31 März, 2009

Alles Gute...

...zum Beginn der Dreharbeiten! Angela Schanelec dreht zur Zeit den Spielfilm ORLY. POEMS 1-4, der davon handelt, wie sich „acht Menschen im gleichnamigen Flughafen im Angesicht einer Bombendrohung verhalten” (taz). Mit Natacha Régnier, Bruno Todeschini, Josse De Pauw, Emile Berling, Maren Eggert u.a. Ich bin gespannt.



Ein Bild aus Chris Markers LA JETÉE, in dem der Flughafen Orly eine zentrale Rolle spielt.

28 März, 2009

bleak / black



Einer der bittersten Filme über die (rassistischen) Grenzen des amerikanischen Traumes: NOTHING BUT A MAN (USA 1964) von Michael Roemer. Während es in Kent McKenzies THE EXILES (USA 1961) oder Charles Burnetts KILLER OF SHEEP (USA 1977) zumindest Schlupfwinkel der Freiheit gibt, den Rausch als gemeinsame Handlung zum Beispiel, das laisser faire großstädtischer Anonymität, ist der Bewegungsraum hier auf ein depressives Minimum eingeschränkt.

Ich kann nachvollziehen, warum Malcolm X den Film als „favorite” bezeichnet hat - denn obwohl er nie ideologisch wirkt und die Südstaatenprovinz auch nicht dämonisiert, hat das, was er zeigt, mein Gerechtigkeitsempfinden tief verletzt. Es ist seine Glaubwürdigkeit, die unspektakuläre Tonart, die den Film so verstörend macht.

Erzählt wird die Geschichte von Duff (Ivan Dixon), einem Eisenbahnarbeiter, der Josie (Abbey Lincoln), die Tochter eines angepassten Predigers heiratet und sich mit ihr in der provinziellen Enge einer Kleinstadt einrichten muss. Mit seinem gesunden Selbstbewusstsein und der Erfahrung, dass man sich organisieren kann, gilt er bald als trouble maker - und findet keine Anstellung mehr.

Gerade weil es es nie zu einer „definitiven” Eskalation kommt, erlebt man das Klima der Repression als zersetzende Gewalt. Und anders als in engagierten Filmen à la Hollywood wirkt hier die mehr oder weniger glückliche Liebesgeschichte nicht als sentimentale Ablenkung, sondern gibt den Erschütterungen erst ihre Schärfe.

Das seltene Beispiel eines sozialrealistischen Filmes, der nicht über seine guten Absichten stolpert. Großartig.

25 März, 2009

DEUTSCHLAND 09

Jetzt im Kino: der Omnibusfilm DEUTSCHLAND 09, für den ich den Kurzfilm SÉANCE beigesteuert habe.

Ekkehard Knoerer nennt diese Art der Kompilation in seiner skeptischen Berlinale-Kritik ein „gemischtes Vergnügen” und in der Tat ist wahrscheinlich für jeden etwas dabei, worüber er/sie sich ärgern könnte. Die Mischung macht es niemandem recht, steht quer zu allen Lagern, und das sehe ich als Stärke.

Am Ende liefert der Film eben doch mehr als "nur" eine Handvoll gelungener Kurzfilme... nämlich so etwas wie ein Gefühl für Gegenwart.

So oder so, ich hoffe, Sie sehen sich den Film an...



Ein Bild aus Angela Schanelecs Beitrag ERSTER TAG (Kamera: Reinhold Vorschneider).



DEUTSCHLAND 09 - mit Beiträgen von (in alphabetischer Reihenfolge) Fatih Akin, Wolfgang Becker, Sylke Enders, Dominik Graf, Christoph Hochhäusler, Romuald Karmakar, Nicolette Krebitz, Dani Levy, Angela Schanelec, Hans Steinbichler, Isabelle Stever, Tom Tykwer und Hans Weingartner. ca. 150 Min.

THE WIRE Link

Über THE WIRE ist ja schon allerhand gesagt und geschrieben worden und ich komme mit meiner frischen Begeisterung für diese bahnbrechende Serie reichlich spät...

Was mich so fesselt an diesem Erzählprojekt ist der pragmatische Optimismus, mit dem komplexen Systemen wie Polizeiapparat, Hafenlogistik oder Zeitung analytisch und sinnlich zu Leibe gerückt wird, ohne Erfahrung und Recherche auf dem Altar der üblichen Love-Plot/Work-Plot-Harmonie zu opfern. Und obwohl die Serie offensichtlich einen theoretischen Unterbau besitzt, wirken die Filme nie fremdgesteuert von soziologischen Thesen, sondern im besten Sinne character-driven. Ansehen!

Hier ist ein tolles Interview mit dem Produzenten und Miterfinder der Serie, David Simon. Von Nick Hornby.

(Danke: Dirk Laabs)

22 März, 2009

Neo-Neo Realism?

Lesenswert: A.O. Scott schreibt in der NYTimes über eine neue realistische Tendenz im amerikanischen Independent-Kino.

Passend zum Thema:

Interviews mit Lance Hammer (BALLAST), Ramin Bahrani 1 (CHOP CHOP) und 2 (GOODBYE SOLO), Kelly Reichardt 1 (OLD JOY) und 2 (WENDY AND LUCY), So Yong Kim (TREELESS MOUNTAIN) und Anna Boden & Ryan Fleck (HALF NELSON).

18 März, 2009

Technische Augen



Heimtückischer Helikopter?

