YOU WERE NEVER REALLY HERE (Lynne Ramsey, USA 2017)
Nicht zufällig finden sich im Kino so viele Exhibitionisten, die bei jeder Gelegenheit ihre Gefühle ventilieren: in den Kopf einer Figur zu gelangen, die kaum je etwas sagt, von dem, was sie fühlt und denkt ganz zu schweigen, ist nur schwer zu bewerkstelligen. Lynne Ramsey gelingt es, ohne großes Aufhebens darum zu machen. Sie addiert Momente, gibt der Figur (und das heißt hier immer auch dem Schauspieler Joaquin Phoenix) Raum, viele kleine „Ich bin's” zu senden, Gesten, Gangarten, Narben, Ticks. Phoenix ist dabei immer in Deckung, hinter seinem Bart, seinem aufgepumpten Körper, seinen Kleidern, „er hält sich bedeckt”, vorsichtig oder paranoid, das ist lange nicht ganz klar. Und wir lesen ihn, mit Vergnügen, mit Sorge, zunehmend ängstlich, den er hat sich die Falschen zum Feinde gemacht, wie es scheint. Wenn Phoenix einmal mit einem seiner Widersacher, den er gerade tödlich verwundet hat, ein brüchiges Lied anstimmt, ist er wie Frankensteins Monster auf der Blumenwiese: ein Beschädigter, mit der Seele eines Kindes.
ODDS AGAINST TOMORROW (Robert Wise, USA 1959)
Eine Wette gegen die Zukunft. Männer als tickende Zeitbomben. Hauptschauwert: Das Gift in Robert Ryans Adern. Sein Hass gegen sich und Andere, die Gier nach Gelegenheiten, das Gift zu verspritzen, ist eine Sensation. Das Scheitern-Wollen auch, weil er es sich im Selbstmitleid eingerichtet hat. Von seiner Freundin, einer Filialleiterin, lässt er sich aushalten. Den Bruch will er machen, weil diese Abhängigkeit gegen sein Bild von Männlichkeit geht. Und auch die Tatsache, dass er das „Ding” mit einem schwarzen Musiker, Harry Belafonte, durchziehen soll, kränkt ihn. Ryan ist der Skorpion, offen rassistisch, cholerisch, tödlich, Belafonte der Frosch, der ihn über den Fluss trägt, der glaubt, der andere werde zumindest klug genug sein, das eigene Leben nicht wegzuwerfen. Aber der Hass schmeckt süßer, der Skorpion sticht, alles muss untergehen. James Baldwin berühmter Satz – „I imagine one of the reasons people cling to their hates so stubbornly is because they sense, once hate is gone, they will be forced to deal with pain.” – ist das heimliche Motto für diesen Film, den der geniale, in der McCarthy-Zeit mit Berufsverbot belegte Abe Polonski (FORCE OF EVIL) geschrieben hat.
THE BIG RED ONE (Samuel Fuller, USA 1980)
Samuel Fuller ist unverschämt – und diese Haltung ist für einen Kriegsfilm besonders angemessen, scheint mir. Angesichts der Obszönität des Krieges ist der hohe Ton vieler war epics (in Spielbergs SAVING PRIVATE RYAN zum Beispiel, der sich bei diesem Film vielfach bedient hat) selbst geschmacklos. Der Film sammelt rhapsodisch die Abenteuer und Missionen einer Truppe, die, mit der roten Eins gekennzeichnet, immer dort hingeschickt wird, wo es brennt. Dass die Hauptfiguren dabei (größtenteils) am Leben bleiben, verdanken sie keinem Heldentum, keiner besonderen Begabung, und schon gar nicht der Gnade eines Gottes. Eher ist es so, dass ihr Überleben ein schlechter Witz ist, über den man trotzdem lacht. So zeigt sich auch Fuller selbst als viriler Angeber, betont die jüdische Identität im Selbstportrait, um Adolf den Mittelfinger zu zeigen. Der Beruf des Soldaten bleibt dabei immer ambivalent. Man kann ihn nur anständig machen, scheint Fuller zu sagen, wenn man sich von der Illusion befreit, „gut” zu sein. Lee Marvin, in einer seiner besten Rollen, zeigt hier unter der ledrigen Haut immer wieder Zweifel und Staunen, etwa wenn er in einem Panzer den Geburtshelfer spielt (siehe Bild) oder am D-Day junge Rekruten in den sicheren Tod schickt.
