebenden Lehrerin findet auf mondbeschienenem Feld seine Bühne – taucht die Frau (Jeanne Moreau), in den Schatten des Mannes (Ettore Manni). Und der Schatten verschlingt sie. Magische Silberchemie.
Watkin, der als Pionier des indirekten Lichts gilt, zieht alle Register. Selten hat man Nacht und Feuer, Regen und Dämmerung, Mittagshitze und Waldschatten so sinnlich, so greifbar fotografiert gesehen. Nicht immer kann die Handlung diese visuelle Dichte tragen. Manchmal ist das Bild so beherrscht, so „sterbensschön”, dass der menschliche Abgrund, von dem erzählt wird, zur Nebensache wird.
„Die Welt wird bedroht von zwei Gefahren”, heißt es bei Paul Valéry: „Ordnung und Unordnung”. Vielleicht müsste man in diesem Sinne statt von der „Ökonomie der Mittel” besser von einer Ökologie sprechen. Jeder Film organisiert einen komplizierten Zusammenhang zwischen dem Lebendigen und seiner Rahmung. Rahmen heißt ordnen – und ausschließen. Wie fragil das Gleichgewicht ist zwischen Welt und Bild, Erfahrung und Erzählung, davon handelt „Mademoiselle” auf komplexe Weise.
C.H.
Mademoiselle (F + GB, 1966)
Regie: Tony Richardson
Kamera: David Watkin
Mit Jeanne Moreau, Ettore Manni
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Der Text, der in der August-Ausgabe von EPD Film erscheinen wird, ist Teil des Schwerpunkts „Zelluloid”.
11 Mai, 2011
Goldene Regel (12)
„How are you partner?”
„It's stuffy in here --- I need some air.”
„Oh, stuffy, eh? I give you a little air.”
„WIR BLEIBEN KINDER - ABER VERGESSEN, DASS WIR SPIELEN."
*)
James Cagney als Cody Jarrett in Raoul Walshs großem Gangsterfilm WHITE HEAT (USA, 1949).
Echtfalsch
Gestern auf der Straße: ein Mann beugt sich über die Abzäunung eines italienischen Restaurants und macht einen Scherz mit dem Kellner, auf italienisch. Doch der versteht (obwohl er „Grazie” sagt, wenn er Trinkgeld bekommt) nur Bahnhof. Der Passant - ein Italiener, der zufällig den gleichen Namen trägt wie das Lokal - ärgert sich. Alles Schwindel, sagt er zu mir. Der Name, die Leute - „Ich wette, kochen können sie auch nicht.” Ich musste natürlich sofort ans Kino denken, an die angemasste Ethnizität so vieler Filme. An die Einsprengsel englischer Floskeln im deutsch der Schauspieler im Pilcher-England. Und an Lars von Triers Antwort auf die amerikanische Kritik an DOGVILLE, er wüsste nichts vom wirklichen Amerika: der Film sei „sein Casablanca” - und wie wirklich ein Land sein könne, das seine Berge „Rocky Mountains” nenne? Die alte Frage: Wie treu muss Fiktion sein? Wie echt das Falsche? Was beweist es, dass Karl May die USA nie bereist hat? Folklore, habe ich irgendwo gelesen, wird immer von Fremden gemacht. Und die Betonung des „Authentischen” macht sich selbst verdächtig, denn das „Echte” weiss nichts von sich. Ich werde das nächste Mal Pasta bestellen - vielleicht ist der (albanische?) Koch ein Genie...
Anekdote
Ein deutscher Regisseur lässt es sich auch nach dem großen Erfolg nicht nehmen, wie früher mit den Kumpels Fussball zu spielen. Aber obwohl sich „nichts” geändert hat - schon gar nicht an seinen Fähigkeiten am Ball -, bekommt er jetzt viel mehr Pässe. Das ist es wohl, das Prinzip Prominenz: ein Zuwachs an Aufmerksamkeit, den Realitäten zum Trotz.
Ciné-poème
Ciné-poème 34
L’Imposteur
de Christoph Hochhäusler
« La plus profonde association entre l’homme et ses semblables est la dissociation . » Ainsi va, selon Musil, au cours du XXème siècle, l’homme sans qualités.
