Ich bin kein großer Freund von Listen, schon weil ich mich kaum je erinnere, wann genau ich einen Film gesehen habe, weil meine Begeisterung durchaus unstet ist und weil auch Filme, die ich ablehne, mitunter großen Einfluss auf mich haben. Trotzdem gibt es natürlich Regisseure, die sich in den letzten Jahren zu ständigen Begleitern entwickelt haben, Filme, die ich immer wieder befrage oder die mir sofort als Beispiel einfallen, wie man eine Sache anpacken muss.
Einer dieser neueren „Gewährsleute” ist der englische Filmemacher
Alan Clarke (1935-1990), mit dem ich zum ersten Mal 1998 in Berührung gekommen bin (die Jahreszahl musste ich nachschlagen), anlässlich einer Retrospektive auf den Hofer Filmtagen übrigens.
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SCUM (1979)
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MADE IN BRITAIN (1982)
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THE FIRM (1988)
Clarkes Kino wirkt erschreckend real, ohne in einem konventionellen Sinn „realistisch” zu sein; anders als, sagen wir, in den Filmen der Dardennes geht es nicht um nahtlose Unmittelbarkeit (als eleganter Mantel um einen gewerkschaftlichen Kern), die rohe Form der Filme verleugnet nie die Künstlichkeit des Mediums, die langen Steadicam-Fahrten, die Clarkes letzte Filme prägen, stellen die Kontrolle des Bildes geradezu aus, und geben so dem Schauspiel, das weniger improvisiert als unberechenbar wirkt, den notwendigen Widerstand.
Das Sentiment eines Ken Loach sucht man bei Clarke vergebens, von der durchsichtigen ideologischen Unterfütterung ganz zu schweigen. Stattdessen: Aufmerksamkeit, bedingungsloses Interesse für Menschen und die Verhältnisse, in die sie verstrickt sind. Zum Beispiel für Trevor (
MADE IN BRITAIN), einem Skin, dessen offensichtliche Intelligenz ganz von seiner Wut verzehrt wird, die sich gegen alles, und also auch gegen ihn selbst wendet, auf eine sehr beunruhigende, weil ansteckend-nihilistische Weise.
Auch Clarkes Filme sind wütend, in dem Sinne, dass sie sich mit dem Status Quo nie zufrieden geben; die schönen Metaphern (und bequemen Antworten) der klassischen Erzählung werden mit Freude an der Genauigkeit durchschnitten, die so entstandenen „Wunden am mythischen Körper” bleiben unkaschiert - ohne jeden modernistischen Stolz übrigens. Die Lücke, die so offenbar wird, der Abgrund menschlicher Natur, bedeutet für Clarke aber nicht, einem mechanischen Pessimismus (à la Haneke) zu gehorchen. Im Gegenteil spielt der Witz, das Trotzdem, der Funke der Freiheit eine große Rolle.
Und so bringt er es zum Beispiel fertig, eine ganz und gar glaubwürdige (und rasend komische) Sexkomödie zu machen - in der ein Mittelklasseangeber mit den zwei minderjährigen Babysittern seiner Kinder schläft (
RITA, SUE AND BOB TOO!) - ohne vorschnell Partei zu ergreifen und ohne die Bitterkeit der Verhältnisse zu verschweigen. Ein wirklich erstaunlicher Film.
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RITA, SUE AND BOB, TOO! (1986)
Aus mir schwer verständlichen Gründen ist Alan Clarke bis heute weitgehend unbekannt geblieben - was die sehr eingeschränkte Verfügbarkeit seiner Filme auf DVD erklären mag (oder ist es umgekehrt?).
„Frei verkäuflich” (über den britischen
Amazon-Ableger größtenteils) sind neben dem erwähnten
RITA... SCUM (GB, 1977), sowie das gleichnamige Kinoremake der zensierten Fernsehfassung
SCUM (GB 1979), der oben genannte
MADE IN BRITAIN (GB 1982) - sein wohl bekanntester Film mit einem elektrisierenden Tim Roth in seiner ersten Rolle -,
THE FIRM (GB 1988), mit Gary Oldman als Anführer einer Gruppe von Fussballfanatikern, sowie sein letzter Film,
ELEPHANT (GB, 1989), ein erschütterndes Vermächtnis, das es durch Gus van Sants gleichnamige
Hommage zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat.
Für Hinweise, wie man zum Beispiel an Clarkes superben
CONTACT (GB, 1985) - ganz sicher einer der besten Kriegsfilme aller Zeiten - oder auch an
PENDA'S FENN (GB, 1974) kommt, wäre ich dankbar.
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ELEPHANT (1989)