31 August, 2006

SYNDROMES



Ein zweites Bild aus Weerasethakuls neuem Film, der wieder eine symmetrische Struktur zu haben scheint: „Zwei Krankenhäuser, eines in der Stadt, eines auf dem Land”.

27 August, 2006

Future Entertainment

MIAMI VICE ist wie eine Nährlösung, in der filmische Substanzen isoliert aufeinander reagieren, um nach kurzer Blüte wieder zu zerfallen. Mitunter entsteht so eine große Hitze, eine neue Ästhetik des Spektakels, die sehr wenig mit Plot oder Charakterisierung und sehr viel mit Suggestion zu tun hat.

Schade, dass Colin Farell dieses Nichts an Rolle mit Arbeit auffüllen will, etwas zu sein versucht, schau-spielt, wo es doch nur um Charisma geht. Farell kämpft gegen das Verschwinden im Bild und unterliegt - der Film gerät so oft auf lächerliches Terrain. Jamie Foxx ist da zuverlässiger, hat nichts dagegen, seinen Körper hinzuhalten, und auch wenn er ein bisschen brav bleibt, wird er nach und nach doch zum gleichberechtigten Objekt neben den Autos, Waffen und Flugzeugen.

Gong Li, die grossartig ist - ein Gesicht wie eine Landschaft, undeutbar, und dabei in ihrer Wirkung überwältigend, also ideal für die Bedürfnisse dieses Films - lädt das Drehbuch zum Salsa-Tanz mit Farell ein. Ihre Körper werden in der Montage ausgetauscht, um dem Tanz mehr Könnerschaft zu geben. Ein Tiefpunkt des Films. Gemachte Gefühle. Die Behauptung einer Romanze aus dem Geiste des Schmachtromans. Tanz darf man nicht schneiden, weil sein Wesen im Zusammenhang liegt - und einen Tanz, der die Verführung selbst sein soll (der entscheidende Moment, in dem der Schild sinkt, um den Pfeil zu empfangen) schon gar nicht.

Momentweise kommt der Film gross in Fahrt; unvergleichlich, wie Michael Mann im Vibrato der Andeutung, mit Reissschwenks, dokumentarischen Details, Farbpunkten und einem ganz schemenhaften Personal, einen Ort skizziert: Ciudad del Este, eine Stadt, wie es sie nur im Kino geben kann, zugleich ganz gerichtet (Kosmos der Angst) und ganz frei (völlige Erwartungslosigkeit). Nebel der Wahrnehmung. Nie zuvor war HD Video so sinnfällig, vielleicht sogar: conditio sine qua non. Und schon lange nicht mehr habe ich so unheimliche Pole des Bösen gesehen im Kino. Nicht dass man sie kennen lernte, man fürchtet sie nur. Das genügt.

Dazwischen Fahren, Fliegen, Gehen, Blicke ins Weite, ein zielloses Schweben, gelegentlich durchkreuzt von dürftiger Plotmechanik. Ich musste an Buster Keaton denken in SEVEN CHANCES: Wie er in ein Auto steigt um - Schnitt - wieder auszusteigen, und so das Verhältnis des klassischen Kinos zum Raum ironisch auf den Punkt bringt: er wird überbrückt, damit die Erzählung weitergehen kann. MIAMI VICE ist das Gegenteil: der ganze Film ist eine einzige Bewegung, Körper, Maschinen, Wolken, ohne wirkliches Ziel, und es ist die Erzählung, die, wann immer es geht, überbrückt wird.

Man fragt sich unwillkürlich, ob die Handlung so dürftig sein muss, damit sich diese lyrische Leere, diese Suggestions-Grammatik entfalten kann, oder ob der Film trotz seines schwachen Drehbuchs, trotz der dünnen Dialoge, trotz der Abwesenheit von Charakterisierung „funktioniert”. So oder so, kein „guter Film”, aber ein grosser Schritt in Richtung „Fühlkino”, wie von Huxley beschrieben: eine Sensation, die im Sinnenrausch selbst liegt, das cineastische Bärenfell.

