31 Oktober, 2006

Kleine Theorie des Populären (2)

Wir alle werden zu dem Glauben erzogen, der Markt sei ein notwendiges Regulativ. Aber was regelt er eigentlich? Welche Qualitäten haben die Dinge, die sich auf dem Markt bewähren? Was sagt der Markterfolg?

Ich glaube, in der Hauptsache ist Markterfolg ein soziales Phänomen. Ein Produkt, das von vielen gekauft, benützt, gestützt wird, verliert den lästigen Zweifel, der allen übrigen Dingen anhaftet. Ist es nützlich? Ist es schön? Ist es angemessen? Die Antwort des Marktes auf diese unlösbaren Fragen lautet: „Millionen Kunden können nicht irren.”

Unser Leben ist ein Haushalt der Sinnstiftung, mit individuellen und kollektiven Anteilen. Die Überschätzung des Individuellen als Grundpfeiler unserer Kultur spielt dabei die Rolle der Verklärung. Man will sich als Individualist fühlen, aber man möchte nicht einsam sein. Als Besitzer eines Massenartikels ist man Teil einer Gemeinschaft, in der auch und gerade der Fehler für Unterhaltung sorgt. Nichts ist verbindender, als die gemeinsam erlebte Panne. In der Bewertung kann man sich dann ja wieder individualisieren...

Aber welche Eigenschaften haben die Produkte, die eine breite Zustimmung auf sich vereinigen können? Sind sie „besser”? Sind sie „brauchbarer”? Vielleicht ist der zentrale Punkt ist ihre „Robustheit”. Damit meine ich nicht Qualität im Sinne von Haltbarkeit, sondern eine Robustheit in der Kommunikation. Ein Produkt muss sich robust erzählen lassen. Es darf also nicht zu subtil, zu streitbar, zu mehrdeutig sein.

Die Meister der „klassischen” Periode haben es verstanden, verschiedene Ebenen zu vereinen, sozusagen Küche, Stall und gute Stube gleichzeitig zu bespielen. Diese Vielströmigkeit hatte den Vorteil der grösseren Kontraste: Das Feine kam im Rahmen des Groben stärker zur Geltung. Vielleicht hat so auch „mehr Welt” in einen Film gepasst. Heute scheint der Film jedenfalls viel stärker ausdifferenziert. Die sehr vulgären Filme stehen unversöhnlich neben den sehr zarten. Und was die einen umbringt, macht die anderen nur härter.

Fortsetzung folgt.

20 Oktober, 2006

THE BIG HEAT



Die herzzerreissend lebenshungrige Gloria Grahame mit Lee Marvin als ihrem brutalen Freund in Fritz Langs THE BIG HEAT (1953). Faszinierend, wie direkt ihr die Kommunikation mit dem Publikum gelingt, trotz Langs berüchtigten Regiestils, bei dem jede Bewegung mit Zahlen auf dem Studioboden fixiert war. Nur Peter Lorre in M - EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER war ähnlich lebendig und anrührend im wundervollen, aber doch oft sehr starren Universum Fritz Langs. Interessant wäre, ob Lorre und Grahame (die auch in Langs HUMAN DESIRE wunderbar ist) auch in den Augen Langs Ausnahmen waren, ob er selbst von ihnen besonders berührt war.

