30 Dezember, 2010
Unknown Pleasures #3
Unknown Pleasures geht in die dritte Runde. Vom 1. - 16. Januar 2011 im Babylon Mitte (Berlin) gibt es viele Entdeckungen zu machen in Sachen amerikanisches unabhängiges Kino - kuratiert übrigens von Revolver-Mitstreiter Hannes Brühwiler.
Besonders selten zu sehen: die Filme von Thom Andersen (LOS ANGELES PLAYS ITSELF, 2003) und John Gianvito (PROFIT MOTIVE AND THE WHISPERING WIND, 2007), denen - sehr zu recht - ein Special Tribute gewidmet ist.
Herzlich empfehlen kann ich auch PUTTY HILL von Matthew Porterfield (im aktuellen Revolver, Heft 23, beschreibt der Regisseur die Entstehung dieses Projekts - das Covermotiv des Booklets stammt ebenfalls aus dem Film), der für mich zu den tollen Überraschungen im Forum 2010 gehört hat.
29 Dezember, 2010
Rauchzeichen
BELLOW (GB 2010; 11'30'')
Ein - vor allem fotografisch - hochinteressanter Kurzfilm des englischen Filmemachers Christopher Tirrell (Regie, Kamera, Schnitt), den man aber in jedem Fall groß sehen sollte.
28 Dezember, 2010
Milde Sorte
In jedem anderen Medium wäre es absurd: Inhaltswarnung auf einer DVD (in diesem Fall die australische Kennzeichnung für Renoirs BOUDU SAVÉ DES EAUX).
26 Dezember, 2010
Utopia
Fünf Stellvertreter ...
Gestern habe ich zum ersten Mal John Hughes' THE BREAKFAST CLUB (USA 1985) gesehen. Als utopischer Film („Alle Menschen werden Brüder”) ziemlich überzeugend, finde ich. Besonders hinreissend fand ich die ligne claire-artige Inszenierung, die die Charaktere überzeichnet, ohne sie in ihrer grundsätzlichen Glaubwürdigkeit zu beschädigen. Die rhetorischen Pirouetten, die Hughes seinen fünf Stellvertretern abverlangt, lassen an einen Gesellschaftstanz denken, der seinen ideologischen Boden überhöht, statt ihn zu negieren. Großartig.
24 Dezember, 2010
Unsichtbare Arbeit
Naomi Schenck, eine Szenenbildnerin, hat ein Buch über den unsichtbaren Teil ihrer Arbeit veröffentlicht. Ihr „Archiv verworfener Möglichkeiten” besteht, einerseits, aus Fotografien von Schauplätzen, die letztlich keine Verwendung fanden in den Filmen, für die sie recherchiert wurden - und andererseits aus höchst unterschiedlichen Texten von Autoren, Filmleuten, Künstlern *), die Schenck und Herausgeber Ulrich Rüdenauer um eine „Antwort” baten. Eine faszinierende Art, mit dem schönen Ausschuss umzugehen, den die filmische Arbeit notwendig produziert.
*) Und zwar: Marcel Beyer, Barbara Bongartz, Helmut Böttiger, Dorothea Dieckmann, Heinz Emigholz, Saskia Fischer, Arno Geiger, Wilhelm Genazino, Dagrun Hintze, Thomas Kapielski, Sandra Kellein, Georg Klein, Gert Loschütz, Michaela Mélian, Andreas Neumeister, Rolf Nohr, Annette Pehnt, Kathrin Röggla, Felix Römer, Ulrich Rüdenauer, Ulrike Almut Sandig, Sabine Scho, Lutz Seiler, Bernd Stiegler, Hans Thill, Stephan Thome, Ina Weisse, Wim Wenders, Roger Willemsen, Hubert Winkels, Frank Witzel, Jens Wonneberger, Norbert Zähringer, Feridun Zaimoglu, Ulf Erdmann Ziegler und Hanns Zischler.
23 Dezember, 2010
Prosper Mérimée
Ich lese zur Zeit Novellen von Prosper Mérimée, eine ganz zufällige Lektüre übrigens, und bin fasziniert von der pointierten Schilderung zwischenmenschlicher Details. Eine Kostprobe aus „Das zwiefache Verkennen” (La double Mèprise, 1833):
Solche beziehungsreichen „Kleinigkeiten” - aus denen diese Novelle gewebt ist - in einer filmischen Erzählung zu verwirklichen, ohne disproportionalen Aufwand zu treiben (oder es eben dialogisch / im Voice-over auszudrücken), scheint mir beinahe unmöglich.
Manchmal neide ich der Literatur ihre Möglichkeiten.
„Die Mütter empfanden nicht die geringste Besorgnis, wenn sie ihn mit ihren Töchtern plaudern oder sogar vertraulich flüstern sahen; denn die jungen Mädchen pflegten über seine Bemerkungen immer wieder in lautes Lachen auszubrechen, und diejenigen Mütter, deren Töchter besonders schöne Zähne hatten, erklärten sogar, dieser Monsieur Darcy sei ein ungemein liebenswürdiger Mensch.”(Zitiert nach der Manesse-Ausgabe von 1946, ins Deutsche übertragen von Ferdinand Hardekopf)
Solche beziehungsreichen „Kleinigkeiten” - aus denen diese Novelle gewebt ist - in einer filmischen Erzählung zu verwirklichen, ohne disproportionalen Aufwand zu treiben (oder es eben dialogisch / im Voice-over auszudrücken), scheint mir beinahe unmöglich.
Manchmal neide ich der Literatur ihre Möglichkeiten.
22 Dezember, 2010
Arsenal Online
Die Arsenal-Datenbank ist seit heute online.
„Filme aus aller Welt, in allen Längen und Genres spiegeln internationale Geschichte und Gegenwart aus der Sicht einer fast 50 Jahre alten Institution. Ein Teil der Filme und Videos ist ausleihbar, die anderen können bei uns gesichtet werden. Die Datenbank befindet sich im Aufbau und enthält bislang nur eingeschränkt Bildmaterial bzw. Informationen zu Inhalt und Kontext der Werke. Wir arbeiten daran, sie sukzessive zu erweitern.”
„Sämtliche Katalogblätter der im Forum gelaufenen Filme aus den Jahren 1971 bis 2002 wurden digitalisiert und in das Archiv der Forum Webseite eingepflegt. Die PDFs der Katalogseiten seit 2003 finden sich dort wie gehabt eingebettet in die archivierten Web- und Programmseiten der einzelnen Jahrgänge.”
(Zitiert nach dem Arsenal-Newsletter)
„Filme aus aller Welt, in allen Längen und Genres spiegeln internationale Geschichte und Gegenwart aus der Sicht einer fast 50 Jahre alten Institution. Ein Teil der Filme und Videos ist ausleihbar, die anderen können bei uns gesichtet werden. Die Datenbank befindet sich im Aufbau und enthält bislang nur eingeschränkt Bildmaterial bzw. Informationen zu Inhalt und Kontext der Werke. Wir arbeiten daran, sie sukzessive zu erweitern.”
„Sämtliche Katalogblätter der im Forum gelaufenen Filme aus den Jahren 1971 bis 2002 wurden digitalisiert und in das Archiv der Forum Webseite eingepflegt. Die PDFs der Katalogseiten seit 2003 finden sich dort wie gehabt eingebettet in die archivierten Web- und Programmseiten der einzelnen Jahrgänge.”
(Zitiert nach dem Arsenal-Newsletter)
19 Dezember, 2010
Theorie der Praxis
Heft 23 ist seit ein paar Tagen im Handel. Die aktuelle Ausgabe enthält (wie erwähnt) Gespräche mit Claire Denis, Jean-Pierre + Luc Dardenne, Lutz Dammbeck sowie Texte von Miguel Gomes und Matthew Porterfield (über die Entstehung ihrer letzten Filme).
