30 September, 2011

Nominierung

Stefan Stabenow ist für seine Arbeit an UNTER DIR DIE STADT für den Schnittpreis nominiert worden. Die Preise werden von der Jury am Abend des 28.11.2011 im Kölner Filmforum im Museum Ludwig feierlich verliehen. Ich drücke die Daumen, Stefan!

27 September, 2011

Möglichkeiten



„Jeder leidet nach seinen Möglichkeiten.”

Orson Welles inszeniert THE MAGNIFICENT AMBERSONS.

Mediensprech (3):

„Visionäre Keynotes, Master Classes für ein erfolgreiches cross- und transmediales Geschäft, Handelsplatz für Medienrechte und Koproduktionen, Trendschauen und exklusive Previews – das und vieles mehr bietet...”

Werbung für Frankfurt „StoryDrive”

15 September, 2011

Die Lücke

Der Hollywood-Mainstream bedient sich heute in der Regel eines Auflösungsstils, den man mit Bordwell intensified continuity style nennen könnte. Kein Bruch mit den klassischen Regeln, aber eine deutlich höhere Schnittfrequenz (im Vergleich zum Kino der 30er-60er), weniger totale, mehr mittlere und nahe Einstellungen und damit insgesamt mehr Kamera-Set-ups, meist innerhalb eines Coverage-Systems (Coverage = „Abdeckung” aller relevanten Perspektiven einer Szene in verschiedenen Einstellungsgrößen).

Die hohen Schnittraten im modernen Hollywood überzeugen mich selten, weil sie die Selbständigkeit der Akteure und Zuschauer beschneiden - und ich bin kein Freund von Coverage, weil die endlose Wiederholung der gleichen Handlungen Schauspiel und Kameraarbeit abstumpft. Eine Szene, die aus allen Richtungen und in allen Größen Sinn macht, gibt es nur in der Theorie; der Preis eines - im Schneideraum natürlich sehr bequemen - fraktalen Shotdesigns besteht in der Banalisierung der einzelnen Einheit.

Mein Ideal wäre im Gegenteil, einen unwiederholbaren Moment auf eine Weise zu fassen, die jede andere Perspektive überflüssig macht. Ich könnte jetzt fortfahren und ein Loblied auf den Erzähler singen, der Risiken eingeht, um einer Szene das Wesentliche abzuringen usw. aber das wäre nur die halbe Wahrheit, denn unsere Produktionsbedingungen erlauben weder intensified continuity style noch Coverage, von anderen Schauwerten ganz zu schweigen.

Ein Gutteil jener Ökonomie der Mittel, die oft gelobt und mindestens so oft geschmäht wird, ist also in Wirklichkeit einfach nur: Ökonomie. Oder doch die Folge davon. Denn das ist natürlich die Frage: Haben wir die Ästhetik der Armut zu lieben gelernt, weil es vernünftig ist, das Mögliche zu lieben?

Dreharbeiten für einen Spielfilm dauern in Deutschland üblicherweise 30-40 Tage, wenn man fürs Kino arbeitet. Die meisten Fernsehfilme müssen in 20 Tagen oder weniger im Kasten sein.*) Auch wenn das Ziel nicht im Anschluss an die Standards des Hollywood-Mainstreams besteht, bedeutet die knappe Drehzeit einen ständigen Kampf um das Gleichgewicht zwischen Inszenierungs- („Was passiert wie?”) und Kameraarbeit („Wie zeige ich es?”).

Zum Vergleich: Finchers THE SOCIAL NETWORK hatte laut Making-of 3 Wochen Probenzeit und 80 Drehtage, bei einem Budget von 47 Mio US-Dollar (ca. 32,6 Mio Euro). Und das ist ein vergleichsweise unaufwändiger Film. Im Gedächtnis bleibt er wegen einiger dichter Darstellermomente. Wir haben grob gesagt ein Drittel der Zeit, bei einem vergleichbaren Erzählpensum (auch wenn sich die Systeme nicht so ohne Weiteres vergleichen lassen, etwa wegen der Rolle der Gewerkschaften in den USA). Die Frage nach den Konsequenzen der geringeren Mittel stellt sich also mit einiger Dringlichkeit, auch natürlich, weil 90% des europäischen Publikums dem Hollywood-Film an der Kinokasse den Vorzug gibt.

Wenn wir konkurrieren wollen - künstlerisch, kommerziell, ideologisch - kann es nicht genügen, die Mittel der Amerikaner in kleinerem Maßstab nachzubauen. Dieser „Mittelweg” aber ist am Weitesten verbreitet. Im Wettlauf mit der Zeit versucht man möglichst viele Einstellungen zu schaffen, folgt in der Eile ganz konventionellen Auflösungsmustern und hofft, sie in der Montage wieder spezifisch zu machen. Im Schneideraum geht man dann am Gängelband symmetrischer Pflichten: Der Schuss, dem nach dem Gegenschuss verlangt, die Subjektive, die zurück zum Subjekt möchte usw. Für die Genauigkeit fehlt so die Zeit, aber zum Zuckerguss reicht es auch nicht. Klein Hollywood.

Mein Eindruck ist - und ich nehme meine Arbeit hier ausdrücklich nicht aus - dass die besseren deutschen Filme der letzten Jahre den Bedingungen zum Trotz visuell sehr ausgefeilt sind, während sie schauspielerisch und inszenatorisch (also sowohl im individuellen Spiel als auch im „choreografischen” Zusammenhang) Defizite haben. Mit Defiziten meine ich aber gerade nicht „Fehler”, sondern das wohltemperierte, zuverlässige Spiel, die souveräne Darbietung etablierter Gemeinplätze, wie sie in einem Produktionsalltag, der von den Bedürfnissen des Fernsehen bestimmt und rhythmisiert wird, die Regel sind (das ist kein Vorwurf an die Schauspieler).