MIAMI VICE




Unbestimmte Figuren, die sich situativ aufladen können: Crockett und Tubbs in MIAMI VICE.

25 August, 2006

Doppelgänger?

Es versteht sich von selbst, dass fast alle unsere Gedanken unbekannte Nachbarn haben, Vorfahren und entfernte Verwandte. Und natürlich verliert das selbst Gedachte nicht seinen Sinn, wenn man dann, zufällig oder nicht, Bekanntschaft mit einem Gedanken-Doppelgänger gemacht hat. Aber manchmal hat die späte Begegnung tragische Züge. Was, wenn man sich früher getroffen hätte? Ich habe gestern im Zug nach Berlin BESTANDSAUFNAHME: UTOPIE FILM gelesen, eine Art Resumee des deutschen Autorenfilms, herausgegeben von Alexander Kluge, 1983. Und darin findet sich so vieles von dem wieder, was wir bei Revolver oft tastend und ungelenk gesucht haben, dass ich die späte Entdeckung des Buches unwillkürlich bedauert habe. Das hätte Gründungslektüre sein müssen! Andererseits hätten wir es damals vielleicht nicht so schätzen können. So oder so, ich kann es sehr empfehlen, auch weil das Buch ebenso grundsätzlich wie anekdotisch ist und dabei aus Prinzip ergebnisoffen bleibt.

24 August, 2006

Die Wärme des Nebenmannes

Die Zeitung des Nachbarn ist umso interessanter, je konzentrierter er in sie vertieft scheint – sein Interesse lädt das Papier ganz unverhältnismässig zum Warenwert mit Bedeutung auf. Im Kino gibt es verwandte Effekte, Nebenvalenzen nennt sie Alexander Kluge, die im Fernsehen ausbleiben...

17 August, 2006

P.

Wir trafen uns in Paris, im dunklen Hinterraum eines chinesischen Lokals, in dem nur Chinesen assen, ein gutes Zeichen, dachte ich. P. liess eine Fülle undefinierbarer Speisen auftragen, die zumeist in kleinen runden Behältnissen kamen und ihrerseits oft sehr verwickelt waren, nicht näher zu bestimmende mundgerechte Stücke, ummantelt von Blättern, Teig oder gebackener Haut. P. interessierte sich immer für das Neue, und ass von jeder Speise, während ich schnell bei meinen Favoriten blieb. Wir sprachen also über den Film und unter welchen Umständen er sich vorstellen könnte, mit mir zusammen zu arbeiten. Ich sagte ihm, dass ich seine Fotografien liebte, weil er Licht und Farbe als Charaktere behandle, ganz unabhängig vom Sujet. Seinen Blick nannte ich filmisch, ohne genaue Vorstellung, was das heissen könnte für die Fotografie. Er meinte, er habe die Bilder nur machen können, weil er, im entscheidenden Augenblick, nicht durch den Sucher geschaut habe. Das Bild zu beherrschen hiesse es zu zerstören. Die Verständigung war schwierig, aber herzlich. Mein Französisch ist nicht der Rede wert, sein Englisch ist eine Katastrophe und seine hübsche Begleiterin, die sowohl russisch, als auch deutsch konnte, verstand oft nicht, was er meinte. Nach einigem Hin und Her war klar geworden, dass er sich, trotz mancher Vorbehalte das Skript betreffend (eine Freundin hatte ihm die Szenen telefonisch beschrieben), eine Zusammenarbeit vorstellen könnte, unter der Bedingung, dass er keine einzige Einstellung würde wiederholen müssen. Ein einziger Take sollte genügen. Ich bat mir Bedenkzeit aus, verliess das Lokal jedoch abenteuerlustig.

Das Projekt wurde aus Finanzierungsgründen verschoben und der Zeitraum, in dem er sich hätte frei machen können, war nicht mehr in Deckung zu bringen mit dem neuen Drehtermin.

