19 Mai, 2013

Der Traum von Kontrolle

Der nachfolgende Text ist zehn Jahre alt, enthält aber doch den einen oder anderen aktuellen Gedanken, finde ich. Entstanden ist er im Rahmen des Studiums an der HFF München. Er war bisher auf dem Nachbarblog zu lesen, das ich gerade „aufräume”.




Techniken der Previsualisierung am Beispiel von Coppolas „One From the Heart


Von Christoph Hochhäusler (2003)


I


Die Techniken der Filmherstellung haben sich nach den ersten Jahren der fortwährenden Erneuerung und Innovation überraschend schnell konsolidiert. Spätestens mit Einführung des Tonfilms Ende der 1920er Jahre waren die Zeiten der Patentstreitigkeiten (man denke nur an Edisons Versuche, „seine Erfindung Kino” patentrechtlich zu schützen), der Format- und Frequenzabweichungen ausgestanden. Der sich damals herausbildende Standard 35 mm mit seinem 24-Bilder-Dogma ist bis heute (mit Abstrichen) gültig und seine Ablösung ist - zumindest in der Projektion - in der nächsten Zukunft noch nicht zu erwarten. Auch in den filmhandwerklichen Abläufen, den Hierarchien und Zuständigkeiten hat sich sehr wenig verändert. „Das modernste Medium” hat früh einen hartnäckigen Konservatismus entwickelt, der es immun gegen die Modernisierungswellen gemacht hat, die andere Industrien zur gleichen Zeit nachhaltig verändert haben. Nicht, dass es an Prognosen gemangelt hätte, die einen neuen Standard vorhersagten. Auch hat es immer wieder Versuche gegeben, „technisch überlegene” Sonderformate zu etablieren, man denke nur an die Fülle konkurrierender Breitwandtechnologien seit den 1950er Jahren (VistaVision, CinemaScope, WarnerScope, 65 mm, Imax usw.). Aber die Tatsache der großen Synergien, die ein einheitlicher Standard mit sich bringt, hat in dem teuren Medium Film immer für eine Trägheit gesorgt, die ein einzelner technischer Vorteil nicht überwinden konnte. Nicht zufällig hat deshalb die seit vielen Jahren verkündete und heute konkret zu beobachtende „Digitale Revolution” erst mit dem Argument geringerer Kosten jenen strategischen Brückenkopf erobert, der es uns heute erlaubt, ohne jeden Zweifel über ihre Vollendung zu spekulieren.



II


Als Francis Ford Coppola im April 1979 anlässlich der Oscarverleihung von der technischen Zukunft des Films sprach, war er sich dieser Trägheit der ihn umgebenden Industrie sicher bewusst. Aber nach seinen damals beispiellosen Kassenerfolgen als Regisseur („Der Pate I + II”) und Produzent („American Grafitti”), nach 5 Oscars und einer goldenen Palme (die zweite sollte er einen Monat später für „Apocalypse Now” bekommen), und ausgestattet mit einem großem Vermögen, hatte er den Mut (oder die Frechheit, wie viele meinten), nichts weniger als das Ende des klassischen Produktionsweise zu verkünden: „Wir stehen am Beginn von etwas, was die industrielle Revolution daneben wie einen kleinen provinziellen Testlauf aussehen lassen wird... Ich sehe eine Revolution der Kommunikation... in der es um Filme, Kunst und um Musik gehen wird, um digitale Elektronik und Satelliten, aber vor allem um menschliches Talent - und das wird die Meister des Kinos, von denen wir dieses Geschäft geerbt haben, an Dinge glauben lassen, die sie bis dahin für unmöglich gehalten haben.” Nur kurze Zeit später liess er seinen Worten Taten folgen. Am 25. März 1980 erwarb er die Hollywood General Studios in L.A. für 6,7 Mio. $, taufte sie „American Zoetrope Studios” und investierte weitere 5 Mio $ seines eigenen Geldes, um daraus das „modernste Studio der Welt” zu machen, von dem aus die Idee eines Electronic Cinema seinen Siegeszug hätte beginnen sollen. Coppola wollte nicht länger nur Regisseur sein; als Studioboss, Visionär und Erfinder wollte er die Art und Weise, wie Filme gemacht werden, grundlegend verändern. Was ihn trieb war jedoch nicht so sehr Größenwahn oder Ruhmsucht, als die Hoffnung auf Erneuerung und Befreiung durch die Technik. Er, der mit „Apocalypse Now” alle Widrigkeiten des Filmemachens „on location” am eigenen Leib erfahren musste, wo er mit Stürmen, Unfällen, Krankheiten und einem explodierendem Budget zu kämpfen hatte, träumte jetzt den Traum der Kontrolle.