SCHWARZER KIES (Helmut Käutner, D 1961)
Der seltene Fall eines deutschen Filmes, der keine Angst vor der Hässlichkeit der Verhältnisse hat. Sein Tonfall ist so umromantisch wie möglich, was die tragische Romantik des Endes vielleicht erst möglich macht. Dreh- und Angelpunkt des Films ist der Verkauf, ein Dorf wird zum Babel, weil die Präsenz der amerikanischen Besatzer den Handel mit bestimmten Waren florieren lässt. Prostitution, Bier und Juke Box prägen das Bild. (Anti-) Held des Films ist der Gewinnler Robert Neidhardt (Helmut Wildt), der den titelgebenden schwarzen Kies verschiebt, und erst in der Wiederbegegnung mit seiner großen Liebe die Defizite des eigenen Arrangements begreift. Nein heißt bei ihm nicht nein, mit allen Mitteln versucht er sie aus dem bequemen Kompromiss ihrer Ehe mit einem amerikanischen Militärfunktionär zu locken. Aber als das lang vereiste, wunde Herz auftaut, sind die Schmerzen unerträglich. Man muss es Käutner hoch anrechnen, dass es in diesem BRD-noir keinen Ausweg gibt, und geben kann.
Der seltene Fall eines deutschen Filmes, der keine Angst vor der Hässlichkeit der Verhältnisse hat. Sein Tonfall ist so umromantisch wie möglich, was die tragische Romantik des Endes vielleicht erst möglich macht. Dreh- und Angelpunkt des Films ist der Verkauf, ein Dorf wird zum Babel, weil die Präsenz der amerikanischen Besatzer den Handel mit bestimmten Waren florieren lässt. Prostitution, Bier und Juke Box prägen das Bild. (Anti-) Held des Films ist der Gewinnler Robert Neidhardt (Helmut Wildt), der den titelgebenden schwarzen Kies verschiebt, und erst in der Wiederbegegnung mit seiner großen Liebe die Defizite des eigenen Arrangements begreift. Nein heißt bei ihm nicht nein, mit allen Mitteln versucht er sie aus dem bequemen Kompromiss ihrer Ehe mit einem amerikanischen Militärfunktionär zu locken. Aber als das lang vereiste, wunde Herz auftaut, sind die Schmerzen unerträglich. Man muss es Käutner hoch anrechnen, dass es in diesem BRD-noir keinen Ausweg gibt, und geben kann.
COVEK NIJE TICA (Dusan Makavejev, Jugoslavien 1965)
Der Mensch ist kein Vogel, weiß schon der Titel. Er kann nicht einfach davonfliegen, die Verhältnisse lassen sich für eine Nacht oder zwei vergessen, aber die Wirklichkeit bleibt bleiern, der Artistik auf der Leiter zum Trotz. Zumindest in der schmutzigen jugoslawischen Provinz, im Schatten des großen Kombinats, in dem der Ingenieur eine neue Turbine installieren soll. So lange diese Aufgabe währt, so lange währt sein Versprechen auf ein anderes Leben. „Ich nehm dich mit”, sagt der Weitgereiste, und vielleicht meint er es wirklich ernst. Aber die junge Friseurin ist klug, sie hält ihre Hoffnung in Schach, kontert sie mit einer realistischeren, lokalen Liebesgeschichte zu einem viel jüngeren Mann, während wir in burlesken Vignetten die Kämpfe einer anderen Frau erleben, deren Mann es sich als mehrfach prämierter „Held der Arbeit” leisten kann, rückständig zu sein.
JOE HILL (Bo Widerberg, USA 1971)
Etwas Schweres leicht nehmen, ohne selbst fahrlässig oder leichtsinnig zu werden, das gelingt Joe Hill – und es gelingt auch Bo Widerberg in diesem schönen Film. Konzentriert auf sein Alter Ego, den Schauspieler Thommy Berggren, der hier eine historische Figur verkörpert, erzählt der Film von einem schwedischen Einwanderer im frühen 20. Jahrhundert, der sich in den USA als Landfahrer und Gelegenheitsarbeiter politisiert, zum Agitator wird und schliesslich für einen Raubmord, den er nicht begangen hat, zum Tode verurteilt wird. Aber der Film hat keinen Plot im klassischen Sinn oder jedenfalls funktioniert er nicht zentralperspektivisch; die Momente, die ihn bestimmen, sind ganz Gegenwart, das Private und das Politische liegen nebeneinander, ohne Hierarchie. Ein Meisterwerk, das keine Ausrufezeichen nötig hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen