20 Januar, 2011

Schweineborstenbürste

Ich liebe Bildbände, die Welten bündig machen, Überblick versprechen über die komplizierte Gemengelage unserer Wirklichkeit. Als Kind besass ich Bücher mit so verheissungsvollen Titeln wie „Die Indianer” oder „Große Seefahrer” und noch heute kaufe ich mir manchmal alte, bildersatte Panoramen dieser Art.

Zum Beispiel „Alltag im Vatikan” von Curtis Bill Pepper (1967), in dem man erfahren kann, dass die Wohnung des Papstes (gemeint ist Paul VI) über „ein marmornes Bad, einen Filmvorführraum, zwei Fernsehgeräte, einen Lift und eine Dachterasse” verfügt, obwohl der Papst privat (natürlich) bescheiden lebt und „fast alle seine persönlichen Wertgegenstände weggegeben” hat. Seine Telefonnummer (3101) wird ebenso verraten wie der Aufenthaltsort aller Ersatzschlüssel (in der Feuerwache), einschliesslich derer der Geheimgänge versteht sich.

Die Mischung aus Promi-Reportage und Propaganda-Lyrik entwickelt oft absurde Züge: „Der Papst beginnt den Tag demütig auf den Knien. Auch während er sich anzieht und rasiert, setzt er sein stilles Gebet fort. Er benutzt einen elektrischen Rasierapparat und bürstet das Haar mit einer Bürste aus Schweinsborsten, die er schon seit vielen Jahren besitzt.”


Gino de Paolis nach seiner Verhaftung.

Dem Vatikanischen Gefängnis ist ein eigenes Kapitel gewidmet, auch wenn es angeblich nur einmal benutzt wurde, denn: „die Kriminalität im Vatikanstaat ist so gering, dass sich der Unterhalt einer Strafanstalt gar nicht lohnt”. Die Geschichte des „einzigen Häftlings” Gino de Paolis, der mit einem Stück Seife Geld aus den Opferstöcken gestohlen haben soll, wird so onkelhaft, mit so viel falscher Süsse erzählt („Das ist der eine Fehler des Vatikan-Gefängnisses: es ist zu komfortabel.”), dass ich jedes mal aufs Neue fasziniert und angewidert bin.

In diesem Sinne sind all diese zu bündigen Geschichten anregend: sie provozieren mich, mir meinen Teil zu denken, das Unterschlagene zu rekonstruieren - oder Gegengeschichten zu erfinden. Die Lügen fordern Gegenlügen heraus...

(Und wäre Gino nicht ein toller Ausgangspunkt für einen Film?)

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