Alles läuft darauf
hinaus, ob das Ende unseres Leidens der Anfang unseres Glückes ist... Aber
beginnen wir von vorne. Man hat bei mir einen Text bestellt: „Gegen das Kino
als Gefühlsindustrie". Ganz große Schlagzeile.
Aber was heißt
Gefühlsindustrie? Die Deutschen, die sogar ihren Gefühlen einen „Haushalt”
gönnen, können mit diesem Wort womöglich viel anfangen. Als Regisseur finde ich
es ein bisschen sperrig, wo wir doch jeden Film in Handarbeit herstellen, oft
genug mit lückenhaften Bauplänen, ohne Gewissheit, ob Plot, Besetzung, Dialoge
tragen werden, voller Zweifel, Aberglauben, Optimismus. Sieht so eine Industrie
aus?
Jetzt haben Sie natürlich
„Hollywood” auf den Lippen – aber Geld allein macht noch kein Fliessband. Sagen
wir also besser: Möchte-gern-Industrie. Arbeitsteilig, meinetwegen effizient in
seinen Arbeitsabläufen, aber im Ergebnis noch immer ziemlich unzuverlässig,
nein? Vom launischen Markterfolg nicht zu reden. Eine „Traumfabrik”, die seit
vielen Jahren so viel Alb- produziert, dass man sie, ginge es nur um den
Gebrauchswert, längst hätte schließen müssen. Aber es finden sich immer wieder
Liebhaber, die weiter investieren. Am Ende spekulieren sie auf ein anderes
Gold? Das sind religiöse Nebenpfade.
Bleiben wir bei der Idee
einer Industrie. Film als Produkt. Zuverlässig. Und damit einhergehend:
Gemachte Gefühle. Perfekte Manipulation. Zugeschnitten auf unsere Bedürfnisse. Nun ist ein Gefühl ja nicht ganz das Gleiche wie die
Tafel Schokolade, die wir kaufen, oder ein halbes Kilo Reis. Gefühle haben ist
nicht schwer... aber sie nicht zu haben? Eine Industrie könnte uns
vielleicht Kontrolle verkaufen, oder auch: kontrollierten Kontrollverlust. Wir bestimmen die Dosis, den Zeitpunkt, die Art des Gefühls. Die Industrie liefert
den Stoff ... Garantiert ungefährlich. Entspricht der EU-Gefühlsnorm.
Gehen wir deshalb ins
Kino? Ein Körnchen Wahrheit ist schon dabei. So viel Feingefühl, wie wir uns im
Dunkeln leisten, sucht man im Alltag vergeblich. Man möchte bewegt werden, um
sich als Mensch zu fühlen. Warum verkauft sich das Sentimentale im Kino, wenn
nicht, weil uns unsere eigene Empfindsamkeit rührt? Ein klarer Fall von
Narzismus-Zucker, der vergessen hilft, dass wir „draußen” nach anderen Maximen
leben. Ist die Diktatorenträne, im Kino geweint, eigentlich weniger edel als
unsere? Womöglich war Hitlers Kinosucht ein Kompensationsgeschäft? Wann gehen
Sie bevorzugt ins Kino: Wenn es Ihnen gut geht oder... bei Regen?
Man könnte sagen, das
Kino macht uns selbst zur Gefühlsindustrie... Wir produzieren, was uns fehlt.
Der Film liefert den Sirup, klebriges Zeug, verdünnt mit Handlung und schönen
Naturaufnahmen, und in uns wachsen dann große Gefühle.
Wie war das noch mal in
der Odysee?
12. Gesang
Erst befiehlt uns die Göttin, der zauberischen
Sirenen
süße Stimmen zu meiden und ihre blumige Wiese.
Mir erlaubt sie allein, den Gesang zu hören;
Doch bindet
ihr mich fest, damit ich kein Glied zu regen vermöge,
aufrecht stehend am Maste mit fest
umschlungenen Seilen.
Fleh' ich aber euch an und befehle, die Seile
zu lösen:
Eilend fesselt mich dann mit mehreren Banden
noch stärker!
Das kennen wir doch auch im Kino: Das Schöne,
Gefährlich-Schöne, Schön-Gefährliche wollen dürfen, aber nicht kriegen müssen.
„Protect me from what I want” (Barbara Krueger). Verführerisch.
Das Kino als eine Gefühlsindustrie in uns, das
heißt, den Traum vom Maschinenwesen zu träumen. Als Meister unserer Begierden
gehen wir nicht mehr am Gängelband des Körpers, sondern umgekehrt führen
Ventile dem Körper zu, was er zum „Funktionieren” braucht. Auch hier scheint
die Pornoindustrie (ja, hier ist das Wort ist gerechtfertigt) wegweisend, denn
schon heute beschützt sie ihre Kunden erfolgreich vor dem, was sie wollen.
Zurück auf Los: Alles
läuft darauf hinaus, ob das Ende unseres Leidens der Anfang unseres Glückes
ist... Ich kann nicht daran glauben. Wenn vom Leiden erlöst werden nicht heißt:
sterben, dann bedeutet es ein Regime, das den Körper zum Haushalt macht. Die
Gefühlsindustrie als „Zulieferer” verspricht in diesem Zusammenhang kein Glück,
sondern das Ende des Mangels. Das ist zu wenig.
Wir brauchen im Gegenteil
ein Kino, das sich als Werkzeug versteht in unserer Wirklichkeitsproduktion.
Das brauchbar ist im Sinne einer individuellen Begriffsbildung. Das nicht
wohlige Schauer, sondern produktiven Widerspruch auslöst – und das eben kein
Kompensationsgeschäft, sondern Teil eines kommunikativen Vorgangs ist, der mit
dem Kinobesuch noch lange nicht enden will.
(Auftragstext für den FILMDIENST, erschienen im Januar 2008)
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