12 Dezember, 2013

Ernst Haffner:

Pritzkows Lichtspiele in der Münzstraße 16.

„Das Tageskino Pritzkow in der Münzstraße ist nicht nur Kino, wo Wildwestdramen und Kriminalschmöker gezeigt werden. Es ist auch Wärmehalle und Schlafstelle für solche Begüterten, die die vier Groschen Eintritt erlegen können. Für vier Groschen kann jeder von morgens zehn Uhr bis abends elf Uhr sitzenbleiben, sich das Programm zum sechsten Male vorführen lassen oder auch schlafen. Wie es ihm beliebt. Man zahlt, im Jargon der Stammgäste, auch nicht simples Eintrittsgeld, um nach zwei Stunden wieder zu gehen. Bei Pritzkow zahlt man Schlafgeld und bleibt entsprechend lange sitzen. Knüppeldickevoll ist das handtuchschmale Theater zu jeder Tageszeit. Dicht an dicht sitzen die Jungen und Burschen, starren teils interessiert, teils bereits gelangweilt auf die mißtönende Leinwand oder sitzen schon ihr Schlafgeld ab. Sanft an den Nachbarn, auf des Vordermannes Stuhlrücken gelehnt oder gesenkten Kopfes die Westenknöpfe zählend.

Offenen Mundes sieht Willi Kludas auf die Leinwand. Für ihn ist diese bescheidene Vorführung ein Wunder. Von Tonfilmen hat er überhaupt noch nichts gehört, und diese Mädels da auf der Leinwand ... wie die gebaut sind ... wie alles hüpft an ihnen, wenn sie gehen ... Wie sie sich auf die schicken Kavaliere werfen und sie abknutschen ... verdammt! Und die süßen Stimmen, wenn sie singen ... wie sie die kurzen Röcke werfen beim Tanzen! Wili Kludas rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her, sein Gesicht glüht, und seine schweißnassen Finger zerren aufgeregt aneinander. Mit so einem Mädel zusammen sein ... so ein Mädel mal zu sehen, wenn ...”


Aus Ernst Haffners schönem Reportageroman „Blutsbrüder”, wiederentdeckt und neu veröffentlicht im Metrolit Verlag.

1 Kommentar:

  1. Hab ich gerade als Hörbuch- Weihnachtsgeschenk gekauft bevor ich hier las...

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