Das Wort „Laudatio” bringt Erwartungen mit sich, die ich womöglich nicht alle erfüllen kann - das macht dann Andreas Kleinert… Ich will nur zwei oder drei Dinge sagen, die ich von ihr weiß… keinen ganzen Kranz flechten, den würde Gisela, so wie ich sie kenne, sowieso vom Kopf rutschen lassen. Lorbeer und Weihrauch – das passt für Cäsaren und Hohepriester. Aber Gisela ist nicht feierlich, verklärt, respektheischend, sie ist eher: respektlos. Und diese Respektlosigkeit gehört zu ihren besten Eigenschaften. Lassen Sie mich erklären.
Sie ist respektlos, in dem Sinne, dass sie sich von hochtrabenden Absichten nicht beeindrucken lässt. Sie ist das Kind, das sagt: der Kaiser ist nackt. Und wenn die Höflinge dann lachen, und im Hohn der nächsten Täuschung aufsitzen, sieht sie den Menschen im „Kaiser”. Und ist bereit, ihm eine Chance zu geben. Ohne Vorurteil. So hab ich das erlebt mit ihr, bei meinem ersten langen Film, und das war prägend.
Regisseure (und Regisseurinnen vielleicht auch) täuschen sich ja oft darüber, was sie gemacht haben, was sie können, und natürlich auch darüber, was sie wollen. Deshalb ist die Montage ja auch so eine blutige Angelegenheit. Man leidet als Regisseur weniger an den Defiziten der Schauspieler oder Mitarbeiter als am eigenen Unvermögen, an den zerstörten Illusionen. Und ich kann von mir sagen: ich muss mir bei der Arbeit Illusionen machen. Verblendung ist ein Werkzeug. Nur ist es im Schneideraum dann nicht mehr brauchbar.
Gisela arbeitet gegen die Täuschung. Dass das etwas Gutes ist, das war ein durchaus schmerzhafter Erkenntnisprozess für mich. Wenn eine Editorin, ein Editor etwas taugt, kommt alles ans Licht…. Die Montage ist Abrechnung, Tod und Wiedergeburt eines Films.
Im Schneideraum braucht man einen ehrlichen Spiegel – der weder sagt: du bist der Schönste hier, aber auch nichts von Zwergen erzählt, hinter den sieben Bergen usw. Dem Gisela-Spieglein geht es auch nicht so sehr um Schönheit, jedenfalls nicht im landläufigen Sinne. Es geht um die Wahrheit des Materials, jenseits der Absichten.
Respektlosigkeit also, ein klares, realistisches Auge: das ist das eine. Aber das Gesehene muss auch gegriffen, ergriffen und also be-griffen werden – toll, wie die deutsche Sprache da auch die analogen Zeiten des Filmschnitts aufbewahrt – indem man den richtigen Ein- und Ausstiegspunkt findet.
Ich sehe Gisela vor mir, wie sie im Begriff ist, einen Schnitt zu setzen. Da ist jede Faser unter Spannung. Wie eine Skispringerin auf der Schanze vielleicht. Die große Ekstase der Bildschnitzerin Gisela.
Da spielt Erfahrung eine Rolle, klar, ihre Filmografie ist lang, aber so richtig lernen kann man es vielleicht gar nicht, man muss es haben. Die Intuition des richtigen Absprungs. Dieser energische Zugriff ist etwas, was mir bei Gisela immer sehr imponiert hat. Dieses großgeschriebene JETZT. Ohne Zögern. Und dabei – nur scheinbar ein Widerspruch – stets so zu „springen”, dass der Zuschauer mitkommt.
Wie lang trägt eine Einstellung? Wie lange bleibt der Zuschauer in der Luft? Wann schaut er nach unten und bekommt Angst (um im Bild zu bleiben?) Das weiß diese Skispringerin!
Wir hatten beim Dreh von MILCHWALD ja die Losung ausgegeben: je weniger Einstellungen, desto besser. Und Gisela hat mir gesagt: du willst nicht schneiden, das finde ich prima, aber was, wenn die Energie der Einstellung nicht so lange hält? Dem Zuschauer sind Konzepte egal, er hält sich an das, was er sieht. Sie hatte natürlich recht.
Und dann die vielleicht schwierigste Sache: die Landung, im neuen Bild. Hier entstehen noch mal ganz neue Dinge. Das Kino und ganz besonders die Montage ist ja eine Kunst der Auslassung, funktioniert dialektisch. Es geht darum, dass sich im Zuschauer unwillkürlich und überraschend eine Synthese formt.
Ich habe von Giselas Realismus’ gesprochen, dem unbestechlichen Auge, und von ihrem instinktsicheren Zugriff, wenn es um den Absprung geht, aber in diesem dritten Punkt kommt noch einmal eine ganz andere Gisela zum Vorschein: die Spielerin. Ich meine damit nicht unbedingt, dass sie im Schneideraum furchtbar viel ausprobiert – aber im Kopf, da rumort es, man hört die Zahnräder rattern – und dann kommt plötzlich und unverhofft ein Vögelchen raus.
Liebe Gisela, 1980 hast du deinen ersten Spielfilm geschnitten, 80 Filme später kriegst du mit 79(!) den Preis fürs Lebenswerk, das klingt für mich nach einer runden Sache.
Ich freue mich sehr für dich, ich freue mich, dass wir uns begegnet sind, damals 2002, du hast mir ungeheuer viel mitgegeben, großzügig, leidenschaftlich, genau, und ich gratuliere dir auch zu der großen Arbeitsromanze mit Andreas Kleinert, ein kostbarer Schatz, so ein kongeniales Verhältnis, das hoffentlich noch viele Kapitel haben wird.
Diese kleine Rede für Gisela Zick habe ich am 13.10.2023 im Rahmen von Edi Motion in Köln gehalten. Danke für die Einladung, Sven Ilger & Co!
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