III


Dieser Traum von Kontrolle über alle Äusserungen der Welt ist so alt wie das Kino selbst. Die gleichen Machtphantasien, die den Zuschauer auf seinen Sitz fesseln, treiben auch die Filmemacher hinter der Kamera um. „Der Regisseur”, so hat es einmal Frieda Grafe formuliert, „muss die Welt entlang seiner innersten Sehnsüchte zähmen.” Die „weite” Welt, zu der man keinen Zugang haben konnte, weil entfernt, gefährlich oder teuer, wurde - zum „Seherlebnis” gezähmt - verfügbar gemacht. Und das Wesen des Films - seine Ausschnitthaftigkeit (zeitlich und räumlich) - ermöglichte die Verwendung einer Fülle von Tricks zur Herstellung der Illusion einer kontinuierlichen und grenzenlosen Weltschau. In diesem Sinne ist die Filmherstellung Organisationsarbeit. Der Regisseur und seine Mitarbeiter organisieren eine (wiederholbare) audiovisuelle Erfahrung, Erzählung nur insoweit, wie der Zuschauer in der Lage ist, die verfügbaren fotografischen Einheiten („Einstellungen”) zu einem Ganzen zu fügen. Coppolas „Revolution”, so wie er sie seit den späten 1960er Jahren vorgedacht hat, hatte nie den Ehrgeiz, die inhaltlichen, ideologischen oder sozialen Traditionen des Mediums zu verändern. Vielmehr konzentrierten sich alle seine Vorschläge allein auf die Modernisierung dieses Organisationssprozesses, während er gleichzeitig in seiner Arbeit als Produzent und Regisseur neokonservativ die Genres des klassischen Hollywood wiederbeleben wollte. Was Coppola umtrieb, war das pragmatische Interesse, die visuelle Gestalt eines Filmes vor der eigentlichen Produktion der Bilder - also vor dem Dreh - zu bestimmen, kontrollier- und kommunizierbar zu machen. Denn egal, wie präzise ein Drehbuch formuliert wird: Worte lassen viele Interpretationen zu und in manch einer atmosphärischen Formulierung versteckt sich ein Mangel, der erst bei den Dreharbeiten oder im Schneideraum offenbar wird. Coppolas Electronic Cinema wollte Instrumente der Visualisierung bereitstellen, die helfen, die Stärken und Schwächen eines Filmes abzuschätzen, bevor in großem Umfang Kosten entstehen; der Regisseur sollte endlich die Möglichkeit haben, bestimmte Entscheidungen vorab zu überprüfen oder sein jeweiliges Gegenüber von der Notwendigkeit einer bestimmten Entscheidung zu überzeugen. Coppolas Ehrgeiz war es, Vorproduktion, Produktion und Postproduktion so zu verschmelzen, dass der Film kontinuierlich Gestalt annimmt, statt plötzlich und überraschend im Schneideraum aufzutauchen. Er wollte nichts weniger, als eine Matrix entwickeln - eine technische Ebene - in der alle kreativen Prozesse des Filmemachens integriert werden könnten und aus der sich in Form kontinuierlicher Updates der fertige Film entwickelt.