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Wenn ich erzähle, wie Revolver gemacht wird, ernte ich oft Unglauben. Die Zeitschrift nämlich entsteht - seit über 12 Jahren - ohne Bezahlung, ohne Werbung, ohne Auftrag. Die Herausgeber *), sämtlich Filmemacher/innen, folgen einfach ihren Interessen, indem sie Filmarbeiter/innen, einladen, ihre Mittel zu reflektieren - in Form von Gesprächen oder gelegentlich auch in Texten.
Wir fühlen uns einem Kino verbunden, das formal herausfordernd ist - und persönlich in seiner Perspektive. Ein weitergehendes Programm gibt es nicht. Viele Interviews ergeben sich, sind Gelegenheiten. Andere werden lange vorbereitet oder sind mit Reisen verbunden. Gelegentlich drucken wir Archivsplitter, historische Manifeste oder Positionen. Nur Kritiken oder filmhistorische Abhandlungen finden sich keine.
Immer wieder veröffentlichen wir auch Materialien, die uns zugetragen werden. Die Zeitschrift versteht sich ausdrücklich als offenes Projekt, will einen Beitrag leisten zu einer „Theorie der Praxis” des Films. Im engeren Sinne findet bei Revolver kein Journalismus statt. Eher verstehen wir uns als Forum derer, die Filme machen.
Falls Sie Interesse haben, in diesem Sinne etwas beizutragen, ein Interview zu machen oder einen Text über ihre filmische Praxis zu schreiben, können Sie sich gerne bei uns melden. Wir freuen uns. Kontakt: com(at)revolver-film.de
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Man kann Revolver übrigens auch verschenken. Bestellen / Abonnieren: bei der Edition Text + Kritik, auf unserer Website www.revolver-film.de, oder direkt bei ihrem Buchhändler (Revolver erscheint im Verlag der Autoren. Immer: ISSN 1617-6642. Heft 23: ISBN 978-3-88661-333-5).
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*) Zur Zeit sind das, in alphabetischer Reihenfolge: Jens Börner, Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Franz Müller, Nicolas Wackerbarth und Saskia Walker. Ausserdem gehören Hannes Brühwiler und Marcus Seibert der Redaktion an.
17 Dezember, 2010
Fleurs d'Allemagne
Aktuell sind Benjamin Heisenbergs DER RÄUBER, Maren Ades ALLE ANDEREN und, seit dieser Woche, mein Film UNTER DIR DIE STADT in französischen Kinos zu sehen. Anlass für die Cahiers du Cinéma, ein - lesenswertes - Dossier zu unseren Filmen zusammen zu stellen:
Hier zwei (im Netz lesbare) Reaktionen auf SOUS TOI, LA VILLE - wie mein Film in Frankreich heisst: Le Monde, Les Inrockuptibles.
Deutscher Kinostart: 31. März 2011.
15 Dezember, 2010
Cargo # 8
Gerade neu erschienen: CARGO # 8.
Aus dem Inhalt:
Entzifferungsarbeit: US-Serien 2010: RUBICON, LOUIE, GLEE uvm. ++ Jacques Doillon im Gespräch ++ Texte zu Ingmar Bergman, Stanley Cavell, Lee Child, Allan Dwan, Xavier Beauvois und Frederick Wiseman ++ Matchfactory: Was macht ein Weltvetrieb? ++ Jonathan Rosenbaum im Gespräch ++ u.v.a.
Besonders lesenswert: Das Doillon-Interview.
Fourteen Actors Acting
Sehenswert: 14 (stumme) Schauspielminiaturen auf nytimes.com, inszeniert von Solve Sundsbo, hier zum Beispiel James Franco. (Die anderen Spieler: Javier Bardem, Natalie Portman, Jesse Eisenberg, Chloë Moretz, Matt Damon, Michael Douglas, Jennifer Lawrence, Noomi Rapace, Vincent Cassel, Anthony Mackie, Robert Duvall, Lesley Manville, Tilda Swinton). Musik: Owen Pallett.
14 Dezember, 2010
Hexenwerk
Das Kino des Unheimlichen hat mich immer interessiert. Nicht so sehr der Horror der gemarterten Körper, nicht Slasher-, Zombie- oder Creaturemovies, sondern das, was man altmodisch Spukgeschichten nennt. Filme also über die Angst und die - gesellschaftlichen / persönlichen - Verformungen, die sie hervorbringt. Filme auch über die Bühnen der Furcht: Speicher, Keller, Kammern, Häuser und Gehäuse des Unbehausten.
Wie es der Zufall will - oder mein Unbewusstes - habe ich mir in den letzten Tagen vier sehr unterschiedliche Filme angesehen, die alle mit Hexerei zu tun haben, dabei aber denkbar unterschiedliche Ansätze verfolgen (kann es da verwundern, dass mich zur Zeit ein Hexenschuss plagt?). Nachfolgend ein paar mehr oder wenige lose Gedanken zu den Filmen.
*
VREDENS DAG (Carl Theodor Dreyer, Dän. 1943)
Der Älteste der vier Filme ist bestimmt auch der Erschütterndste, und das nicht, weil er den Schockeffekt suchen würde. Im Gegenteil meidet er Genrebezüge, erzählt glaubwürdig und historisch verortet von der Hexenverfolgung im Dänemark des 17. Jahrhunderts, in der sich die Entstehungszeit (das Dänemark unter deutscher Besatzung) ebenso wieder finden lässt wie unsere Gegenwart. Beunruhigend ist vor allem das Neben- und Ineinander von Vernunft und Angst, von Sympathie und Schwäche, von wahrem Glauben und der Heuchelei, die dem Einen die Haut rettet und der Anderen den Tod bringt. Dreyer spart die Schönheit, das Menschenmögliche dabei nicht aus, seine Schilderung frisch entflammter Liebe gehört zu den ergreifendsten Passagen des Films - in einer Tonart, die in ihrem Lyrizismus der Naturschilderung an Murnaus SUNRISE denken lässt - und dass auch diese Liebe nicht gefeit ist gegen den Virus der Angst, lässt den Rest des Films noch dunkler und pessimistischer wirken (ohne die Liebesgeschichte deshalb zu einem rhetorischen Kunstgriff zu machen). Unbedingt ansehen!
(Bild via)
*
THE QUEEN OF SPADES (Thorold Dickinson, GB 1949)
Dickinson, der die Regie des Films wenige Tage vor dem Dreh übernommen haben soll (und dessen andere Filme ich leider nicht kenne) ist seinem Erzähltemperament nach ein Spieler - was dem Stoff sehr zu Gute kommt. Alles ist hier künstlich, Behauptung, von der stilisierten Studiodekoration bis zum lustvoll überzeichneten Schauspiel, aber unter seiner Regie wird es auf magische Weise lebendig, schaurig-schön, mitunter ausgesprochen furchterregend, ohne je den gesetzten Genre-Rahmen zu verletzen. Anton Walbrook (ursprünglich Adolf Anton Wohlbrück, einer der wenigen deutsch-jüdischen Schauspieler, die ihre Karriere im englischen Exil fortsetzen konnten - z.B. als Lermontow in Powell & Pressburgers THE RED SHOES) und Yvonne Mitchell in den Hauptrollen gelingt es, dem Märchenton dieser Puschkin-Bearbeitung eine existenzielle, abgründige Note beizumengen, die den Film zu einer überraschend emotionalen Wirkung verhilft, während der Rest der barocken Besetzung - Edith Evans als Hexe! - komödiantisch schillert, ohne übrigens deshalb den Grusel zu mindern (ein Double Feature mit Lynchs vergnüglichen MULLHOLLAND DR. kann ich empfehlen).
