16 Juni, 2012

Unter Vorbehalt


KOLBERG (Veit Harlan, Deutsches Reich 1945) habe ich im Zeughaus gesehen kürzlich, mit Pflicht-Einführung. Eine Spielfilm-Paraphrase zu Goebbels Sportpalastrede, in Agfacolor. Der Satz „Nun, Volk, steh auf, und Sturm, brich los” war wohl tatsächlich so etwas wie der Ausgangspunkt des Projekts. Für die Totalisierung des Krieges – auf Wunsch des Volkes selbst! – steht Heinrich George, „Bürgerrepräsentant” Nettelbeck, der mit Bauernschläue und einigem Witz gegen einen Kommandeur alten Schlages ankämpft (Paul Wegener), der den Krieg für eine Sache des Militärs hält und angesichts der französischen Überlegenheit an Kapitulation denkt. Dieser Konflikt – was wen angeht und warum – ist das Herz des Films. Fast könnte man sagen, es gehe um die „Demokratisierung” des Krieges. Kristina Söderbaum spielt mit schwer erträglichem Pathos eine deutsche Bauerstochter die „alles” verliert (einschliesslich des „entarteten” Bruders, eine hetzerisch gezeichnete Künstlerfigur), jedoch nie an der deutschen Sache zweifelt und todesmutig / unter Einsatz ihrer weiblichen Reize durch die Linien des Feindes eine Botschaft an den Hof bringt. Der Auftritt der Königin ist ausserweltlich, erinnert an die Fee in WIZARD OF OZ, den Harlan gesehen haben könnte. Für einen Augenblick vergisst sich der Film an dieser Stelle, merkwürdig. Je weiter die Handlung dann voranschreitet, desto stärker drängt die Gegenwart der Jahre 1943/44 ins Bild. Gneisenau, gespielt von Horst Caspar, erinnert nicht nur in der Diktion an Goebbels, er darf wie im Sportpalast die Masse agitieren, „Volk steh auf” inklusive – ein idealisiertes Selbstportrait des Propagandaministers, auf dessen Initiative der Film entstanden ist. Am meisten beschäftigt hat mich an dem Film das „Wir”, die „Volksgemeinschaft”, die man zwar nur ornamental summarisch zu sehen bekommt (ein enormes Aufgebot an Statisten angesichts der realen Kriegslage), die aber durch Georges Anwaltschaft doch einigermassen ergreifend den Sehnsuchtshorizont des Filmes bildet. So verlogen dieses „Füreinander” im Kontext seiner Entstehung ist, so auffällig ist die völlige Abwesenheit eines „Wir” im westdeutschen Nachkriegskino, bis heute eigentlich.

5 Kommentare:

  1. Was ich übrigens nur durch Zufall herausfand, als ich für einen Marika Rökk-Film recherchierte: "Kolberg" war tatsächlich der einzige abendfüllende Propaganda-Streifen in Agfacolor. Dies zeigt mal wieder, welchen Wert Klumpfuss der Ablenkung im Kino beimass. Was ich übrigens nicht weiss, da "Kolberg" bislang an mir vorüberging: Überlebt die "Reichswasserleiche" Söderbaum ausnahmsweise in einem Harlan-Film?

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  2. Nein, es gab andere Agfacolor-Filme, etwa der (noch aufwändigere) MÜNCHHAUSEN von Josef von Báky von 1943, laut Wikipedia „die deutsche Antwort auf WIZARD VON OZ”.

    Söderbaums Figur überlebt in KOLBERG.

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  3. Jetzt verstehe ich, was du meinst: Propaganda in Farbe. Ja, das kann sein...

    c

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  4. Genau das meinte ich eigentlich. Der erste abendfüllende Spielfilm in Agfacolor war übrigens der durchaus unterhaltsame "Frauen sind doch bessere Diplomaten (1941)mit der Rökk, dessen mühsame Herstellung, die zwei Jahre in Anspruch nahm, in etwa zeigt, wie schwer man sich mit dem Farbsystem tat. Was ich im Zusammenhang mit meinen Recherchen erfuhr: Der IG-Farben Zweigbetrieb Agfa beschäftigte tausende Sklavenarbeiter, die für die Perfektionierung solcher Filme sorgen mussten.

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  5. Historikerstreit26 Juli, 2012 10:56

    Und erst die Autobahnen!

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