09 Juni, 2007

Der Magier ist müde

Unter den Meistern der Suggestion gibt es viele, die nach Filmen größter Intensität nur mehr Travestien ihrer eigenen Erfindungen zu Wege bringen. Die „Kategorie Zusammenhang” gerät in die Krise und die Methoden der Verführung werden zur Kenntlichkeit entstellt.

Lynchs INLAND EMPIRE ist so ein Film: eine zerdehnte Variation seiner bekanntesten Motive, ein schlampiges Übermalen nach Zahlen - ohne einen Hauch von Sinn. Der Magier ist müde und wir durchschauen jeden seiner Zaubertricks.

Ich fühlte mich unangenehm an 2046 von Wong Kar-Wai erinnert - oder auch an MR. ARKADIN von Orson Welles. Gerade den Zauberern, die mich für Momente vollkommen getäuscht und verzückt haben, verzeihe ich ihre Schwäche nicht.

*

Nachtrag:

Ich habe den mythologischen Weihrauch eines Anselm Kiefer immer als schwebende Metapher verstanden; als ein Verweis auf das Uralte, mit dem sich nebelhaft die Illusion einer Entfernung von der Gegenwart erzeugen lässt. Ob man tiefere Einsichten in seine Kunst gewinnt, wenn man nachliest, was es (zum Beispiel) mit den Argonauten und dem goldenen Fliess wirklich auf sich hat? Gut möglich. Aber auch wenn es sozusagen „leere” Rethorik wäre (und die Verweise Hochstapelei), wäre es wirksam im Sinne des Kunstwerks; gerade die Tatsache seiner Unergründlichkeit begründet die Wirkung des Nebels.

Wie die historistische Architektur für die Bahnhofshalle die Formensprache der gotischen Kathedrale belieh, ohne wirklich ein „Gotteshaus” der Bewegung zu meinen (Blasphemie hatten die Architekten nicht im Sinn) so arbeitet auch der Film oft - weder ironisch noch „heilig” - mit „Kathedralen-Bildern”. Lynch ist so ein Fall - und seine Methode scheint mir nur zu funktionieren, solange der Nebel noch nicht ganz verflogen ist.

10 Kommentare:

  1. Ich fand Lynch eigentlich immer nur unter der Prämisse interessant, ach was: erträglich, dass er seine Zaubertricks jedenfalls nicht verbarg. Das ist gewiss etwas anderes als: ausstellte. Eine latente Offenheit, wenn man so sagen kann, die in der Simplizität der Mittel (Score), ihrer Drastik (Rammstein) und Repetitivität (schmales Repertoire an Grundmotiven) liegt. Das ist wiederum ganz etwas anderes als: Virtuosität. In "Inland Empire" wird das endgültig überzogen. Was für mich heißt: Kommt endgültig zu sich. Diese latente Offenheit wird manifest. Anders gesagt: Kann man nicht mehr ernst nehmen. Aber ich fand es eben bisher schon immer deshalb gut, weil ich mich nicht genötigt fühlte, es ernst zu nehmen - und trotzdem (vielmehr: eben deshalb) zu genießen.

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  2. Lieber Ekkehard,

    --- „kommt endgültig zu sich”? Wahrscheinlich. Aber meine Hoffnung im Kino, mitunter entgegen der Beweislage, ist immer auf Sinn gerichtet. In WILD AT HEART habe ich eine neue Poesie des Kinos zu entdecken geglaubt, einen Umgang mit Oberfläche, der komplex ist, und prägnant unsere Zeit kristallisiert. Auch da die Frage, wie weit die politique des auteurs trägt. INLAND EMPIRE kann man einfach als missglückten Versuch sehen oder als Schlüssel einer umfassenden Umwertung aller bisherigen Arbeiten.

    Grüße,

    C.H.

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  3. Lieber Christoph,

    ich übertreibe jetzt ein wenig um des Arguments willen: Meine Hoffnung im Kino ist durchaus eher auf den Unsinn gerichtet, oder weniger scharf: den Nicht-Sinn. Oder, da das auch so vage klingt: Auf Eigenlogiken, die nicht unbedingt auf Sinn referenzieren. Aber offene Eigenlogiken, keine quasi-magischen Blendungs- und Illusionsierungszusammenhänge, sondern noch im Magischen so ein Mitlaufenlassen des Wissens um die eigene Nicht-Totalität. Ich meine damit überhaupt nicht Postmoderne, Ironie, Zitatkino, sondern eine Lässigkeit und Durchlässigkeit, eine reflexive, aber die eigene Reflexivität im Hintergrund haltende Transparenz von Mitteln und Zwecken. Als Kunst: Weerasethakul (?) Als Quatsch: Ocean's Thirteen (?) Du merkst: Ich versuche das auch erst für mich zu formulieren, was ich da meinen könnte...