15 August, 2006

SUNRISE



Gestern: Ein Wiedersehen mit SUNRISE von F.W. Murnau. Betörend in seiner Sinnlichkeit. Wenn „Der Mann” durch Nebel und Gesträuch ans Ufer geht, macht man keinen Unterschied mehr zwischen „Figur” und „Hintergrund”, die Teilhabe an „der Natur” scheint selbstverständlich. Der Film ist ansteckend in seiner impressionistischen Emphase. Die „Verflüssigung” filmischer Mittel ist greifbar nah. Wer verfolgt diesen Weg heute?

Diskursives Kino

Ein diskursives Kino kann in seinen Formen und Inhalten nicht festgeschrieben werden - es ist das Ergebnis einer lebendigen Kommunikation. Es geht also zuallererst um Offenheit, aber nicht im Sinne eines esoterischen Kunstbegriffs, der um das Rätsel kreist, sondern im Sinne eines spezifischen und persönlichen Ausdrucks, der sich prozesshaft entwickeln kann.

Während die Praxis des Filmemachens heute bestimmt wird von der Hoffnung auf berechenbare Wirkungen, muss sich ein diskursives Kino der grundsätzlichen Unberechenbarkeit des Mediums hingeben. Die produktions-strukturelle Flexibilisierung ist dabei noch der kleinste Teil der notwendigen Umwälzung.

Währung

Eine Geschichte spielt im sozialen Raum etwa die gleiche Rolle wie eine Währung im Kreislauf der Wirtschaft. Hier wie dort geht es um eine „Ersatzwelt”, ein Abstraktionswerkzeug, mit dem man hofft, die Welt verhandelbar zu machen. Je mehr eine Geschichte / Währung in Umlauf gebracht wird, umso mehr Einfluss gewinnt sie; Einfluss, der sich in beiden Fällen auf das Vertrauen der Benutzer gründet, die Geschichte / Währung sei im Verhältnis zur Welt der Tatsachen „gültig”. Eine Geschichte / Währung hat also – vom Materialwert des Mediums einmal abgesehen – keinen tatsächlichen, sondern nur einen angewandten Wert, der sich ausschließlich sozial (zwischen zwei oder mehr Parteien) realisieren lässt. Das Geschichtenerzählen entwickelt jedoch – wie auch der Umgang mit Geld – eine starke Eigendynamik, die weit über ein festes Tauschverhältnis hinausgeht. Diese Nebeneffekte, möglicherweise Ausdruck ein und desselben Sinndefizits, nähren das Machtgefälle zwischen Erzähler / Anbieter und Zuhörer / Nachfrager bis zu einem bestimmten Krisen- oder Wendepunkt, an dem das Spiel von Neuem beginnt. Einfacher gesagt: Wenn der Markt bei Glaubwürdigkeitsproblemen einbricht, oder Erzählungen sich als nicht vertrauenswürdig erweisen und „floppen”, wird dieses Machtgefälle herausgefordert und zugunsten der Zuhörer / Nachfrager verschoben bzw. ins Gleichgewicht gebracht.

(Aus meinem Notizbuch 2002)


Kann man ein Bild verrechnen?

14 August, 2006

Formschlüssig



Der Traum von Übersichtlichkeit ... Der fertige Film als Summe formschlüssiger Teile.

Schneideraum

Die quälende Bestandsaufnahme im Schneideraum entfernt mich wünschend von den postulierten Idealen. Sicher, eine schwebende Frage, ein echtes Riskio teilt sich mit, aber eben nur, wenn es im Akt des Sehens oder Bezeugens selbst liegt. Am Ende will man nur einen möglichst unterhaltsamen Film gemacht haben. Damit die Szene besser „läuft”, opfert man mit Freuden „heilige” Einfälle.