*
SECRET CEREMONY (Joseph Losey, GB 1968)
Losey gilt so Manchem als unsteter auteur, und wirklich wirkt dieser Film einigermassen abseitig neben THE SERVANT, ACCIDENT oder THE GO-BETWEEN, seinen „anerkannten” Meisterwerken, nicht zufällig alle in Zusammenarbeit mit Harold Pinter entstanden. Aber bei allen Vorbehalten, die ich gegenüber SECRET CEREMONY habe: die Trennung zwischen dem guten und dem schlechten Losey ist wahrscheinlich ebenso unsinnig wie die Erwartung, ein großer Regisseur müsste zuverlässig sein. Nicht nur ist er hier ganz offensichtlich im Vollbesitz seiner Kräfte - filmhandwerklich gesprochen - die Untiefen, die irritieren, finden sich auch in seinen besten Filmen (zu denen ich, neben den oben genannten, unbedingt auch MR. KLEIN rechnen würde). Das Problem ist, dass Loseys Esoterik, die in den anderen Filmen nur gelegentlich aufblitzt, im exzentrischen Rahmen von George Taboris Drehbuch wuchern darf. Was meine ich mit Esoterik? Auf die Gefahr hin, mich mit meiner Definition lächerlich zu machen: das Ornament angesichts der einfachen Tatsachen des Lebens. Der Film jedenfalls ist ornamental auf jeder Ebene („a film trying too hard to be misunderstood”
wie Gary Tooze richtig schreibt), und findet auch da, wo es um Missbrauch, Gewalt und Tod geht, keine Klarheit. Ich weiss, das ist eine einigermassen vage moralisch-ästhetische Kategorie (Rivettes Text "Über die Niedertracht" lässt grüssen), aber das ästhetische Raffinement dieser verworrenen, halb psychologischen, halb übernatürlichen Filmerzählung wird eben immer da unerträglich, wo es ans Eingemachte geht. Insofern enthält der Film für jeden Filmemacher schmerzhafte Lehren - auch ein Schrecken, den man im Kino erleben kann.
Lesenswert: Glenn Kennys Text auf Mubi.
*
SUSPIRIA (Dario Argento, I 1977)
Argento die Unverhältnismässigkeit seiner Mittel vorzuwerfen wäre dagegen sinnlos. Von der ersten Einstellung an signalisiert der Regisseur, dass es ihm nicht um die Welt, sondern um das Kino selbst geht. Sein Film, für Verehrer der Gipfel seines Schaffens, ist eine Travestie, ein „letzter Horrorfilm” (so wie auch Leones C'ERA UNA VOLTA IL WEST, an dem Argento mitgeschrieben hat, ein „letzter Western” ist) der die Standardsituationen des Genres hysterisch dekonstruiert und dabei Porno-V-Effekte (die Dialoge!) und Kunstwollen kurzschliesst. Das Ergebnis ist geschmacklos, unterhaltsam und so outriert, dass es kaum je wirklich furchterregend ist...
(Der Film spielt übrigens in einem Deutschland, in dem alle Englisch sprechen, und wurde in München gedreht - die Stadt heisst im Film „Freiburg”. Argento geht mit den bekannten Orten - Königsplatz, Hofbräuhaus, Burgstraße, BMW-Hochhaus usw. oft sehr erfinderisch um. Für Münchner also ein Muss.)
Wie es der Zufall will - oder mein Unbewusstes - habe ich mir in den letzten Tagen vier sehr unterschiedliche Filme angesehen, die alle mit Hexerei zu tun haben, dabei aber denkbar unterschiedliche Ansätze verfolgen (kann es da verwundern, dass mich zur Zeit ein Hexenschuss plagt?). Nachfolgend ein paar mehr oder wenige lose Gedanken zu den Filmen.
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VREDENS DAG (Carl Theodor Dreyer, Dän. 1943)
Der Älteste der vier Filme ist bestimmt auch der Erschütterndste, und das nicht, weil er den Schockeffekt suchen würde. Im Gegenteil meidet er Genrebezüge, erzählt glaubwürdig und historisch verortet von der Hexenverfolgung im Dänemark des 17. Jahrhunderts, in der sich die Entstehungszeit (das Dänemark unter deutscher Besatzung) ebenso wieder finden lässt wie unsere Gegenwart. Beunruhigend ist vor allem das Neben- und Ineinander von Vernunft und Angst, von Sympathie und Schwäche, von wahrem Glauben und der Heuchelei, die dem Einen die Haut rettet und der Anderen den Tod bringt. Dreyer spart die Schönheit, das Menschenmögliche dabei nicht aus, seine Schilderung frisch entflammter Liebe gehört zu den ergreifendsten Passagen des Films - in einer Tonart, die in ihrem Lyrizismus der Naturschilderung an Murnaus SUNRISE denken lässt - und dass auch diese Liebe nicht gefeit ist gegen den Virus der Angst, lässt den Rest des Films noch dunkler und pessimistischer wirken (ohne die Liebesgeschichte deshalb zu einem rhetorischen Kunstgriff zu machen). Unbedingt ansehen!
(Bild via)
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THE QUEEN OF SPADES (Thorold Dickinson, GB 1949)
Dickinson, der die Regie des Films wenige Tage vor dem Dreh übernommen haben soll (und dessen andere Filme ich leider nicht kenne) ist seinem Erzähltemperament nach ein Spieler - was dem Stoff sehr zu Gute kommt. Alles ist hier künstlich, Behauptung, von der stilisierten Studiodekoration bis zum lustvoll überzeichneten Schauspiel, aber unter seiner Regie wird es auf magische Weise lebendig, schaurig-schön, mitunter ausgesprochen furchterregend, ohne je den gesetzten Genre-Rahmen zu verletzen. Anton Walbrook (ursprünglich Adolf Anton Wohlbrück, einer der wenigen deutsch-jüdischen Schauspieler, die ihre Karriere im englischen Exil fortsetzen konnten - z.B. als Lermontow in Powell & Pressburgers THE RED SHOES) und Yvonne Mitchell in den Hauptrollen gelingt es, dem Märchenton dieser Puschkin-Bearbeitung eine existenzielle, abgründige Note beizumengen, die den Film zu einer überraschend emotionalen Wirkung verhilft, während der Rest der barocken Besetzung - Edith Evans als Hexe! - komödiantisch schillert, ohne übrigens deshalb den Grusel zu mindern (ein Double Feature mit Lynchs vergnüglichen MULLHOLLAND DR. kann ich empfehlen).
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SECRET CEREMONY (Joseph Losey, GB 1968)
Losey gilt so Manchem als unsteter auteur, und wirklich wirkt dieser Film einigermassen abseitig neben THE SERVANT, ACCIDENT oder THE GO-BETWEEN, seinen „anerkannten” Meisterwerken, nicht zufällig alle in Zusammenarbeit mit Harold Pinter entstanden. Aber bei allen Vorbehalten, die ich gegenüber SECRET CEREMONY habe: die Trennung zwischen dem guten und dem schlechten Losey ist wahrscheinlich ebenso unsinnig wie die Erwartung, ein großer Regisseur müsste zuverlässig sein. Nicht nur ist er hier ganz offensichtlich im Vollbesitz seiner Kräfte - filmhandwerklich gesprochen - die Untiefen, die irritieren, finden sich auch in seinen besten Filmen (zu denen ich, neben den oben genannten, unbedingt auch MR. KLEIN rechnen würde). Das Problem ist, dass Loseys Esoterik, die in den anderen Filmen nur gelegentlich aufblitzt, im exzentrischen Rahmen von George Taboris Drehbuch wuchern darf. Was meine ich mit Esoterik? Auf die Gefahr hin, mich mit meiner Definition lächerlich zu machen: das Ornament angesichts der einfachen Tatsachen des Lebens. Der Film jedenfalls ist ornamental auf jeder Ebene („a film trying too hard to be misunderstood”
wie Gary Tooze richtig schreibt), und findet auch da, wo es um Missbrauch, Gewalt und Tod geht, keine Klarheit. Ich weiss, das ist eine einigermassen vage moralisch-ästhetische Kategorie (Rivettes Text "Über die Niedertracht" lässt grüssen), aber das ästhetische Raffinement dieser verworrenen, halb psychologischen, halb übernatürlichen Filmerzählung wird eben immer da unerträglich, wo es ans Eingemachte geht. Insofern enthält der Film für jeden Filmemacher schmerzhafte Lehren - auch ein Schrecken, den man im Kino erleben kann.
Lesenswert: Glenn Kennys Text auf Mubi.