    Herzlichen Gruß,
    Ekkehard

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  4. Lieber Ekkehard,

    „Nicht-Sinn” zu suchen im Kino leuchtet mir durchaus ein, im „Zweckfreien” steckt Freiheit, Jenseits, Körperlosigkeit. Wenn ich das Leben als zusammenhanglos empfinde und in der Fiktion Ordnung ersehne --- eine Geschichte soll Sinn MACHEN --- so ist das ja nur die eine Seite. Die andere ist die Erfahrung des totalen Zusammenhangs, ein Leben eingebunden in Familien- Staats- und Datenstrukturen, in Sprachsysteme und Verhaltensregeln.

    Die totale Erzählung: die Behauptung von Ganzheit, Vollständigkeit, Zweifellosigkeit ist im Film wie im Leben unerträglich. Ideologisches Kino... Das Wichtigste ist Transparenz.

    Aber zurück zu Lynch: wenn ein Erzähler nur mehr markiert (wie auf der Opern-Probe die Sänger), ohne Hoffnung auf „richtige Musik”, die Wahrnehmung also automatisch analytischer wird, dann genügt mir dieses dürftige Libretto eben nicht mehr. Vielleicht nämlich liegt der „Sinn” eines Lynch-Films eben doch in der Sinnlichkeit, so wie die Oper zweifellos nur in der Fülle ihrer Musik „verstanden” werden kann und zu dem „Kraftwerk der Gefühle” wird, von dem Kluge spricht.

    Kennst du diese Küchen-Weisheit, wonach Hauptgerichte immer einfach, Nachspeisen aber kompliziert sein sollten? Vielleicht liesse sich das auch auf das Kino anwenden.

    C.

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  5. Ich verstehe, glaube ich das Argument. Das Lynch-Kino macht für Dich "Sinn" nur als Kino der Fülle - und wenn man bzw. es selbst sich diese seine Stärke selbst entzieht, dann bleibt fast weniger als nichts: sozusagen nur die Selbst-Decouvrierung der eigenen Mittel; ohne ihre Wirkung, ohne ihre Sinnlichkeit. Das leuchtet mir als Argument durchaus ein.

    Ich habe aber an Lynch - da scheint mir der Unterschied zu liegen - immer etwas anderes geschätzt als das, was Du daran durchaus treffend als "Oper" beschreibst. Nämlich das Immer-schon-Zugleich von Oper und absurder Übersteigerung des Opernhaften, so dass die Oper immer schon kippt, der Film in Stil und Ton auf der Kippe ist und mir im Vor und Zurück von Suggestion und Hintertreibung der Suggestion ein ästhetisches Kippvergnügen bereitet.

    Bisher war das meist voll orchestriert, "Inland Empire" schien mir nun die - nun so richtig transparente - bare-bones-Fassung dieser Ästhetik. Die Karikatur von Oper, die Überspitzung der Absurdität. (Hasen-Sitcom z.B.) Und fast funktioniert das (für mich) noch besser, sozusagen als Meta-Fassung der originalen Lynch-Ästhetik. Und es funktioniert deshalb so gut, weil für mein Empfinden eben dieses Meta (als Kippen) gerade der stärkste Zug an Lynch war. (Ich glaube, dass ich darum auch "Twin Peaks" am liebsten mag von all seinen Sachen.) Die Fülle hat mich nie primär angesprochen, sondern nur als interessanter "Kontrast"-Effekt fürs Kipp-Vergnügen, das der absurdistisch-komische Gegenzug erst vollendet.

    Fast glaube ich, dass ich "2046" als das ziemlich genaue Gegenteil zu "Inland Empire" empfinde. Die Kipp-Ambivalenz von Wong Kar-Wais früh(er)en Sachen - mit denen ich aber nie so richtig viel anzufangen wusste - ist nun ganz zur Seite der dummen Fülle, der reibungslosen Opulenz hin aufgelöst.

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  6. Bin ganz Christophs Meinung; erstaunlicherweise las ich zahlreiche jubelnde Rezensionen, was mich sehr wunderte.
    Der Film wirkt doch, als sei eine Gruppe junger enthusiastischer Filmemacher, die zu viele David-Lynch-Filme gesehen haben ((Oder gar ein David Lynch, der zu viele David-Lynch-Filme gesehen hat?)), mit der DV-Kamera losgegangen und hätte alles drangesetzt, eine mustergültige David-Lynch-Hommage zu drehen. Mit so vielen Lynch-Zitaten, wie man in drei Stunden auch nur unterbringen kann.