Körpergrenze

Die Gedanken sind frei, sehnen sich aber nach Konkretion: Das Mögliche will wirklich werden. Auch das Wirkliche will sich verwandeln, die Last des Körpers soll sich in der Fiktion lösen. Wir leben in einer Januswelt, in der sich, entlang der Körpergrenze, alles verflüssigt. Das Wirkliche wird zunehmend unwirklicher, das Unwirkliche zunehmend wirklicher. Immer vollkommeneren Simulationen stehen immer unglaubwürdigere Fassadenarchitekturen gegenüber. Im Filmpark von Babelsberg oder am Potsdamer Platz stapft man durch schlechte Kulissen, in denen man die hyperrealen Spektakel des Kinos nachspielen soll, während die Avatare in simulierten Welten in Richtung Fotorealismus steuern und online sogar virtuelle Immobilien gehandelt werden (zum Beispiel: www.secondlife.com). Der amerikanische Geheimdienst hat eine Strategie der Desinformation entwickelt, die jeder Operation eine oder mehrere „Wahrheits-Varianten” zuordnet, die wenn nötig in Konkurrenz zur Wirklichkeit treten - und natürlich ganz reale Folgen haben. Eames Demetrios, Filmemacher und Künstler, strickt mit Freunden an einem parallelen Universum, das er Kymaerica nennt (www.kymaerica.com) und das eine alternative Geschichte Amerikas erzählt. In Kunstaktionen werden Artefakte ins wirkliche Amerika gepflanzt, die die Kymaerica-Version „beweisen” sollen. Dazu passt die heutige Meldung der Nachrichtenagentur AP, wonach es zum ersten Mal gelungen sei, ein reales Objekt „augenscheinlich” zum Verschwinden zu bringen. Mit technischen Mitteln hat man an der Duke University eine Fata Morgana nachgebaut, also jenes Hitzephänomen, das die Lichtbrechung so verändert, dass der Blick in die Irre geht. Die postindustrielle Gesellschaft produziert Auflösung.

Das Kino hat seinen Teil zur Entkörperlichung beigetragen, und doch kann es nicht ohne Körper sein. Das Filmbild braucht den Körper als Gegenüber - egal wie fantastisch die Handlung, das Wissen, dass jedes Bild eines Körpers aus einem wirklichen Körper hervorgegangen ist, bestimmt ganz wesentlich sein Gewicht. Ohne reales Pendant ist das Bild nicht mehr Stellvertreter, sondern nur noch Zeichen. Vielleicht ist das der Grund, warum ich computeranimierte Bilder im Kino immer als „Fremdkörper” empfinde. Eine computeranimierte Figur oder Landschaft ist nichts weiter als ein Phantom, während der Avatar im Computerspiel zum Beispiel eindeutig ein Geist ist, abhängig von seinem Meister. Keine Frage, die Beziehung ist nicht so symmetrisch, aber ähnlich wie der Schauspieler, der zu seinem Abbild im Film ein Spiegelverhältnis hat, über die Körpergrenze hinweg, ist auch der Avatar nichts ohne seine bessere Hälfte - und darin liegt seine Kraft.

Die Nische, die ich meine

In einer Art Selbstbeschreibung der Filmzeitschrift REVOLVER habe ich einmal formuliert:

„Dahinter (...) steht die Annahme, dass es die Chance Europas ist, radikale Filme zu machen. Das heisst aber gerade nicht, sich von Hollywood in eine Nische drängen zu lassen. Wer genau hinsieht, wird bemerken, dass es der Hollywoodfilm ist, der sich allenthalben auf die Füße tritt - so eng ist das Revier - während weite Ebenen des Films brach liegen. In diese Weiten wollen wir! Wir streiten für einen persönlichen Film, einen Film, der aus dem Standpunkt eines Autoren hervorgeht - im Unterschied zu dem Industrieprodukt, das mit einer Zahl im Kopf beginnt. Und wir glauben, dass sich dieser persönliche, radikale, europäische Film verbünden muss, um überleben zu können.”