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SUSPIRIA (Dario Argento, I 1977)
Argento die Unverhältnismässigkeit seiner Mittel vorzuwerfen wäre dagegen sinnlos. Von der ersten Einstellung an signalisiert der Regisseur, dass es ihm nicht um die Welt, sondern um das Kino selbst geht. Sein Film, für Verehrer der Gipfel seines Schaffens, ist eine Travestie, ein „letzter Horrorfilm” (so wie auch Leones C'ERA UNA VOLTA IL WEST, an dem Argento mitgeschrieben hat, ein „letzter Western” ist) der die Standardsituationen des Genres hysterisch dekonstruiert und dabei Porno-V-Effekte (die Dialoge!) und Kunstwollen kurzschliesst. Das Ergebnis ist geschmacklos, unterhaltsam und so outriert, dass es kaum je wirklich furchterregend ist...
(Der Film spielt übrigens in einem Deutschland, in dem alle Englisch sprechen, und wurde in München gedreht - die Stadt heisst im Film „Freiburg”. Argento geht mit den bekannten Orten - Königsplatz, Hofbräuhaus, Burgstraße, BMW-Hochhaus usw. oft sehr erfinderisch um. Für Münchner also ein Muss.)
08 Dezember, 2010
Mindfuck
Die Zeichnung als Werkzeug in der Drehbuchentwicklung: Christopher Nolans Strukturskizze zu INCEPTION (USA, 2010)
INCEPTION, ein rollendes Wunder in Sachen Technik, Marketing und Erfolg, hat mich ziemlich kalt gelassen. Nach einiger Vorfreude habe ich mich in einem Film wiedergefunden, der sich eine extravagante Struktur leistet, um dann doch nur das Übliche zu servieren (und das wieder und wieder). Der Film delektiert sich an seinen Komplikationen, ohne die Konsequenzen seiner Prämisse wirklich auszuloten, ohne komplex zu werden. Und weil es um nichts geht, weil das Zentrum leer bleibt, scheint der Aufwand an Exposition unverhältnismässig, nimmt man das erschreckend funktionale Personal mit Missvergnügen hin. Ja es drängt sich der Verdacht auf, die Vervielfachung der Handlungsebenen sei nur ein Vorwand, drei (sehr) konventionelle Actionplots unter einem Dach zu vereinen. Die Amerikaner nennen das Genre treffend „Mindfuck”: Der Preis für die Maximierung der Effektereignisse besteht in der Relativierung unserer Einfühlung. Wenn man sich nicht sicher sein kann, wie oft jemand sterben muss, um tot zu sein, geizt man mit den Tränen.
Trotzdem, die Grundidee ist faszinierend: die Welt des Traums als ein von der allesfressenden Maschine, die Kapitalismus heisst, gerade neu erschlossener Markt. In diesem Markt, an der neuen Grenze: Pioniere, die Risiken eingehen und damit mit ihrer eigenen Identität spielen. Das Problem ist, dass dieses neue Territorium, ganz entgegen unserer eigenen Erfahrung, schon von vorne herein gezähmt wirkt. Die sogenannte Traumlogik wird ja oft bemüht, wenn es ums Kino geht. Hier regiert weit und breit nur Plot. Das irrationale Moment, das sich der Markt- und Erzähllogik verweigert (und „erobert” werden müsste), hat bei Nolan keinen Platz - ist aber doch die Hauptsache beim Träumen, wie mir scheint. Der Traum im Film, muss man folgern, wurde schon kolonialisiert, lange vor Eintreffen unseres Helden. Entsprechend simuliert und second hand wirkt das Abenteuer. Schade.
Skizze: (via)
Aufregend: Aktuelle Traumforschung.
04 Dezember, 2010
Warten
Kinotour in Frankreich. Ich warte im Dunkeln den Abspann ab, das Mikrofon schon in der Hand. Es leuchtet grün. Besucher, die es eilig haben, drängen sich an mir vorbei. „Kritischer” Körperkontakt.
Flughafen Charles De Gaulle. Ich warte auf meinen Flug, nach diversen Umbuchungen: „Wintereinbruch”. Neben mir schläft ein Schicksalsgenosse, verkrümmt. Er trägt Pelzhausschuhe.
Der Computer auf meinem Schoss. Ich warte, bis er hochgefahren ist. Als sich die vertraute Bildschirmoberfläche aufgebaut hat, habe ich warme Beine.
Flughafen Charles De Gaulle. Ich warte auf meinen Flug, nach diversen Umbuchungen: „Wintereinbruch”. Neben mir schläft ein Schicksalsgenosse, verkrümmt. Er trägt Pelzhausschuhe.
Der Computer auf meinem Schoss. Ich warte, bis er hochgefahren ist. Als sich die vertraute Bildschirmoberfläche aufgebaut hat, habe ich warme Beine.
28 November, 2010
Storytelling
The former polish president, Aleksander Kwasniewski, who served for 10 years, said the best way to describe Poland today was with a short story:
“A group of children say to a rabbi, ‘Please tell us in a few words what the situation is,’ ” and the rabbi answers, ‘Good.’
“The children say, ‘Perhaps you can use a few more words, and the rabbi responds, ‘Not good.’ ”
The former president laughed, but then said that the story was not funny.
(Aus einem Artikel der NYTimes)
27 November, 2010
Der Kosmos als Kino
„Richtigerweise nahm [Felix Eberty] an, dass ein Lichtstrahl, der die Erde am Karfreitag des Jahres 30 n.Chr. Geburt verlassen hat – ideale Beobachtungsbedingungen vorausgesetzt –, sich noch immer im Kosmos vorwärts bewegt, und zwar von uns weg. Insofern sei alle Vorgeschichte im Weltall aufbewahrt auf den Schienen des Lichts. Die ganze Weltgeschichte sei folglich als BEWEGTE BILDFOLGE (das Wort Kino kannte Eberty nicht) im Kosmos unterwegs.”
Aus: „Der Kosmos als Kino”, eine Geschichte in Alexander Kluges „Geschichten vom Kino” (Suhrkamp 2007, S.44). Der Künstler Clemens von Wedemeyer zitiert diese Stelle in einem Text über seine Kino-Installation Sun Cinema in Mardin, Türkei. Ebertys Idee vom 'Kosmos als Kino' fasziniert mich - deshalb dieser Repost.
Aus: „Der Kosmos als Kino”, eine Geschichte in Alexander Kluges „Geschichten vom Kino” (Suhrkamp 2007, S.44). Der Künstler Clemens von Wedemeyer zitiert diese Stelle in einem Text über seine Kino-Installation Sun Cinema in Mardin, Türkei. Ebertys Idee vom 'Kosmos als Kino' fasziniert mich - deshalb dieser Repost.
Drei Berliner Vorpremieren:
IM ALTER VON ELLEN (Pia Marais, 2010)
Donnerstag, 2.12.2010 - 21.30 h (im Babylon Mitte, im Rahmen des Festivals Around the World in 14 Films). Trailer: Hier.
LA LISIÈRE - AM WALDRAND (Geraldine Bajard, 2010)
Freitag, 3.12.2010 - 20.30 h (Cinéma Paris)
Sonntag, 5.12.2010 - 18.00 (FaF)
Dienstag, 7.12.2010 - 20.30 (Passage Neukölln)
Im Rahmen der 10. Französischen Filmwoche.
GLÜCKLICHE FÜGUNG (Isabelle Stever, 2010)
Donnerstag, 16. 12. 2010 - 21:15 h (Babylon Mitte)
Unglücklicherweise kommen IM ALTER VON ELLEN und GLÜCKLICHE FÜGUNG zur gleichen Zeit ins Kino, nämlich am 20.01.2011. LA LISIÈRE startet am 14.04.2011.