Der Schnitt ist eine Phase radikaler Kritik. Auch die Dreharbeiten kritisieren das Drehbuch, aber man hat doch eher das Gefühl der Defensive; es geht nicht alles, was man sich erträumt hat, und das empfindet man als Niederlage. Ganz anders im Schnitt. Hier hat der Betrachter ein robustes Selbstbewusstsein. Was „nicht funktioniert”, muss weg. So könnte man aus der Erfahrung des Schneidens einen kategorischen Imperativ entwickeln, der dem Billy Wilders ähnelt: Du sollst nicht langweilen. Oder biblisch: „Einen Baum, der keine Frucht trägt, schlage man ab...”

Aber es bleibt schwierig. Das „Funktionieren” sträubt sich gegen jede Vorhersage. Das Konventionelle bietet keinen Schutz. Das, was im Kino unterhält, sind oft archaische Reizmuster. Faszinierend, wie sich eine Szene durch drei Augenaufschläge vollständig verändert; wo sie zuvor nur auslief, federt sie jetzt, und der Blick springt leicht.

Kann man das wissen, während man inszeniert? In Echtzeit? Manchmal weiß man es. Wer die Körpersprache beherrscht, wird auch ein Publikum fesseln können. Der Gedanke liegt nahe, diese Essenzen zu isolieren, aber als bloße Tricks funktionieren sie eben nicht – glücklicherweise.

Eine „Erzählung” verlässt sich auf andere Dinge und die Versuche, “reines” Kino zu machen, gehen immer wieder ins Leere, buchstäblich. Die Verführung trägt eben schnell auf, wird banal und formlos, überreizt und pornografisch. „2046“ ist das beste Beispiel. Wir müssen also doch Ideen finden, die uns auf ihrem breiten Rücken tragen.

Womit hängt es zusammen, dass so viele Werke der hohen Kinematographie mit Angst verknüpft sind? Weil das Auge ein Kontroll- und Angstorgan ist? Dabei liegt der Horror im Ton, das Knacken der Knochen, der schwere Atem. Vielleicht ist der Grund ganz banal, biografisch. Die Künstler, die sich vom Machtapparat des Kinos angezogen fühlen, weisen psychotische Verwandtschaften auf.

Im Zug. Mein Nachbar liest in einem Buch, lernt. „Handbuch der Beschwerden”. Er arbeitet für eine Mobilfunkgesellschaft. „Geht es darum, dass sich möglichst wenig Leute beschweren?” Das Buch verneint: „Es geht darum, möglichst viele Kunden zufrieden zu stellen und möglichst viele der Unzufriedenen zu einer Beschwerde zu veranlassen.” Das spare nebenbei auch Entwicklungskosten und führe durch Fehlerkorrektur zu noch mehr Zufriedenen. Hallo Publikum.

Die Testvorführungen sind nichts sagend. Kann man überhaupt begreifen, was an einem Film langweilt? Nur dass man sich langweilt, lässt sich zweifelsfrei mitteilen. Aber die Gedanken sind frei. Überzeugungen kreuzen die Wahrnehmung, Wissen lenkt die Meinung, Urteile manipulieren die Erinnerung. Alles ist Kontext. Und die Gesetze des Redens produzieren Nebeninhalte. Was sich gut sagt, muss nicht das Wesentliche sein. Am Ende ist man mit seinem Urteil doch allein. Alles sein-wollen entlarvt sich. Der Film ist ein Spiegel. Hier stehe ich, und kann nicht anders.

(Geschrieben im Februar 2005, während der Postproduktion von FALSCHER BEKENNER)

X

X ist ohne Zärtlichkeit für sein Sujet, er ist sich sicher, was immer der schlechteste Ausgangspunkt ist, etwas zu verstehen. Sein Urteil ist ein schwebendes Schwert, auf dessen Tödlichkeit und Schärfe er sich (wie ein Henker) viel einbildet. Aber was soll ein Urteil, das schärfer sein will als die Wirklichkeit? Es produziert die gefährliche Fiktion einer Teilbarkeit der Welt --- die große Lüge vom leuchtendem Pfad wird auch in der Negation gesungen.

