Schizophrene Kontroverse. Ein Selbstgespräch.
C: Du hast gerade einen französischsprachigen Film gemacht. Warum?
H: Ich wollte einen Film in Brüssel machen. Und ich habe Anschluss gesucht an die Tradition des film polar. Der Gangsterfilm hat keine Tradition im deutschen Kino, der Krimi ist nur im Fernsehen zuhause.
C: Brüssel fasziniert dich, aber gelebt hast du dort nie. Dein Französisch lässt zu wünschen übrig. Läge es nicht näher, von Dingen zu erzählen, die dir wirklich vertraut sind?
H: Ich hätte mir nicht ohne weiteres zugetraut, einen alltagsrealistischen Film in Brüssel zu machen. Aber dieser Film spielt gewissermaßen in „Movieland”. Dort fühle ich mich durchaus zuhause.
Delphine Bibet in LA MORT VIENDRA (D/LUX/B 2024). |
C: Aber gibst du da nicht ohne Not ein Pfund aus der Hand?
H: Welches Pfund wäre das?
C: Das intime Wissen, das du hast, über die Art, wie wir sprechen und leben, über deine kulturelle Sphäre.
H: Das kann entscheidend sein, aber nicht für jedes Projekt auf die gleiche Weise. Im Übrigen hat es mich immer gereizt, in fremden Städten Filme zu machen. Es geht mir oft so, dass sich für mich Fiktionen müheloser verbinden mit Orten, die ich nicht so gut kenne. Ich habe auch nie in Mönchen-Gladbach oder Frankfurt gelebt. Spekulation ist die kleine Schwester der Fiktion.
C: Ich sehe da schon Unterschiede. Die Spekulation ist ein Gerücht, das sich verselbständigt. Je weniger informiert die Spekulation ist, desto mehr. Die Fiktion dagegen versucht Erfahrungen zu verdichten, sucht also nach einer mindestens metaphorischen Wahrheit.
H: Aber die Frage ist doch, auf welcher Ebene das geschieht. Das ist noch kein Plädoyer für einen realistischen Film oder einen Film in der eigenen Sprache.
C: Würdest du sagen, du hast einen deutschen Film gemacht?
H: Das ist keine Frage, die mich um den Schlaf bringt. Im juristischen Sinne ist es ein deutscher Film. Ich bin ein deutscher Regisseur. Mit anderen deutschen Filmen haben meine Filme womöglich ein paar Gemeinsamkeiten. Ich könnte sie aber nicht benennen. Du?
C: Was deine Filme mit anderen gemeinsam haben, ist vielleicht nicht die interessanteste Frage.
H: Sondern?
C: Wie du dich so herausfordern kannst, dass du deine Möglichkeiten ausschöpfst.
H: Ich bin ziemlich glücklich mit dem Ergebnis.
C: Das will ich dir nicht ausreden, aber ich finde, du solltest versuchen, ein spezifisch deutsches Kino zu machen, ein Kino als Spiegel, in dem sich dieses Land auf eine Weise erkennt, dass es den Wiederschein auch annehmen kann.
H: Puh. Es stimmt auf jeden Fall, dass die guten deutschen Nachkriegsfilme selten wirklich angenommen wurden. Vielleicht ja, weil das deutsche Publikum sich nicht erkennen möchte.
C: Jedes Publikum möchte sich erkennen.
H: Womöglich hat die Katastrophe unserer Geschichte da etwas beschädigt? Die 100 erfolgreichsten deutschen Filme der Nachkriegszeit sind jedenfalls nicht nur nicht identisch mit den 100 besten – es scheint keinerlei Berührung zu geben, so subjektiv jedes Qualitätsurteil auch sein mag. Das ist in anderen nationalen Kinematografien deutlich anders, finde ich.
C: Dann waren es noch nicht die richtigen Filme. Vielleicht, weil sie nicht den mythischen Kern getroffen haben, so wie es dem französischen, italienischen oder amerikanischen Kino immer wieder gelungen ist. Für das amerikanische Kino könnte man John Ford oder Steven Spielberg nennen. Im französischen Kino gehen Jacques Becker, Jean-Pierre Melville und François Truffaut in diese Richtung zum Beispiel.
Hanna Schygulla in RW Fassbinders DIE EHE DER MARIA BRAUN (BRD 1979). |
H: Es gab aber doch auch sehr gute deutsche Filme nach 1945. Nehmen wir Fassbinders DIE EHE DER MARIA BRAUN (BRD 1979). Einer seiner erfolgreichsten Filme, er hatte 1,8 Millionen Zuschauer in Deutschland, heute völlig undenkbar für einen anspruchsvollen deutschen Film. Im Ausland, insbesondere in Frankreich, ist der Film ein Klassiker, der das Bild mitprägt, das sich die Franzosen von uns machen. Aber hierzulande ist er eher nicht Teil der kollektiven Erinnerung geworden. Man hat sich in diesem Spiegel, um in deinem Bild zu bleiben, nicht erkennen wollen.
C: Das ist ein toller Film, finde ich auch. Und dass er erfolgreich war, ist doch ein gutes Zeichen. Aber mythisch ist er ja gerade nicht. Eher: anti-mythisch. Ein gebrochener Spiegel.
H: Definiere „mythisch”.
C: Ein Kino, das auf Archetypen setzt und dabei lebensbejahend ist. Ein Kino, das Geschichte als Heldengeschichte denkt. Ein Kino, das als positive Selbstvergewisserung funktioniert.
H: Klingt reaktionär.
C: „Heldengeschichten” heißt nicht Siegfried.
