15 November, 2009

Propagandafragen

Gibt es gute Propaganda? Heiligt der Zweck die Mittel? Alte Fragen, die sich im Alltag selten in dieser Klarheit stellen. Was ist Propaganda überhaupt? Ich versuche eine Definition: Eine mit nackter Wirkungslogik verbreitete Botschaft, die emotional und argumentativ gezielt so eng geführt wird, dass Alternativen unmöglich oder schädlich erscheinen.

Das Beispiel, das sich - buchstäblich - aufdrängt, ist die Werbung. Sie ist so präsent, dass wir sie ausblenden, bewusst, wenn wir weiterblättern, -schalten oder wegschauen, unbewusst, indem wir sie einfach nicht mehr sehen. Wirksam ist sie trotzdem. Procter & Gamble (Gillette, Always, Ariel), diese Zahl habe ich gerade gefunden, hat im Jahr 2004 5,76 Mrd Dollar für Werbung ausgegeben. Das ist ungefähr doppelt so viel, wie der Jahresetat der Vereinten Nationen. Rasierklingen, Billigprodukte ohne Alleinstellungsmerkmal, können nur im Zusammenspiel von Lock-in-Strategie (Billige Rasierhalter, teure Klingen, die nur auf den einen Halter passen, hohe „Wechselkosten”) und massiver Werbung (über 10 Prozent des Umsatzes) so teuer verkauft werden, wie sie es werden. Ohne Agitation wäre die Geschäftsidee Gillette nicht überlebensfähig. Diese Art der Propaganda kostet uns Geld, Nerven, Lebenszeit - und im Nebenbei vernutzt sie auch noch die „heiligen Mitttel” des Kinos für den Effekt. Eine Schande eigentlich, dass wir das alle so geduldig über uns ergehen lassen.


Werbung für Elektrogeräte, 1940 und 2001.

Auch Hollywood betreibt Propaganda. Einmal, indem man Werbung für die Filme macht, klar. Die Werbebudgets entsprechen im Mittel den Produktionsbudgets, gehen also über die 10 Prozent Umsatzanteil bei den Rasierklingen weit hinaus. Aber auch die Filme selbst funktionieren oft genug propagandistisch, ohne deshalb unbedingt eine „Botschaft” zu befördern. Viele Filme wollen nichts, ausser gefallen oder besser: wirken - ohne etwas zu bewirken wohlgemerkt, ausser Konsum natürlich. Das Ziel ist Profit, andere Inhalte („Be yourself”) sind Simulationen, die die „Erzählung” als Traditionskitt dürftig zusammenhalten. Die Amerikaner sagen dazu sehr treffend „rollercoaster ride”, Achterbahnfahrt.

Ist Achterbahnfahren unmoralisch? Ich denke nicht. Aber ich glaube durchaus, dass Story-Surrogate, „falsche Geschichten”, schädlich sind. Welche Macht unzuverlässige Erzählungen haben, lässt sich am Beispiel der Finanzkatastrophe gut diskutieren. Alle beteiligten „Erzähler” - Banken, Analysten, Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfer - haben systematisch Desinformation betrieben, in der Hoffnung, so die eigenen Marktchancen zu verbessern. Und sie haben auch dann noch vom Happy End gesprochen, als der Abgrund längst in Sicht war. Aber kann man das vergleichen? TRANSFORMERS und die Subprime-Krise? Nicht, dass ich die Unterschiede nicht sehen würde, aber vielleicht sind die Gemeinsamkeiten wirklich interessanter. Richard S. Fuld jr. und Michael Bay als zwei Seiten einer Medaille der Veranwortungslosigkeit? Warum nicht.



In the business of burning millions: Michael Bay und Richard Fuld.

In den USA macht seit einiger Zeit ein so genanntes „Responsibility Project” von sich reden. So komme ich eigentlich auf das Thema: Propaganda. Dieses Projekt, „angestossen” oder besser: finanziert und betrieben von dem Versicherungsmulti Liberty Mutual, gibt kurze Filme in Auftrag, die sich jeweils einem Aspekt des Themas „Verantwortung” widmen. Renommierte Regisseure aus dem Mittelfeld Hollywoods, Ron Shelton zum Beispiel, oder Michael Apted, wurden eingeladen, „moralische Miniaturen” zu drehen. Apted erzählt in PARTY GUEST zum Beispiel von einer Frau, die sexy ist, aber den Mann ihrer Träume nicht bekommt, weil er sie dabei beobachtet, wie sie bei Freunden eine Uhr mitgehen lässt. Shelton erzählt in THE HOME RUN eine „wahre Geschichte” von besonderer Fairness bei einem Baseballspiel.

