26 Dezember, 2017

Wahlverwandtschaften

Plakat für eine Filmreihe in Bologna, 2008.

2006 bin ich gebeten worden, in einem Vortrag zu erklären, was die Filme der „Berliner Schule” (möglicherweise) gemeinsam haben bzw. hatten. Das war mein Stichwortzettel:

- Persönliche Perspektive (Unsere Gegenwart: das eigene Erleben als Ausgangspunkt.)

- Erzählerisches Risiko (Die Filme sind in ihren Mitteln der Moderne verpflichtet: der Zuschauer soll selbstbewusster Interpret einer Erfahrung sein. Fragmentiertes Erzählen, Wiederholungen, minimalistische Handlungslinien kommen im Sinne einer Rekonstruktion des eigenen Empfindens und mitunter experimentell zum Einsatz. Realismus heißt hier immer auch: dem Alltag verpflichtet, den man erkennen bzw. neu sehen möchte.)

- Elliptisches Erzählen (Auslassungen geben dem Zuschauer Raum; das oft Gesehene, zum Klischee gewordene wird nur noch angedeutet oder zugunsten des Vernachlässigten, Peripheren weggelassen. Die perspektivische Funktionalisierung aller Teile wird abgelehnt, weil sie den Charakteren – wie den Zuschauern – Freiheit und damit Würde nimmt.)

- Minimalistischer Ausschnitt (Die Filmzeit geht in der Regel über Tage und Wochen nicht hinaus, ohne dass mit der zeitlichen Dichte eine entsprechende Dramatisierung einherginge.)

- Echtzeit (Lange Einstellungen schaffen an zentraler Stelle neue, nicht-narrative Bezugsräume, die mehr auf sinnliche Gegenwart als auf ein konstruiertes Erzählziel ausgerichtet sind.)

- Bürgerliches Leben (Die meisten Filme spielen in Mittelklassemilieus und sind damit mehr oder weniger identisch mit der unmittelbaren Erfahrungswelt der Filmemacher; gleichzeitig spielen das Bürgertum und seine Grenzen und Begrenzungen auch inhaltlich eine wichtige Rolle. Die Kritik verbirgt sich in der Genauigkeit der Beobachtung.)

- Implizit politisch (Den Filmen ist ein Begriff des Politischen gemeinsam, der sich eher in der rigorosen Handhabung der Mittel als thematisch äußert. Sozialdramen, „Problemfilme” oder Polit-Propaganda werden abgelehnt, weil Thesen und Behauptungen einer offenen Beobachtung entgegenstehen.)

- Statische Charaktere (In den wenigsten Filmen machen die Figuren eine echte Entwicklung durch, ganz im Gegensatz zum klassischen Erzählfilm, in dem die Hoffnung auf Verwandlung eine zentrale – und oft unglaubwürdige – Rolle spielt.)

- Opake Oberfläche Mensch (Die Filme orientieren sich an unserer alltäglichen Erfahrung, dass man nicht wissen kann, was der Andere denkt. Der psycho-logischen Schlüssigkeit des klassischen Erzählkinos setzen sie rätselhafte Bewegung entgegen: Figuren, die nicht wissen, was sie tun.)

- Gegen-Identifikation (Eine „positive” Hauptfigur, die eindeutige Identifikationsangebote macht, fehlt in den meisten Filmen. Es geht vielmehr darum, einen Menschen von Außen, in seiner Widersprüchlichkeit zu sehen. Eine pauschale Parteinahme wäre da nur hinderlich.)

- Reduziertes Schauspiel (Weil das „Schau”-Spiel durch Fernsehroutine und Hollywood-Konvention verdächtig geworden ist, gibt es die Tendenz zum „kalten Spiel”: eine minimalistische, an der deutschen Alltagserfahrung orientierte Spielweise. Viele Filme setzen zudem auf Laien als Darsteller, oder benützen Improvisationstechniken, um statt „Schauspielkunst” eine natürliche Anmutung zu erreichen.) 

- Rauschen der Zeit (Die Filme interessieren sich für den reinen filmischen Moment, für Gesten und Körperhaltungen, für das Schauen selbst – oft auf Kosten des Dialogs, der, wenn er auftaucht, in der Regel nicht handlungsführend ist, sondern eher „Geräusch”.)