26 November, 2010
Mehrschichtkuchen
Gestern hat sich nach der Vorführung im Kino der HFF „Konrad Wolf” ein Gespräch entsponnen um das Thema „Mehrschichtkuchen”. Sollte man, fragte ein Student, nachdem ich von verschiedenen möglichen „Lesetiefen” gesprochen hatte, meinen Film betreffend, sollte man versuchen, Filme gezielt so anzulegen, dass sie auf verschiedenen Ebenen verschiedene Bedürfnisse ansprechen? Sollte man einen Mehrschichtkuchen backen, der mit dem Zuckerguss die „Kleinen” und mit der Füllung die „Großen” anspricht (meinetwegen in ein- und derselben Person)? Dahinter steht die größere Frage, wie kalkuliert man überhaupt mit den Wünschen der Anderen umgehen kann und soll. Hallo Zielgruppe! Während mir nichts verhasster ist als die verfilmte Marktforschung und ich es übelnehmerisch finde, mit dem Publikum zu rechnen, habe ich durchaus mein Vergnügen an unreinen Mischungen...
Siehe auch: *
Siehe auch: *
Jafar Panahi an seine Richter
Ein Bild aus Panahis scharfsichtigem TALAYE SORKH (Iran, 2003).
Der iranische Regisseur Jafar Panahi, der drei Monate ohne Anklage eingesperrt und am 25. Mai diesen Jahres auf Kaution freigelassen worden war, muss sich zur Zeit vor Gericht verantworten. Die Anklage, ganz offensichtlich politisch motiviert, spricht vage von „Obszönität” und wirft Panahi staatsfeindliche Aktionen vor. Hier sein Plädoyer, in englischer und französischer Sprache.
Update: die deutsche Version hier.
22 November, 2010
Bild als Virus
ULYKKE von Nic Brown (via) - ein Video, das Artefakte zum ästhetischen Programm macht, die man im Alltag als Fehler wahrnimmt. Interessant finde ich das Unbehagen, das diese Strategie auslöst. Im Zusammenhang mit dem - in vielerlei Hinsicht ähnlichem - Kurzfilm PRESERVING CULTURAL TRADITIONS IN A PERIOD OF INSTABILITY von Thomas Draschan & Sebastian Brameshuber habe ich geschrieben „Ein Film der Latenz, der ahnen lässt, welche Kreaturen in Zukunft aus dem Meer der Zeichen steigen könnten.” Klingt reichlich nebulös, aber das Gefühl einer nur ahnbaren Zukunft ergreift mich hier wieder.
21 November, 2010
Album
Eben habe ich (auf raumsprache.blogspot.com) ein Album angelegt, das einen Überblick erlaubt über 40 deutsche Filme der letzten 15 Jahre, die oft und gerne der Berliner Schule zugerechnet werden. Klingt schwer nach Jubiläum, ist aber ganz informell gemeint, als Werkzeug der Besinnung sozusagen.
(Auf das Bild oben doppelklicken, um es zu vergrößern)
14 November, 2010
Heft in Sicht!
Heft 23, das Anfang Dezember erscheint, enthält Interviews mit Claire Denis, Jean-Pierre + Luc Dardenne (zweiter Teil unseres auf zwei Ausgaben angelegten Schwerpunktes zum französischen Kino), ein Gespräch mit Lutz Dammbeck, Texte von Miguel Gomes und Matthew Porterfield sowie eine Postkarte von Sylvette Baudrot.
Abonnieren / Bestellen: Hier.
Website: www.revolver-film.de
13 November, 2010
(Wieder-) Gesehen [2]
BUONGIORNO, NOTTE (Marco Bellocchio, I 2003)
Eine „wahre” Geschichte, die sich von den Tatsachen nicht einschüchtern lässt, ein Film jedoch, dessen poetische Erfindungen nicht gegen die Dimension des Politischen arbeiten, sondern für sie. Erschütternd, der Moment, in dem Chiara (Maya Sansa), deren Perspektive den Film führt, die Symmetrie des Terrors von links und rechts begreift. Genial: der Einsatz der Musik, von Verdi bis Pink Floyd.
IL DIVO (Paolo Sorrentino, I 2008)
Sorrentino ist ein virtuoser Arrangeur rhythmischer Effekte, er reiht Ausrufezeichen an Ausrufezeichen, will radikal, enthüllend, überwältigend sein. Aber sein Andreotti ist eine leblose Karikatur, seine Beschreibung italienischer Politik nebulös. Von der politischen und gedanklichen Schärfe Bellocchios ist er weit entfernt. Jede Einstellung schreit „Bravura”, beweist aber nur sich selbst. Das Ergebnis ist ein großer Bahnhof filmischer Mittel, die ziellos bleiben. Ärgerlich.
CARLOS (Olivier Assayas, F 2010)
Noch ein „Politfilm”, gerade im Kino. Assayas' elegante Regie wird zurecht gelobt, aber unbefriedigend bleibt für mich die additive Dramaturgie, die nie wirklich über das Beweisbare hinauswill und jenseits des journalistischen keine politische Idee entwickelt - und nicht zuletzt Carlos selbst, durchaus überzeugend gespielt von Édgar Ramírez, aber als Charakter ein leeres Zentrum, in der Summe seiner Taten unbestimmt.
THE FURIES (Anthony Mann, USA 1950)
Halb blühender Unsinn, halb geniale Charakterstudie, die sich an und mit Barbara Stanwyck entzündet, die hier leuchtet wie selten. Ich weiss nicht, ob ich Robin Wood zustimmen kann, der (im Booklet der Criterion-DVD) schreibt, der Film gewinne mit seinen Fehlern zusätzlich an Faszination; in jedem Fall können die Untiefen den Höhepunkten dieser unbequemen Mischung aus Western und Melodram nichts anhaben.
CARRIE (Brian De Palma, USA 1976)
Für mich De Palmas überzeugenster Film, der im Horror nur Komödie sehen kann (und umgekehrt), in den gesuchten Überhöhungen (extreme Zeitlupe, Sternfilter usw.) kein Mass kennt, im Exzess seiner Mittel aber so bewusst und so lächerlich ist, dass ein „einfacher” Konsum fast unmöglich scheint. Amerikanische Dialektik, mit einer großartigen Sissy Spacek.
KLARAS MUTTER (Tankred Dorst, D 1978)
Es wäre interessant, De Palmas Film im Double Feature mit Dorsts in jeder Hinsicht komplementären Debüt zu sehen, der eine verwandte Geschichte erzählt (die starke Mutter, die sich gegen die Gesellschaft stellt, die Tochter, die unter der Differenz - in die sie hineingeboren wurde - leidet; die Eifersucht zwischen den Frauen, die Sehnsucht der Kleinstadt nach einem Umsturz, und wie er sich gegen sie selbst wendet, das Schweineblut und das wirkliche ...), aber - mit „europäischer Sensibilität” - etwas ganz anderes erreicht.
*
Passt in diesen Reigen mehr oder weniger politischen Kinos:
UNITED RED ARMY (Wakamatsu Koij, J 2007)
Siegen lernen
Stellen wir uns folgende Situation vor: Die Spitzen eines Unternehmens sind in einer Berghütte zusammengekommen, um in der Abgeschiedenheit eine radikale Strategie zu beschliessen, die den Markt aufmischen und vor einer feindlichen Übernahme schützen soll. Die Klausur wird flankiert von einer Art paramilitärischem Training, um die Teilnehmer auch körperlich auf den erwarteten „totalen Krieg” vorzubereiten. Solcherart konditioniert wird aus der Fehlersuche – eine Reihe von Zielvorgaben sind im letzten Quartal unterschritten worden – eine mörderische Angelegenheit. Vermeintliche „Versager” werden psychologisch demontiert und schliesslich körperlich attackiert. Nach und nach kommen so 14 junge Führungskräfte zu Tode.
Der Film JITSUROKU: RENGO SEKIGUN ASAMA SANSO E NO MICHI (United Red Army) handelt natürlich nicht vom Wirtschaftskrieg, sondern von einer radikalen linken Gruppierung in Japan, die sich im Februar 1972 einer mörderischen „Selbstkritik” unterzogen hat, bevor sie von der Polizei entdeckt und in einer zehn Tage dauernden Belagerung überwältigt wurde. Aber die Parallelen zur Rhetorik von Effizienz und Aggression, die uns heute täglich serviert wird, sind unübersehbar.