IV


Der Name Electronic Cinema führt in die Irre. Weder war 1980 die Technik verfügbar, die einen wirklichen Systemwechsel hätte plausibel erscheinen lassen können, noch drehte sich Coppolas am Beispiel von „One From The Heart” exemplifizierte „Revolution” um Elektronik. Vielmehr wollte Coppola die (damals) modernste Technik benützen, die bekannten Praktiken der Vorbereitung eines Filmes - Drehbuch, Storyboard, Modelle (Maquettes), Proben - zu einer „Real Time Visualisation” zusammen zu fassen. Realzeit meinte hier: der (späteren) Filmzeit entsprechend. Während ein Drehbuch nämlich jenseits der Hollywood-Faustformel 1 Seite = 1 Minute nur einen höchst ungefähren Eindruck von Dauer vermitteln kann und auch ein genaues Storyboard kaum Rückschlüsse über seine Screen Time erlaubt, bot Coppolas Methode die Möglichkeit, Vorschläge im Kontext vorangehender oder nachfolgender Einstellungen „im Fluss” zu überprüfen. „Film ist eine Zeitkunst”, argumentierte er einleuchtend, „und braucht deshalb auch zeitgebundene Werkzeuge der Vorbereitung.”


V


„One From the Heart” erzählt die einfache Geschichte der Trennung und Wiederversöhnung von Franny (Teri Garr) und Hank (Fredric Forrest) im Stil eines Musicals der 50er Jahre, aber (fast) ohne Gesang und Tanz. In Farbdramaturgie, Erzählton und Setdesign im höchsten Grade künstlich und technisch sehr anspruchsvoll, changiert das Schauspiel zwischen realistisch und märchenhaft, ohne je zu einem den Mitteln äquivalenten Extrem zu finden. Die Schauspieler, zum großen Teil Contract Players von Coppolas „Zoetrope Repertory Company” (ein festes Ensemble, das nach dem Vorbild des klassischen Studiosystems mit Mehr-Jahresverträgen verpflichtet wurde), bleiben angesichts der oft verblüffenden technischen Raffinesse und dem Lichtfeuerwerk des Studio-Las-Vegas blass.


Der Film wurde von der Kritik größtenteils abgelehnt. Pauline Kael zum Beispiel schrieb im „New Yorker”: „Dieser Film fühlt sich an, wie aus einem Trailer heraus inszeniert: Kalt und mechanisch...”, Vincent Canby bemerkte in der New York Times, der Film sei „nicht witzig, nicht sexy und auch nicht romantisch” und Variety titelte: „Dazzling body, empty heart”. Die Major Companys in Hollywood hatten wenig Interesse, Coppolas Film und seinem großsprecherischen Regisseur zu einem Erfolg zu verhelfen, war es doch größtenteils sein, und nicht ihr Geld, das diese „Revolution” bezahlt hatte. Und so wurde der Film von Columbia klein und schlampig vermarktet und verschwand bald wieder aus den Kinos, nachdem er nur einen Bruchteil seines 27 Mio. $ Budgets eingespielt hatte. Für die Columbia, damals Teil des Coca Cola Konzerns mit einem jährlichen Gewinn von 5,9 Mrd. $, waren die 4 Mio. $ Investment eine Kleinigkeit, die zudem durch Coppolas Liegenschaften abgesichert waren. Für Coppola bedeutete der Misserfolg seines Experiments hingegen den Bankrott; „American Zoetrope Studios” wurde verkauft und Coppola war bis in die späten 1990er Jahre damit beschäftigt, als director-for-hire seine Schulden zurückzuzahlen.


VI


Coppolas Methode in der Praxis von "One From the Heart".


DREHBUCH


Heute selbstverständlich, damals höchst ungewöhnlich: Coppola ließ das Drehbuch auf einem „Word-Processor”, einem Xerox-Computer (eine Art Vorläufer des Ur-Macintosh), abspeichern. Dies geschah nicht in der bis heute üblichen Szenen- oder Set-Up-Aufteilung, sondern in Form von Paragraphen, die jeweils eine Einstellung repräsentierten. Jedes Department bekam den Datensatz auf Floppy-Disk und konnte das Drehbuch nach seinen Bedürfnissen editieren, spezifische Informationen (etwa Kostüm oder Ausstattung betreffend) ergänzen, hervorheben usw.