Die Filme sind konservativ in Mitteln und Moral, ohne übertriebene Propagandaeffekte übrigens, und auch wenn klar ist, dass Liberty Mutual wie andere Firmen zuvor über den Umweg eines Themas unser Vertrauen kaufen möchte (ein Vertrauen, das tiefer reicht als die Wirkung normaler Werbung), so habe ich doch keinen Zweifel, dass es Apted und Shelton ernst meinen. Sie sehen sich im Dienst einer „guten Sache”. Die Kommentare auf der Projektseite scheinen auch zu belegen, dass die User, Besucher, Menschen die Filme ernst nehmen, sie nutzen, um über ihr Leben zu reflektieren - und das kann ja nicht schlecht sein, oder? Ist es also „gute Propaganda”?

Das ist die Frage. Ich glaube nicht daran. Und das nicht etwa, weil ich auf Avantgarde abonniert bin oder eine pessimistischere Weltsicht habe. Sondern weil ich glaube, dass jeder seine Kunst verrät, der sie vor den Karren eines Beweises spannen will. Die Filme stellen keine Fragen, folgen keiner lebendigen Neugier, sondern illustrieren eine Antwort, die von Vorneherein feststeht. Das ist zu wenig für die Kunst, zu wenig für das Leben - und qualifiziert sie als Propaganda. Ich glaube „gute Propaganda” kann es nicht geben, allerhöchstens: gut gemachte. Und damit wären wir wieder bei Gillette. „Für das Beste im Mann”. Mindestens.

5 Kommentare:

  1. Die Beispiele, die du nennst, sind ja vielleicht gut gemacht, aber doch alle nicht wirklich filmisch interessant. Mich würde deine Meinung zu Filmen wie "Streik" und "Oktober" von Eisenstein, "Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl oder "Birth of a Nation" von Griffith interessieren, die ja - teilweise sehr fragwürdige - Propaganda sind und trotzdem ästhetisch so interessant, dass sie heute als Meilensteine des Kinos gelten. Da steht doch die klare Botschaft des Films dem künstlerischen Wert zumindest nicht im Wege. Und etwa bei Eisenstein könnte man sogar behaupten, dass Elemente der Ideologie einen Weg in die konkrete Umsetzung gefunden haben (Schnitt als These - Antithese - Synthese etc.). Ist das hochwertige "gute" Propaganda?

    AntwortenLöschen
  2. Riefenstahl hat einmal gesagt, sie hätte, statt Hitler und Co zu heroisieren, auch Äpfel und Birnen filmen können. Ich glaube, das stimmt, auch wenn dieses Argument ihre Schuld natürlich nicht mindert. Sie ist recht eigentlich eine Pionierin der Werbung gewesen, denke ich. Die „weihevolle” Überhöhung, die sie immer gesucht hat, sei es bei den Nuba, unter Sportlern oder eben in „Triumph des Willens”, ist mehr oder minder unabhängig vom Gegenstand. Sie betreibt eine Ästhetisierung um der Ästhetisierung willen - man könnte auch sagen: Wirkungspornographie, und ob da in Untersicht Schweiß von einem Sportler oder Wasser von einer Bierflasche perlt, ist zweitrangig. Sehr gut gemachter Kitsch also, der sich nicht für das Wesen der Dinge und Menschen interessiert, sondern nur für ihre Macht. Die Fälle Eisenstein und Griffith liegen komplizierter, finde ich, weil ihre Filme zwar durchaus Propaganda betreiben, aber mit diesen Botschaften nicht identisch sind. Teilweise, weil sie ihre Erfindungen nicht so im Griff haben wie die deutsche Kollegin, aber hauptsächlich, weil sie sich offensichtlich auch für Dinge interessieren, die in der Wirkungslogik der Propaganda keinen Platz haben. Humor zum Beispiel, formale Spiele, das Gesicht eines Schauspielers.

    AntwortenLöschen
  3. Hast du Transformers gesehen ?

    im Kino ?

    Mirko ?

    AntwortenLöschen
  4. Erwischt. TRANSFORMERS kenne ich nur in Ausschnitten. Aber ich habe andere Michael Bay-Filme gesehen, in Kino: THE ROCK, ARMAGEDDON, PEARL HARBOUR. Ich finde, mein Bay-Pensum habe ich mehr als erfüllt.

    AntwortenLöschen
  5. »Propaganda ist totalitär, regressiv und nihilistisch. Man bringt bedeutende Begriffe um den Rest ihrer Substanz, schlüpft in die Gehäuse und macht mit dem Schimmer Reklame. Hinter dem Tumult der Propaganda taucht ein Totenkopf auf.« Siegfried Kracauer

    AntwortenLöschen