Das ist sicherlich noch immer gültig. Ich bin überzeugt, dass wir von hier aus sinnlicher, politischer, intelligenter, ambivalenter, charmanter, gefährlicher mit Film arbeiten könnten als die Amerikaner zum Beispiel, die am Gängelband einer vertikal integrierten, geldfixierten Industrie wenig Spielraum für das künstlerische Wagnis haben. Aber die Realität sieht anders aus. Der europäische Film, der sich kommerziell nicht beweisen muss, ist schüchtern, zweifelnd, mutlos, ohne den breiten Rücken ununterbrochener Erfolgserlebnisse, zwischen Imitation und Esoterik, während von den kommerziellen Systemen Hollywoods, Hong Kongs und Bollywoods immer wieder entscheidende Impulse ausgehen. Klasse scheint eben doch einen Zusammenhang mit Masse zu haben, insofern die Kunst besser das „Andere” sein kann, wenn ihr Gegenüber vulgär und allmächtig ist.

Aus meinem Notizbuch:

„Der „Filmkunst” scheint die Disziplin der konventionellen Erzählung zu fehlen, die, da gewissermassen öffentlich, eine andere Schärfe, eine andere Sichtbarkeit hervorbringen kann. Eine Disziplin auch, die durch die direkte Einbindung in den Warenverkehr ihre Gültigkeit jeden Tag neu verhandeln muss. Dahinter steckt die Annahme, der Markt könne für soziale Verhältnisse (wie es auch eine Erzählung darstellt) eine „hygienische” Funktion haben: Was nicht verstanden wird, muss neu formuliert, klarer gefasst werden, wenn es nicht verschwinden will.”

Im besten Falle jedenfalls vertieft sich im Widerstand gegen den Ungeist der Verkäufer der eigene Standpunkt und das Bewusstsein für das, was man nicht preisgeben kann. Man kennt diesen Relief-Effekt ja auch aus Diktaturen, aber es wäre eine absurde Folgerung, deshalb die Zensur wieder einzuführen. Man muss es so pathetisch sagen: Unsere Freiheit ist Verpflichtung, und wer sie nicht nutzt, höhlt sie aus.

14 Oktober, 2006

Freihei

Der deutsche Fi, der deutsche Fil - wie viele langweilige Texte schon so begonnen haben. Der deutsche Film hat Freiheiten, die überdurchschnittlich sind. Stimmt das? „Dürfen” wir mehr als Hollywood? Falls das der Fall ist, vergrössert es nur unsere - Schande? Grosse Freiheit ist unseren Filmen jedenfalls nicht anzumerken.

Selbstzitat:

„Niemand darf glauben, dass sich in dem engen und ängstlichen Geflecht aus Fernsehindustrie und Förderspekulation, am Katzentisch der Kultur, ein Film entwickeln wird, der über das Ziel, Gebrauchsware für den täglichen Konsum zu produzieren, so „unvernünftig” hinausschießt, dass er das Medium selbst herausfordert.”

13 Oktober, 2006

THE SHOP AROUND THE CORNER


Regisseur Ernst Lubitsch zwischen Margaret Sullavan und James Stewart, am Set von THE SHOP AROUND THE CORNER (1939).

Die Konkurrenz von Vorstellung und Wahrnehmung, Täuschung und Ent-Täuschung als notwendige Voraussetzung einer Liebesbeziehung: Die vielleicht realistischste romantic comedy der Filmgeschichte spielt nicht umsonst in einem Geschäft...

Verführung zur Aufmerksamkeit

„Gestern Abend war bei der Tante eine kleine Gesellschaft. Ich wusste, Cordelia würde ihr Strickzeug hervorholen. Darin hatte ich ein kleines Billett versteckt. Sie ließ es fallen, hob es auf, wurde bewegt, sehnsuchtsvoll. So muss man stets die Situation zu Hilfe nehmen. Es ist unglaublich, welche Vorteile man davon haben kann. Ein an und für sich unbedeutendes Billett wird, unter solchen Umständen gelesen, für sie unendlich bedeutsam. Mich konnte sie nicht sprechen; ich hatte es so eingerichtet, dass ich eine Dame nach Hause begleiten musste. Sie musste sich also bis heute gedulden. Das ist stets gut, um den Eindruck sich noch tiefer in ihre Seele einbohren zu lassen. Immer hat es den Anschein, als sei ich es, der ihr eine Aufmerksamkeit erweist; der Vorteil, den ich habe, ist der, dass ich überall in ihren Gedanken angebracht werde, überall sie überrasche.”

