17 Juni, 2007
Beau Geste
Lese gerade, dass der französische Staat auf Empfehlung des Physikers Arago die Patentrechte an der Fotografie erworben und - in einer denkwürdigen Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 19.08.1839 - das Verfahren öffentlich bekanntgegeben und „der Welt zum Geschenk” gemacht hat. Was für eine Geste!
09 Juni, 2007
Der Magier ist müde
Unter den Meistern der Suggestion gibt es viele, die nach Filmen größter Intensität nur mehr Travestien ihrer eigenen Erfindungen zu Wege bringen. Die „Kategorie Zusammenhang” gerät in die Krise und die Methoden der Verführung werden zur Kenntlichkeit entstellt.
Lynchs INLAND EMPIRE ist so ein Film: eine zerdehnte Variation seiner bekanntesten Motive, ein schlampiges Übermalen nach Zahlen - ohne einen Hauch von Sinn. Der Magier ist müde und wir durchschauen jeden seiner Zaubertricks.
Ich fühlte mich unangenehm an 2046 von Wong Kar-Wai erinnert - oder auch an MR. ARKADIN von Orson Welles. Gerade den Zauberern, die mich für Momente vollkommen getäuscht und verzückt haben, verzeihe ich ihre Schwäche nicht.
*
Nachtrag:
Ich habe den mythologischen Weihrauch eines Anselm Kiefer immer als schwebende Metapher verstanden; als ein Verweis auf das Uralte, mit dem sich nebelhaft die Illusion einer Entfernung von der Gegenwart erzeugen lässt. Ob man tiefere Einsichten in seine Kunst gewinnt, wenn man nachliest, was es (zum Beispiel) mit den Argonauten und dem goldenen Fliess wirklich auf sich hat? Gut möglich. Aber auch wenn es sozusagen „leere” Rethorik wäre (und die Verweise Hochstapelei), wäre es wirksam im Sinne des Kunstwerks; gerade die Tatsache seiner Unergründlichkeit begründet die Wirkung des Nebels.
Wie die historistische Architektur für die Bahnhofshalle die Formensprache der gotischen Kathedrale belieh, ohne wirklich ein „Gotteshaus” der Bewegung zu meinen (Blasphemie hatten die Architekten nicht im Sinn) so arbeitet auch der Film oft - weder ironisch noch „heilig” - mit „Kathedralen-Bildern”. Lynch ist so ein Fall - und seine Methode scheint mir nur zu funktionieren, solange der Nebel noch nicht ganz verflogen ist.
Lynchs INLAND EMPIRE ist so ein Film: eine zerdehnte Variation seiner bekanntesten Motive, ein schlampiges Übermalen nach Zahlen - ohne einen Hauch von Sinn. Der Magier ist müde und wir durchschauen jeden seiner Zaubertricks.
Ich fühlte mich unangenehm an 2046 von Wong Kar-Wai erinnert - oder auch an MR. ARKADIN von Orson Welles. Gerade den Zauberern, die mich für Momente vollkommen getäuscht und verzückt haben, verzeihe ich ihre Schwäche nicht.
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Nachtrag:
Ich habe den mythologischen Weihrauch eines Anselm Kiefer immer als schwebende Metapher verstanden; als ein Verweis auf das Uralte, mit dem sich nebelhaft die Illusion einer Entfernung von der Gegenwart erzeugen lässt. Ob man tiefere Einsichten in seine Kunst gewinnt, wenn man nachliest, was es (zum Beispiel) mit den Argonauten und dem goldenen Fliess wirklich auf sich hat? Gut möglich. Aber auch wenn es sozusagen „leere” Rethorik wäre (und die Verweise Hochstapelei), wäre es wirksam im Sinne des Kunstwerks; gerade die Tatsache seiner Unergründlichkeit begründet die Wirkung des Nebels.