STORYBOARD


Der ganze Film wurde gezeichnet, Einstellung für Einstellung, sequenzweise auf (leicht bewegliche) Styroporplatten geheftet und in chronologischer Folge gehängt. Die ca. 500 Zeichnungen wurden in einem nächsten Schritt dann auf Videodisk übertragen (in Form von Videostills) und entsprechend der zugehörigen Paragraphen nummeriert. Storyboards waren damals nur bei Animationsfilmen Standard - es war die Begeisterung für Hitchcock, die dieses Medium bei den „Moviebrats” der New Hollywood Generation durchgesetzt hat. Regisseure wie Spielberg, Lucas, De Palma oder eben auch Coppola arbeiten bis heute regelmässig mit Storyboards; beinahe alle Hollywoodproduktionen werden inzwischen mit Zeichnungen vorbereitet.


SOUNDTRACK


Die Dialoge, von den Schauspielern gesprochen, wurden aufgenommen und zu einer Art Hörspiel („radio play”) montiert. Soundeffekte und Layout-Musik ergänzten diesen vorläufigen Soundtrack, der bereits eine realistische Filmlänge hatte.


AUDIO VISUAL SCRIPT


Diese beiden provisorischen Ebenen - Bild und Ton - wurden dann auf Video zusammengeführt (U-Matic und Betamax); in einem ersten Schnittprozess wurden bestimmte Szenen eliminiert, andere ergänzt. Coppola betonte in diesem Zusammenhang die Kosteneffizienz seiner Methode: Überflüssige Einstellungen müssten nicht erst teuer hergestellt, fehlende Einstellungen nicht aufwendig nachgedreht werden.


Diese „Video Slide Show” - Electronic Storyboard genannt - bildete das eigentliche Rückrat von Coppolas Previsualisierung, die Matrix. Projiziert auf eine Leinwand konnte man mit allen Departments in nie gesehener Präzesion über einen Film im Werden sprechen.


Im folgenden wurde dieser „rohe” Film Stück für Stück erweitert, ergänzt, verfeinert.


MUSIK


Da die Musik eine große Rolle in dem vom Hollywood-Musical der 50er Jahre inspirierte Film spielen sollte, lag es nahe, dass das Electronic Storyboard auch Anhaltspunkt für den Komponisten war. Tom Waits schrieb und produzierte die Musik, bevor ein Meter Film gedreht war, nicht entlang vager Wünsche, sondern anhand des Filmes und in enger Abstimmung mit Coppola.


PROBEN


Coppola hat vielfach betont, wie eng er sich dem Theater verbunden fühle. Seine Erfahrungen am Hofstra College, wo er Stücke schrieb und inszenierte, bezeichnet er gerne als seine glücklichste Zeit. Entsprechend sieht er die eigentliche kreative Arbeit des Regisseurs in der Arbeit mit Schauspielern. Die neuen Werkzeuge der Vorausplanung sollten dem Regisseur auch in diesem Aspekt mehr Freiheit geben. Die Proben für „One From The Heart” wurden zunächst als Polaroid-Stills in das Electronic Storyboard eingesetzt, als Ersatz für die Zeichnungen. Als die Proben weiter voranschritten, wurden die Polaroids allmählich von bewegten Bildern abgelöst. Als die Proben abgeschlossen waren, wurde der ganze Film Szene für Szene in Las Vegas, on location auf Video aufgenommen - um den Schauspielern „ein Gefühl für Vegas zu geben” - und diese Aufnahmen fanden wiederum Eingang in das Electronic Storyboard. Das heisst, die Ergebnisse und Entdeckungen der Proben konnten in stärkerem Masse in den Film einbezogen werden, als das in einer gewöhnlichen Hollywoodproduktion der Fall ist.


TECHNISCHE PROBEN


Da es in „One From The Heart” eine Vielzahl von Trickaufnahmen und komplizierten Übergängen gibt, waren umfangreiche technische Proben nötig, in denen die Abläufe von Kamera- Motioncontrol- und Steadicamfahrten, die Lichtorchestrierung und die Choreographie der Schauspieler geprobt wurde. Vittorio Storaro, der hier „Designer of Photography” genannt wurde, arbeitete schon damals mit einem Dimmerboard, von dem aus sich alle Leuchten zentral steuern und wie auf einem Keyboard „spielen” liessen. Diese Fülle an neuen Optionen, die sich auch in der raffinierten Farbdramaturgie des Films wiederspiegeln, verlangten nach einer sehr sorgfältigen Abstimmung aller Departments. Jetzt wurde auch das eigentliche blocking, also die Position der Schauspieler im Raum und im Verhältnis zur Kamera festgelegt. Hierbei wurde noch kein Film belichtet; nur die (s/w) Videoausspiegelung der Kameras lief mit und wurde wiederum in das Electronic Storyboard eingespeist. Für bestimmte Einstellungen, in die eine Fülle von special effects zu integrieren waren, wurden die Schauspieler vor einem blue-screen aufgenommen und Fotos bzw. Aufnahmen von Modellen u.ä. elektronisch hinzugefügt.