- Leise Töne (Musik und Geräusch werden nicht zur „erpresserischen” Emotionalisierung benutzt, sondern beschreiben die Lebenswelt der Charaktere – Stichwort „Source-Musik” – oder begleiten kontrapunktisch, im Gegensatz zur Hollywood-Praxis, in der die Musik das Publikum wie ein „Hirtenhund” in die „richtige Richtung” jagt.)

- Konzentration (Nicht Zerstreuung, Sensation, Exotik stehen im Mittelpunkt, sondern die konzentrierte Seherfahrung, wie sie nur im Dunkel des Kinosaales möglich ist.)

23 Dezember, 2017

Erste Liebe (2)

 Noch ein paar Skizzen von Städten und Filmen:

Imaginierter Blick auf Rom, ca. 2000.

Fußgängerzone, ca. 2002.

Skizzen für MILCHWALD, ca. 2002.

Visuelle Notizen zu dem aufgegebenen Projekt ALLESFRESSER, ca. 2006.


16 Dezember, 2017

Es lebe die Freihei

Früher, manche erinnern sich noch, wurde überall geraucht: im Flugzeug, im Kino, sogar im Krankenhaus. Und während Alkoholismus weiter als Genuss verstanden wird, sind Zigaretten inzwischen auf dem Rückzug, „weil sie tödlich sind”. Ich sehe das als ewiger Nichtraucher ambivalent. Klar, saubere Luft ist mir lieber. Aber ich finde, es geht den Staat nichts an, was wir uns antun.

Die Anti-Tabak-Politik ist Ergebnis erfolgreicher Lobby-Arbeit, vor allem in den USA. Dabei ging es sehr früh übrigens auch darum, Zigaretten aus den Filmen zu drängen. Das schlagende Argument war, dass es zur Nachahmung reizt, wenn gut aussehende Schauspieler in Filmen so schön rauchen. Man hat ausgerechnet, dass (statistisch gesehen) im Kino doppelt so viel geraucht wurde als im Leben. Eine Unverhältnismässigkeit, für die die Tabakindustrie gerne bezahlt hat. 


Eine zensierte Zigarette im südkoreanischen Fernsehen.

Die erste Forderung war die nach einer Quote: es sollte im Kino nicht mehr als im Leben geraucht werden. Später forderte man, nur in Filmen für Erwachsene solle das Rauchen noch erlaubt sein. Die letzte Forderung ist noch nicht durchgesetzt, aber das Argument der Repräsentation hat reüssiert, obwohl es auf eine erschütternde Art blöde ist: Es läuft auf die Logik der Überwachung hinaus. Viele Quoten später hätte sich das Kino abgeschafft, weil es unser Leben „perfekt” repräsentiert. Das ist kein Witz: es gibt noch viele andere Repräsentationsmißstände, die nach einer Quote schreien. 

Zum Beispiel: Die Häufigkeit, mit der „fremd aussehende” Schauspieler Gewalttäter oder Elendsfiguren spielen müssen in deutschen Filmen, steht in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Anteil von Einwanderern an Kriminalität und Teilhabe. Der Anteil homosexueller Beziehungen ist deutlich unterrepräsentiert. Und wie kann es sein, dass wir gefühlte 1000 deutsche Spielfilme über die Nazizeit haben, aber keine Filme über die Täter? Brauchen wir eine Täterquote für Filme über die NS-Zeit?

Auch für die Teilhabe Kreativer aus sozial benachteiligten Schichten könnte man eine Quote gut rechtfertigen. Und wie wäre es mit einer Religionsquote? Eine Quote für Behinderte? Eine Quote für Legastheniker? Alles berechtigte Anliegen. 

Wer jetzt sagt, ja, aber Frauen sind doch wichtiger als ... eine filmende Unterschicht – hat nichts verstanden. Es ist verdammt schwer zu beweisen, dass der gesellschaftliche Nutzen eines sozialen Nachteilsausgleichs kleiner wäre als der einer gleichmässigen Repräsentation der Geschlechter. 

