14 Dezember, 2010

Hexenwerk

Das Kino des Unheimlichen hat mich immer interessiert. Nicht so sehr der Horror der gemarterten Körper, nicht Slasher-, Zombie- oder Creaturemovies, sondern das, was man altmodisch Spukgeschichten nennt. Filme also über die Angst und die - gesellschaftlichen / persönlichen - Verformungen, die sie hervorbringt. Filme auch über die Bühnen der Furcht: Speicher, Keller, Kammern, Häuser und Gehäuse des Unbehausten.

Wie es der Zufall will - oder mein Unbewusstes - habe ich mir in den letzten Tagen vier sehr unterschiedliche Filme angesehen, die alle mit Hexerei zu tun haben, dabei aber denkbar unterschiedliche Ansätze verfolgen (kann es da verwundern, dass mich zur Zeit ein Hexenschuss plagt?). Nachfolgend ein paar mehr oder wenige lose Gedanken zu den Filmen.

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VREDENS DAG (Carl Theodor Dreyer, Dän. 1943)

Der Älteste der vier Filme ist bestimmt auch der Erschütterndste, und das nicht, weil er den Schockeffekt suchen würde. Im Gegenteil meidet er Genrebezüge, erzählt glaubwürdig und historisch verortet von der Hexenverfolgung im Dänemark des 17. Jahrhunderts, in der sich die Entstehungszeit (das Dänemark unter deutscher Besatzung) ebenso wieder finden lässt wie unsere Gegenwart. Beunruhigend ist vor allem das Neben- und Ineinander von Vernunft und Angst, von Sympathie und Schwäche, von wahrem Glauben und der Heuchelei, die dem Einen die Haut rettet und der Anderen den Tod bringt. Dreyer spart die Schönheit, das Menschenmögliche dabei nicht aus, seine Schilderung frisch entflammter Liebe gehört zu den ergreifendsten Passagen des Films - in einer Tonart, die in ihrem Lyrizismus der Naturschilderung an Murnaus SUNRISE denken lässt - und dass auch diese Liebe nicht gefeit ist gegen den Virus der Angst, lässt den Rest des Films noch dunkler und pessimistischer wirken (ohne die Liebesgeschichte deshalb zu einem rhetorischen Kunstgriff zu machen). Unbedingt ansehen!

(Bild via)

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THE QUEEN OF SPADES (Thorold Dickinson, GB 1949)

Dickinson, der die Regie des Films wenige Tage vor dem Dreh übernommen haben soll (und dessen andere Filme ich leider nicht kenne) ist seinem Erzähltemperament nach ein Spieler - was dem Stoff sehr zu Gute kommt. Alles ist hier künstlich, Behauptung, von der stilisierten Studiodekoration bis zum lustvoll überzeichneten Schauspiel, aber unter seiner Regie wird es auf magische Weise lebendig, schaurig-schön, mitunter ausgesprochen furchterregend, ohne je den gesetzten Genre-Rahmen zu verletzen. Anton Walbrook (ursprünglich Adolf Anton Wohlbrück, einer der wenigen deutsch-jüdischen Schauspieler, die ihre Karriere im englischen Exil fortsetzen konnten - z.B. als Lermontow in Powell & Pressburgers THE RED SHOES) und Yvonne Mitchell in den Hauptrollen gelingt es, dem Märchenton dieser Puschkin-Bearbeitung eine existenzielle, abgründige Note beizumengen, die den Film zu einer überraschend emotionalen Wirkung verhilft, während der Rest der barocken Besetzung - Edith Evans als Hexe! - komödiantisch schillert, ohne übrigens deshalb den Grusel zu mindern (ein Double Feature mit Lynchs vergnüglichen MULLHOLLAND DR. kann ich empfehlen).

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SECRET CEREMONY (Joseph Losey, GB 1968)

Losey gilt so Manchem als unsteter auteur, und wirklich wirkt dieser Film einigermassen abseitig neben THE SERVANT, ACCIDENT oder THE GO-BETWEEN, seinen „anerkannten” Meisterwerken, nicht zufällig alle in Zusammenarbeit mit Harold Pinter entstanden. Aber bei allen Vorbehalten, die ich gegenüber SECRET CEREMONY habe: die Trennung zwischen dem guten und dem schlechten Losey ist wahrscheinlich ebenso unsinnig wie die Erwartung, ein großer Regisseur müsste zuverlässig sein. Nicht nur ist er hier ganz offensichtlich im Vollbesitz seiner Kräfte - filmhandwerklich gesprochen - die Untiefen, die irritieren, finden sich auch in seinen besten Filmen (zu denen ich, neben den oben genannten, unbedingt auch MR. KLEIN rechnen würde). Das Problem ist, dass Loseys Esoterik, die in den anderen Filmen nur gelegentlich aufblitzt, im exzentrischen Rahmen von George Taboris Drehbuch wuchern darf. Was meine ich mit Esoterik? Auf die Gefahr hin, mich mit meiner Definition lächerlich zu machen: das Ornament angesichts der einfachen Tatsachen des Lebens. Der Film jedenfalls ist ornamental auf jeder Ebene („a film trying too hard to be misunderstood”
wie Gary Tooze richtig schreibt), und findet auch da, wo es um Missbrauch, Gewalt und Tod geht, keine Klarheit. Ich weiss, das ist eine einigermassen vage moralisch-ästhetische Kategorie (Rivettes Text "Über die Niedertracht" lässt grüssen), aber das ästhetische Raffinement dieser verworrenen, halb psychologischen, halb übernatürlichen Filmerzählung wird eben immer da unerträglich, wo es ans Eingemachte geht. Insofern enthält der Film für jeden Filmemacher schmerzhafte Lehren - auch ein Schrecken, den man im Kino erleben kann.

Lesenswert: Glenn Kennys Text auf Mubi.

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SUSPIRIA (Dario Argento, I 1977)

Argento die Unverhältnismässigkeit seiner Mittel vorzuwerfen wäre dagegen sinnlos. Von der ersten Einstellung an signalisiert der Regisseur, dass es ihm nicht um die Welt, sondern um das Kino selbst geht. Sein Film, für Verehrer der Gipfel seines Schaffens, ist eine Travestie, ein „letzter Horrorfilm” (so wie auch Leones C'ERA UNA VOLTA IL WEST, an dem Argento mitgeschrieben hat, ein „letzter Western” ist) der die Standardsituationen des Genres hysterisch dekonstruiert und dabei Porno-V-Effekte (die Dialoge!) und Kunstwollen kurzschliesst. Das Ergebnis ist geschmacklos, unterhaltsam und so outriert, dass es kaum je wirklich furchterregend ist...

(Der Film spielt übrigens in einem Deutschland, in dem alle Englisch sprechen, und wurde in München gedreht - die Stadt heisst im Film „Freiburg”. Argento geht mit den bekannten Orten - Königsplatz, Hofbräuhaus, Burgstraße, BMW-Hochhaus usw. oft sehr erfinderisch um. Für Münchner also ein Muss.)

1 Kommentar:

  1. Il semble que vous soyez un expert dans ce domaine, vos remarques sont tres interessantes, merci.

    - Daniel

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