Die Daten bzw. Videoströme wurden in einem „War Room” genannten Maschinenraum zusammengefasst, der sich wiederum zentral von Coppolas „Silver Fish”, einer High-Tech-Sonderanfertigung, steuern liess und „Sound and Image Control” genannt wurde.


DREHARBEITEN


Coppola sprach im Zusammenhang der „heissen” Dreharbeiten von seinem Wunsch, wie der Theaterregisseur bei der Premiere auf die Seite des Publikums zu wechseln. Nach präziser Vorbereitung und intensiver Arbeit mit den Schauspielern sollten es die eigentlichen Dreharbeiten dem Regisseur ermöglichen, das Ergebnis auf sich wirken zu lassen. Der Dreh sollte nicht mehr das Herzstück der Filmherstellung sein, sondern die blosse Aufzeichnung einer genau geplanten Produktion. Entsprechend sah er seine Position nicht am Set, sondern in der „Regie”, seiner „Sound and Image Control”, von der aus er, mit Mikrofon verbunden, die eigentlichen Dreharbeiten steuern wollte, als sei es ein Live-Fernseh-Event.


Während des Drehens erwies sich dieses Konzept als zumindest problematisch. Zum einen, weil „die Stimme aus dem Himmel” - der Studiolautsprecher - gerade in der Schauspielregie schwerlich das geeignete Medium ist, subtile Korrekturen vorzunehmen. Zum anderen, weil die physische Anwesenheit des Regisseurs energetisch einen Unterschied macht; was bei der Theaterpremiere das gebannte oder kritische Publikum sein mag, ist während des Drehens der Regisseur. Ein Schauspieler ist nur so gut, wie die Aufmerksamkeit seines Gegenübers.

Trotz einer Fülle von Beschwerden von Seiten der Schauspieler hat Coppola den Film weitgehend von seinem Trailer aus dirigiert; die Entscheidung, welcher Take kopiert wird, fiel auf Basis des Videoassist-Playbacks und wurde telefonisch bzw. über Interkom zwischen ihm und Storaro getroffen. Coppola hatte so zwar die Möglichkeit, die aktuelle Szene schon mit Musik und im Kontext des letzten Updates seines Previsualisierungsprotokolls (Electronic Storyboard) zu sehen, die Unmittelbarkeit und Intensität einer Szene blieb ihm auf seinem Monitor aber unter Umständen verborgen.

Am Ende jeden Drehtages wurde dann ein Schnitt der jeweiligen Szene(n) hergestellt, so dass Coppola das Ergebnis seiner Arbeit beurteilen konnte.


Noch vor dem Ende der principal photography gab es Previews. Statt der üblichen Missing Cards (also Tafeln, die als Platzhalter für bestimmte Szenen fungieren), sah man die Aufnahmen der Proben aus dem Electronic Storyboard. Auch wenn diese Previews de facto sehr negativ ausfielen, und der Film zu diesem Zeitpunkt längst over budget war, war das Argument der Geschwindigkeit in einer Zeit explodierender Zinsen durchaus gewichtig. Ironischer Weise haben sich aber alle angeblichen Kostenvorteile in der Produktion von „One From The Heart” nicht einlösen lassen. Der Film war, wiewohl er eine „kleine” Geschichte erzählt, sehr teuer und das Budget hat den gesetzten Rahmen trotz - oder gerade wegen - der neuen Techniken deutlich überschritten. Die ursprünglich kalkulierten und finanzierten Kosten von 15 Mio. $ haben sich letztendlich auf 27 Mio. $ beinahe verdoppelt.