Aus: Sören Kierkegaard: Tagebuch des Verführers. Aus dem Dänischen von Heinrich Fauteck. Deutscher Taschenbuch Verlag 12463. Seite 129.

Geheimnis der Konserve

Jeder Filmliebhaber, der seiner Neigung durch den Erwerb von Konserven frönt, ist an Haltbarkeit interessiert. Der Besitz eines Filmes „rechnet” sich schliesslich erst mit dem zweiten oder dritten Sehen. Das führt zu dem Irrwitz, dass man bevorzugt Filme kauft, die man schon kennt - und die sich „gut gehalten” haben. Ohnehin verschärft der DVD-Markt die Erfolgsschablonen noch einmal; die Eignung zum Oft-Sehen ist dabei wie die „Fernsehtauglichkeit” eine kinofremde Angelegenheit. Ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn ein Film „immer wieder gut” ist? Man ertappt sich dabei, die Frage sofort zu bejahen. Aber natürlich kann Wiederholung auch zerstörerisch sein.

Alexander Kluge schrieb 1983 in seinen Thesen: „Videokassetten fordern Filme, die auf Wiederholbarkeit angelegt sind. Ähnlich einer Schallplatte. Niemand kauft Schallplatten, deren „Handlung” man nach einmal Abhören kennt. Das Rätselhafte erhält eine neue Chance.”

Demnach müsste eine Filmgeschichte, die mit DVDs geschrieben wird, eine ganz anderes Spektrum in den Olymp befördern, als die des Kinos. Etwa so wie die Kunstbuchindustrie jene Künstler gerne „vergisst”, deren Arbeiten sich schlecht reproduzieren lassen, wird auch das Konservierungsmittel DVD eine eigene Geschmackspalette hervorbringen.

12 Oktober, 2006

THE SHINING



Ein Hotel ist ein Haus, das sich verkauft. Seine Bewohner haben alle möglichen, also keine Eigenschaften. Das macht den Ort unbestimmt = unheimlich. Um den Makel des Unverlässlichen zu übertünchen, flüchtet sich das Hotel in die Konvention. Sie soll als schützende Gleichgültigkeit aus einem konkreten Ort mit konkreten Erfahrungen ortlose, reine Gegenwart machen. Dass die „Schweinerei der Geschichte” aber immer anwesend bleibt, davon erzählt der Horrorfilm „The Shining” in überwirklicher Klarheit - einer der wenigen Filme für mich, die sich mit jedem Sehen produktiv verändern.

Stummer Diener

Die Sprache des Drehbuchs ist ein stummer Diener - sie darf nur zeigen.

11 Oktober, 2006

Rest

Sehen heisst Lesen, Zuströme filtern: das Erwartete („richtig”) wird vom Unerwarteten („falsch”) getrennt. Diese Wissens-Arithmetik hält uns oft so auf Trab, dass die unbestimmten Anteile im Augenblick der Wahrnehmung unter den Tisch fallen, zumal der Sehsinn stärker als alle anderen Sinne auf Nützlichkeit geeicht ist. Nachwirkung hat aber oft gerade das, was sich nicht hat bündig machen lassen, und deshalb „zwischengelagert” worden ist. Welche Konsequenzen zieht der Filmemacher?

09 Oktober, 2006

God Mode

Die Trailer-Seite, die ich regelmässig besuche, wird in Schüben mit neuer Ware aufgefrischt. Wenn ich in Stimmung bin, sehe ich mir alle neuen Trailer hintereinander an. Plots, Figuren, Posen verschwimmen dann zu einem Meta-Film, zugleich Ausblick und Psychogramm. Im Überblick werden Muster erkennbar, kollektive Erschütterungen, Moden und Rezepte.