    Die Krux mit dem Film ist daher m.E., dass man ihn beim besten Willen nicht ernst nehmen kann, Selbstironie und Übertreibung hin oder her... Jeder, der Lynchs Werk kennt, fühlt sich irgendwie hingehalten, von einer endlosen Skizzensammlung aus allen notwenigen Bruchstücken, die laut dem Malen-Nach-Zahlen-Handbuch zu einem Lynch-Film gehören. Das als Selbstplagiat oder -zitat zu bezeichnen, wäre wiederum wohlwollend. Insofern muss es wohl Ironie sein?
    Kennt man allerdings Lynchs Werk nicht, fühlt man sich wahrscheinlich angesichts der baldigen Banalität und Redundanz vieler Motive, Bilder und Fragmente auch nicht ernstgenommen. Das ist dann streckenweise einfach nur zäh.

    Doch besonders erstaunlich der Ton: Da Badalamenti diesmal nicht mehr beteiligt war, zitiert Lynch als Musiker und Tongestalter alles, was man von ihm so kennt; und dass rund die Hälfte der Filmmusik Auszüge aus Pendereckis Werk sind, erschreckt fast in seiner Einfallslosigkeit. Würde man nur nicht ständig sofort an Kubrick denken müssen... (zumal ja in einer Szene im Film lange Korridore eines hotelähnlichen Gebäudes eine Rolle spielen, und - man glaubt es nicht! - zwei Mädels, sich an der Hand fassend durch den Korridor hindurch auf die Kamera zu hopsen!) Und es gibt sogar Musik, die wie ein schlechtes Rammsteinzitat wirkt.

    Was man dem Film aber unbedingt zugute halten kann, ist wohl seine Rücksichtslosigkeit gegenüber Moden und filmischer Sprache. Vor allem hinsichtlich der Form hat sich Herr Lynch wirklich gänzlich losgesagt von Regeln und Forderungen Dritter. Er macht einfach, was er will (hier Fellini, dort Kubrick...). Und wenn es dann ein Sammelsurium aus Skizzen wird, dann sei es wohl so. Vielleicht musste er sich auch nur den Kopf frei machen?

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  7. Was „2046” und „Inland Empire” bei allen Unterschieden eint, ist die rethorische Überfülle, der keine einende Struktur mehr zu Grunde liegt. Es werden sozusagen keine ganzen Sätze mehr gebildet, beide Filme treten stotternd auf der Stelle, formulieren sich nicht.

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  8. Nur mal so am Rande: Interessante Abfolge von Themen:
    "Wo steht das Kino der Aufklärung heute?"
    "Der Magier ist müde."
    Äh, was denn nun? Wieso einem 50er Jahre Publikum vorwerfen, sich von Marischka verzaubern lassen zu wollen, und sich praktisch im gleichen Atemzug darüber beschweren, dass der eigene Lieblingsmagier immer nur dieselben alten Tricks bringt? Eine Überwältigungsästhetik ist nicht besser als die andere, nur weil vielleicht die Widerstände des Publikums differieren. Das ist unterm Strich, pardon, Geschmäcklertum.

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  9. Lieber Thorsten,

    ich sehe durchaus keinen Widerspruch darin, gleichzeitig ein „Kino der Aufklärung” und ein „Kino der Magie” zu schätzen. Vielleicht sind die besten Filme ohnehin die, die beiden Welten angehören. Es geht mir natürlich nicht darum, das Kino auf eine konforme Sprache festzulegen, die womöglich „moralisch wertvoll” wäre. So übersichtlich ist der Grenzverlauf zwischen guter und schlechter Kunst nicht. Trotzdem denke ich geht es über Geschmack hinaus, Marischka z.B. abzulehnen. Die Kritik muss beim Gebrauch der Mittel ansetzen. Film ist eben eine Montage von „Einstellungen”, Standpunkten eines Autors. Das Unterhaltungskino der Nazis, aus dem „Sissi” bruchlos hervorgegangen ist, organisiert dagegen einen a-persönlichen Verblendungszusammenhang, der auf die Frage „Was ist wirklich?” keine brauchbaren Antworten liefert. Er reflektiert seine Zeit nur insofern, als dass er sie verneint. Deshalb schärft er unsere Sinne nicht, bringt uns nicht zu uns, sondern propagiert mit falscher Süße Flucht... Lynchs Filme, die alle auch manipulative Seiten haben, aber sind in ihren besten Momenten hochtransparent - und in ihrer Poesie nicht an Affirmation interessiert. Das nur in aller Kürze.

    C

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  10. Jenseits meiner Pauschalitäten: Das Motiv eines verheimlichten Remakes hat mir sehr gefallen. Das Leben als ein verfluchtes Remake --- die gleiche Erzählung hat schon einmal böse enden müssen! Das ist wirklich eine tolle Metapher finde ich. Leider bleibt die Idee mehr oder weniger folgenlos im Film.

    C

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