VII


Coppolas „Revolution” hat nicht statt gefunden. Das hatte zum Einen mit dem Misserfolg des Filmes zu tun, an dessen künstlerischen Qualitäten auch die Tauglichkeit der Methode gemessen wurde. Zum Anderen ist unbestreitbar, dass die Methode damals noch nicht reif war, zum neuen Industriestandard zu werden. Vielleicht wirkt Coppolas Idee aus heutiger Perspektive gerade deshalb so modern, weil einzelne Komponenten seiner Methode technisch noch immer nicht befriedigend gelöst sind. Von einem vollintegrierten digitalen Medium jedenfalls sind wir immer noch einige Jahre entfernt. Nicht zufällig ist es der Fachpresse noch immer einen Artikel wert, wenn ein Mainstreamfilm digital fotografiert wird - weil es weiterhin eine Ausnahme bildet. Coppola hat sich also nicht nur als Visionär, sondern auch als hoffnungsloser Optimist erwiesen, als er 1980 davon sprach, dass es „in drei Jahren keinen (analogen) Film mehr geben wird”. Andere Neuerungen, die Coppola als einer der ersten systematisch eingesetzt hatte - elektronische Textverarbeitung, Video Assist (Videoausspiegelung), Motion-Control, Steadicam, elektronischer Schnitt, Surround Sound - sind dagegen längst Industriestandard geworden.


Die Kontrolle aller kreativen Prozesse vor dem Dreh, der einfache Überblick über den Stand der Dinge in realer Filmzeit, bessere Kommunikation zwischen den Departments, höhere Geschwindigkeit, kürzere Drehzeiten - alles das sind handfeste Vorteile des Electronic Cinema, die ihr volles „Aroma” allerdings erst entfalten, sobald es um komplizierte Sequenzen geht. Entsprechend finden Coppolas Previsualisierungmethoden heute vor allem im SFX-Bereich Anwendung, für Action-Sequenzen, Trick- und Kombinationsaufnahmen. George Lucas, ein Begleiter Coppolas seit den Tagen von „The Rain People”, hat sich dabei als sein Erbe erwiesen; seine Science-Fiction-Spektakel wären ohne diese technischen Neuerungen schwer vorstellbar. In vielerlei Hinsicht setzt seine Firma „Lucasfilm” die Arbeit fort, die Coppolas „American Zoetrope” begonnen hat. Vielleicht hat Coppolas Pionierarbeit die heute herrschende Tendenz Hollywoods beschleunigt, Film als eine Abfolge von Effekten, von eye candy, zu konzipieren. Jedenfalls sind die Special-Effects-Vehikel, die heute den Markt dominieren, die grössten Nutzniesser dieser Errungenschaften, während jene persönlichen Filme, die Coppola öffentlich immer propagiert hat, selten Gebrauch von diesen Techniken machen. Eine Schuss-Gegenschuss-Montage muss man nicht simulieren, man kann sie sich vorstellen. Keine Matrix ist beweglicher als die eigene Vorstellung. Und realistischere Filme, Filme über Menschen, lassen sich billiger „live” erforschen, zumal die Dinge, um die es zwischen Menschen geht, von so feinstofflicher Natur sind, dass sie auch die beste Previsualisierung nicht darstellen kann. Im Gegenteil scheint der Film „One From The Heart” zu beweisen, dass die Technisierung des Prozesses von bestimmten kreativen Entscheidungen und subtilen Differenzierungen eher ablenkt. Technik produziert eine eigene Dynamik; was möglich ist, will wirklich werden. Und es gibt noch eine andere Seite der Previsualisierung. Denn wo Kontrolle möglich wird, stellt sich die Frage, wer diese Kontrolle ausübt. Was als Hilfswerkzeug des Regisseurs gedacht war, erweist sich oftmals als producer's tool, mit dem sich Freiheit eben auch beschneiden lässt. Jacques Rivette: „Der Regisseur im Hollywood-Mainstream von heute exekutiert Storyboards - er macht keinen Film, er fotografiert Anweisungen”. Produzenten haben durch die Previsualisierung die Möglichkeit, an Gestaltungsprozessen teilzunehmen und korrigierend einzugreifen, denen sie bisher ohnmächtig gegenüberstanden. Bestimmte Inhalte, die man im „geheimen Prozess” klassischer Produktion verstecken oder schmuggeln konnte, sind so unmöglich geworden. Und die Weisheit, die im Prozess selbst steckt - die lebendige Dynamik einer ungeplanten Situation, der der europäische Film so viel schuldet - geht im Electronic Cinema womöglich verloren.