Spätestens seit den 80er Jahren versucht Hollywood, die visuellen „Herausforderer” Comic, Werbung, Musikvideo und Computerspiel im Spielfilm zu verschmelzen, oft mit zweifelhaften Ergebnissen. Filme wie „Sin City” (Rodriguez) oder demnächst „300” (Snyder), „Pathfinder” (Nispel) oder auch „Apocalypto” (Gibson) bringen diese Alchemie auf ein neues Level. Exzessive Gewalt, extrem manipulative Musik und eine Kamerasprache, die spürbar vom unkörperlichen Blick des Computerspiels beeinflusst ist, feiern Wirklichkeitsverlust als Rausch. Vielleicht könnte man von einer Ästhetik des „God Mode” sprechen - also des Spielmodus', bei dem der Spieler unverwundbar ist.

Das Wirken-Wollen dieser Filme ist so zwanghaft, als würde sich der kommerzielle Druck, die „Bedrohung” durch andere Medien, selbst abbilden. Es tobt ein „totaler Krieg”, der alle Resourcen, die Aufmerksamkeit binden könnten, in Stellung bringt, sozusagen die letzte Glocke zu Geschützen schmilzt und dabei doch hinter der gleichgültigen Hoheit über Raum und Zeit, die das Computerspiel besitzt, zurückbleiben muss.

Dagegen Ozu denken: „To use is to misuse”.

www.apple.com/trailers/

07 Oktober, 2006

Kleine Theorie des Populären (1)

Gestern habe ich in der Filmzeitschrift Shomingeki gelesen. In der Hauptsache werden Filme und Filmemacher besprochen, die mir unbekannt sind. T. schreibt ohne Prätention über seine Entdeckungen, sehr direkt. Er scheint sich auf sein Expertentum nichts einzubilden. Angenehm. Trotzdem hat sich meine Neugier bald verflüchtigt. Vielleicht, weil das Lesen über Filme interessanter ist, wenn man vom besprochenen Gegenstand eine eigene Anschauung hat, die man ins Verhältnis setzen kann.

Film ist immer auch ein Vehikel, um zu sprechen, ein wohlfeiles Thema, fast so präsent wie das Wetter und mitunter ebenso harmlos. Über einen unbekannten Film aber spricht sich nicht so leicht. Wer möchte über Wetter reden, das ihn nicht betrifft? Was ich also über einen Film lese, den niemand gesehen hat, werde ich sozial nicht umsetzen können. Diese Funktion hat das Schreiben über Film eben auch: den Leser mit Argumenten zu versorgen, die er für seine Debatten brauchen kann.

Populär ist demnach ein Kino, über das sich gut sprechen lässt. Und umgekehrt wird ein Film populär, über den viel gesprochen wird. Man will mitreden können. Ob der Film der Rede wert ist, ist letztlich zweitrangig – die Einbindung in den allgemeinen Diskurs ist Entschädigung genug, die individuellen Defizite des Films werden sozial beglichen.

Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Film nur von wenigen Menschen gesehen wird. Über die Qualität des Films sagt das nichts aus. Aber ganz ohne soziale Belohnung – und seien es die höheren Weihen cineastischer Zirkel – will kaum jemand ins Kino gehen. Das Kino ist als Massenmedium gruppendynamischen Prozessen unterworfen, und je mehr es seine Selbstverständlichkeit und Verankerung im Alltag verliert, desto stärker verlässt es sich auf gemachte Meinung.

Hollywood bietet ein ganzes Arsenal von Verknüpfungsangeboten auf, um seine Produkte ins Gespräch zu bringen, vom Set-Gerücht über den Skandal des (Bestseller-) Themas zur weitverzweigten Werbekampagne, die bis zu unseren Cornflakes dringt. PR-Agenturen spielen auf der Volksseele Klavier, in der Hoffnung, dass aus einem mutwilligen Funken ein Feuer hysterisierter Wahrnehmung wird. Den „armen Künstlern” bleibt der besonders spitze Ton, das exzentrisch gebrochene Tabu, von John Waters bis Lars von Trier.

