08 Dezember, 2009

Pauline Kael

Ich kannte Pauline Kael nur dem Namen nach, als ich mir vor ein paar Jahren den Wälzer „For Keeps” kaufte - eine Auswahl von Texten aus 30 Jahren, auf 1291 Seiten. Natürlich las ich dann zuerst die Kritiken zu Filmen die ich mochte - und musste das Buch für eine Weile zur Seite legen. Zu viele meiner Favoriten, etwa Antonioni, Fellini, Kubrick, Resnais, Cassavetes - hatten es, gelinde gesagt, sehr schwer bei ihr. Im Zweifel war ihr ehrlicher Hollywood-Schmonz lieber als großes Kunstwollen, Brian DePalma zog sie Scorsese vor - und ausgerechnet Bertolucci schien sie als Halbgott zu verehren.

Aber nach und nach habe ich sie doch schätzen gelernt, für ihre Angriffslust, ihre Genauigkeit, ihren oft überraschenden Pragmatismus. Sie benennt ohne zu zögern, was ihr gefällt, auch in für sie fragwürdigen Werken, sie hat - sehr selten für einen Kritiker - ein sehr gutes Auge für Schnitt, für Rhythmus und für das, was sie „moral intelligence” nennt. Sie ist wunderbar darin, Schauspieler zu beschreiben. Sie ist witzig. Und sie hat etwas gegen Prätention jeder Art. Erstaunlich finde ich auch, wie hellsichtig sie nach einem ersten Film bestimmte Regisseure einzuordnen wusste (Spielberg zum Beispiel, oder David Lynch). Kurz und gut, sie zu lesen ist ein Vergnügen, das ich mir gerade wieder gönne.

Hier ein paar Kostproben (vielleicht kommen die nächsten Tage noch andere dazu):


Über Fellinis 81/2:
„There is an optimum size for a house: if it becomes too big it becomes a mansion or a showplace and we no longer feel the vital connections of family life, or the way the rooms reflect personalities and habits and tastes. When a movie becomes spectacle, we lose close involvement in the story; we may admire the action and the pageantry or, as in 81/2, the decor, the witty phantasmagoria, the suberb „professionalism” but it has become too big and impressive to relate to lives and feelings.” (1963)

Über Bogarde in Loseys ACCIDENT:
„He's a virtuoso at this civilized, stifled anguish racket, better even than Ralph Richardson used to be at surpressed emotion because he's so much more ambiguous that we can't even be sure what's he's surpressing. He aches all the time all over, like an all-porpose sufferer for a television commercial - locked in, with a claustrophobia of his own body and sensibility. Bogarde looks rather marvelous going through his middle-aged frustration routines, gripping his jaw to stop a stutter or folding his arms to keep his hands out of trouble. The Ralph Richardson civilized sufferer was trying to spare others pain, but Bogarde isn't noble: he goes through the decent motions because of training and because of an image of himself, but he's exquisitely guilty in thought - a mouse with the soul of a rat.” (1967)

Über Kubrick und A CLOCKWORK ORANGE:
„Is there anything sadder - and ultimately more repellent - than a clean-minded pornographer?” (1972)

Über Scorsese und GOODFELLAS:
„Yet the moviemaking has such bravura that you respond as if you were at a live performance. It's Scorsese's performance. He came of age as a director in the early seventies, at a time when many film ethusiasts were caught in the sixties idea that a good movie is always about its director. There's a streak of metaphoric truth in this, but here Scorsese puts the idea up front.