„Die Grenze verläuft nicht zwischen links und rechts, sonder zwischen oben und unten.” - hiess es früher. Quoten sind ideologische Werkzeuge, die sich neutral geben. Das passt zu unserer Zeit, in der auch dann noch von Strukturen die Rede ist, wenn man längst über Inhalte sprechen müsste. (Pro Quote Regie jubelte, als „Fifty Shades of Grey” Nummer 1 an der Kinokasse war. Denn der Film stammt von einer Frau.) 

Viel wichtiger als eine Quotierung ist es aus meiner Sicht, darüber zu streiten, welche Filme wir machen sollen – und welche nicht. Aber das wäre dann eine Debatte, bei der man nicht sauber bleiben kann.

Wie so viele glaube auch ich, dass der Anteil der Frauen im Regieberuf (zum Beispiel) etwas aussagt über den Stand der Dinge in Sachen Gleichberechtigung, dass ein ausgewogeneres Verhältnis der Geschlechter nicht nur dort wünschenswert wäre. Aber den Anteil fest zu regeln halte ich für problematisch. Schaut, wird man dann sagen, so gleichberechtigt sind wir. So sehr sich der Anteil als Indikator eignet, so wenig ist er identisch mit dem Problem. Nicht die unausgewogene Verteilung ist das Übel, sondern das Übel (patriachaler Denktradition z.B.) führt zu einer unausgewogenen Verteilung. Ich bezweifle, dass sich das falsche Bewusstsein induktiv aufheben lässt. 

Noch etwas sollte uns zu denken geben: die schlechten Erfahrungen, die in Deutschland bereits mit Quote gemacht wurden, in zahllosen Gremien. In den Rundfunkräten zum Beispiel, die stets nach Proporz besetzt wurden: soundsoviele Kirchen- und Gewerkschaftsvertreter, soundsoviele Sitze für diese oder jene Partei. Diese Art der Repräsentationsdenke führt jedenfalls zuverlässig dazu, dass nicht die besten Köpfe bestimmte Funktionen innehaben, sondern allenfalls die besten Köpfe innerhalb einer proportional berechtigten Gruppe. Was regelmässig zu wenig ist.

Ich fürchte also, und ich weiss, das ist nicht fair, wir müssen darauf hoffen, dass die (relativ) wenigen Frauen in den nächsten 30 Jahren bessere Filme machen als die vielen Männer – aufregender, genauer, riskanter  – um das Feld für ihre normal begabten Schwestern zu bereiten. Und wenn man sich den deutschen Gegenwartsfilm ansieht, ist das womöglich schon der Fall: die Filme von Angela Schanelec, Valeska Grisebach und Maren Ade zum Beispiel gehören zum besten, was der deutsche Film zu bieten hat. Übrigens sind alle drei (so wie der überwältigende Rest deutscher Filmemacher) aus dem Westen, weiss, hetero und obere Mittelklasse. Aber daran denke ich so wenig wie an ihr Frau-sein, wenn ich ihre Filme sehe. Und ich hoffe, Sie auch nicht.

09 Dezember, 2017

Erste Liebe

Meine erste Leidenschaft war das Zeichnen – und spielt in der Annäherung an filmische Vorhaben noch immer eine gewisse Rolle. Hier sind ein paar Beispiele aus meinen Vorbereitungsbüchern zu PULS (Kurzfilm, Zeichnung aus dem Jahr 1999), MILCHWALD (2002, damals noch in Cinemascope geplant) und FALSCHER BEKENNER (Zeichnung von 2004).






05 Dezember, 2017

'Dialog'

- Der Erfolg gibt uns recht.

- Der Feind ist die Angst.

- Der Erfolg gibt uns recht.

- Der Feind ist die Angst.

- Der Erfolg gibt uns recht.

- Der Feind ist die Angst.

- Der Erfolg gibt uns recht.

Vorrede

Begrüßung etc.

als gebürtiger Münchener, der Spielfilme macht, dachte ich, es wäre gut, diese kleine Vorrede nicht alleine zu halten, und möchte deshalb Thomas Heise auf die Bühne bitten, geboren in einem anderen Land: der DDR, einer anderen Generation angehörig und einer, der Dokumentarfilme macht. 


