21 November, 2011

Ästhetik des Widerstands?




Auf „halbnah”, einem neuen Blog, gibt es einen interessanten Text über das fehlende Rückrat des deutschen Films und seiner Akteure. Aufhänger ist Thomas Braschs widerständige Münchner Dankesrede von 1981, die ich hier dokumentiert habe. Blog und Text sind bisher anonym, was ich angesichts des Themas unzulässig finde. Trotzdem hier der Versuch einer Antwort.

---

Ich habe gestaunt, als ich Thomas Braschs Rede zum ersten Mal sah, war ganz aufgekratzt und auch neidisch auf die damalige Beschaffenheit von Öffentlichkeit, die solche Polaritäten ausgehalten und herausgefordert hat.

Die Gründe für das, was du an unserer Generation „unpolitisch” nennst, haben, glaube ich, sehr viel mit dem Vorgängermodell des Politischen zu tun: klare Polaritäten, eine theoretische Basis der Linken (Marxismus und seine Schwundformen), die zwar nicht gerade Einigkeit, aber zumindest ein gemeinsames Vokabular produziert hat, eine Vorstellung von Zukunft, einen gemeinsamen Glauben.

Diese Sprache, die Beschreibungen und Modelle einer verwehten Gegenwart, auch die utopistischen Entwürfe haben an Glaubwürdigkeit verloren nicht zuletzt wegen der tödlichen Lügen des gelebten Sozialismus, die zu lange verteidigt wurden. Der Links-Terrorismus, der sich eine Weile eindrucksvoll als politische Avantgarde inszenieren konnte, hat die Ideen weiter beschädigt. Und dann kam mit dem Ende des Ostblocks das so unangebrachte wie haltlose Siegesgeheul der Marktliberalen (das Echo ist unsere Krise heute)...

Ich breche hier Zeitgeschichte übers Knie, um einen Punkt zu machen: Die Folge der „Glaubwürdigkeitskrise” politischer Begriffe war eine stärkere Fragmentierung der Gesellschaft, in der „alles”, jedes Weltmodell, erlaubt, aber die Gemeinsamkeit, die gemeinsame Sprache auch, verschwunden ist. Um so wichtiger erscheint der kleinste gemeinsame Nenner: das „Funktionieren”, das „Publikum”, die „Quote” ... diffuse (Ersatz-) Ideologeme, die kein theoretisch-sprachliches Bewusstsein mehr haben (sollen). Im Gegenteil tut man so, als lebten wir in einer „ideologie-freien Zeit”. Ein vielsagender Irrtum.

Dein Negativ-Beispiel DEUTSCHLAND 09, an dem ich beteiligt war, hat mir vor allem eines gezeigt: trotz ehrlicher Sympathien gibt es zwischen den beteiligten Filmemachern nicht im Ansatz ein gemeinsames Vokabular, ein gemeinsames Bewusstsein für die Gegenwart, für die Probleme unserer Zeit. Kein WIR. Das Ergebnis (das ich bestimmt nicht „politisch” nennen würde) war nicht Ausdruck eines Kollektivs, eher ein Kaleidoskop mehr oder weniger friedlicher ästhetischer Ko-Existenz. Ich finde einige der Filme sehenswert, viel zu tun miteinander haben sie nicht.

Das alles kann man bedauern, aber nicht ohne Weiteres ändern, fürchte ich. Stell dich auf die Straße, beweise deinen Widerstand. Besetze den Vorplatz der Europäischen Zentralbank (oder der Deutschen Filmakademie). Der „Feind” wird das vielleicht unsympathisch finden, aber er wird sich nicht gemeint fühlen. Schlimmer noch: er wird nichts unternehmen. Was ich damit sagen will: zum Kampf gehören zwei. Wenn man also Brasch vermisst, vermisst man womöglich auch FJS.

Natürlich fehlt dem deutschen Film Auseinandersetzung. Es wird viel gelästert, aber direkte Konfrontationen gibt es kaum. Die Fördergiesskanne, die sich immer in zwei Richtungen abzusichern versucht (filmwirtschaftlich UND filmkulturell) begünstigt die Stromlinie, sowohl im persönlichen Verhalten als auch im „Produkt”. Wer arbeiten will, hält den Mund.

Meine Erfahrung mit öffentlicher Kritik aber ist, dass man sich zwar durchaus selbst schaden kann - dafür gibt es eine Reihe von Beispielen - eine Debatte aber löst man deshalb noch lange nicht aus. Akte des „Widerstands” stehen heute schnell im Narzissmus-Verdacht. Stefan Arndt etwa hat unsere Kritik an der Privatisierung des Filmpreises damals so interpretiert. Er war der festen Überzeugung, dass hinter unser Ablehnung des Oscar-Modells der Wunsch nach Profilierung stand. Für die aus seiner Sicht gelungene Steigerung der Bekanntheit unserer Namen hatte er Respekt, das fand er „clever”, die Kritik selbst konnte er dagegen nicht ernst nehmen, denn das hätte für ihn geheissen, an der Reklame der Anderen mitzuwirken.

Bleibt die Hoffnung auf das Widerständige in der Form. Oder ist das automatisch der „Rückzug in die privatisierende Kunstproduktion”? Ich denke, nein. Aber in unserer Wirklichkeit, dessen bin ich mir bewusst, ist dieses „Nein” schwer zu fassen. Brüchig. Bedroht. Über dieses Nein müssen wir streiten. Das wäre ein Anfang.

