08 Juni, 2007

Aufklärung?

Die großen Fragen der Kinoethik wurden immer entlang der letzten Dinge besprochen - die „schweinische” Rekadrage in „Kapo” (Rivette), der Suspense-Kitsch in „Schindler's List” (Lanzmann) - aber verletzt eine heuchlerische Liebesschnulze nicht genauso die Würde des Menschen?

Matthias Matussek, der das „Spiegel”-Feuilleton erst so richtig in den Graben gefahren hat, scheint anderer Meinung zu sein. In der Ausgabe vom 21. Mai schreibt er in einem Artikel über Romy Schneider:

„Man kann sich heute kaum vorstellen, wie sehr ihre Kunstfigur [Sissi] die Seelenlandschaften der Zeit durchwühlt hat, wie sehr sie, ein paar Jahre nach der Kriegskatastrophe, die Sehnsüchte nach Anmut, Reinheit, Jugendfrische, Zartheit, Neubeginn gebündelt hat. Wer mochte es den Kinobesuchern verdenken, wenn sie ihre Trümmerhaufen für ein paar Stunden vergessen wollten, dazu ist Kino da, das Fluchtmedium schlechthin, durch alle Zeiten.”
(S.155/156)

„Ernst Marischka, einer jener versierten Handwerker, die dem deutschen Kino bald abhanden kommen sollten, weil es sich als Antikino neu erfinden wollte ...”
(S.156)

Wenig später kommt Matussek noch einmal auf das „Antikino” zu sprechen:

„Das deutsche Kino hingegen lässt sie [Romy Schneider] weiter links liegen. Rainer Werner Fassbinder findet seine Liebe zum Kitsch, er dreht ein Melodram nach dem anderen, aber er nimmt Hanna Schygulla dafür, die über seinen Filmen hängt wie ein nasser Lappen. Auch Volker Schlöndorff winkt ab. Er vergibt die Titelrolle in Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum” nicht an die sehr interessierte Romy Schneider, sondern an die Schaubühnen-Frau Angela Winkler. Wim Wenders? Dreht dröge Männer-Episteln. Und Werner Herzog, den man auch in Paris zu Füßen liegt? Er will Filme drehen „über Menschen, die inneres Licht ausstrahlen, eine Tragödie um sich haben, die verwüstet worden sind.” Das klingt zunächst wie eine exakte Rollenbeschreibung für Romy Schneider, aber Herzog denkt dabei nicht an sie, sondern an Zwerge und Autisten und den wahnsinnigen Klaus Kinski.”
(S.166)

Soweit Matussek (und Co-Autor Beier). Interessant daran ist weniger der hetzerische Tonfall oder der Versuch einer Rehabilitation des Nazi-Unterhaltungskinos (wo Marischka sein so gelobtes Handwerk gelernt hat) als die Tatsache, dass dieser offene Revisionismus heute im „Spiegel” passiert, einem Blatt, dass sich selbst immer wieder als „aufklärerisch” feiert.

Wo steht das Kino der Aufklärung heute?

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