Wir sprechen heute als zwei einer großen Gruppe von Regisseurinnen und Regisseuren aus West und Ost dieses Landes. Wir alle wollen, dass sich etwas ändert. Und darum haben wir am 1. Mai 2017 Frau Grütters einen Brief geschrieben. 

Dieser Brief geht so: 

„Die Berlinale ist eines der drei führenden Filmfestivals weltweit. Die Neubesetzung der Leitung bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken. Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt. Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang.”

Vier Monate später, am 15.09.2017, haben wir uns mit Frau Grütters zum Gespräch getroffen, einen Steinwurf von hier entfernt, und eines der Ergebnisse ist diese Veranstaltung heute.

Seit 24.11.2017 ist der Brief öffentlich.

Im Mai war er von über 50 Kolleginnen und Kollegen unterzeichnet worden, inzwischen gibt es weitere Unterschriften, zur Zeit 81 *. Wir sind 2 aus 81, sprechen aber nicht für diese Gruppe … 

Was wir im Folgenden zu sagen haben, ist unsere persönliche Sicht auf die Sache.

In der Hoffnung Anstöße zu geben für die weitere Diskussion, in der Hoffnung wirklich ins Gespräch zu kommen, beginnend ausgerechnet hier in der schwangeren Auster, der schönen Antwort auf die schöne Stalinallee, passend schon deshalb, weil die Berlinale ein Kind des Kalten Krieges ist. Begonnen als „Schaufenster der freien Welt” mitten im kommunistischen Lager.

Es geht den Unterzeichnern des Briefes um die Zukunft der Berlinale und einen transparenten Weg dorthin. 

Ich bin nicht hier, um Lösungen zu präsentieren. Aber ich persönlich glaube, dass es keinen Sinn hat, über die Zukunft nachzudenken, ohne sich auf die Gegenwart und jüngere Vergangenheit dieses Festivals zu beziehen.

Ein Festival, von dem viele hier wie ich auch, profitiert haben, ohne dass sich daraus notwendig Dankbarkeit ergibt. 

Wir sind einverstanden mit der Welt, denn sie ist unser Material, und von dieser Welt handelt unsere Arbeit, unsere Kunst. Das andere ist der ökonomische Hintergrund vor dem die letztlich verhandelt wird. Als Ware.

Konkret:

Was uns stört, nicht nur an der Berlinale, sondern auch am deutschen förderfernsehindustriellen Komplex mit der Berlinale als Flagshipstore (um Harun Farocki zu variieren) ...

Was uns stört an der Berlinale ist die Vernunft die dort praktiziert wird. Wie die Rollen verteilt sind. 

Ich will das erklären. Nehmen wir an, Sie bekommen 3000 oder 4000 Filme geschickt. Und 1000 weitere sichten Sie auf der großen Safari.

Welche wählen Sie aus?

In der Berlinale geht es sehr vernünftig zu.

Da ist ein Star dabei. Der soll den Teppich schmücken.
Dieses Thema ist in den Schlagzeilen. 
Zu diesem Jahrestag müssen wir was machen.
Das ist Medienboard-gefördert (das ruft auch immer an): 
Oder Arte (immerhin ein Sponsor!). 
Die hat letztes Mal gewonnen. 
Und von diesem Produzenten wollen wir noch diesen anderen Film.
Das ist der erste schwule Film aus diesem Land.
Das ist ein revolutionärer Ansatz in der veganen Küche.
Nehmt ruhig ein paar mehr, sagt das Stadtmarketing.
Meinen. Sagt ein berühmter Regisseur, man kennt sich.  
Dieses Land hatten wir noch nie. 
Das ließe sich zu einer Reihe zusammenfassen. 
Und dem können wir nicht absagen. 
Oder: ... das machen wir nicht mehr, diese „Farbe“ hatten wir schon.

Und so gibt es eine Fülle an guten Gründen auf diesem Festival. Oft wäre es schlicht unvernünftig einen Film nicht zu zeigen – nur weil er ein bisschen auf Nummer sicher geht

Man kann das verstehen. Auch Filmemacher haben ihre Gründe.