Enfin, il va moins qu’il ne s’arrête. Raison qui lui fit aimer la Révolution, ce gel sans lendemain de l’Histoire. Et le cinéma. Lorsque le fréquentait encore un spectateur-cinéphile, qui ne regardait pas plus le film que le film ne le regardait. Les images animées et les yeux immobiles, d’être unis par le seul dépaysement, ne donnaient pas les uns sur les autres, n’avaient pas de contrechamp. Ils étaient d’une espèce singulière d’autruche qui met la tête dans le sable d’en avoir assez vu.
A présent, l’homme a les traits d’un adolescent alexithymique, qui n’a pas de mots pour exprimer ses sentiments ni sa souffrance. Il va, toujours autant dissocié mais confus, ne formulant aucune demande à l’offre générale qu’il n’y a que les morts à pouvoir supporter. Obscurément, autrement dit d’une façon maladroite qui le brisera (mais d’autres viendront) il réapprend à tirer dans les jambes de ses maîtres.
Jacques Sicard
04 Mai, 2011
KALT
Wir alle wissen wie das Kino eigentlich sein sollte: „warm”, unauffällig in seinen Mitteln – und identifikatorisch. In Cannes hat Variety geschrieben, ich trüge „den Formalismus stolz am Revers”. Ja, daher weht der Wind. Alles, was die Illusion stört - stört. Die Illusion, das Kino sei nicht das Kino, und die Vorstellung natürlich auch, man könnte an den Gefühlen eines anderen teilhaben. Ich würde behaupten wollen, ein Gutteil der Kritik an der „Kälte” sind Entzugserscheinungen nach den Mitteln der Identifikation, die als „natürlich” gelten. Da will man sich gut fühlen und wird hartherzig am Gefühlsbad gehindert ...
Oder steckt mehr dahinter? So vage der Begriff auch sein mag, jeder kann sich etwas vorstellen unter einem (unangenehm) „kalten Film”. Womöglich jeder etwas anderes, aber vielleicht lohnt es, einen Definitionsversuch zu wagen. „Kalt” könnte heissen: der Erzähler interessiert sich nicht für seine Figuren. Benutzt sie. Will etwas mit ihnen beweisen. Regiert ihre Welt ex machina, arrogant, gegen die Erfahrung. „Kalt” könnte man einen filmischen Kosmos nennen, in dem es keine Freiheit, keine Gefühlsregungen, keinen Überschuss gibt. Und vielleicht – auch das wurde mir oft zugeschrieben – könnte man auch ein Filmemachen „kalt” nennen, das sich sicher ist, keine Einmischung des Lebens kennt, in Absichten erstarrt.
Im Sinne dieser Stichworte kann ich mich nicht schuldig bekennen. Ich wundere mich über meine Figuren - und natürlich liebe ich sie. Ich habe keine andere Wahl. Sie kommen aus mir, gehen durch mich, setzen sich zusammen aus Erinnerungen, Beobachtungen und Mutmassungen über wirkliche Begegnungen. Das Unvorhersehbare, die unerkannt schlummernde Möglichkeit, interessiert mich dabei mehr als das psychologisch Bündige. Und was die Welten betrifft, die ich beschreibe, so mag es durchaus sein, dass man sie als eng und drückend, als unfrei und begrenzt erlebt – so geht es mir auch – aber den Funken der Freiheit, die Entscheidung gegen die Logik dieser Welt, gibt es immer, und sei es nur für einen Augenblick. Was das Filmemachen selbst angeht: ich bin sicher kein Apologet der Improvisation, aber Zufälle, Fundstücke, unvorhergesehene Konstellationen spielen in meiner Arbeit eine große Rolle.
Nein, weder arbeite, denke, fühle ich „kalt”, noch interessiere ich mich für eine „kalte Ästhetik”. Trotzdem aber geraten viele, mindestens im Versuch, die Filme zu beschreiben, ins Frösteln. Warum ist das so?
Die Frage klingt, möglicherweise, larmoyant, als wollte ich mich gegen „böswillige” Kritik verwehren. So ist es nicht gemeint. Ich kann mich über eine mangelnde kritische Würdigung nicht beschweren und es wäre sinnlos, Skeptikern ihre Eindrücke streitig zu machen. Über die Begriffe der Kritik aber muss man sich auseinandersetzen, und die darin verborgenen Ideologeme, zumal dann, wenn sie sich als „Natur” ausgeben.