VIII


Appendix: Biografie Coppola


Francis Ford Coppola wurde am 7. April 1939 in Detroit als zweiter Sohn von Carmine und Italia Coppla geboren. Er wuchs mit seinen Geschwistern August und Thalia in New York auf, wo sein Vater als Musiker tätig war, u.a. als Klarinettist im CBS-Orchestra unter Dirigent Arturo Toscanini. Auf Wunsch des Vaters soll er Ingenieur werden, entsprechend besucht er naturwissenschaftlich orientierte Schulen, mit mittelmässigen Resultaten. Eine Polio-Erkrankung erweist sich als einschneidendes Erlebnis; als er über geraume Zeit wegen der Ansteckungsgefahr keinen Besuch empfangen darf, ersetzt ihm die Technik - eine 16 mm Kamera, ein Tonbandgerät - die Spielkameraden. Schreibt und inszeniert Theater am Hofstra College. Studiert Film an der UCLA. Arbeitet (wie auch John Sayles, Martin Scorcese, Jack Nicholson) für Roger Corman in verschiedenen Funktionen, u.a. inszeniert er den Horrorfilm „Dementia 13”. Nach dem Achtungserfolg „You are a big boy now” (1967), der in Cannes Premiere hat, wird ihm das Hollywood-Musical „Finian's Rainbow” (1968) angeboten, der letzte Film von Fred Astaire. Der Film erweist sich als großer Flop. Mit „The Rain People” (1969) verwirklicht er zum ersten Mal sein Ideal von einem durch die Technik befreiten, persönlichen Kino, eine Art Synthese aus europäischen (Nouvelle Vaque) und klassischen amerikanischen Einflüssen (Western der Stummfilmzeit, Roger Corman). Gründung der „Zoetrope”, später „American Zoetrope”. Erstes Projekt: George Lucas' „THX 1138” (1971) - Misserfolg. Doch dann gewinnt seine Karriere plötzlich an Fahrt: Oscar Bestes Drehbuch für „Patton” (1970), Regie und Co-Drehbuch für „The Godfather” (1972), vielfach Oscarpremiert, von Kritikern gefeiert, damals erfolgreichster Film aller Zeiten. Coppola kauft eine Zeitung, ein Hochhaus (Sentinel-Building) und ein Kino in San Franciso. Haucht seiner Zoetrope-Idee neues Leben ein. „The Conversation” (1974) - Goldene Palme, Cannes. „The Godfather, Part II” (1974). Wieder großer Erfolg. „Apocalypse Now”, ursprüngliche ein Zoetrope-Projekt geschrieben von John Milius für George Lucas als Regisseur, wird zwischen 1976 und 1979 in den Philipinen unter teilweise chaotischen Bedingungen gedreht, diverse Katastrophen lassen das Budget aus allen Fugen geraten. 1979 präsentiert er den Film als „work-in-progress” in Cannes, gewinnt Goldene Palme ex aequo mit Schlöndorffs „Die Blechtrommel”. Coppolas Vermögen ist gerettet - überraschend großer Erfolg an der Kinokasse. Der Film revolutioniert die Soundgestaltung (Walter Murch), erfindet den Begriff Sounddesign. Coppola benützt ein Offline-Videoschnittsystem, um einzelne Sequenzen zu „skizzieren”. (Oscar Beste Kamera Storaro). „Apocalypse Now” als Alptraum des Kontrollverlusts: Herzinfarkt des Hauptdarstellers, Tod von Komparsen, Stürme verwüsten Sets, Hubschrauber werden von Diktator Marcos immer wieder zur Bekämpfung von Rebellen abgezogen, Brando ist zu dick, das Drehbuch wird während der Produktion wieder und wieder umgeschrieben. Coppola findet kein befriedigendes Ende... 1980 kauft Coppola die „Hollywood General Studios” und will das daraus die modernsten Studios der Welt machen. „One from the heart” ist das erste und ambitionierteste Projekt von „American Zoetrope Studios” und soll die Zukunft des „Electronic Cinema” besiegeln. Der katastrophale Misserfolg des Films zwingt Coppola zum Verkauf des Studios. Verliert sein Vermögen und ist die nächsten 10 Jahre als „director-for-hire” damit beschäftigt, seine Schulden abzutragen. Filme unterschiedlicher persönlicher Ausprägung entstehen, mit gemischten Kritiker- und Kassenerfolgen. „The Outsiders” (1983), „Rumble Fish” (1983), „The Cotton Club” (1984), „Peggy Sue Got Married” (1986), „Gardens of Stone” (1987), „Tucker, The Man And His Dream” (1988), „The Godfather, Part III” (1990), „Bram Stocker's Dracula” (1992), „The Rainmaker” (1997), „Apocalypse Now Redux” (2000). Der Film „Megalopolis” befindet sich in Vorbereitung.