Und allmählich ergänzen sich all die Vernünfte, wenn man das so eine Weile treibt. Kapitalismus lebt von Wachstum, und es wächst und wächst das Festival. Und überhaupt: die Zuschauer rennen uns die Bude ein. Aber mit der Vermehrung nimmt keine Vielfalt zu. Es entsteht Brei. 
Bei der Stahlerzeugung entsteht Schlacke als Nebenprodukt. Schlacke ist das überflüssige am Stahl. Die ist schwer herauszubekommen. Wenn die Schlacke aber bleibt, ist der Stahl Scheiße, das weiß jeder, nicht nur in Duisburg.

In der Kunst kann es keinen Frieden geben. Bewegung entsteht aus Konflikt. Das hat Geschichte.

Was wir jetzt auf der Berlinale inhaltlich haben, ist stiller Stand. Was wir ökonomisch haben sind schwarze Zahlen. Dem Ausgerechneten entspricht das Niedliche, sagt Brecht.

Beim letzten Wechsel der Berlinaleleitung war es so: Du bist meine Findungskommission sagte der Staatsekretär. Und der andere Mann hat dann gefunden. Er sitzt heute auf dem Podium. So etwas wie eine Verabredung unter Männern. Das sagt nichts gegen den daraus resultierenden Leiter, aber darüber, wie offenbar der Laden normalerweise läuft. 

Wir wollen etwas Anderes.

„Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetze Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt.“

…heißt es in dem Brief.

So etwas braucht Menschen, die keine gebundenen Interessen vertreten, Leute die Widersprüche auszuhalten gewohnt sind, die um die Kraft von Widersprüchen wissen, die nichts unter den Tisch kehren. Und es braucht auch – wieder – eine deutliche Verjüngung. 

Die Krisen der Berlinale waren und sind ihre Chance. Auch jetzt.

Ich will eine programmatische Erneuerung der Berlinale. Eine Berlinale, die sich ihrer besten Momente besinnt – und einer der besten war die Gründung des Antifestivals, des späteren Forums, welche das ganze Festival herausgefordert hat, solange es ein Stachel war. 

Langfristig musste es dem Festival darum gehen, das kritische und irritierende Potential des Films mit seiner Breitenwirkung zu verbinden.“ erklärt die Webseite der Berlinale die Einhegung des Forums, das heute eine Reihe unter vielen ist.

Das ist verständlich, übersieht aber, dass der Versuch, alles miteinander zu verbinden letztlich in die Beliebigkeit führt. Die interessiert mich nicht.

Ich glaube, es geht darum, Brüche und Widersprüchlichkeiten, Unvereinbarkeiten nebeneinander bestehen zu lassen, unverbunden. Es geht darum, Kante zu zeigen und zu haben. Ein Festival, das Konflikte zeigt und aushält. 

Dazu gehört übrigens, dass das Podium hier durchgehend mit Westdeutsch-sozialisierten Kollegen besetzt ist. Das ist kein gutes Zeichen. Das ist kein Vorwurf an jedes Einzelne dort und ich höre immer wieder, das spiele 27 Jahre nach dem 3. Oktober 1990 keine Rolle mehr. Tut es aber. Auch dafür gibt es Zahlen. 

Das hat damit zu tun, dass der Berlinale das alte Westberlin samt ihrer Gründungsgeschichte in den Knochen steckt wie den Ossis ihre Geschichte in der DDR und beide werden daraus nicht entlassen werden über mehrere Generationen. Sie schleppen es mit sich herum. Und nur das Wissen darum, enthält die Chance diese Geschichte produktiv zu machen. 

Ich will nicht eins sein mit der Bundesrepublik, ich will nicht ankommen, ich war schon da. Interessant ist eben nicht, eine Einigkeit zu behaupten, sondern unsere Zerrissenheit zu benennen, unsere Differenzen. 

2,7 % beträgt der Anteil Ostdeutscher an den sogenannten Eliten der Bundesrepublik, bei einem Bevölkerungsanteil zwischen 15-20 %. Auf der Berlinale liefen zwischen 2002 und 2016 zwanzig abendfüllende Produktionen von Filmemachern mit ostdeutscher Herkunft. 

Ich rede dabei gar nicht von sozialen Herkünften oder sozialen Handlungsräumen deutscher Filme oder von der Geschlechtergerechtigkeit. Das ist nicht voneinander zu trennen. 