Zur Erinnerung: „Die Angestellten des Technocentre von Renault bei Paris stehen unter Schock. Sie erfuhren am Dienstag, dass sich einer ihrer Kollegen, ein 38-jähriger Ingenieur, am Freitag in seiner Wohnung erhängt hat. Er arbeitete an dem neuen Modell Laguna, das im nächsten Jahr auf den Markt kommen soll. Dies ist bereits der dritte Angestellte des Technocentres, der sich innerhalb der letzten vier Monate umgebracht hat.” (Aus einem Artikel von Fabian Kröger)
In einer Szene wird eine junge Frau, die auffällig geworden war, weil sie sich an den paramilitärischen Übungen nur halbherzig beteiligt hat, über ihre Motive befragt. „Warum hast du dich heute geschminkt?” „Warum hast du die Kleidung gewechselt?” „Warum bist du hier?” heisst es wieder und wieder – und das Verrückte ist, dass durch die inquisitorische Insistenz nach einer Weile wirklich jede Handlung und jede Antwort verdächtig erscheint.
Die stalinistische (oder maoistische?) Praxis der „Selbstkritik” ist der dunkle Strom, der das vermeintlich so rationale Gebäude der kommunistischen Revolution, von der so viel die Rede ist, unterspült und zum Einsturz bringt. Während die jungen Aktivisten in Phillippe Garrels LES AMANTS RÉGULIERS (F 2005) zum Beispiel selbstdarstellerisch von der Liebe sprechen / das Sprechen lieben, wird die Kommunikation hier zu einer Art ritueller Autoaggression, die alles Individuelle ausmerzen soll.
(Geschrieben für das DIE ZEIT Berlinale Blog 2008).
11 November, 2010
Büld vs. Lemke
10 November, 2010
Street View Poetry
Zum modernen Zeitvertreib gehört es, sich die Häuser flüchtiger Bekannter via Google anzusehen. Manchmal haben diese automatischen Bilder einen fremden Zauber. Ferne Gegenwart! Ich stelle mir ein Leben vor, das vor diesem Garten spielt...
( Das Bild zeigt den Street View einer Adresse in Los Angeles.)
Die Frage
Wenn mir meine Tochter - sie ist vier - eine ihrer Zeichnungen zeigt, liegt die Frage nahe (ich habe sie im Ohr), was denn dieser oder jener Strich bedeuten solle.
Sie ist um eine Antwort nicht verlegen, aber ich bereue meistens, gefragt zu haben, einfach weil eine Zeichnung ja nicht notwendigerweise etwas bedeuten muss.
Warum ich trotzdem frage? Vielleicht, weil ich mit ihr sprechen möchte, über einen Gegenstand, den sie hervorgebracht hat.
So oder so, diese Suggestion: der Künstler muss uns etwas „sagen” oder zeigen wollen, etwas Gegenständliches, Wiedererkennbares, lenkt die kreative Anarchie zuverlässig in konventionelle Bahnen, verzweckt sie sozusagen.
Dabei liegt die Lust an einer Zeichnung doch weder für den Künstler noch für den Betrachter im Transport.
Spätestens wenn alles eindeutig erkennbar ist, ist die Kindheit zu Ende, scheint mir...
Sie ist um eine Antwort nicht verlegen, aber ich bereue meistens, gefragt zu haben, einfach weil eine Zeichnung ja nicht notwendigerweise etwas bedeuten muss.
Warum ich trotzdem frage? Vielleicht, weil ich mit ihr sprechen möchte, über einen Gegenstand, den sie hervorgebracht hat.
So oder so, diese Suggestion: der Künstler muss uns etwas „sagen” oder zeigen wollen, etwas Gegenständliches, Wiedererkennbares, lenkt die kreative Anarchie zuverlässig in konventionelle Bahnen, verzweckt sie sozusagen.
Dabei liegt die Lust an einer Zeichnung doch weder für den Künstler noch für den Betrachter im Transport.
Spätestens wenn alles eindeutig erkennbar ist, ist die Kindheit zu Ende, scheint mir...
07 November, 2010
Remix Disney
via
Das Video-„Mashup”, der Remix, die kreative Umdeutung oder -kehrung bestimmter Standards der Popkultur ist zu einem festen Bestandteil der Netzkultur geworden - und begeistert mich. Hier zum Beispiel treffen sich Schneewitchen und Dancefloor...
03 November, 2010
Was ist sentimentales Kino?
Ein Kino der gemachten Gefühle, für ein Publikum, das sich in seiner Rührung gefällt.
Was unterscheidet die gemachten Gefühle von den „wahren”?
Das gemachte Gefühl ist nicht empfunden, sondern auf Wirkung berechnet. Der „Erfolg” des sentimentalen Kinos ist die Träne im Auge des Zuschauers, nicht die angemessene Darstellung. Die wahren Gefühle dagegen sind unzuverlässig.
Typische Kennzeichen?
Ein Gerechtigkeitsgefälle („Unschuld in Not”), das nach Massgabe seiner emotionalisierenden Wirkung individualisiert und zugespitzt wird, während man den politisch-sozialen Boden absichtsvoll verunklärt. Eine Musik, die sich als Hirtenhund des Fühlen-müssens geriert - und uns zu Lämmern macht.
Was ist daran schlecht?
Das sentimentale Kino will aus einer menschlichen Schwäche Kapital schlagen, rechnet mit der Eitelkeit (und dem Gefühlshunger) seines Publikums. Das ist nicht nur unethisch, sondern steht auch einer Verschärfung des Wirklichkeitsbegriffes im Wege, um die es gehen muss.
Was heisst „Verschärfung des Wirklichkeitsbegriffes”?
Ich glaube an ein Kino als poetisches Werkzeug, das unsere Vorstellung davon, was wirklich ist, präzisieren hilft.
Warum sind so viele Filme sentimental?
Es ist eines der gängigen Opiate des Kinos. Ein süsses Gift, das sich zwischen Selbst- und Weltwahrnehmung drängt. Es ist populär bei vielen Filmemachern, weil es Macht über den Zuschauer bedeutet. Es ist populär bei vielen Zuschauern, weil die Rührung Empfindsamkeit und Anteilnahme vortäuscht, die sie im Leben vermissen. Diese Gefühlsbeute im Schicksalsnebel wird deshalb oft und gerne mit dem „großen Kino” verwechselt, das uns ja angeblich fehlt. Ich glaube im Gegenteil, dass falsche Gefühle der Tod des Kinos sind - und sehne mich nach den Echten.
Nachtrag:
Bin in der U-Bahn eben meine Favoriten durchgegangen und habe mich gefragt, wie belastbar meine Kritik ist. Für jeden verehrten unsentimentalen Regisseur - Ernst Lubitsch zum Beispiel, Luchino Visconti, Orson Welles, Alfred Hitchcock fallen mir ein - könnte ich einen sentimentalen nennen, dessen Filme ich dennoch liebe. Was ist mit John Fords SHE WORE A YELLOW RIBBON? Vielleicht wäre in Sachen Ford noch eine Verteidigungslinie zu finden, aber Vincente Minellis MEET ME IN ST. LOUIS ist bestimmt sentimental - und trotzdem großartig. Vielleicht kann eine solche Pauschalierung nicht funktionieren ... Weiterdenken.
Siehe auch: Gefühlsindustrie?
01 November, 2010
Bechergröße
Eine haarige Angelegenheit: Kritik-Kritik.
Nachdem ich heute drei mal dieselbe Filmkritik des selben Autors in drei verschiedenen Bechergrößen habe lesen dürfen - die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, den „amphibischen” Journalismus zu kritisieren. Ich weiss, die Zeiten sind schlecht, das Zeilengeld reicht nicht fürs Mindeste - aber im Baukastensystem wieder und wieder die selbe Metapher einzusetzen, einmal mit Begründung, einmal ohne - das kann es nicht sein. Ein guter Text hat keine beliebige Länge.
Ein bisschen wundert mich, warum sich bisher, dem Netz und seinen Möglichkeiten zum Trotz, keine Kritik der Kritik etabliert hat. Ich meine nicht das pauschale Schimpfen auf die „Journaille” (was in der Branche gerne betrieben wird), sondern die differenzierte Auseinandersetzung mit dem Schreiben anderer, die Weiterentwicklung wichtiger Argumente, der Streit, aber natürlich auch, wo nötig, die Benennung bestimmter Korruptionspraktiken, die Konter-Recherche.