Täuschung

Wenn man die Täuschung auffüllt mit Handlung, beginnt sie mit dem, was vorher wahr war, zu konkurrieren.

Wir neigen dazu, unsere Wirkung für unser Wesen zu halten - insofern äussert sich Charakter in Handlung wie umgekehrt Handlung Charaktere induziert. Spielanweisungen.

„Nichts schweisst so zusammen wie eine Schweinerei”, weil der, den ich zwinge, an einer „obszönen” Handlung teilzunehmen (der Gang ins Bordell) ein Anderer werden muss.

Man wird versuchen müssen, ein seinen Taten gemässes Gefühlskostüm zu erwerben.

Frage

Ist Geschmack überflüssiges Erbe, darin enthalten ein biografisches Menü meiner Klasse, oder kondensierter, unauflösbarer Ausdruck meiner Weltsicht?

Werwolf

Warum mag ich die anderen Kinogeher nicht, nach dem Film, obwohl sie mir während der Vorführung so nahe schienen? Vielleicht weil das feuchte Auge, genässt von der zartesten Wahrnehmung, im Spiegel der Anderen zur allgemeinen Peinlichkeit wird. Die Rückkehr ins Licht ist eine Rückverwandlung, schmerzhaft, intim, wie der Übergang vom Werwolf zum Mensch... Niemand soll mich so sehen. Erst das Danach, das „Wolf-Gewesen-Sein” lässt sich im sozialen Verkehr gebrauchen.

13 August, 2006

THE DEPARTED




Jack Nicholson als Frank Costello.

Vorfreude

Ein großer Teil meines Kinolebens hat immer aus Vorfreude bestanden. Warten auf das Christkind. Das ist natürlich eine heikle Sache, weil die Hysterie der Wahrnehmung oft im Wege steht. Die besten Kinoerlebnisse hatte ich eigentlich immer dann, wenn ich nichtsahnend, ohne Erwartung, einen Film sah. Aber dieser Zustand der Unschuld ist selten geworden, natürlich auch, weil es mir zunehmend schwerer fällt, den Ankündigungen neuer Filme zu entkommen, zumal ich ein völlig schizophrenes Verhalten an den Tag lege: Einerseits forsche ich nach den Filmen der Favoriten, andererseits versuche ich die Informationen so flüchtig zu lesen, dass ich sie bis zum Sehen des Films wieder vergessen habe. Die Hoffnung auf einen Film, der mich überwältigt, durch den harten Panzer des Kinowissens hindurch, hat mitunter etwas Messianisches, und die Enttäuschungen haben sich im Nachhinein oft als gute Filme entpuppt. So oder so, die Intensität der Anfangszeit meiner Filmbegeisterung ist womöglich unerreichbar geworden. Nur in der eigenen Arbeit, im Fantasieren möglicher Filme, hat sich die Hitze erhalten, wenn sie nicht sogar an Intensität zugenommen hat.

Martin Scorsese, dessen letzte Filme mich wenig überzeugt haben, gehört noch immer zu den Regisseuren, auf die ich hoffe. Film um Film das gleiche Spiel. Vorfreude, Erwartung, Enttäuschung. GOODFELLAS ist für mich einer der besten amerikanischen Filme der letzten 20 Jahre und vielleicht auch Scorseses gelungenster Film, weil er überzeugend realistisches Detail, dialektische Struktur und musikalische Überhöhung verbindet, zu gleichen Teilen Traum und Analyse verpflichtet.