H: Aber ich möchte doch über die nationale Perspektive hinaus!
C: Nach Hollywood?
H: Nein, aber hin zu einer europäischen Form, in der Art, wie das im Hollywood der späten 20er und bis in 50er Jahre möglich war. Da haben Exilanten – Deutsche, Österreicher, Ungarn usw., eine Form gefunden, globales Kino zu machen, in dem ihre kontinentale und individuelle Erfahrung aufgehoben war. Jenseits der Realismen. Also FW Murnau, Ernst Lubitsch, Josef von Sternberg, Otto Preminger, Fritz Lang, Billy Wilder, Douglas Sirk und all die anderen.
C: Und wie kommen wir in dieses Paradies?
H: Nicht über Nacht, das ist klar. Aber ich glaube wir brauchen dafür endlich einen integrierten europäischen Markt, eine europäische Filmindustrie.
C: „Europudding” nannte man das früher.
Danielle Darrieux in Max Ophüls' MADAME DE... (F 1953). |
H: Ein böses Wort, das den Filmen nicht gerecht wird. Viele der besten Filme aller Zeiten waren „transnational” europäisch, ich denke jetzt an Max Ophüls’ französische Filme zum Beispiel, auch wenn mit „Europudding” meistens Filme aus späteren Jahren gemeint sind.
C: Ich würde die Tatsache, dass Ophüls und andere ins Exil gezwungen wurden, nicht vermischen wollen mit der Frage nach der kulturellen Identität.
H: Aber ganz sicher hat das Exil die betroffenen Regisseure gezwungen, über eine Form jenseits nationaler Kategorien nachzudenken. Und es ist ja nicht so, dass es keine guten Beispiele für transnationale Projekte jenseits des Exils gibt. Bernardo Bertoluccis ULTIMO TANGO A PARIGI (I, F 1972) oder Istvan Szabós OBERST REDL (Ungarn, Ö, D, 1985) fallen mir ein.
C: Sind das nicht eher die rühmlichen Ausnahmen? Wikipedia definiert „Europudding” so: „international produzierte europäische Filme (...), die alle kulturellen Eigenheiten eingebüßt haben, um eine möglichst große Anpassung an unterschiedlichste Märkte zu gewährleisten”. Aber du plädierst trotzdem für einen weniger individuellen, paneuropäischen Film?
H: Wieso weniger indiviuell? Nur weil ich nicht die nationale Karte spiele?
C: Ich fühle mich mißverstanden. Ich halte den Nationalstaat nicht für das relevante „kulturelle Gefäß”. Es geht mir um eine spezifische Kultur, die sich in Sprache, Mentalität, sozialer Praxis niederschlägt. Das macht doch den Reichtum von Film aus.
H: Ich glaube, du musst konkreter werden.
Manfred Krug in Frank Beyers SPUR DER STEINE (DDR 1966). |
C: Nehmen wir einen Film wie SPUR DER STEINE von Frank Beyer (DDR 1966). Dem Film gelingt es, Geschichte und Mythos zu versöhnen und ein glaubwürdiges „Wir” zu konstruieren, finde ich.
H: Wurde er deshalb verboten?
C: Vielleicht. Mythos war ja das letzte, was die DDR produzieren wollte.
H: Okay, SPUR DER STEINE ist super, und bestimmt auch, weil er so spezifisch ist in Bezug auf das Leben in der DDR damals. Aber was leiten wir daraus ab? Dass alle Filme so sein sollten?
C: Nein, nicht alle Filme. Aber ich glaube, das amerikanische und auch das französische Kino ist so stark, weil es auf dem breiten Rücken mythischer Filme eine Tradition des Erfolges begründen konnte. Daneben ist natürlich auch Platz für Häresien, für Außenseiter und Subversive.
H: Würdest du Max Ophüls zu den Häretikern zählen?
C: Eher ja. Seine Filme sind ja so etwas wie geträumte Psychoanalyse – und das Analytische in seinem Kino ist womöglich stärker als der Traum.
H: Dann wäre das geklärt. Wenn ich dich richtig verstehe, möchtest du mich auf die „mythische” Seite ziehen. Meine bisherigen Filme sind aber eher keine Bewerbungen für so ein Kino, oder?
C: Das nicht, aber ich glaube, dass deine eigentlichen Talente im mythischen Spektrum liegen. Du weißt es nur noch nicht.
H: Interessant. Aber mal im Ernst. Für ein mythisches Kino, wie du es beschreibst, fehlen in unserer „Zufallsgärtnerei” die Voraussetzungen. Das Publikum meidet den deutschen Film, die Förderstrukturen sind passiv, die Branche – von einer Industrie müssen wir nicht reden – hat nicht die Ressourcen und die Professionalität, zu fordern und zu fördern, und so bleibt den Filmemacher*innen nur, Ansprüche an sich selbst zu formulieren, was regelmäßig zu wenig ist.
C: Um die Beschreibung der Talsohle zu vervollständigen, zitiere ich dich: „Wir haben eine Filmkultur, die in ihren besten Momenten bescheiden ist, während das Unbescheidene fast immer ohne Ambition bleibt.” Daher meine Forderung, den deutschen Film auf eine neue Basis zu stellen und endlich den albernen Gegensatz von U und E zu überwinden.
H: Jetzt bin ich gespannt auf deinen Plan.
C: Es gibt noch keinen Plan. Solange du nicht überzeugt bist, wäre das auch schwierig.
H: Ich schlaf mal drüber, würde ich sagen.
C: Mehr wollte ich nicht erreichen.
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