Und wir anderen, die wir nicht die Gunst der großen Vertriebe und nicht das Talent zur Hemmungslosigkeit haben, bemühen uns um Zuschauer ohne Herdentrieb und verklären unsere Erfolglosigkeit als grausamen Ausdruck einer verkommenen Zeit.

Aber so verkommen war die Zeit schon immer, dass die Menschen im Kino diesen doppelten Trost gesucht haben: Im Film die Süße einer Welt zu schmecken, in der alles Sinn macht, sogar das Leiden. Und nach dem Film verbunden sein mit der Masse, die sich am selben Stoff gelabt hat. Was wäre daran auch so schlecht? Ist dieses Reden nicht wirkliche, soziale Zärtlichkeit, die sich nach zwei Stunden stummer Empfindsamkeit entladen muss?


Fortsetzung folgt.

02 Oktober, 2006

Schule machen

Am Freitag hat ein Symposion zum Thema „Berliner Schule” stattgefunden.

„Alle” waren da: Arslan, Farocki, Grisebach, Hauck, Hausner, Heisenberg, Karmakar, Klier, Köhler, Petzold, Schanelec, Stever, Wackerbarth, Winckler; wichtige Mitarbeiter wie Böhler, Fromm, Keller, Kilian, Körner, Müller, Steyer. Ausserdem die Kritiker Althen, Baute, Gansera, Nord, Pethke, Rebhandl, Rother, Schnelle, Weixlbaumer u.a. Ein schönes Wiedersehen.

Die Veranstaltung war ergebnisoffen, die Fragen waren vage. Weil es keinen starken Grundstrom des Wissen-wollens gab, hat sich ein zerklüftetes Bild ergeben. Jede Antwort bildet den Fragenden ab.

Die Gastgeber, die DFFB und ihr neuer Direktor Harmut Bitomsky, haben das Ganze als Sympathisanten organisiert, sich dann aber vornehm zurück gehalten. Wir „Künstler” wurden von geladenen Kritikern untersucht; gegen die Behandlung gab es kein Aufbegehren. Ein eigenes Interesse der „Berliner Schule” aber war nicht zu erkennen. Auch das Forscherfieber hielt sich in Grenzen. Wir haben hingenommen, Gegenstand zu sein, aber die gebotene Bühne nicht bespielt.

Lediglich Bert Rebhandls „Minitheorie” hat für einen Moment Hoffnung auf eine diskursive Zuspitzung gemacht, flankiert durch die von Stefan Pethke vorgetragene, von Pethke, Baute, Pantenburg, Knoerer und Rothöhler gemeinsam erarbeitete, präzise Beschreibung des Status Quo (siehe www.kolikfilm.at). Aber bald war diese Herausforderung verpufft, und das kreuz und quer des Augenblicks ging weiter.

Über das Eigentliche, die Filme, wurde kaum gesprochen. Lob und Kritik waren summarisch. Unverdient, wie ich finde.

Heute schreibt Dietmar Kammerer in der TAZ von unseren Vorbehalten gegen die Schublade, und mokiert sich freundlich. Für den Tagesspiegel berichtet Kerstin Decker und ordnet Zitate mehrmals falsch zu. So wird Schule „gemacht”: mit gut gemeinter Unschärfe.

Die neuen Filme von Thomas Arslan („Ferien”) und Angela Schanelec („Nachmittag”) werden schon durch die Parallelen ihrer Grundkonstellation Anlass sein, Analogien hervorzuheben, Ähnlichkeiten bündig zu machen: Gruppenrabatt.

Trotzdem überwiegt bei mir die Freude über das gemeinsam-unterwegs-sein. Es formt sich ein Zusammenhang, der grosse Filme tragen könnte.