24 Dezember, 2012

Gefühlsindustrie?


Alles läuft darauf hinaus, ob das Ende unseres Leidens der Anfang unseres Glückes ist... Aber beginnen wir von vorne. Man hat bei mir einen Text bestellt: „Gegen das Kino als Gefühlsindustrie". Ganz große Schlagzeile.

Aber was heißt Gefühlsindustrie? Die Deutschen, die sogar ihren Gefühlen einen „Haushalt” gönnen, können mit diesem Wort womöglich viel anfangen. Als Regisseur finde ich es ein bisschen sperrig, wo wir doch jeden Film in Handarbeit herstellen, oft genug mit lückenhaften Bauplänen, ohne Gewissheit, ob Plot, Besetzung, Dialoge tragen werden, voller Zweifel, Aberglauben, Optimismus. Sieht so eine Industrie aus?

Jetzt haben Sie natürlich „Hollywood” auf den Lippen – aber Geld allein macht noch kein Fliessband. Sagen wir also besser: Möchte-gern-Industrie. Arbeitsteilig, meinetwegen effizient in seinen Arbeitsabläufen, aber im Ergebnis noch immer ziemlich unzuverlässig, nein? Vom launischen Markterfolg nicht zu reden. Eine „Traumfabrik”, die seit vielen Jahren so viel Alb- produziert, dass man sie, ginge es nur um den Gebrauchswert, längst hätte schließen müssen. Aber es finden sich immer wieder Liebhaber, die weiter investieren. Am Ende spekulieren sie auf ein anderes Gold? Das sind religiöse Nebenpfade.

Bleiben wir bei der Idee einer Industrie. Film als Produkt. Zuverlässig. Und damit einhergehend: Gemachte Gefühle. Perfekte Manipulation. Zugeschnitten auf unsere Bedürfnisse. Nun ist ein Gefühl ja nicht ganz das Gleiche wie die Tafel Schokolade, die wir kaufen, oder ein halbes Kilo Reis. Gefühle haben ist nicht schwer... aber sie nicht zu haben? Eine Industrie könnte uns vielleicht Kontrolle verkaufen, oder auch: kontrollierten Kontrollverlust. Wir bestimmen die Dosis, den Zeitpunkt, die Art des Gefühls. Die Industrie liefert den Stoff ... Garantiert ungefährlich. Entspricht der EU-Gefühlsnorm.

Gehen wir deshalb ins Kino? Ein Körnchen Wahrheit ist schon dabei. So viel Feingefühl, wie wir uns im Dunkeln leisten, sucht man im Alltag vergeblich. Man möchte bewegt werden, um sich als Mensch zu fühlen. Warum verkauft sich das Sentimentale im Kino, wenn nicht, weil uns unsere eigene Empfindsamkeit rührt? Ein klarer Fall von Narzismus-Zucker, der vergessen hilft, dass wir „draußen” nach anderen Maximen leben. Ist die Diktatorenträne, im Kino geweint, eigentlich weniger edel als unsere? Womöglich war Hitlers Kinosucht ein Kompensationsgeschäft? Wann gehen Sie bevorzugt ins Kino: Wenn es Ihnen gut geht oder... bei Regen?

Man könnte sagen, das Kino macht uns selbst zur Gefühlsindustrie... Wir produzieren, was uns fehlt. Der Film liefert den Sirup, klebriges Zeug, verdünnt mit Handlung und schönen Naturaufnahmen, und in uns wachsen dann große Gefühle.

Wie war das noch mal in der Odysee?

12. Gesang
Erst befiehlt uns die Göttin, der zauberischen Sirenen
süße Stimmen zu meiden und ihre blumige Wiese.
Mir erlaubt sie allein, den Gesang zu hören; Doch bindet
ihr mich fest, damit ich kein Glied zu regen vermöge,
aufrecht stehend am Maste mit fest umschlungenen Seilen.
Fleh' ich aber euch an und befehle, die Seile zu lösen:
Eilend fesselt mich dann mit mehreren Banden noch stärker!

Das kennen wir doch auch im Kino: Das Schöne, Gefährlich-Schöne, Schön-Gefährliche wollen dürfen, aber nicht kriegen müssen. „Protect me from what I want” (Barbara Krueger). Verführerisch.

Das Kino als eine Gefühlsindustrie in uns, das heißt, den Traum vom Maschinenwesen zu träumen. Als Meister unserer Begierden gehen wir nicht mehr am Gängelband des Körpers, sondern umgekehrt führen Ventile dem Körper zu, was er zum „Funktionieren” braucht. Auch hier scheint die Pornoindustrie (ja, hier ist das Wort ist gerechtfertigt) wegweisend, denn schon heute beschützt sie ihre Kunden erfolgreich vor dem, was sie wollen.

Zurück auf Los: Alles läuft darauf hinaus, ob das Ende unseres Leidens der Anfang unseres Glückes ist... Ich kann nicht daran glauben. Wenn vom Leiden erlöst werden nicht heißt: sterben, dann bedeutet es ein Regime, das den Körper zum Haushalt macht. Die Gefühlsindustrie als „Zulieferer” verspricht in diesem Zusammenhang kein Glück, sondern das Ende des Mangels. Das ist zu wenig.

Wir brauchen im Gegenteil ein Kino, das sich als Werkzeug versteht in unserer Wirklichkeitsproduktion. Das brauchbar ist im Sinne einer individuellen Begriffsbildung. Das nicht wohlige Schauer, sondern produktiven Widerspruch auslöst – und das eben kein Kompensationsgeschäft, sondern Teil eines kommunikativen Vorgangs ist, der mit dem Kinobesuch noch lange nicht enden will.

(Auftragstext für den FILMDIENST, erschienen im Januar 2008)

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