Die zur Verfügung stehende Zeit reicht in der Regel nicht, um visuell und schauspielerisch auf höchstem Niveau zu arbeiten. Da größere Budgets **) vorerst nicht zur Verfügung stehen, müssen andere Stellschrauben bewegt werden. Die (realtiv) knappen Mittel zwingen zur Verletzung der Regeln mindestens dann, wenn das Ziel Intensität und Wahrheit des Ausdrucks ist. Aber wie könnte eine Radikalisierung aussehen, die ideologisch und arbeitspraktisch mit den Bedingungen unserer „volkseigenen” Filmwirtschaft in Deckung zu bringen ist?

Einen praktischen Vorschlag, wie man die Auflösung zugunsten eines „tieferen Schauspiels” vereinfachen könnte, habe ich kürzlich gemacht. Das ist aber natürlich nur ein kleiner Teilaspekt des Problems. Vielleicht müssten wir unser Verhältnis zum Bild und seiner Produktion viel grundsätzlicher überdenken, und zwar aus der Perspektive des Erzählmaterials.

Wenn ich darüber nachdenke, was mich im Kino am Meisten bewegt, was im Konzentrat der Erinnerung übrig bleibt, dann sind das, erstens, Momente der „Wahrheit” im Spiel, ungezähmte Augenblicke, die Einblick geben in einen Charakter. Zweitens die Erfahrungen, die ich mit dem Medium selbst mache: Das Kino als dialektische Maschine sozusagen, die mich mit in die Synthese nimmt. Drittens interessieren mich Geschichten.

Ich sehne mich nach einem Kino, das weniger Zeit und Kraft auf Dekoration und Routine verwendet ***) und sich auch nicht damit aufhält, „alles” anders zu machen („ein ganzer Film in einer Einstellung”).

Es geht darum, einem Gegenstand, der uns unerklärlich anzieht, zu seinem Recht zu verhelfen, und nicht darum, aus einem Stoff eine altmodische Jacke zu schneidern.

Ich bin auf der Suche nach einem Kino der Liebe, das sich wirklich für den Menschen interessiert. Ein Kino, das ohne auteuristischen Stolz von Moment zu Moment geht, „kunstlos”. Ein Kino auch, das seine filmischen Mittel nicht versteckt, sie so verwendet wie einen Zeigefinger, den man auf die Lippen legt (jetzt leise sein) oder auf die Wunde („Do ist mir we.”).

Ich wünschte, ich könnte Filme machen, die ganz direkt sind, mehr oder weniger nur aus Rohstoffen bestehen, ein konkretes Kino, weder „Avantgarde” noch „Kommerz”.

Die Lücke, die hier klafft, muss die praktische Arbeit schliessen.




*)
MILCHWALD: 32 Drehtage (87 Min), FALSCHER BEKENNER: 20 Drehtage (94 Min), UNTER DIR DIE STADT: 36 Drehtage (110 Min), EINE MINUTE DUNKEL: 24 Drehtage (90 Min).

**)
MILCHWALD: 1 Million Euro, FALSCHER BEKENNER: 100.000 Euro, UNTER DIR DIE STADT: 2,5 Millionen Euro, EINE MINUTE DUNKEL: 1,4 Millionen Euro. Gerundet. Ein höheres Budget bedeutet nicht automatisch mehr Zeit pro Minute Filmhandlung, weil diverse Faktoren (Gagen Schauspiel, Motivaufwand, Größe der Crew, Gagen Crew, Technikausstattung, Unterbringung, Transport, SFX usw. - und eben Filmlänge) je nach Projekt und Rahmen variieren. Die vergleichsweise niedrige Summe bei FALSCHER BEKENNER erklärt sich aus Lohnverzicht / Rückstellungsverträgen / Beistellungen etc.

Die Summen selbst sind natürlich kein Grund zur Klage. Die Schwierigkeit besteht darin, eine Form zu finden, die die eigene Sensibilität in Kontakt mit den Interessen des Publikums bringt und zugleich realistisch ist gegenüber den Produktionsbedingungen.

***)
Die immer gleichen Einstellungen von Menschen, die aus Autos steigen, ein Haus betreten, die immer gleichen Schuss-Gegenschuss-Muster, Figuren, die die Handlung resümieren, damit der Plot weiter voranschreiten kann usw usw

03 September, 2011

Prinzip Collage







Wenn der Film, als Material, das Medium der Transparenz war, (eine lichtgravierte Haut), dann ist das digitale Bild etwas viel Allgemeineres, nämlich Information - und damit nichts anderes als eine Zeile Code oder Text. Seltsam nur, dass die Ästhetik der Spezialeffekte, überhaupt das computergenerierte Bild, so nostalgisch daher kommt, historistisch sozusagen. Da werden vertraute fotochemische Artefakte imitiert, Nahtstellen peinlich genau retouchiert und mit Gittermodellen wird der Perspektive gehuldigt. Mir schiene es reizvoller, statt auf CGI-„Realismus” zu setzen das Prinzip Collage schamlos auszustellen.

Kürzlich habe ich Karel Zemans BARON PRÁSIL (CSSR, 1962) zum ersten Mal gesehen, ein wunderbarer Münchhausen-Film, der Zeichnungen und Stiche, Wolkenbecken und Viragierung, Realfilm und Trick auf charmante Art mischt, ohne aus seinen Mitteln je einen Hehl zu machen. In dieser Tradition Abenteuerfilme zu machen, Weltraummärchen, Heldensagen würde mir Spaß machen. (BARON PRÁSIL ist z.Z. auf Youtube zu finden, die deutsche DVD gibt es zum Beispiel hier).