23 Januar, 2011
Glück im Anzug
Tolstois berühmter erster Satz aus „Anna Karenina” - „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ - klingt umso einleuchtender, je mehr Filme man gesehen hat. Ich kann nicht finden, dass das Glück im Leben so uniform wäre, aber im Kino ähnelt es sich auf frappierende Weise. Die Sonne scheint, Kinder laufen, lassen einen Drachen steigen, der Papa hilft, macht sich ein bisschen lächerlich, alle lachen. Der gepflegte Hund ist auch mit dabei und kläfft. Sehr oft geht es um Kinderspiele, aber da nur um die sattsam Bekannten, um Momente, die sich sofort dechiffrieren lassen, die Inseln im Film bilden. Das Glück im Kino ist mehr noch als alles andere dezidiert Mittelklasse. Das heißt, das Glück liegt auf der Wiese eines Parks, nicht in der Wildnis, nicht in der Gosse, nicht im Palast. Fast immer hat es mit „Freizeit” zu tun, nicht mit der Arbeit, nicht mit Essen oder Schlafen oder Sprechen. Vielleicht fällt mir das deshalb so stark auf, weil ich die klassischen „Sonntagsfreuden” oft als lähmend empfunden habe, während Arbeit, Sehen, Sprechen, Schlafen, Essen viel mit dem zu tun hat, was ich in meinem Leben Glück nenne. Vielleicht ist es ja wahr - wie manche Gedächtnisforscher sagen - dass wir uns das Glück nicht so gut merken können wie den Schmerz, die blassen Stellen deshalb irgendwann mit Konfekt ausfüllen. Einem Erzähler kann das nicht genügen...
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