Das Fotomagazin Ohio, das seit 1995 im Eigenverlag erscheint, versteht sich als Filtermedium. Die Kölner Künstler Uschi Huber und Jörg Paul Janka selektieren und präsentieren Fotografien „aus den bereits existierenden Bildermassen”, in der Hoffnung, dass die Bilder so „neu und differenzierter gesehen” werden.

Gelegentlich gibt es als Beigabe auch DVDs, die sich hauptsächlich Filmen „ohne Autor” widmen, etwa Web- und LiveCams im Internet (#7), Testvideos der Stiftung Warentest (#9) oder, siehe Bild, Modellversuchen aus wissenschaftlichen Laboratorien (#13).

Ich habe die „Filme” nicht gesehen, aber die Trailer auf der Ohio-Website oszillieren verheissungsvoll zwischen Monotonie und Unbehagen angesichts eines „mitleidlosen” Blicks.

Im Passepartout meiner empathischen Aufladung wird aus diesen Aufzeichnungen, die Messergebnisse liefern sollen (im Falle des Hubschraubers zum Beispiel), etwas Neues, heimatloses. Ich musste an Brehms Tierleben denken, an den Zwang, jedwedes Verhalten menschlich zu deuten.

Brehm über die Paviane:

„Wir finden in ihr vielmehr die häßlichsten, rüdesten, flegelhaftesten und deshalb widerwärtigsten Mitglieder der ganzen Ordnung; wir sehen in ihnen den Affen gleichsam auf der tiefsten Stufe, welche er einnehmen kann.”

Was würde Brehm über unsere Maschinenwelt schreiben?

17 März, 2009

„efficient little ambiguity machines”

Ein guter, streitbarer Text über die Filme der „Berliner Schule”, anlässlich einer Filmreihe in der Cinematheque Ontario. Von Andrew Tracy.

12 März, 2009

Werkstatt...



Heute im FREITAG : ein Interview mit Ulrich Peltzer und mir über unser Filmprojekt UNTER DIR DIE STADT. Von Christian Bartels und Peter Luley.

(Bild: „Cosmetics-Plantage Herr” von Pablo Alonso)

08 März, 2009

(Wieder-) Gesehen [0]

Richard Quine: STRANGERS WHEN WE MEET (USA, 1960) - Kim Novak ist eine Offenbarung. Und Hollywood war selten so erwachsen im Umgang mit Sex wie hier.

Alain Resnais: LA GUERRE EST FINIE (F, 1966) - Eine Montage, in der man denken kann. Ein Blick in die Zukunft des Kinos.

Glauber Rocha: TERRA EM TRANSE (BR, 1967) - Eine barocke Allegorie, ein Filmgedicht über die Rolle des Künstlers im politischen Kampf. Unverschämt leidenschaftlich: Jardel Filho.

Klaus Lemke: PAUL (D, 1974) - Inmitten einer formelhaften Situation (Gangster wird aus dem Knast entlassen und will alte Rechnungen begleichen) das Maximum an lustvoller, wahnsinniger Unberechenbarkeit.


Jeanne Moreau und Alain Delon in MR. KLEIN (F, 1976) von Joseph Losey - Gibt es irgendjemanden heute, der alle Mittel des Kinos so präzise führen könnte? Mir fällt niemand ein.

Ulu Grosbard: STRAIGHT TIME (USA, 1978) - Ein vergessener New Hollywood-Film. Der gelungene Versuch, dokumentarisches Material mit Genreerwartung zu verknüpfen. Unwiderstehlich: wenn Dustin Hoffman zum ersten Mal auf Theresa Russell trifft.

Lucrecia Martel: LA MUJER SIN CABEZA (ARG, 2008) - Vielleicht nicht so sehr ein Film über eine kopflose Frau als ein Film über ihren Kopf: Maria Onetto in der Titelrolle ist atemberaubend - und trägt den Film mühelos. Martel gelingt es hier so elegant wie nie, eine ganze Welt in Andeutungen zu erzählen. Kostprobe: Trailer.



Maria Onetto

04 März, 2009

Aneignung



Die Bilder zeigen die Minhocão-Stadtautobahn in São Paulo, die Sonntags für den Verkehr geschlossen wird und sich dann einen halben Tag lang in eine Art Strand verwandelt; man sonnt sich, läuft oder fährt Fahrrad, fliegende Händler verkaufen Eis und Früchte... die Großstädter eignen sich den sonst feindlichen Raum neu an, bespielen ihn mit einem anderen Zeitmass.

Ich war in der Stadt, um über meine Filme zu sprechen, die im Rahmen der Reihe „Neues unabhängiges Kino aus Deutschland” zu sehen waren - zusammen mit Arbeiten von Petzold, Schanelec, Arslan, Grisebach, Köhler, Speth, Heisenberg und anderen.

Das Publikum war sehr redelustig nach den Filmen. Ich hatte den Eindruck, unser Kino werde - wie die leere Autobahn - sehr freundlich aufgenommen. Die Zuschauer schienen erleichtert, einmal nicht dem hektischen Verkehr ausgeliefert zu sein, befreit.

Ein Mann wollte wissen, ob mein Film FALSCHER BEKENNER die „Gegenseite”, den Hollywoodcode, womöglich bräuchte, um seine Wirkung zu entfalten.

„Vielleicht”, habe ich geantwortet und mich in eine Diskussion über unser dialektisches Wahrnehmen verwickeln lassen. Selten habe ich eine so intensive Auseinandersetzung im Kino erlebt.

Heute fahren wieder die Autos...



(Die Fotos sind von Paulo Miyada, der auf seinem Blog auch eine brasilianische Antwort auf diesen Post geschrieben hat)