The Filmmaking process becomes the subject of the movie. All you want to talk about is the glorious whizzing camera, the freeze-frames and jump cuts. That may be why young film enthusiasts are so turned on by Scorsese's work: they don't respond to his films, they want to be him.” (1990)

6 Kommentare:

  1. Du hast mit allem, was Du schreibst, recht - und doch bin ich mit Kael nie glücklich geworden. Was, denke ich, daran liegt, dass der Fluchtpunkt ihrer Urteile immer etwas bleibt, das man am besten vielleicht "common sense" nennen kann. Man bringt sich um so viel, wenn man alles Kunstwollen immer gleich prätentiös findet. (Und man bringt sich womöglich um mehr, wenn man das Krude, das Unterhaltende, das Komische, den ehrlichen Schmonz verächtlich oder von der Warte vermeintlicher Kunstwahrheit aus abtut: da hat sie ja recht. )

    Man kann mit ihr vieles genauer sehen, aber ich vermisse bei ihr die Lust an Kontextualisierungen, die über bloße Genauigkeit hinausführen und einen Film in ein ganz anderes Licht stellen. Ich vermisse, kann man kürzer auch sagen, wirkliche, über die wohl formulierte Beschreibung, das präzise Urteil hinausreichende Einsichten, da ist Frieda Grafe etwa ein ganz anderer Fall.

    Ich glaube schon, das hat damit zu tun, dass Kael so kinofixiert ist. Und sich nicht für Kunst, Avantgarde, Theorie, also die kulturell avancierten Schauplätze ihrer Zeit, interessiert (oder zu interessieren scheint). Das ist so ein in sich geschlossener Raum, letztlich bleibt das provinziell und es kommen dann auch immer nur die im großen und ganzen erwartbaren Vorlieben dabei heraus. Es wird immer alles an Kriterien und Konzepten gemessen, die innerhalb des Mainstream-Filmkritik-Sprachspiels ihren "common sense" machen und in diesem Rahmen oft genau und witzig und treffend sind. Aber es führt nichts daran über diesen Rahmen hinaus. Nicht, dass Kael da die einzige wäre, weiß Gott...

    Aber Manny Farber, den ich jetzt natürlich nicht zufällig nenne, kann man sehr gut dabei beobachten, wie er seit den späten sechziger Jahren, übrigens gar nicht von der Theorie ausgehend, eine ganz andere Offenheit für sehr verschiedene Formen des Kinos entwickelt.

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  2. Und noch ergänzend, Jonathan Rosenbaums Farber-Zitat zu Kael, das auf einen verwandten Aspekt des Immer-Schon-Bescheidwissens zielt:

    "A few years later, in another interview—published in French, so I can’t quote from it verbatim—he expressed his irritation with Pauline Kael writing about RAGING BULL as if she knew what was good or bad in every shot, in every scene. He wondered what would happen if the same critical method were applied to Cézanne, or to Mozart."

    http://www.jonathanrosenbaum.com/?p=14534

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  3. Und das, soeben veröffentlicht, muss ich auch noch zitieren:

    "Still, and forever to consider: space, physiognomy, gesture, fashions, money, sincerity, overachievement, onanism***, painting, the paint itself, the canvas (shape, size), the frame, habit, architecture (actual and metaphorical), realism, work, and of course, Fassbinder, Herzog, Wenders, Huillet, Straub, “Hauff, Sanders, Syberberg, Boehm, Sinkel, Kluge, Reitz, Raben, Schlondorff, Ucicky, and Verhoven.” Farber constantly provided catalogues of things to keep considering. Et cetera, et cetera, et cetera."

    http://www.theauteurs.com/notebook/posts/1243

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  4. Lieber Ekkehard,

    ich verstehe deine Einwände. Ihr Urteil hat etwas Vormodernes. Sie sucht nicht den Diskurs, sondern die Unterscheidung. Ihr Denken hat einen autoritären Kern. Farber und Rosenbaum sind dagegen ganz entschieden der Moderne verpflichtet. Alles scheint vorläufig, thesenhaft, Teil eines unvollendeten Diskursprojekts, hinter dem die besprochenen Arbeiten gelegentlich verschwinden. (Den Farber-Text über Herzog, den ihr in Cargo veröffentlicht habt, finde ich übrigens toll.) Als Leser sehe ich in diesen Lagern notwendige Antipoden, als Filmemacher fühle ich mich Kael näher - auch wenn ich ihr ästhetisch natürlich nicht immer folgen kann...