Zunächst einmal: Die „Natur” des Films – ist seine Künstlichkeit. Die „warmen” Filme sind nicht weniger gemacht als die „kalten”. Interessanter ist die Frage, wie man so etwas herstellt, „Wärme” im Kino. „Wärme” (ein natürlich ebenso unbrauchbarer Begriff wie der der „Kälte”) bezieht sich hier nicht so sehr auf einen bestimmten „Inhalt” als auf die Wirkung eines Films. Es geht um die Wallungen des Zuschauers, der sich nach kathartischer Reinigung verzehrt. Warum auch nicht. Nehmen wir an, diese Wallungen seien unser Ziel. Wie kann man sie herstellen?
Einerseits, indem man eine Geschichte erzählt, die sich im Kern um Veränderung dreht. Das bedeutet A: Jemand will etwas, und hat Schwierigkeiten, es zu bekommen. B: Er lernt und bessert sich nach einer Serie von Prüfungen. C: Er bekommt das Gewünschte, aber auf unerwartete Weise. Wichtiger noch aber ist es, diese Fortschrittsdynamik in das Innenleben der Figuren zu tragen (Dickens:„Für die Lebenden ist es nie zu spät”). Der Erzähler muss die – im Storykosmos berechtigten, moralisch wertvollen – Gefühle so transparent wie möglich machen, und er muss es nach Möglichkeit unauffällig tun, um die Einfühlung zu erleichtern.
Das geht nicht ohne einen bestimmten Ausdrucksüberschuss in Schauspiel und Figurenzeichnung, inklusive der massgeschneiderten Sollbruchstelle, der „back story wound”. Als „gutes Schauspiel” gilt eine Art vibrierender Intensität, die das Passive (und Untote) der Kinosituation vergessen macht und die Konstruktion überstrahlt. Im Zentrum steht die unwillkürliche Suggestion von Nähe - im Dienst eines Zuschauers, der sich Illusionen machen möchte.
UNTER DIR DIE STADT versammelt zwar durchaus dramatische Ereignisse, die die Welt seiner Figuren verändert, der Film will darauf aber nicht hinaus. Wichtiger noch: die Figuren verändern sich kaum, und da wo sie einen neuen Weg einschlagen, entfalten sie eher das zuvor schon Vorhandene. Wir erleben sie als unfähig, zu bewussten „Autoren” ihrer eigenen Geschichte zu werden. Ja, sie bleiben sich und anderen auch dann noch ein Rätsel, wenn sie gute Gründe haben. Die Folge: wir können sie nie ganz „nachvollziehen” und weder die Zuschauer noch die Figuren können sich einer gelernten „Lektion” sicher sein. Einmal, weil der Verlauf der Handlung diesbezüglich ambivalent bleibt, aber auch, weil die Figuren „abweisend” erzählt sind. Ihre Motive, Gefühle, Gedanken werden nicht, wie üblich, vorgeführt. Man muss sie aus ihren Handlungen destillieren. Wie im Leben ist dieses Destillat oft instabil und unzuverlässig. Es gibt kein zeigefreudiges Ventilieren oder Explodieren, wie wir es im Kino gewohnt sind, und so geht unser Leseeifer gelegentlich ins „Leere” - und fällt auf den Film selbst zurück, auf seine Erzählmittel. Was übrigens nicht bedeutet, dass es keine psychologische Idee einer Figur gäbe. Aber neben dieser psychologischen Idee stehen andere Interessen, gleichberechtigt. Archaische. Dokumentarische. Politische. Rhythmische. usw.
Ich will nicht behaupten, es sei „besser”, Filme so zu machen, wie ich sie mache. Es geht mir auch nicht um die „Verweigerung” bestimmter Zutaten. Eher sind meine Filme das Ergebnis eines kreativen Prozesses, der weniger wirkungsopportunistisch funktioniert. Das macht sie in meinen Augen nicht „kalt”, aber womöglich fordernder. Wie immer man diese Beschaffenheit bewertet: Ein Rezept habe ich nicht zu bieten, höchstens Erfahrungen, Ideen und Fragen. Ich folge meiner Neugier, was „Holzwege” natürlich nicht ausschliesst, aber eben auch Entdeckungen möglich macht (auf Holzwegen zum Beispiel). Weggefährten sind willkommen...
Christoph Hochhäusler
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Zitiert aus der FAZ-Kritik „Träumen Fassaden von Liebesaffären?” vom 1.04.2011. 2006 hatte Kilb FALSCHER BEKENNER „ein System makellos blaustichiger Bilder” attestiert, „durch deren Arterien eine Mischung aus Desinfektions- und Beruhigungsmitteln zu fliessen scheint.” Allein dieser Satz rechtfertigt den Ehrentitel „Rilke der deutschen Filmkritik”...