28 November, 2008

Interpassive Cineasten

„Es kommt vor, dass Leute, anstatt selbst fern zu sehen, lieber ihre Videorekorder programmieren, um Filme aufzunehmen. Sie sind schon zufrieden, wenn sie sehen, dass die Aufnahme stattgefunden hat, und sehen sich das Band dann niemals mehr an. Dieses Verhalten, bei dem ein Genuss an ein Gerät, eine Person, ein Tier oder eine Pflanze delegiert wird, bezeichne ich als Interpassivität.”

(...)

„Seit Filme auch in Ausstellungen gezeigt werden, müssen interpassive Menschen nicht mehr unbedingt ihre Freunde ins Kino schicken oder ihre Rekorder programmieren. Es genügt auch, dass sie selbst ins Museum gehen. Das Video, das sie sich nicht ansehen, läuft in voller Länge im Nebenraum, aus dem sie es beim Betrachten anderer Werke derselben Ausstellung ab und zu lärmen hören; der Nebenraum betrachtet es dann an ihrer Stelle.”


...schreibt Robert Pfaller in der neuesten Ausgabe von LIEBLING, einer extrem unhandlichen Lifestyle-meets-Tiefsinn-Zeitung (31 x 47 cm), in der Moritz von Uslar und andere Trendologen beweisen, dass sie älter geworden sind.

In der selben Ausgabe: 24 Bilder aus meinem neuen Kurzfilm SÉANCE (Teil des Episodenprojektes DEUTSCHLAND '09), eine „obsessionelle Befragung” des Autors Clemens Meyer zu Sylvester Stallones RAMBO-Filmen sowie Bekenntnisse eines schlaflosen Helmut Dietl...

21 November, 2008

Hoch-die-informationelle-Solidarität!

Ein Paradoxon steht im Mittelpunkt der Netzkultur: das Versprechen, zugleich sehr persönlich und ganz anonym agieren zu können. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnen können, dass viele Leser dieses Blogs zum Beispiel, die sich in Kommentaren äussern, namenlos bleiben wollen.

Umgekehrt vermutet man „hinter” gewissen Seiten oft eine anonyme Macht und ist dann überrascht, wenn man die Macherin / den Macher als Einzelkämpfer kennen lernt. Eine solche Überraschung war es für mich, die Betreiberin der von mir täglich besuchten Filmlinkseite film-zeit.de gestern auf dem Podium zu erleben: Ines Walk. Dass hinter ihrem Projekt, dessen Geschäftsmodell ich nie hinterfragt habe, nicht nur viel Arbeit, sondern auch eine Menge Idealismus steckt, hat mich überrascht. Danke für die Mühe!

Man könnte in diesem Zusammenhang vielleicht von informationeller Solidarität sprechen, die der Netzkultur jenes Quentchen utopischen Glanz gibt, das die ökonomische Misere für den Moment vergessen macht. Auf lange Sicht aber lässt sich die Vielfalt, die wir heute erleben, nicht mit Idealismus allein erhalten. Ich denke, es wird Zeit für ein realpolitisches Erwachen, das die Hardware- und Kommunikationsindustrie (die ihre Geräte und Verträge mehr und mehr wegen „unserer” Inhalte verkaufen) zwingt, einen fairen Anteil ihrer Gewinne an die Urheber zu verteilen.

Das wird nicht ohne Kampf gehen, denn aus Sicht der Industrie ist die Situation natürlich traumhaft: man nimmt Eintritt für die Bühne (die User bezahlen für Computer, Anschluss und Nutzung), aber die Künstler spielen umsonst. Eine Umverteilung würde allerdings einen Bewusstseinsprozess voraussetzen, der die informationelle in eine robustere Form von Solidarität verwandelt, was notwendig auch mit einer Ent-Anonymisierung verbunden wäre.

Was könnte unsere Boston Tea Party sein?

20 November, 2008

Netz der Möglichkeiten

Auf einer Tagung des Verbands der deutschen Filmkritik ging es heute um das „Netz der Möglichkeiten”. Passender Weise habe ich gerade einen kleinen Essay zum gleichen Thema geschrieben, seit heute nachmittag im Netz.

Einer der Redner auf der Veranstaltung war Ekkehard Knörer (Perlentaucher, Jump-Cut, taz), der über den Stand der Dinge in Sachen Netz-Cinephilie gesprochen hat und zugleich eine frohe Botschaft zu verkünden hatte: Seit heute ist das neue Zeitschriftenprojekt CARGO online, an dem neben Knörer auch Bert Rebhandl, Simon Rothöhler und Erik Stein mitstricken.