    C

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  5. Ich glaube nicht, dass man das über die Antipoden-Diagnose so richtig befrieden kann. Für Farber stimmt das sowieso ganz sicher nicht; er ist doch immer ganz ganz dicht dran an den Filmen und dann gibt es dazwischen auch Ausholbewegungen in Richtung Diskurs/Allgemeineres - aber stark ist gar nicht so sehr, was er zum Diskurs zu sagen hat (er ist ja auch überhaupt kein Theorie-Mensch, ganz anders als Frieda Grafe), sondern eher, dass seine Mikroskopien am lebenden Organismus des Films immer offen sind auch in diese Richtung. Das fehlt bei Kael ganz.

    Werke "verschwinden" bei Farber auch nicht, würde ich sagen. Sie lösen sich eher vor lauter Genauigkeit und Lebendigkeit der Detail-Beobachtung auf; jedenfalls als geschlossene Werke: das ist in der Tat ein modernistischer Zug. Aber Farber ist keinesfalls weniger als Kael ein großartiger Schauspieler-Beschreiber, ein supergenauer Beobachter und all das. Er ist, wenn dann überhaupt noch pointillistischer in der Beschreibung.

    Man kommt bei ihm aber zugleich nie umhin, über seine Texte selbst zu sprechen, die auch einer modernistischen Ästhetik verpflichtet sind. Die von Kael so weit nicht einmal weg ist, auf den ersten Blick. Die gezielte High/Low-Vermischung, der Rückgriff auf Slang, bis hin zum Obszönen (da geht Kael bis zur Marotte viel weiter, das hat Renata Adler in ihrem legendären Totalverriss von "When the Lights Go Down" in der New York Review of Books herausgestrichen).

    Aber bei Kael steht das alles dann doch immer im Dienst eines letztinstanzlichen Urteils, das sie ex cathedra ihrer Persönlichkeit spricht. Farbers Textstrategie ist da - in den späteren Texten - tatsächlich diametral entgegengesetzt.

    Ein wenig erstaunlich finde ich aber schon, dass Du Dich so klar auf die Kael-Seite schlägst, weil ich ja sagen würde, dass Deine Überlegungen zuletzt zum Drehen/Montieren etc. in Richtung eines eher modernistischen Verständnisses des Films gehen. Man kommt da allerdings recht schnell wieder in die Nähe von Haneke-Fragen: Wie sehr kann man als Produzent von Filmen, Texten etc. bereit sein, wirklich die Kontrolle über den Text, den Film (bzw., parallele, nicht dieselbe Sache: seine Deutung) aufzugeben. Oder, wie ich formulieren würde: Wie sehr will man sich eingestehen, dass jeder Versuch, die Kontrolle trotz allem zu behalten, zu reinen Scheinfreiheiten führt. Das ist ein Problem, das die meisten RegisseurInnen aus dem "Berliner Schule"-Umfeld schon sehr im Kern trifft.

    Und das sind dann schon eher zwei gegenstrebige Tendenzen, aber innerhalb des Modernismus: Kontrollobsession vs. Spiel und Aleatorik und Improvisations- sowie Rezeptionsoffenheit. Aber vielleicht sind die spannendsten Sachen genau jene, die diesen Widerspruch aushalten? Ok, genug erstmal. Sind aber spannende Fragen, finde ich.

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  6. Ich kenne Farber wahrscheinlich einfach zu wenig. Dass mir Kael näher sei, war insofern vorschnell. Ich finde aber, dass der Regieberuf - so wie ich ihn erlebe - eine Art Instinktboden braucht. Urteilen spielt in dieser Arbeit eine große Rolle. In der Art des Zugriffs sehe ich eine Verwandtschaft. Aber wenn ich eine Kritiker-Patin nennen müsste, wäre mir Frieda Grafe zum Beispiel viel sympathischer...

    Was du schreibst über die Kontrolle, finde ich sehr interessant. Natürlich kann man nicht alles kontrollieren, selbst wenn man wollte. Aber wie sehr man es wollen soll, darüber bin ich mir nicht im Klaren. Im Schneideraum hadere ich meistens mit zwei Arten von Szenen: sehr kontrollierte und und sehr unkontrollierte... Es würde sich lohnen, darüber ausführlicher zu sprechen.

    Christoph

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