02 April, 2023

Wir werden uns noch wundern.

Der Anlauf war lang, aber die neue Welle kommt trotzdem überraschend. Jedenfalls gewinnt sie gerade so schnell an Fahrt, dass sie schon jetzt als historisch, weltbewegend – und katastrophal – beschrieben wird. Die Rede ist von jener „künstlichen Intelligenz”, die – wie GPT-4 von Open AI – auf „large language models” basiert und nach Meinung vieler Experten das Zeug hat, der nächste große, vielleicht der größte „Disruptor” überhaupt zu sein. Open AI CEO Sam Altman vergleicht den Technologiesprung mit dem Manhattan Projekt und der Atombombe. Andere fühlen sich an die Erfindung des Feuers, des Rades, des Buchdrucks erinnert. Bis zu 80 % der bestehenden Jobs könnten verschwinden oder sich radikal verändern, liest man. Natürlich auch in unserer Branche. Spekulieren wir kurz, was sich für die Filmherstellung verändern könnte.

KI-Systeme könnten Drehbücher schreiben. Entlang etablierter Muster, im Stil bestimmter Autoren oder Schulen, aber auch in Bezugnahme auf das dokumentierte Sehverhalten realer Nutzer, und zwar sowohl im Sinne eines statistischen Mittels als auch individualisiert. KI-Systeme könnten Kameraeinstellungen vorschlagen, Schauspieler synthetisieren, Szenen simulieren, gedrehtes Material montieren oder ergänzen oder gleich einen kompletten Film animieren, photorealistisch, wenn gewünscht. KI-Systeme könnten hyper-populistische, aber auch strategisch-provokative Dienste leisten für ein täglich neu vermessenes, von Big Data scharfgestelltes Publikum. Filme könnten sich eines Tages sogar während des Sehens ändern, abhängig von den Reaktionen eines Zuschauers, wer weiß. Die Filmherstellung wird jedenfalls sehr viel weitergehender als heute von einer empirischen Erfolgsforschung begleitet werden. KI-Systeme könnten das Marketing übernehmen, jede Art von social media Reaktionen produzieren, könnten Kritiken schreiben und die filmhistorische Einordnung gleich mit. Kurz: mehr oder weniger alles könnte sich verändern, und wie so oft könnten finanzielle Argumente die Schleusen öffnen für diesen Wandel.

Bevor sich die Machtverhältnisse ganz verkehren - „Menschen als Geschlechtsorgane der Maschinen“ - wird sich die Sinnfrage verschärft stellen. Wozu sind wir gut? Und welche Rolle hat die Kunst in einer Welt, in der Maschinen unsere Unterhaltungsbedürfnisse automatisieren können?

2014 habe ich fünf Wege skizziert, die diesem möglichen Wandel etwas positives abgewinnen. Aber die Zukunft ist ja – frei nach L.P. Hartley – ein fremdes Land. Wir werden uns noch wundern.


(P.S.: Sehenswertes Interview zum Thema: https://youtu.be/qpoRO378qRY)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen