31 Oktober, 2016

Eine Szene ...




Als „Single-Auskoppelung” eines Dokumentarfilms über die „Berliner Schule” (Regie: André Hörmann und Nadya Lueg) – der am 11. Januar 2017 auf ARTE zu sehen sein wird – hier ein Clip, in dem Christian Petzold und ich über eine Szene aus Michael Manns Kinodebüt THIEF sprechen (wie wir das in ähnlicher Form einmal mit einer Szene von Dominik Graf gemacht haben)
Danke, André Hörmann, Josephine Lange (Schnitt).

27 Oktober, 2016

Manfred Krug (1937-2016)

In der Rolle seines Lebens: Manfred Krug als Hannes Balla.

Der tolle Manfred Krug ist tot. „Mit dir würde ich mir sogar nen DEFA-Film ansehen.” sagt er, unnachahmlich frech, zu seiner „kleinen Chefin”, in Frank Beyers großem SPUR DER STEINE. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: er war es, der uns für das Kino der DDR gewonnen hat – mit einer Leichtigkeit, die für Deutsche eigentlich nicht vorgesehen war.

Kein Wunder, dass er auch als Musiker schwebte. Schlager, hat er einmal gesagt, sei „Musik zum Verzehr”. Seine swingenden Süßigkeiten standen nicht nur im Osten hoch im Kurs. Für meinen DREILEBEN-Film, EINE MINUTE DUNKEL, wollte ich ein Lied von ihm verwenden: „Vor einem Jahr”, in einer Liveaufnahme des polnischen Fernsehens aus dem Jahr 1963. Die Rechte lagen bei Krug selbst. Er meldete sich per Fax und wollte wissen, warum gerade dieses Stück.

Ich schrieb ihm: „Zuerst, weil es schön ist. Und weil es dem, der es hört, Gefühle zuspricht. In der betreffenden Szene geht es um einen Kommissar (gespielt von Eberhard Kirchberg), der wörtlich und sprichwörtlich das Gleichgewicht verliert - und zum ersten Mal die Methoden der Ermittlung in Frage stellt. Der Film aber ist kein Krimi. Eher ein Doppelportrait - der Flüchtige, der Ermittler, zwei Männer in der Krise, die auch Freiheit bedeutet. Das Lied führt ihn zu seinen Gefühlen zurück. Es soll das einzige Stück im Film sein, das nicht identisch ist mit der Filmmusik (die Bert Wrede gemacht hat), das einzige Stück, das eine eigene Geschichte hat sozusagen. Es ist mir also sehr wichtig.”

Er rief mich dann an und erlaubte die Verwendung, obwohl er die Studioversion des Liedes „viel schöner” fand. Die rhythmischen Geräusche in der TV-Aufnahme, klärte er mich auf, gingen auf seine „idiotischen” Manschettenknöpfe zurück, die immer wieder in Konflikt mit der Gitarre gekommen waren. Aber das störte mich nicht. Die Live-Version rührte mich tiefer, vielleicht, weil einer Stimme, die sich ohne Orchesterbegleitung behaupten muss, eine andere Erregung inne wohnt. 

Wir unterhielten uns ein paar Takte. Ich habe ihm sofort vorgeschlagen, ein Gespräch für Revolver aufzunehmen. Der heimliche Plan aber war es, ihn eines Tages noch einmal vor die Kamera zu bringen (Benjamin Heisenberg hat es wenig später auch versucht). Er war durchaus neugierig, liess sich das Heft schicken, aber sein Beschluss, keine Interviews mehr zu geben, war so unverrückbar wie der Rückzug aus dem Schauspiel. Schade. 

Er war ein Gigant und wir – waren zu spät geboren, um ihn noch einmal aus der Reserve zu locken. Mach's gut, zärtlicher Riese! Und danke für alles.

20 Oktober, 2016

Laudatio für Claire Denis

Good evening, ladies and gentlemen
Dear Claire






William S. Burroughs once famously wrote:
“After one look at this planet 
any visitor from outer space would say 
'I want to see the manager.” 

If we look at the state of things 
on this planet today, 
Burroughs’ line has lost nothing of it’s punch
but really Mr. Burroughs
what’s the use to speak to the manager?

If you don’t want to hear excuses, 
if you really want to know what time it is,
if you want to know 
whatever holds the world together in its inmost folds

the visitor from outer space 
should go to the movies instead
and see Claire Denis’ films
and you should, too.

I will tell you why:
To learn about beauty.

'But what is beauty?' the visitor from outer space might ask.
Does it even matter in light of all this violence and ugliness?

I will try to give you a simple answer. 

(I have been told I have five minutes)

Beauty is a conspiracy.
It goes beyond reason.

We don’t know why we know 
that something is beautiful.

We just know.

Beauty seduces us to attention
for the fragility of life
it seduces us to tenderness.

Beauty is not pretty.

There is beauty in danger and
there is danger in beauty

and that’s what Claires films are all about for me.

A seduction 
to walk on the wild side of 
our imagination

in order to see 

beauty in danger and
danger in beauty,

the ambivalence of our existence.

19 Oktober, 2016

Heimkommen

Auf Einladung von Cristina Nord habe ich eine Filmreihe zusammengestellt über das „Heimkommen” als einer „Tendenz in deutschen Filmen”, die im Dezember 2016 in der Cinematek Brüssel zu sehen sein wird. Einige der insgesamt 16 Filme werde ich persönlich vorstellen, vier meiner eigenen Filme werden außerdem gezeigt.

Die Filme der Reihe, die zwischen 1934 und 2014 entstanden sind, behandeln auf höchst unterschiedliche Weise die Sehnsucht, Angst oder Hoffnung des Heimkommens. Aber Rückkehr in der deutschen Geschichte bedeutet eben immer auch das Risiko, nichts von dem Erwarteten wiederzufinden, und sei es, weil die „Heimat” von Vorne herein Fiktion oder Konstruktion war.


In der Zusammenstellung der Filme bin ich von „gegenmagnetischen” Filmpaaren ausgegangen, die die Kraft- und Bruchlinien deutscher Geschichte besonders deutlich sichtbar werden lassen. Das sind meine (imaginierten) Paare:


DER VERLORENE SOHN (Trenker) / STROZEK (Herzog)

Zwei Deutsche in den USA, auf der Suche nach dem Glück.


Der verlorene Sohn von Luis Trenker (DR / USA 1934) – spielt 1934

Trenker spielt Tonio, der nach einem Bergunglück nach New York geht, im Schatten der Hochhäuser aber erkennt, dass die Dolomiten seine wahre Heimat sind. Die mit versteckter Kamera gedrehten Elendsszenen waren laut Rossellini „wegbereitend” für den Neorealismo und Grund für das Verbot des Films ’45.

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Stroszek von Werner Herzog (1977) – spielt 1977

Bruno Stroszek (in Variation seiner selbst), Straßensänger, verläßt Berlin, um sein Glück in Amerika zu suchen. Zusammen mit der Prostituierten Eva (Eva Mattes) und seinem Nachbarn landet er in Wisconsin. Doch das Glück bleibt aus. Karge, herzzerreissende Moritat zwischen Dokument und Erfindung.



DECISION BEFORE DAWN (Litvak) / ICH WAR NEUNZEHN (Wolf)

Zwei Deutsche, die mit dem Feind, als Feinde, nach Deutschland zurückkehren.


Decision before dawn von Anatole Litvak (1951) — spielt 1944

Oskar Werner lyrisch ernst als Kriegsgefangener, der sich der US-Army zur Verfügung stellt, Stellungen in der Heimat auszukundschaften. Der Blick auf Deutschland, der so entsteht, ähnelt einem Tauchgang. Gerade weil die äussere Handlung eher unspektakulär bleibt, erscheint jeder Blick gefährlich.

&

Ich war neunzehn von Konrad Wolf (1968) — spielt 1945

Konrad Wolf erzählt entlang ähnlicher, eigener Erfahrungen, wie ein junger Deutscher mit der Roten Armee nach Deutschland zurückkehrt. Jaeckie Schwarz gibt „Gregor Hecker” überzeugend brüchig als eine Art kulturelles Waisenkind, das nur zögernd begreift, was ihn dieses verheerte Land angeht.


DER VERLORENE (Lorre) / PHOENIX (Petzold)

Wie das Überleben überleben?

Phoenix von Christian Petzold (2014) — spielt 1945

Wie das Überleben überleben? Die Jüdin Nelly kehrt aus dem Lager mit einem anderen Gesicht zurück in ihre alte Welt. In einer Art Frankenstein-Technik setzt der Film seine Fragen an die Geschichte zusammen, so dass die Geister anderer Geschichten, realer, geträumter, gefilmter, in ihr aufscheinen.

&

Der Verlorene von Peter Lorre (1951) — spielt 1943/1945

Peter Lorre spielt in seiner einzigen Regiearbeit Dr. Rothe, einen Serumforscher, der seine Verlobte im Affekt tötet, aber nicht verurteilt wird, weil seine Arbeit als „kriegswichtig” gilt. Sein quälendes Schuldgefühl überlebt den Krieg – und wird umso mehr als ansteckend und unerwünscht empfunden.


ALICE IN DEN STÄDTEN (Wenders) / SABINE KLEIST, 7 JAHRE (Dziuba)

Kann man sein Zuhause wählen?


Alice in den Städten von Wim Wenders (1974) – spielt 1974

Wim Wenders’ zärtlichster Film beschreibt die Rückkehr von Philip Winter (Rüdiger Vogler) nach Deutschland als eine tastende Bewegung. Das ihm anvertraute Kind – und dessen nur ungefähre Kenntnis der Heimat, auf der Suche nach dem Haus ihrer Großmutter – ist dabei Katalysator der (Selbst-) Findung.

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Sabine Kleist, 7 Jahre von Helmut Dziuba (DDR 1982) – spielt 1982

Bei einem Unfall verliert Sabine ihre Eltern. Im Kinderheim wird die Erzieherin Edith ihre wichtigste Bezugsperson. Als Edith schwanger wird und den Beruf aufgibt, reagiert Sabine verzweifelt und reißt aus dem Heim aus. Was Dziubas Kinderfilme hervorhebt ist ihre Offenheit für die Möglichkeiten seiner Darsteller.


URLAUB AUF EHRENWORT (Ritter) / BUNGALOW (Köhler)

Soldaten auf der Suche nach einem Grund, zurückzugehen.

Urlaub auf Ehrenwort (DR 1938) von Karl Ritter — spielt 1918


Ende des 1. Weltkriegs: Ein Zug deutscher Soldaten passiert die Stadt Berlin. Vier Ortsansässige erhalten „auf Ehrenwort” Urlaub. Jeder der Männer muss einen Grund finden, das Versprechen zu halten. Propagandistischer Episodenfilm, in der die Abstraktion „Heimat” über die Konkretion „Zuhause” siegt.

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Bungalow von Ulrich Köhler(2002) – spielt 2002

Köhlers Debüt hat die Schönheit eines Popsongs. Wie Bartleby bei Melville ist auch Paul weniger Verweigerer als Verzögerer. Er entfernt sich „unerlaubt von der Truppe”, aber geht nicht nur dem Kriegsdienst, sondern jeder Festlegung aus dem Weg. Doch auch Zuhause ist kein Platz für Ausweichbewegungen.



ABSCHIED VON GESTERN (Kluge) / PAUL (Lemke)

Zwei Misfits, die die Klassenfrage stellen.


Abschied von gestern von Alexander Kluge (1966) – spielt 1966

Ein Kaleidoskop der Widersprüche: Anita G. (Alexandra Kluge), als Kind jüdischer Eltern in Leipzig geboren und in der DDR aufgewachsen, versucht in der Bundesrepublik Fuß zu fassen. Doch das Land spricht eine andere Sprache. „Uns trennt von gestern kein Abgrund, sondern die veränderte Lage“ (Kluge).

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Paul von Klaus Lemke (1974) – spielt 1974

Aus einer ganz und gar formelhaften Situation – ein Gangster wird aus dem Knast entlassen und will alte Rechnungen begleichen – entwickeln Klaus Lemke und sein wunderbarer (Selbst-) Darsteller Paul Lyss das Maximum an lustvoller, wahnsinniger Unberechenbarkeit. 

HEIMKEHR (Ucicky) / UNTER DEN BRÜCKEN (Käutner)

Die Gewalt der Konstruktion gegen das Fliessende: Gegensätze im NS-Kino.

Heimkehr (1941) von Gustav Ucicky — spielt 1939


Die besondere Infamie dieses Films liegt in seinem antisymmetrischen Verhältnis zur Wirklichkeit: fanatische Polen verfolgen unschuldige Deutsche. Die so konstruierte „Sehnsucht nach Heimkehr” sollte die Zwangsumsiedlung der Wolhyniendeutschen, Folge des Hitler-Stalin-Paktes, rechtfertigen.


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Unter den Brücken von Helmut Käutner (1944) – spielt 1944

Der Film handelt von der Unmöglichkeit der Heimkehr auch insofern, als die deutschen Städte während der Dreharbeiten schon Ruinen waren, was sich aus der Perspektive „unter den Brücken” gerade noch verbergen liess. Man drehte weiter, um gegen den Krieg zu träumen und um nicht kämpfen zu müssen.


DIE EHE DER MARIA BRAUN (Fassbinder) / DIE UNERZOGENEN (Marais)

Gesellschaft als ein Rahmen, in dem Gefühle stören.


Die Ehe der Maria Braun von Rainer Werner Fassbinder (1979) — spielt 1943-1954

„Es ist eine schlechte Zeit für Gefühle“ sagt Maria Braun (Hanna Schygulla). Im Glauben, ihr Mann sei gefallen, geht sie pragmatische Allianzen ein, die sie materiell absichern. Aber Herrmann kommt zurück. Fassbinders Geschichten sind immer schon Historienfilme: sie interessieren sich dafür, woher die Gewalt kommt – und wie sie sich fortsetzt.

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Die Unerzogenen von Pia Marais (2007) – spielt 2007

Stevie (C. Chuh) wächst ohne festes Zuhause auf. Mit wechselnden Freunden driftet ihre Familie durch Europa. In einem Kölner Vorort kommt die Karawane plötzlich zum Stehen. Ein Film über Eltern, deren Rebellion von Tag zu Tag kindischer, und über ein Kind, deren Sehnsüchte immer erwachsener werden.