Denn ja, ich glaube an die Bedeutung der Kritik als einer Werkstatt der Begriffe...
29 Oktober, 2010
Séance im Fernsehen
Zwei Bilder aus meinem Kurzfilm SÉANCE.
DEUTSCHLAND 09 - und damit auch mein Beitrag SÉANCE - läuft am 10. November um 22:45 auf Arte. Die ARD wiederholt den Film am 21.11.2010 um 0:20h.
27 Oktober, 2010
Boxring im Wohnzimmer
Fritz Langs Haus in Berlin Dahlem - mit dem berühmten Boxring im „Wohnzimmer” -, wie es das Magazin „Die Dame” in den 20ern veröffentlichen durfte. Lang muss damals wirklich eine Art Popstar gewesen sein...
(Das Haus in der Schorlemmerallee existiert übrigens noch. Die Bilder sind Youtube-Screenshots einer konventionellen, aber gut informierten Doku von Artem Demenok, in der sich u.a. Jean-Marie Straub und Claude Chabrol über Lang äussern.)
25 Oktober, 2010
Georg Seeßlen:
„Kann das Kino überhaupt etwas Relevantes über den Kapitalismus sagen? Ist es nicht vielmehr bis in die Technik, bis in die Organisation des Publikums, bis in die Bildersprache hinein sein perfekter Ausdruck? Gehen wir nicht gerade ins Kino, um vom Kapitalismus abzusehen, während wir ihm dienen?”
Aus Seeßlens Text „Geld ist ein Spiel” in der Printausgabe des aktuellen Freitag.
Aus Seeßlens Text „Geld ist ein Spiel” in der Printausgabe des aktuellen Freitag.
23 Oktober, 2010
Jonas im Netz
Jonas Mekas
Jonas Mekas, lebende Legende des Tagebuchfilms, Poet, Aktivist, Gründer der Anthology Film Archives und der Filmmaker's Coop, betreibt seit Anfang 2010 eine eigene Website, jonasmekasfilms.com, die voller Fundstücke, Überraschungen und Wunder ist und, zum Beispiel, Freunde dabei zeigt, wie sie (ziemlich lustige) Witze erzählen. Ein Besuch lohnt sich.
Gegenwartskino / HFF Potsdam
Robert Hunger-Bühler als Roland Cordes.
DONNERSTAG, 25.11., 17:00 UHR
HFF KINOSAAL/1104
http://www.hff-potsdam.de/
In der Reihe Gegenwartskino des Studiengangs Regie läuft mein Film
UNTER DIR DIE STADT. Anschließend gibt es ein Werkstattgespräch.
(Deutscher Kinostart ist der 31.03.2011.)
17 Oktober, 2010
Thomas Brasch:
„Der Umstand, dass ich diesen Preis aus den Händen des bayerischen Ministerpräsidenten, dessen politische Haltung der meinen entgegengesetzt ist, annehme, hat unter meinen Freunden zu Auseinandersetzungen geführt. Ich möchte hier erklären, warum ich die Annahme oder Ablehnung dieses oder jenes Preises für ein sekundäres Problem halte, hinter dem ein Wichtigeres zu Tage tritt.
Unter den Widersprüchen, die unsere Zeit taumeln lässt - zwischen Waffenstillstand und Krieg, zwischen dem Zerfall der Ordnung, die Staat heißt, und ihrem wütenden Überlebenskampf, zwischen dem Alten, das tot ist, aber mächtig, und dem Neuen, das lebensnotwendig ist, aber nicht in Aussicht - scheint der Widerspruch, in dem ich arbeite, ein Geringer: gleichzeitig ein Denkmal zu setzen dem anarchischen Anspruch auf eigene Geschichte und dies zu tun mit dem Wohlwollen derer, die eben diesen Versuch unmöglich machen wollen und müssen - der Herrschenden nämlich.
FJS und Thomas Brasch 1981.
Obwohl wie gesagt nicht der wichtigste Widerspruch ist er doch für den, der ihm ausgesetzt ist, der mit dem Geld des Staates arbeitet und den Staat angreift, der den subversiven Aussenseiter zum Gegenstand seiner Arbeit macht, und sich selbst zur gleichen Zeit zu einem Komplizen der Macht, ein Entscheidender. Er ist der Widerspruch der Künstler im Zeitalter des Geldes schlechthin - und er ist nur scheinbar zu lösen mit dem Rückzug in eine privatisierende Kunstproduktion, oder mit der Übernahme der Ideologie der Macht.
Beides sind keine wirklichen Lösungen, denn sie gehen dem Widerspruch aus dem Weg – und die Widersprüche sind die Hoffnung. Erst sie ermöglichen, den Bruch, der durch die Gesellschaft der Leistungen und der staatlichen Macht geht, und durch jedes einzelne ihrer Glieder, in ihrer ganzen Größe zu erkennen. Diese Gesellschaft hat sie geschaffen, hat die Künste in die Zerreissprobe zwischen Korruption und Talent geschleift. Und nicht die Künste werden diesen Widerspruch abschaffe - sie können sich ihm nur aussetzen, um ihn besser zu beschreiben - sondern alle Kräfte, die zur Abschaffung der gegenwärtigen Zustände beitragen, die keine menschenwürdigen sind. Davon handelt mein Film, auch wenn er von Kriminellen handelt, aber die Kriminalität ist der urwüchsigste Ausdruck der Auflehnung. (...)”
Zitiert nach der Fernsehaufzeichnung der Verleihung des Bayerischen Filmpreises 1981.
Unter den Widersprüchen, die unsere Zeit taumeln lässt - zwischen Waffenstillstand und Krieg, zwischen dem Zerfall der Ordnung, die Staat heißt, und ihrem wütenden Überlebenskampf, zwischen dem Alten, das tot ist, aber mächtig, und dem Neuen, das lebensnotwendig ist, aber nicht in Aussicht - scheint der Widerspruch, in dem ich arbeite, ein Geringer: gleichzeitig ein Denkmal zu setzen dem anarchischen Anspruch auf eigene Geschichte und dies zu tun mit dem Wohlwollen derer, die eben diesen Versuch unmöglich machen wollen und müssen - der Herrschenden nämlich.
FJS und Thomas Brasch 1981.
Obwohl wie gesagt nicht der wichtigste Widerspruch ist er doch für den, der ihm ausgesetzt ist, der mit dem Geld des Staates arbeitet und den Staat angreift, der den subversiven Aussenseiter zum Gegenstand seiner Arbeit macht, und sich selbst zur gleichen Zeit zu einem Komplizen der Macht, ein Entscheidender. Er ist der Widerspruch der Künstler im Zeitalter des Geldes schlechthin - und er ist nur scheinbar zu lösen mit dem Rückzug in eine privatisierende Kunstproduktion, oder mit der Übernahme der Ideologie der Macht.
Beides sind keine wirklichen Lösungen, denn sie gehen dem Widerspruch aus dem Weg – und die Widersprüche sind die Hoffnung. Erst sie ermöglichen, den Bruch, der durch die Gesellschaft der Leistungen und der staatlichen Macht geht, und durch jedes einzelne ihrer Glieder, in ihrer ganzen Größe zu erkennen. Diese Gesellschaft hat sie geschaffen, hat die Künste in die Zerreissprobe zwischen Korruption und Talent geschleift. Und nicht die Künste werden diesen Widerspruch abschaffe - sie können sich ihm nur aussetzen, um ihn besser zu beschreiben - sondern alle Kräfte, die zur Abschaffung der gegenwärtigen Zustände beitragen, die keine menschenwürdigen sind. Davon handelt mein Film, auch wenn er von Kriminellen handelt, aber die Kriminalität ist der urwüchsigste Ausdruck der Auflehnung. (...)”
Zitiert nach der Fernsehaufzeichnung der Verleihung des Bayerischen Filmpreises 1981.