Ich will ein Festival, das sich konzentriert. Das Geheimnis der Langeweile ist es, alles zu sagen, schrieb Voltaire. Das Geheimnis eines langweiligen Festivals ist es, alles zu zeigen. 350 Filme oder mehr.

…die niemand alle gesehen haben kann. Jeder ist auf seinem eigenen Festival. Das macht immun gegen Kritik, vielleicht. Aber Immunität ist genau das das Problem.

Wenn also das Geheimnis der Langeweile ist, alles zu sagen, alles zu zeigen, muss es in einem aufregenden Festival darum gehen, eine pointierte Auswahl zu zeigen

mit klaren Blick
auf diese Welt
auf das Kino.

Pointiert heißt nicht „klein”. Und es geht mir im Übrigen nicht darum, das „Leichte” und das „Schwere” auseinander zu dividieren, oder eine Hierarchie aufzumachen zwischen verschiedenen Arten, Filme zu machen.

Ich will ein Festival, das sich leidenschaftlich für den deutschen Film interessiert – was mit Quantität übrigens nichts zu tun hat – und ihm internationale Aufmerksamkeit verschafft, denn ohne den Sauerstoff internationalen Interesses kann der deutsche Film nicht reifen. 

Ich will ein Festival, das der Auseinandersetzung mit der ganzen Geschichte des Films mehr Raum gibt als zuletzt. Ich will eine Retrospektive, in der Geschichte als Bewegung zu begreifen ist, die die Gegenwart mit bestimmt. 

Ich bin mir auch darüber klar dass eine Diskussion über die Berlinale nur ein Ausschnitt einer größeren Diskussion ist welche um die Grundlagen künstlerischer Produktion in unserem Land geführt werden muss, und um den Zustand, die Potentiale und das Wohin dieser Gesellschaft.

Ich sehe es so: meine Unruhe ist die Unruhe dieser Zeit – die natürlich auch in der Berlinale ihr Echo finden muss



Danke.


Diese kurze Vorrede habe ich zusammen mit Thomas Heise geschrieben und verlesen, gestern am 4.12.2017 im Haus der Kulturen der Welt, anlässlich der vom BKM veranstalteten Diskussion, die wiederum Reaktion auf den im Text zitierten Brief der Regisseurinnen und Regisseure war.

*)


Die Unterzeichner des oben zitierten Briefes sind:



Maren Ade
Fatih Akin
Thomas Arslan
Anne Zohra Berrached
Bettina Böhler
Hermann Bohlen
Jan Bonny
Jutta Brückner
Dietrich Brüggemann
Florian Cossen
Ebbo Demant
Doris Dörrie
Andreas Dresen
Maximilian Erlenwein
Katrin Gebbe
Stephan Geene
Hans W. Geißendörfer
Almut Getto
Ulrich Gerhardt
Hans-Dieter Grabe
Dominik Graf
Valeska Grisebach
Henk Handloegten
Thomas Heise
Sonja Heiss
Benjamin Heisenberg
Christoph Hochhäusler
Barbara Junge
Winfried Junge
RP Kahl
Fred Kelemen
Barbara Klemm
Michael Klier
Ulrich Köhler
Nicolette Krebitz
Lars Kraume
Stefan Kriekhaus
Michael Krummenacher
Jakob Lass
Tom Lass
Aron Lehmann
Caroline Link
Max Linz
Pia Marais
Jeanine Meerapfel
Elfi Mikesch
Franz Müller
Peter Nestler
Asli Özge
Christian Petzold
Hans Helmut Prinzler
Lola Randl
Axel Ranisch
Edgar Reitz
Michael Ruetz
Helke Sander
Thomas Schadt
Sebastian Schipper
Volker Schlöndorff
Hans-Christian Schmid
Jan Schomburg
Maria Schrader
Robert Schwentke
Christian Schwochow
Jan Soldat
Maria Speth
Hans Steinbichler
Oliver Sturm
Isabel Šuba
Sven Taddicken
Tamara Trampe
Georg Stefan Troller
Simon Verhoeven
Irene von Alberti
Achim von Borries
Julia von Heinz
Rosa von Praunheim
Margarethe von Trotta
Nicolas Wackerbarth
Christian Wagner
Henner Winckler
David Wnendt

24 November, 2017

Auf dem Spielfeld

Jack Nicholson, Otis Young in Hal Ashbys THE LAST DETAIL (USA 1973).