Scorseses neuer Film, THE DEPARTED (ein loses Remake von INFERNAL AFFAIRS, mit ultimativer Starbesetzung: Leonardo Di Caprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg, Alec Baldwin, Ray Winstone usw.) kommt diesen Herbst ins Kino. Der Trailer ist seit ein paar Tagen online und ist sicherlich beides: enttäuschend und verheissungsvoll.

http://www.apple.com/trailers/wb/thedeparted/trailer1a/

12 August, 2006

Geheimnis

Das Geheimnis der Langeweile ist es, alles zu sagen. (Voltaire)

Gemeinplatz

Die realistisch erzählte, hässliche deutsche Provinz ist zu einem Gemeinplatz des Nachwuchsfilms geworden. Die Genauigkeit im Umgang mit deutscher Lebenswelt gehört ja zu unseren ältesten Forderungen bei Revolver, trotzdem kann ich mich darüber natürlich nicht freuen. Zum Einen, weil man sich schmerzhaft der eigenen Abhängigkeit vom Zeitgeist bewusst wird, zum Anderen, weil nur der oberflächlichste, wörtlichste Teil dieses Anspruchs reüssiert hat. Begabte Kopisten vollziehen nach, was in der Fotografie - und in der Werbung - schon lange erprobt ist: Die Einverleibung des 'Hässlichen' in den Mainstream. Ich sehe die redlichen Versuche und sehne mich nach den „klassischen” Kinoträumen von Schönheit und Ferne. Letztlich muss es jenseits jeder formalen Eingrenzung immer um „Kinowahrheit” gehen, deren realistischer Kern im Bezug zum lebendigen Leben besteht. In diesem Sinne ist das Marionettentheater besonders realistisch: es setzt den aktiven Zuschauer voraus.

Das Kino entlang dieser Linie erneuern: lebendig in der Anschauung, dialektisch in seiner Wirkung.

Möglich

Zweifellos ist der Film ein Vehikel, was-wäre-wenn-Fragen zu verfolgen. Training für den Möglichkeitssinn. Das deutsche Kino ist unsportlich in diesem Sinne. Unsere Filme verlassen kaum je den Gegenwarts-Mittelklasse-Ring, gehen selten über den Radius einer Beziehung / Familie hinaus, und wenn es doch einmal geschieht, hat man es fast immer mit Papierfiguren zu tun.

Informer

Das Unangenehme am Fliegen hat viel mit schlechter Architektur zu tun. Schlechte Architektur ist eine Architektur, die schlecht „informiert”. Das gilt natürlich auch für die Abläufe, die Unbehagen auslösen, so lange sie nicht angekündigt sind. Die Parallelen zum Film sind zahlreich. Wir wollen im Raum der Erwartung überrascht werden. Das Vergnügen an einer Erzählung hat also viel mit Antizipation zu tun, die geweckt und befriedigt werden will. Wenn man so will, ist die Flugreise ein Genre-Film. Man legt sich als Zuschauer ganz anders in die Kurve, ist von Vorne herein eingeweihter Mitspieler, weil es eng gesteckte Erfahrungen und Erwartungen gibt. Mit Lust-Angst erwartet man dann die Abweichung, die geeignet ist, die voran gegangenen Erfahrungen zu überschreiben. Nichts ist langweiliger als der planmässige Vollzug, nichts schrecklicher als der Absturz.

Zusammen

Militär, Kirche, Kino - der unaufhörliche Traum von Gemeinschaft. Das rituelle, hierarchisch organisierte Zusammensein - auf dass niemand herausfällt. Das Zusammen-Tätig-Sein reduziert sich im Kino natürlich auf einen traurigen Rest, aber immerhin.

John Fords lebenslange Faszination für Militär, Tradition und Erinnerung als Systeme der Bezogenheit kann ich gut nachvollziehen, trotzdem mir die militärische Kultur völlig fremd ist. Dass Ford sein Glück in der konzertierten Arbeit des Filmemachens gefunden hat (und nur da) leuchtet gerade auch vor dem Hintergrund seines sentimentalen Fatalismus' ein. Die Arbeit als eine Form „gefasster Zärtlichkeit”...

