24 November, 2021

Silberblick

Revolverkino #9 im Gropius Bau

Wir haben es alle als Wahrheit akzeptieren gelernt, dass UdSSR und USA Antipoden waren und in gewisser Weise bis heute sind. Natürlich ahnten wir immer, dass diese im öffentlichen Bewusstsein verankerten Gegensätze in erheblichem Umfang Produkt propagandistischer Anstrengungen sind. Aber wenn nicht alles täuscht, hat sich bis heute, im vierten Jahrzehnt nach Ende des „Kalten Krieges“, keine wesentlich differenziertere Erzählung etablieren können. Dabei haben die beiden Mächte einige Verwandtschaften aufzuweisen, was den kulturellen „Silberblick”, das Schielen auf den Anderen, mindestens zum Teil erklärt. Inspiriert von der Ausstellung „The Cool and the Cold”, in der Spiegelungen und Parallelen in der Bildenden Kunst beider Länder eine große Rolle spielen, möchte Silberblick das Bild mit drei überraschenden Filmpaaren komplizieren und ergänzen.


15.12.2022
















19 h


WILD RIVER (Elia Kazan, USA 1960, 110 Min.) OV


Ein Flussufer wird enteignet, um Flutschäden vorzubeugen. Montgomery Clift spielt den Funktionär einer staatlichen Agentur, der die letzten, störrischen Individualisten zum Umzug bewegen soll. Die staatliche Fürsorge, so zeigt sich, bringt Fortschritt, aber vertieft auch den Zwiespalt, der sich ergibt, wenn man Menschen zum Glück zwingen will. 


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21.30 h


DIE ABENTEUER EINES ZAHNARZTES (Похождения зубного врача, Elem Klimov, UdSSR 1965, 82 Min.) OmeU


Ein satirisches Märchen: Der junge Zahnarzt Česnokov (Andrey Vasilyevich Myagkov) hat die Gabe, schmerzfrei Zähne zu ziehen. Seine Kollegen fürchten um ihre Existenz und schmieden eine Intrige. Wo kämen wir hin, wenn zufälliges Talent all das Fachwissen ruinierte? Die Zensur konnte über den Film nicht lachen und verbot ihn.



16.12.2021



















19 h


COMING HOME (Hal Ashby, USA 1978, 127 Min.) OV


Weil ihr Mann in Vietnam ist, macht sich Sally (Jane Fonda) als Freiwillige im Krankenhaus für Veteranen nützlich. Dort trifft sie auf ihre Highschool-Liebe, den eine Verwundung an den Rollstuhl gefesselt hat. Die alten Gefühle erwachen wieder – aber was passiert, wenn ihr Mann zurückkehrt? Zwei Arten von Geschichten gibt es nach Tolstoi: Weggehen und Wiederkommen. Coming home ist einer jener raren Kriegsfilme, die das Wiederkommen in den Mittelpunkt stellen und war die erste Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg im US-Kino.


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21.30 h


FLÜGEL (Крылья, Larisa Shepitko, UdSSR 1966, 85 Min.) OmeU


„Der große Krieg” ist in der kleinen Stadt schon Legende geworden, und die ehemalige Pilotin Nadezhda Petrukhina (Maya Grigoryevna Bulgakova) zu seiner Heldin. Aber auch wenn die neue Generation, zu der auch ihre Tochter gehört, sie am Liebsten in „Überlebensgröße” ins Museum bannen würde – sie ist noch am Leben und kann sich mit der Rolle eines wandelnden Denkmals nicht abfinden. Larisa Shepitkos introspektiver Debütfilm ist große Porträtkunst; er kündigt ein Werk an, das durch den frühen Unfalltod der Regisseurin jäh unterbrochen wurde.



17.12.2021

















19 h


NORMA RAE (Martin Ritt, USA 1979, 114 Min.) OV


Mit Norma Rae macht Ritt den Versuch, amerikanisches Erzählen („You can make it, if you really want.”) mit einem gewerkschaftlichen, vielleicht sogar: sozialistischen Plädoyer zu verbinden. Und das gelingt, auch weil Sally Field als „Norma“ den exemplarischen Charakter des Drehbuchs sprengt: eigensinnig, lebenshungrig, solidarisch, eckt sie an in der Südstaaten-Kleinstadt, in der alle in der Textilfabrik arbeiten, geknechtet von der Wiege bis zur Bahre. Als mit einem New Yorker Gewerkschaftsaktivisten plötzlich ein Weg sichtbar wird, die feudalen Fesseln zu sprengen, erwacht Norma als politisches Wesen. Und kämpft.


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21.30 h

KLEINE VERA (Маленькая Вера, Wassili Pitschul, UdSSR 1988, 128 Min.) DF

– wir zeigen die deutsche Synchronfassung (!)


Der Ärger beginnt mit einer Dollarnote. Die Eltern finden sie unter Veras Sachen – und machen sich Sorgen. Vera (Natalja Igorewna Negoda) will anders leben und lieben als ihre Eltern oder ihr „vorbildlicher” Bruder. Sie will nicht warten, nicht brav sein, kleidet sich wie westliche Popstars und handelt auch so. Die alten Werte gelten nicht mehr in der späten Sowjetunion, aber ist deshalb schon alles möglich? Vera jedenfalls will es wissen – mit tragischen Konsequenzen. Der Film war Skandal und rasender Erfolg 1988, über 45 Millionen haben ihn damals in Russland im Kino gesehen.