Ein paar Hinweise für Regisseure und Schauspieler:


1
Sie haben genau so viel Angst wie ihr.

2
Wenn ihr Vertrauen schenkt, schenken sie es zurück.

3
Seid ehrlich, aber nicht privat.

4
Das Spielfeld schützt sie wie euch.

5
Inszeniert/spielt nicht das, was ihr sehen wollt, sondern einen Charakter in einer Situation.

6
Übt Kritik auf genau dieser Ebene. 

7
Es geht nicht um Geschmack, sondern um eine Wirklichkeit zweiter Ordnung.

8
Es gibt keine Fehler, nur Versuche, ins Spiel zu kommen.

9
Der Schauspieler/Regisseur weiß mehr, als er sagen kann.

10
Wenn ihr euch mit Worten nicht versteht, sprecht mit dem Körper.

11
Handlungen sind mächtiger als Urteile.

12
Lob im Detail ist so gefährlich wie Kritik im Detail.

13
Regie heißt zuallererst Spiegel zu sein, nicht Gott.

14
Wer von Anderen viel erwartet, sollte selbst Beispiel geben.


(Geschrieben für mein Regieseminar an der DFFB)

17 November, 2017

Zu hoch

„Du trägst den Kopf zu hoch”, hat mir einmal, da war ich vielleicht fünfzehn, meine Tante vom Fenster aus zugerufen. Aus dem ersten Stock! Meine Mutter sprach manches Gebet, um meine „Arroganz“ zu lindern. Auch später habe ich oft erlebt, dass Autoritäten versucht waren, meinen Stolz zu brechen. Aber mit der Zeit entwickelt man Abwehrreflexe. Oder wird milder. Vielleicht haben auch die Gebete gewirkt. Oder war es der Bauch, der meine Bedrohlichkeit gerundet hat? So oder so, ich empfehle Schokolade.

Unter dem Tisch

Bevor ich Film zu studieren begann, heuerte ich als Praktikant an bei einer großen Münchener Filmfirma. Vom ersten Tag an wurde ich an der Rezeption eingesetzt und hatte mich bald damit abgefunden, dass die Versprechungen, was ich alles würde lernen können an diesem „Knotenpunkt der deutschen Filmindustrie”, leer waren. 

Eines Tages rief der Chef an und orderte mich in sein Büro. Es war nicht der kleinliche Abteilungsleiter, mit dem ich sonst zu tun hatte, sondern der großspurige, mindestens so unbeliebte Chef der Gruppe, der einen Sportwagen fuhr und den man ab und an schreien hörte, obwohl sein Büro im gegenüberliegenden Flügel lag. 

Er lehnte am Fensterbrett (krebsrote Haut, leger geöffnetes Hemd) und eröffnete mir, dass er wünsche, dass ich sein Büro saubermache. Ich sagte ihm, dass das nicht zu meinen Aufgaben gehöre. Statt einen plausiblen Grund zu präsentieren eskalierte er unverzüglich: wenn ich mich weigere könne ich das Praktikum gleich in diesem Moment beenden, brüllte er. 

Widerstrebend holte ich den Staubsauger aus der Kammer und begann zu saugen. Und dann wurde es seltsam. Er setzte sich auf den Schreibtisch und dirigierte mich. Dort sei noch ein Fusselchen, und hier... ob ich zu blöd sei, das zu sehen. „Hier, unter dem Schreibtisch…” Ich wusste nicht recht, wie ich die Sache aufzufassen hätte – und kroch unter den Tisch. Und er – machte weiter. 

Sah er mir auf den Hintern? Möglich. Da ich aber nun schon einmal die Dummheit begangen hatte, auf Knien vor ihm herzurutschen, suchte ich meine Ehrenrettung darin, mir die Wut über die Erniedrigung nicht anmerken zu lassen – und tat also, als sei das alles nichts, fragte sogar, ob er noch andere Staubkörner für mich ausgemacht hätte. Diese gespielte Nonchalance schien ihn zu ärgern, denn er intensivierte die Gemeinheiten. Einem Assistenten gegenüber, der Unterlagen brachte, machte er sich lustig über mein Ungeschick, meine Dummheit. Die beiden Herren versuchten sich mit blöden „Anweisungen” zu unterbieten. 