IX


Credits „One From the Heart”


Drehbuch: Armyan Bernstein, Francis Ford Coppola, nach einer Originalgeschichte von Armyan Bernstein. Regie: Francis Ford Coppola. Kamera: Vittorio Storaro. Schnitt: Anne Goursaud, Rudi Fehr, Randy Roberts. Songs und Musik: Tom Waits, gesungen von Crytal Gayle und Tom Waits. Production Design: Dean Tavoularis. Kostüme: Ruth Morley. Sound Design: Richard Beggs. Art Direction: Angelo Graham. Spezial Effekte: Robert Swarthe. Choreographie: Kenny Ortega. „Electronic Cinema”: Thomas Brown, Murdo Laird, Anthony St. John, Michael Lehmann, in Zusammenarbeit mit Sony. Assozierter Produzent: Mona Skager. Ausführender Produzent: Bernard Gersten. Co-Produzent: armyan Bernstein. Produziert von Gray Fredrickson und Fred Roos für Zoetrope Studios. Länge: 103 Min. Premiere: 15.Januar 1982 (Radio Music Hall, New York). Besetzung: Frederic Forrest (Hank), Terri Garr (Frannie), Raul Julia (Ray), Nastassia Kinski (Leila), Lainie Kazan (Maggie), Harry Dean Stanton (Moe) u.a.



X


Ausgewählte Bibliographie:



- Bergan, Donald: Francis Ford Coppola. New York: Thunder's Mouth Press, 1998.


- Biskind, Peter: Easy Riders, Raging Bulls: How the Sex-Drugs-and-Rock'n'Roll Generation Saved Hollywood. New York: Simon and Schuster, 1998.


- Brooks, Riley: Film into Video. The Electronic Cinema. In: Film Comment, Mai/Juni 1982, S.45-48.


- Brown, Garrett: The Steadicam and "One From the Heart". In: American Cinematographer, Januar 1982. S.44 ff.


- Brown, Thomas: The Electronic Camera Experiment. In: American Cinematographer, Januar 1982. S.25 ff.


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- Chown, Jeffrey: Hollywood Auteur: Francis Coppola. New York: Praeger, 1988.


- Coppola, Eleanor: Notes. New York: Simon and Schuster, 1979.


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- Gentleman, Wally: Visual Effects as a Cinematic Art Form. In: American cinematographer, Januar 1982. S.32 ff.


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- Zucker, Joel: Francis Ford Coppola: A Guide to the References and Resources. Boston: G. K. Hall, 1984.



XI


„Ich glaube nicht, dass talentierte Leute heute weniger zu geben haben als ihre Vorläufer. Es ist die Zeit, die sich erschöpft hat - Geschichten entstehen aus Ideen, aus Haltungen, aus dem Glauben an bestimmte Dinge, aus den Gegebenheiten einer Zeit. Es ist die Zeit, die sich erschöpft hat - es sind nicht die Künstler. Aber die Technik ist eines der Dinge heute, die wirklich aufregend sind... voller neuer Töne und Geschichten, neuer Wendungen ... Ich glaube, es gibt so etwas wie einen Inhalt, der aus der Technik erwächst - Melodien, die wir noch nie gehört haben, weil sie noch nie möglich waren.”


Francis Ford Coppola, 1980.

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