20 August, 2021

Schlachtfeld



Es rührt mich, durch Deutschland zu fahren, es rührt mich, weil Straßen, Häuser, Landschaften Testament einer geradezu manischen Betriebsamkeit sind. Ein gigantischer horror vacui regiert dieses Land, alle tun tun tun, nichts bleibt unberührt. In der Quersumme ist das schrecklich-schön, alle strengen sich so unglaublich an. Ich muss heulen, dieses verrückte Volk ist unermüdlich, will dem Leben entkommen vielleicht, in dem es alles in Arbeit verwandelt. Wir sind König Midas' arme Verwandtesein Fluch hat sich hier fortgesetzt. Schon Hölderlin hat es gewusst: 

„Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark (…), in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes (…) Es ist ein hartes Wort, und dennoch sag' ich’s, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen - ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen, indessen das vergossene Lebensblut im Sande zerrinnt?” * 

 „Worum geht’s eigentlich, Leute?” möchte man schreien – und beugt sich wieder über den Computer. Um den Gedanken in Text zu verwandeln. Wieder was geschafft.



*Aus: Hölderlin. Hyperion oder der Eremit in Griechenland, 1797. Das komplette Buch hier.


Foto von © Katrin Eißing.

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