SYNDROMES AND A CENTURY

Hier die Gegenprobe. Der neue Film von Apichatpong Weerasethkul, SYNDROMES AND A CENTURY, wie auch INLAND im Wettbewerb der Filmfestspiele Venedig. Zu diesem Bild habe ich deutlich mehr Vertrauen. Nach TROPICAL MALADY ist es allerdings auch naheliegend, viel zu erwarten.

Schnittmenge

Immer wieder beschleicht mich beim Schreiben das Gefühl, unter meinen Möglichkeiten als Regisseur zu bleiben. Aber auch den umgekehrten Fall habe ich erlebt: Dass ich bestimmte Dinge schreiben, aber inszenatorisch nicht auf der gleichen Höhe umsetzen kann. Die Frage ist, ob die Konsequenz sein sollte, brav in der Schnittmenge zu bleiben?

Nazis immer besser

Dietrich Kuhlbrodt hat ein Buch über das „Deutsche Filmwunder” veröffentlicht: „Nazis immer besser.” Meine Rezension steht heute in der Berliner Zeitung. Online unter:

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/feuilleton/576776.html

INLAND EMPIRE

Das erste Bild des neuen Films von David Lynch: INLAND EMPIRE. Ich gehöre ja zu den Leuten, die gerne behaupten, ein einziges Bild würde genügen, um zu wissen, ob ein Film etwas taugt. Tja. In diesem Fall bin ich vorsichtig neugierig, mehr nicht. Nachdem ich Mr. Lynch kürzlich in seiner Rolle als Sekten-Propagandist erleben durfte (was klare Zweifel an seiner geistigen Gesundheit geweckt hat), bin ich skeptischer denn je. Noch gibt es Hoffnung...

Samen

Ich habe eben vor dem Supermarkt einen Mann beobachtet, der in ein (städtisches) Blumenbeet stieg, um die Samen einer langstieligen Zierblume an sich zu nehmen. Er legte sie mit Sorgfalt in ein mitgebrachtes Briefkuvert; offenbar wusste er, was er tat. Der Vergleich mag blumig sein, aber ich musste ans Kino denken; die vielen Ideen, die wir mitnehmen, ein Satz hier, eine Geste dort --- im besten Falle blühen die Fundstücke in einem neuen Kontext auf. In Akira Kurosawas YOJIMBO läuft ein Hund aus dem Haus, der sich eine (menschliche) Hand geschnappt hat. In David Lynchs WILD AT HEART gibt es die gleiche Szene, aber das ist in meinen Augen weder Zitat noch Plagiat, geschweige denn eine 'Hommage'. Nennen wir es besser: Verkehr der Ideen. Apichatpong Weerasethakul spricht in einem Interview von seiner Praxis, die selben Figuren (gespielt von den selben Personen) quer durch seine Filme auftreten zu lassen. Eine reizvolle Idee, auch weil die Dimension der Zeit für die Zuschauer so eine andere Tiefe bekommt, sofern er die früheren Auftritte kennt. Das ist vermutlich auch der Schlüssel zu dem Phänomen der Stars: Dass wir Zuschauer eine intime Vergangenheit mit diesen Gesichtern haben, sie schon einmal verliebt, verzweifelt oder böse gesehen haben. Wir haben mal was mit ihnen gehabt... Die seltsame Dialektik, die sich in Gang setzt, wenn uns Henry Fonda, Mann der Unschuld, in ONCE UPON A TIME IN THE WEST als Bösewicht begegnet.

Feindschema

Beide Welten, „Industrie” und „Kunstfilm”, bringen vergleichbar zählebige Konventionen hervor, porenschliessend, während das LEBENDIGE immer gleich selten bleibt. Es kann also nicht genügen, sich für die „Guten” zu entscheiden.

„Die Kunst legt sich nicht in die Betten, die man für sie gemacht hat.” (Jean Dubuffet)

En Garde!

Hier sollen in loser Folge Gedanken zum Film veröffentlicht werden, als parallele Bewegung zu meiner filmischen Arbeit.

Christoph Hochhäusler