Manifest
Klaus Lemke hat ein Manifest geschrieben. Die üblichen Sprüche, straßenwürzig vorgetragen, natürlich in Großbuchstaben:
„ (...) 13 JAHRE STAATSKINO UNTER ADOLF UND DIE LETZTEN 40 JAHRE STAATLICHER FILMFÖRDERUNG HABEN DAZU GEFÜHRT, DASS DER DEUTSCHE FILM SCHON IN DEN SIEBZIGERJAHREN AUF KLASSENFAHRT IN DER TOSKANA HÄNGENBLIEB; DASS AUS REGISSEUREN SOFT SKILLS-KASTRATEN UND AUS PRODUZENTEN VEREDELUNGSJUNKIES WURDEN.
WIR BAUEN DIE SCHÖNSTEN AUTOS.
WIR HABEN DIE SCHÖNSTEN FRAUEN.
ABER UNSERE FILME SIND WIE GRABSTEINE.
BRAV. BANAL. BEGÜTIGEND. GOETHEINSTITUT.
ABER FILM IST KEINE AUSSTERBENDE TIERART. FILM IST AUCH KEIN INTELLIGENZBESCHLEUNIGER. FILM MUSS NOCH NICHT MAL GUT SEIN.
FILM MUSS NUR WIRKEN. (...)”
Davon abgesehen, dass „Film muss nur wirken” völliger Quatsch ist - das Traurige ist doch, dass Lemke, der immer wieder mal einen tolldreist schönen Film macht, eben keine Alternative weiss. Seine Filme kommen schon lange nicht mehr ins Kino, sind Marginalien auf dem DVD-Markt, finden ihr bescheidenes Publikum im gebühren-finanzierten Fernsehen oder auf (geförderten) Festivals. Trotz der Tatsache, dass er sehr billig produziert (und nur minimale Gagen zahlt), hängt er letztlich - wie wir alle - am Geldhahn der Öffentlich-Rechtlichen. Der Unterschied ist, dass er sich dafür schämt.
Ich schäme mich nicht, finde im Gegenteil, dass sich die kulturelle Förderung, die wir uns leisten, (immer wieder) lohnt, im Theater, in der bildenden Kunst und natürlich auch im Film, mehr noch, dass wir sie brauchen, um - als demokratisch verfasste Gesellschaft - ein Bild zu haben von uns, unseren Leben und Widersprüchen, Material haben, mit dem wir uns beschreiben und in den Konflikt gehen können.
Natürlich gibt es einen Grundwiderspruch zwischen der Kunst und der Macht, zwischen dem Film und den Institutionen, und natürlich produziert Fördermacht Gehorsam - aber der Rückzug des Staates, die „Dynamik des Marktes” ist keine Lösung, und war es nie.
Thomas Brasch hat das Dilemma zwischen Kunst und Staat gut auf den Punkt gebracht, 1981, bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises. Ich habe mir eben die Mühe gemacht, seine Rede abzutippen ... „Widersprüche sind die Hoffnung”. Siehe oben.
Update: Eine Reaktion von Wolfgang Büld auf Lemkes Text.
„ (...) 13 JAHRE STAATSKINO UNTER ADOLF UND DIE LETZTEN 40 JAHRE STAATLICHER FILMFÖRDERUNG HABEN DAZU GEFÜHRT, DASS DER DEUTSCHE FILM SCHON IN DEN SIEBZIGERJAHREN AUF KLASSENFAHRT IN DER TOSKANA HÄNGENBLIEB; DASS AUS REGISSEUREN SOFT SKILLS-KASTRATEN UND AUS PRODUZENTEN VEREDELUNGSJUNKIES WURDEN.
WIR BAUEN DIE SCHÖNSTEN AUTOS.
WIR HABEN DIE SCHÖNSTEN FRAUEN.
ABER UNSERE FILME SIND WIE GRABSTEINE.
BRAV. BANAL. BEGÜTIGEND. GOETHEINSTITUT.
ABER FILM IST KEINE AUSSTERBENDE TIERART. FILM IST AUCH KEIN INTELLIGENZBESCHLEUNIGER. FILM MUSS NOCH NICHT MAL GUT SEIN.
FILM MUSS NUR WIRKEN. (...)”
Davon abgesehen, dass „Film muss nur wirken” völliger Quatsch ist - das Traurige ist doch, dass Lemke, der immer wieder mal einen tolldreist schönen Film macht, eben keine Alternative weiss. Seine Filme kommen schon lange nicht mehr ins Kino, sind Marginalien auf dem DVD-Markt, finden ihr bescheidenes Publikum im gebühren-finanzierten Fernsehen oder auf (geförderten) Festivals. Trotz der Tatsache, dass er sehr billig produziert (und nur minimale Gagen zahlt), hängt er letztlich - wie wir alle - am Geldhahn der Öffentlich-Rechtlichen. Der Unterschied ist, dass er sich dafür schämt.
Ich schäme mich nicht, finde im Gegenteil, dass sich die kulturelle Förderung, die wir uns leisten, (immer wieder) lohnt, im Theater, in der bildenden Kunst und natürlich auch im Film, mehr noch, dass wir sie brauchen, um - als demokratisch verfasste Gesellschaft - ein Bild zu haben von uns, unseren Leben und Widersprüchen, Material haben, mit dem wir uns beschreiben und in den Konflikt gehen können.
Natürlich gibt es einen Grundwiderspruch zwischen der Kunst und der Macht, zwischen dem Film und den Institutionen, und natürlich produziert Fördermacht Gehorsam - aber der Rückzug des Staates, die „Dynamik des Marktes” ist keine Lösung, und war es nie.
Thomas Brasch hat das Dilemma zwischen Kunst und Staat gut auf den Punkt gebracht, 1981, bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises. Ich habe mir eben die Mühe gemacht, seine Rede abzutippen ... „Widersprüche sind die Hoffnung”. Siehe oben.
Update: Eine Reaktion von Wolfgang Büld auf Lemkes Text.
What was on
Ein Bild aus der Serie „What was on”: Fernsehfotografien.
Rainer Knepperges empfiehlt auf newfilmkritik Square America, die sehenswerte Website des US-amerikanischen Fotosammlers und -kurators (wenn ich das recht verstehe:) Michael Williams, die sich dem alltäglichen Amerika im Spiegel privater Fotografien und Schnappschüsse verschrieben hat. Ein unerschöpflicher Fundus...
Ein paar Empfehlungen aus der Fülle: Defaced, Doubletake, Smoke, Laughter.
Mediensprech (1):
„Der Produzent, der einen integrierten Verwertungsapparat unterhält, kann das Produkt über die Auswertungskaskaden zirkulieren lassen.”
(Helmut Kloiber im Interview; Quelle: Blickpunkt Film)
(Helmut Kloiber im Interview; Quelle: Blickpunkt Film)
13 Oktober, 2010
Bewegung schreiben ...
Apropos „Bewegung schreiben”: zwei Beispiele aus der Geschichte der Tanz-Notation. Hier eine Leserempfehlung zum Thema.
Typische Bewegungsskizze, wie sie bei mir am Set entsteht.
Notation
Geoffrey Jones (1931-2005), der seit den 50ern - meist im Dienst der Industrie - ganz erstaunliche Montagefilme gemacht hat (eine Empfehlung: SNOW, 1963), erklärt sein System der Vorbereitung anhand seines SEASON PROJECT (1980).
Zuerst wird der Soundtrack visualisiert bzw. in mögliche Montageeinheiten zerlegt.
Daraus geht dann ein weitgehend abstrakter „Vis Guide”-Film hervor, der die Grundlage für die zu drehenden (oder im Archiv zu suchenden) Einstellungen darstellt.
Die Bewegungsmuster der Realbilder entsprechen in etwa den Bewegungslinien des „Vis Guide”. Das Ergebnis ist eine rhythmisch-dynamische Montage, die weitgehend frei von inhaltlicher Dialektik ist.
(Alle Bilder: „Geoffrey Jones: The Rhythm of Film”, DVD bfi)
12 Oktober, 2010
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