Ab 5. Februar wird es CARGO dann auch auf Papier geben. Schon lange hat es keinen so ambitionierten Versuch mehr gegeben, ein neues Magazin für Filmkritik in Deutschland zu gründen. Ich freue mich sehr und wünsche gutes Gelingen!

Hier noch ein sehr lesenswerter Beitrag von Volker Pantenburg, der ebenfalls auf der Tagung gesprochen hat.

16 November, 2008

Räuberleiter





Zwei neue Bilder aus dem Schneideraum von Benjamin Heisenbergs DER RÄUBER (2009), der sich langsam dem Drehende nähert (Kamera: Reinhold Vorschneider; © Geyerhalter Film).

Kennengelernt habe ich Benjamin 1997, kurz bevor er anfing, an der HFF in München zu studieren, wo ich ein Jahr zuvor gelandet war. Damals standen ihm die Haare - durchaus wörtlich - besonders dann zu Berge, wenn jemand im Kino auf Genreeffekte setzen wollte. Ich kann deshalb ein Lied davon singen, weil Ben Regieassistent war bei meinem ohne Zweifel gefälligsten Kurzfilm „Fieber”, in dem zwar keine Schießereien, aber dafür ziemlich raffinierte Kamerafahrten vorkommen, die nicht immer seine Gnade fanden.

Dabei war seine Strenge durchaus nicht systematisch, im Gegenteil hatten in seinem Filmuniversum viel gegensätzlichere Filme Platz als bei mir damals. Und so ist es vielleicht doch nicht so erstaunlich, dass ausgerechnet Benjamin, für eine Weile der entschiedenste Verfechter asketischer Positionen in unserer Clique, nach seinem krimi-nahen Debüt SCHLÄFER einen „waschechten” Genrefilm gemacht hat: DER RÄUBER, nach dem gleichnamigen Roman von Martin Prinz. Rein quantitativ machen Überfälle, Verfolgungsjagden und Schußwechsel einen großen Teil der Filmhandlung aus, aber natürlich ist am Ende das 'Wie' entscheidend.

Ich erinnere mich an erhitzte Debatten darüber, in wieweit man die Überwältigungsrethorik à la Tony Scott für unsere Filme fruchtbar machen könnte. Benjamin war der Meinung, dass man dessen visuelle Tricks mit Realismus kontern müsse, um ihnen die notwendige Transparenz zurückzugeben... Ich bin gespannt, ob die Montage mehrerer gegenläufiger Helikopteraufnahmen, die ihn damals bei Scott so faszinierte, in DER RÄUBER „realistisch verwandelt” Verwendung finden wird. Denn ja, es wird Helikopteraufnahmen geben, auch das. Die Bilder oben sind jedenfalls vielversprechend, finde ich... Alles Gute für den Endspurt!

11 November, 2008

Heft in Sicht!



Revolver # 19 enthält Beiträge von / mit Hans Hillmann, Tsai Ming-Liang, Thomas Harlan, Götz Spielmann, Chris Marker, Susanne Lothar, Ulrich Noethen und Saskia Walker.

Zukunft des Körpers

Revolver zeigt sechs kurze Filme zum Thema „Zukunft des Körpers”:

Am Donnerstag, den 20.11.2008 um 21.30 h, in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Im Anschluß wird (auch) das Erscheinen des neuen Hefts gefeiert, und zwar ab 23 h im Roten Salon - mit DJ DIN 3000.

„Ein Bild meiner Großmutter” von Norman Richter, „Verbesserungspotential” von Jose van der Schoot, „cuddle sit by pool” von Rebecca Baron & Douglas Goodwin, „preserving cultural traditions in a period a instability” von Thomas Draschan & Sebastian Brameshuber, „Rosi” von Katrin Eißing, „Erich Lusmann” von Rainer Knepperges.

Produziert von Revolver (Jens Börner, Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Franz Müller, Nicolas Wackerbarth) und Eva Weerts, im Auftrag der „Frankfurter Positionen”. 80 Minuten. Digi Beta. Deutschland 2008.



ROSI von Katrin Eißing.

09 November, 2008

You Can Imagine The Opposite

Werbung erzählt oft und gerne Geschichten vom Gegenteil. Wer als Umweltsünder bekannt ist, wird eine „grüne” Kampagne starten, wer unbekannt ist, seinen „Erfolg” verbreiten, wer austauschbar ist, seine „Individualität” betonen. Diese Tendenz ist so zuverlässig geworden, dass ich mir beinahe unwillkürlich das Gegenteil vorstelle, wenn ich Werbung sehe oder lese – ein Spiel, das in Verbindung mit der Lektüre des Wirtschaftsteils erstaunlich oft Sinn macht.



AFTER EFFECT (Regie: Stephan Geene, D 2006)

„Werbung lebt von der Restwärme leergemachter Begriffe.”