Wie die historistische Architektur für die Bahnhofshalle die Formensprache der gotischen Kathedrale belieh, ohne wirklich ein „Gotteshaus” der Bewegung zu meinen (Blasphemie hatten die Architekten nicht im Sinn) so arbeitet auch der Film oft - weder ironisch noch „heilig” - mit „Kathedralen-Bildern”. Lynch ist so ein Fall - und seine Methode scheint mir nur zu funktionieren, solange der Nebel noch nicht ganz verflogen ist.
08 Juni, 2007
Aufklärung?
Die großen Fragen der Kinoethik wurden immer entlang der letzten Dinge besprochen - die „schweinische” Rekadrage in „Kapo” (Rivette), der Suspense-Kitsch in „Schindler's List” (Lanzmann) - aber verletzt eine heuchlerische Liebesschnulze nicht genauso die Würde des Menschen?
Matthias Matussek, der das „Spiegel”-Feuilleton erst so richtig in den Graben gefahren hat, scheint anderer Meinung zu sein. In der Ausgabe vom 21. Mai schreibt er in einem Artikel über Romy Schneider:
„Man kann sich heute kaum vorstellen, wie sehr ihre Kunstfigur [Sissi] die Seelenlandschaften der Zeit durchwühlt hat, wie sehr sie, ein paar Jahre nach der Kriegskatastrophe, die Sehnsüchte nach Anmut, Reinheit, Jugendfrische, Zartheit, Neubeginn gebündelt hat. Wer mochte es den Kinobesuchern verdenken, wenn sie ihre Trümmerhaufen für ein paar Stunden vergessen wollten, dazu ist Kino da, das Fluchtmedium schlechthin, durch alle Zeiten.”
(S.155/156)
„Ernst Marischka, einer jener versierten Handwerker, die dem deutschen Kino bald abhanden kommen sollten, weil es sich als Antikino neu erfinden wollte ...”
(S.156)
Wenig später kommt Matussek noch einmal auf das „Antikino” zu sprechen:
„Das deutsche Kino hingegen lässt sie [Romy Schneider] weiter links liegen. Rainer Werner Fassbinder findet seine Liebe zum Kitsch, er dreht ein Melodram nach dem anderen, aber er nimmt Hanna Schygulla dafür, die über seinen Filmen hängt wie ein nasser Lappen. Auch Volker Schlöndorff winkt ab. Er vergibt die Titelrolle in Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum” nicht an die sehr interessierte Romy Schneider, sondern an die Schaubühnen-Frau Angela Winkler. Wim Wenders? Dreht dröge Männer-Episteln. Und Werner Herzog, den man auch in Paris zu Füßen liegt? Er will Filme drehen „über Menschen, die inneres Licht ausstrahlen, eine Tragödie um sich haben, die verwüstet worden sind.” Das klingt zunächst wie eine exakte Rollenbeschreibung für Romy Schneider, aber Herzog denkt dabei nicht an sie, sondern an Zwerge und Autisten und den wahnsinnigen Klaus Kinski.”
(S.166)
Soweit Matussek (und Co-Autor Beier). Interessant daran ist weniger der hetzerische Tonfall oder der Versuch einer Rehabilitation des Nazi-Unterhaltungskinos (wo Marischka sein so gelobtes Handwerk gelernt hat) als die Tatsache, dass dieser offene Revisionismus heute im „Spiegel” passiert, einem Blatt, dass sich selbst immer wieder als „aufklärerisch” feiert.
Wo steht das Kino der Aufklärung heute?
Matthias Matussek, der das „Spiegel”-Feuilleton erst so richtig in den Graben gefahren hat, scheint anderer Meinung zu sein. In der Ausgabe vom 21. Mai schreibt er in einem Artikel über Romy Schneider:
„Man kann sich heute kaum vorstellen, wie sehr ihre Kunstfigur [Sissi] die Seelenlandschaften der Zeit durchwühlt hat, wie sehr sie, ein paar Jahre nach der Kriegskatastrophe, die Sehnsüchte nach Anmut, Reinheit, Jugendfrische, Zartheit, Neubeginn gebündelt hat. Wer mochte es den Kinobesuchern verdenken, wenn sie ihre Trümmerhaufen für ein paar Stunden vergessen wollten, dazu ist Kino da, das Fluchtmedium schlechthin, durch alle Zeiten.”