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Revolverkino im Gropiusbau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin.


Es gilt 2G-Plus (Geimpft/Genesen PLUS tagesaktuelles Test-Zertifikat). Der Eintritt ist frei. Tickets via https://tickets.kbb.eu/kbb.webshop/webticket/





Revolverkino Chronik


An drei Abenden in Folge quer durch die Filmgeschichte, Formate und Genres: Die Filmzeitschrift Revolver zeigt im Gropius Bau, was Kino sein kann. Im September 2018 startete das erste Programm, oft in spielerischer Verbindung mit den Ausstellungen im Haus.


#1

25.-27.09.2018

THE END (Hochhäusler & Brühwiler, Revolver)


One-Eyed Jacks (Marlon Brando, USA 1961)

Titicut Follies (Frederick Wiseman, USA 1967)

Totem (Jessica Krummacher, D 2011)

Inter-View (Jessica Hausner, Österreich 1999)

Audition (Takeshi Miike, Japan 1999)


#2

28.-30.11.2018

GAY PANIC! (Michael Kienzl, critic.de)


Sleepaway Camp (Robert Hiltzik, USA 1984)

Night Warning (William Asher, USA 1982)

Boys Beware (Sid Davis, USA 1961)

The Hitcher (Robert Harmon, USA 1986)

A Nightmare on Elm Street Part 2: Freddy’s Revenge (Jack Sholder, USA 1985)

Cruising (William Friedkin, USA 1980)


#3

24.-26.10.2018

GRUPPENFILME (Ekkehard Knörer, Cargo)


Loin du Viêt-nam (Joris Ivens, William Klein, Claude Lelouch, Agnès Varda, Jean-Luc Godard, Chris Marker, Alain Resnais, Frankreich 1967)

56 Up (Michael Apted, GB 2012)

Material Beton (Katja Lell, Babek Behrouz, Eva Könnemann, Nick Koppenhagen, Marco Kunz, Laura Nitsch, D 2013)

Ensemble (Eva Könnemann, D 2010)


#4

27.-29.03.2019

STERNSPITZE. SOWJETISCHE EXTREME. (Saskia Walker, Revolver)


Tage der Finsternis (Dni satmenija, Alexander Sokurow, UdSSR 1988)

Herbstmarathon (Ossenni Marathon, Georgij Danelija, UdSSR 1979)

Lange Abschiede (Dolgije prowody, Kira Muratowa, UdSSR 1971


#5

22.-24.05.2019

ALLTAGSFLUCHT - PARANOIA - OBSESSION (Gary Vanisian, Frankfurter Filmkollektiv)


Der Firmling (Karl Valentin, D 1934)

Mauvaise Graine (Billy Wilder, Frankreich 1934)

Coda (Fulvio Baglivi, Italien 2016)

L'orizzonte (Raffaele Andreassi, Italien 1969)

Flashback (Raffaele Andreassi, Italien 1969)

Kunstkammer (Carlos Escolano, Spanien 2013)

Arrebato (Iván Zulueta, Spanien 1979)


#6

26.-28.06.2019

TRANS/NATIONAL (Nicolas Wackerbarth, Revolver)


The Future Perfect (Nele Wohlatz, Argentinien 2016)

The present Perfect (Shengze Zhu, China 2019)

Shedding Details (Gerhard Friedl und Laura Horelli, D/USA 2009)

The Human Surge (Eduardo Williams, Argentinien 2017)

November (Hito Steyerl, D 2004)

Hashoter (Policemen, Nadav Lapid, Israel 2012)


#7

20.-22.11.2019

DAS PARADIES VERTREIBT UNS. (Hochhäusler & Brühwiler, Revolver) – zu „Garten der irdischen Freuden”


The Boston Strangler (Richard Fleischer, USA 1968)

Adam und Evelyn (Andreas Goldstein, D 2018)

Casino (Martin Scorsese, USA 1995)

Eden (Mia Hansen-Løve, F 2015)

Christine (Alan Clarke, GB 1987)


#8

10.-11.09.2020

WAS IST LANDSCHAFT? (Hochhäusler & Brühwiler, Revolver) – zu Otobong Nkangas „There is no such thing as solid ground” 


TX-Reverse (Virgil Widrich & Martin Reinhart, Österreich 2019) 

Peak (Hannes Lang, D 2011)

Szegénylegények  (Miklós Jancsó, Ungarn )

Riafn (Hannes Lang, D 2019)

Quarry (Amie Siegel, USA 2015)

Archipelago (Joanna Hogg, GB 2010) 



Musste leider Pandemie-bedingt entfallen:


GESEHEN VON. MÄNNER IN FILMEN VON FRAUEN. (Hochhäusler & Brühwiler, Revolver) – zu „Maculinities”


American Psycho (Mary Harron, USA 2000)

Portrait of Jason (Shirley Clarke, USA 1967)

The Ascent (Larisa Shepitko, UdSSR 1977)

Old Joy (Kelly Reichardt, USA 2006)

Leave no trace (Debra Granik, USA 2018) 

Liebe und Anarchie (Lina Wertmüller, Italien 1973)


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