Vielleicht nicht untypisch für Erfahrungen dieser Art ist die Tatsache, dass ich mich an kein Ende erinnere. Kein mutiges „Es reicht jetzt” von meiner Seite. Ich war in erster Linie überrumpelt, beschämt auch von meinem Mangel an Widerstand. Und nein, es kam zu keinen Berührungen. Vielleicht war das Ganze nichts als die Rache* des cholerischen Alkoholikers, der er war, ganz sicher aber erregte ihn die Grenzüberschreitung, das Ausagieren seiner Macht.

Ich musste oft an diese kleine Misshandlung denken in den letzten Wochen. Wäre der Mann sexuell handgreiflich geworden, hätte ich mich zur Wehr gesetzt? Ich hoffe es. An körperlicher Kraft fehlte es mir nicht. Aber was mich diese Erfahrung vor allem gelehrt hat ist, dass Situationen des Missbrauchs so „gut” funktionieren, weil sich viele Opfer selbst neutralisieren. Die Scham wendet sich gegen sie. Ich jedenfalls habe mich – und mit wachsender Dauer der Überschreitung umso mehr – selbst beschuldigt, falsch auf die Situation reagiert zu haben. Was wäre geschehen, wenn ich nach der Brüllattacke einfach gegangen wäre? Oder, mindestens, nicht unter den Tisch gekrochen wäre? Nichts, höchstwahrscheinlich. Warum habe ich es dann doch getan? Genau: Das ist die falsche Frage. 

*
(als er mich Tage zuvor beauftragt hatte, eine gigantische Monatsration Gin zu kaufen, waren meine Rückfragen eindeutig missbilligend gewesen)

24 Oktober, 2017

Serial Germany

Julia Jentsch in Hans-Christian Schmids DAS VERSCHWINDEN (2017).

Unter dem Eindruck des viel beschworenen „goldenen Zeitalters” im US-Bezahlfernsehen wird die notwendige Erneuerung der deutschen Serie seit Jahren thematisiert. Heute, sieben Jahre nach Dominik Grafs Meilenstein IM ANGESICHT DES VERBRECHENS (2010), der noch auf einer dezidiert europäischen Perspektive fusste, ist eine neue Generation Deutscher Serienmacher am Werk, die sich mit wenigen Ausnahmen auf Amerikanische Vorbilder und Standards bezieht. Privat-, Bezahlsender und Streamingdienste spielen dabei inzwischen auch in Deutschland eine wichtige Rolle. Womöglich ein guter Zeitpunkt, diese neue Serienkonjunktur genauer zu befragen. 

In einem langen Wochenende des horizontalen Erzählens möchten wir (die DFFB in enger Zusammenarbeit mit Serial Eyes) mit einigen Akteuren aktueller Produktionen ins Gespräch kommen. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach den Produktionsbedingungen, nach der Rolle des „amerikanischen Modells”, aber auch danach, was serielles Erzählen heute ästhetisch und gesellschaftlich bedeutet. 

Als Gäste erwarten wir u.a. Uli Hanisch (BABYLON BERLIN, 2017), Hans-Christian Schmid & Julia Jentsch (DAS VERSCHWINDEN 2017), Hanno Hackfort, Richard Kropf, Bob Konrad (4 BLOCKS, 2017), Christian Schwochow & Oliver Kienle, Jana Burbach, Jan Galli (BAD BANKS, 2017), Jan Bonny & Alex Wissel (ÜBER BARBAROSSAPLATZ, 2016, RHEINGOLD, 2017). Neben den Diskussionen – einige werde ich moderieren – die jeweils verschiedene Schwerpunkte haben, werden wir jeweils 1-2 Episoden oder Ausschnitte zeigen. Die Mehrzahl der Veranstaltungen findet auf Englisch statt. Der Eintritt ist frei.

10.-12.11.2017
Arsenal Kino Berlin &
Kinemathek 4. Stock
Potsdamer Straße 2
10785 Berlin