(S.155/156)
„Ernst Marischka, einer jener versierten Handwerker, die dem deutschen Kino bald abhanden kommen sollten, weil es sich als Antikino neu erfinden wollte ...”
(S.156)
Wenig später kommt Matussek noch einmal auf das „Antikino” zu sprechen:
„Das deutsche Kino hingegen lässt sie [Romy Schneider] weiter links liegen. Rainer Werner Fassbinder findet seine Liebe zum Kitsch, er dreht ein Melodram nach dem anderen, aber er nimmt Hanna Schygulla dafür, die über seinen Filmen hängt wie ein nasser Lappen. Auch Volker Schlöndorff winkt ab. Er vergibt die Titelrolle in Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum” nicht an die sehr interessierte Romy Schneider, sondern an die Schaubühnen-Frau Angela Winkler. Wim Wenders? Dreht dröge Männer-Episteln. Und Werner Herzog, den man auch in Paris zu Füßen liegt? Er will Filme drehen „über Menschen, die inneres Licht ausstrahlen, eine Tragödie um sich haben, die verwüstet worden sind.” Das klingt zunächst wie eine exakte Rollenbeschreibung für Romy Schneider, aber Herzog denkt dabei nicht an sie, sondern an Zwerge und Autisten und den wahnsinnigen Klaus Kinski.”
(S.166)
Soweit Matussek (und Co-Autor Beier). Interessant daran ist weniger der hetzerische Tonfall oder der Versuch einer Rehabilitation des Nazi-Unterhaltungskinos (wo Marischka sein so gelobtes Handwerk gelernt hat) als die Tatsache, dass dieser offene Revisionismus heute im „Spiegel” passiert, einem Blatt, dass sich selbst immer wieder als „aufklärerisch” feiert.
Wo steht das Kino der Aufklärung heute?
03 Juni, 2007
Nazi-Kino
Das Schlimmste am Nazi-Kino ist nicht die mehr oder weniger subtil versteckte Ideologie sondern das Leugnen derselben. Natürlich, auch „Die Feuerzangenbowle” enthält nazistisches Gedankengut, aber der Film bemüht sich verzweifelt, der Gegenwart nicht ins Gehege zu kommen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen kommt die Militarisierung des Alltags etwa in den Filmen der Nazi-Zeit nicht vor. Keine Aufmärsche, Hakenkreuze, Hitler-Reden, kein Bücherverbot, keine Verhaftungen. In den meisten Filmen tragen Polizei oder Ordnungskräfte noch nicht einmal Naziuniformen.
Es werden also nicht nur die Verbrechen ausgespart, Gegenwart überhaupt ist Tabu. Abgesehen von den „staatspolitisch besonders wertvollen” Filmen mit konkreten Indoktrinationsabsichten - „Hitlerjunge Quex”, „Jud Süß”, „Der ewige Jude”, „Kolberg” etc. - sind die „Botschaften” der großen Unterhaltungsfilme so vage und süßlich wie im Mainstreamkino heute auch: „Sei du selbst” „Gemeinsam sind wir stark” „Liebe ist kein Spiel” „Just do it”.
Weil in der Retrospektive sozusagen immer auch das Fazit anwesend ist - in diesem Fall: das Wissen um die beispiellosen Verbrechen - kommt uns die Schere zwischen Film und Leben im Nazi-Kino besonders verlogen und abstossend vor. Die „befriedende”, den Zweifel unterdrückende Funktion des konsumistischen Kinos lässt sich vor dem Hintergrund der Verbrechen nicht mehr leugnen.
Die Nazi-Ufa war also weniger eine Unterhaltungs- als eine Ablenkungs- und Verdrängungsindustrie. Aber wenn wir ehrlich sind, ist der Mainstream seit jeher zwanghaft an der Verleugnung von Wirklichkeit interessiert. Die Frage ist, ob die veränderten Umstände die zynischen Aussparungen heute wirklich harmloser machen.
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