Gut möglich, dass die Krise Europas, die übrigens ja auch eine kulturelle Krise ist, die Verteilungskämpfe hierzulande bald verschärft. (Re-) politisierung braucht immer jenes Quentchen „höhere Gewalt”, das die bestimmenden Gewohnheiten aufbrechen lässt. An der Sprache für dieses Morgen sollten wir heute feilen. Im Film wie im Leben.

Christoph

10 Kommentare:

  1. Ergänzung: Auch der Film "Deutschland im Herbst" spricht nicht mit einer Sprache und schon gar nicht aus einer politischen Perspektive. Und eine Preisverleihung durch FJS - der ja Autorn wie Grass gerne mal als "Schmeißfliegen" bezeichnet hat und eine Säuberung der deutschen Sprache befürwortet hat - fällt schon ganz besonders unter das, was Thomas Bernhard in "Wittgensteins Neffe" als "auf den Kopf machen" bezeichnet hat. Auch gegen Herrn Rohrbach wäre das ein oder andere einzuwenden, aber nicht offene Feindseligkeit gegen politisch aktive Exponenten des Kulturbetriebs. Die politische Diskussion zu Braschs Zeiten kannte auch schon Positionen wie die Adornos, nach der künstlerisch-politisch avanciert nicht unbedingt heißt sich mit seiner Kunst der politischen Aktion zu verschreiben. Verstrickungen sind unentrinnbar. Entscheidend ist, wie man mit dem Schmerz darüber umgeht, wenn man ihn verspürt.

    AntwortenLöschen
  2. Was soll an der Anonymität unzulässig sein? Es ging darum für eine Haltung einzustehen und das tut der Autor.

    AntwortenLöschen
  3. Muss ich das wirklich erklären? 'Einstehen' heißt, bereit zu sein, die Folgen zu tragen. Es geht doch gerade darum, Haltung zu beweisen. „Hier stehe ich und kann nicht anders.” Dafür muss man sein Gesicht zeigen.

    C

    AntwortenLöschen
  4. so interessant und gelungen ich den Artikel auch finde, aber " ein vielsagende Irrtum"
    wird leider durch die Annahme, dass man womöglich einen "FJS" vermisst bestätigt.

    AntwortenLöschen
  5. http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-75435-4.html

    AntwortenLöschen
  6. @C Gerade an die Diskussionen der letzten Monate musste ich auch denken. Seien es Occupy/Anonymous-Aktivisten oder die andauernde Diskussion um die vorgebliche Anonymität im Internet von Seiten BKA und der Union.

    Der Autor hat den Text ja nicht ohne eine virtuelle Identität veröffentlicht, sondern nur seine reale nicht bekanntgegeben und dies halte ich für durchaus legitim.

    AntwortenLöschen
  7. Demokratie braucht Öffentlichkeit, Öffentlichkeit braucht Menschen, die mit für ihre Überzeugungen einstehen. Anonymer Protest ist nur bei Gefahr für Leib und Leben zu rechtfertigen, finde ich.

    C

    AntwortenLöschen
  8. Ich finde, dass Christophs Einwände berechtigt und seine Argumente stichhaltig und nicht von der Hand zu weisen sind. Das empfinde ich im meinem Zusammenhang durchaus als problematisch. Warum ich dennoch anonym geschrieben habe/schreibe, versuche ich hier zu erklären:

    http://halbnah.blogspot.com/2011/11/unzulassig.html

    Bei Unverständnis oder Ablehnung freue ich mich über Kommentare.

    AntwortenLöschen
  9. dazu noch ein paar Gedanken von Georg Seeßlen

    "Ab sofort ist es Angehörigen der unteren und mittleren Mittelschicht in Deutschland verboten, den öffentlichen Raum im allgemeinen und Fußgängerzonen im besonderen anders als in Jack Wolfskin-Kleidung zu betreten."

    http://www.seesslen-blog.de/2011/11/04/kleinigkeiten-14/#more-1425

    AntwortenLöschen
  10. Einige lesenswerte Gedanken von Andreas Dresen:

    "Was man von den Oberhausenern lernen kann, ist eine gewisse Frechheit. Ein Anspruch an die Welt, an die Filmkultur. Daran kann man sich dann reiben. [...] Ich finde eine Art Manifest als Aufschrei in bestimmten filmpolitischen Situationen durchaus hilfreich, und manchmal würde ich mir auch wünschen, mit Kollegen enger in Kontakt zu sein. [...] In manchen Situationen ist es wichtig, zusammenzurücken und zu sagen: Bis hierher und nicht weiter. Es gibt Dinge, die kann man besser gemeinsam bewältigen. Heutzutage gibt es ein paar filmpolitische Fragen, wo eigentlich die gesamte Branche zusammenhalten müßte[...]"

    "Es gibt die Art von Filmen, die die Oberhausener damals machen wollten und die damals wenig Platz hatten. Es war ein Aufschrei, daß die Gesellschaft neben dem kommerziellen Schrott Platz machen muß für ein Kino, das einem anderen ästhetischen und inhaltlichen Anspruch folgt. Dieses Kino existiert jetzt. Die Frage ist bloß: Wo findet es heute seinen Platz?"

    http://www.schnitt.de/211,0065,02

    AntwortenLöschen