31 Juli, 2011

Ein Bild von einem Bild






Zeigt nicht zuletzt, wie schön die Derivate einer Einstellung sein können: David Hemmings vergrößert das Geheimnis, in Michelangelo Antonionis BLOW-UP (UK 1966).

30 Juli, 2011

the last walk home



Für mich eine der schönsten Sequenzen des amerikanischen Kinos: „the last walk home” von George Amberson Minifer, im letzten Drittel von Orson Welles' großartiger Filmruine THE MAGNIFICENT AMBERSONS (USA 1942).

Danke: U.K.

Vorschlag

Ich möchte im Folgenden eine neue Auflösungs-Variante vorschlagen, die den erzähloperativen Prozess mehr oder weniger vollständig in die Zuständigkeit der Postproduktion verschiebt - was helfen könnte, Zeit und Geld zu sparen zugunsten einer „tieferen” Schauspielarbeit.

Zu den Vorläufern meiner Idee gehört die unter Filmleuten verrufene 4:3-Rekadrage von Widescreen-Filmen via Pan & Scan und auch die - viel kompliziertere - Motion-Capture Technik à la Zemeckis und Cameron.

Beide Filmemacher sind mir vom Ergebnis her gesehen herzlich egal, aber als Innovatoren der Produktionstechnik interessieren sie mich. Ihre jüngsten Versuche funktionieren in etwa so: Schauspieler in „Strumpfhosen” (verkabelten Anzügen) spielen Szenen im trockenen Studio, Bewegung und Mimik werden aufgezeichnet und später auf einen virtuellen Avatar übertragen (der sehr fremd, aber auch sehr ähnlich aussehen kann). Architektur, Hintergründe usw. werden später hinzugefügt. Wesentlicher noch: auch Licht, Kamerastandpunkt und -ausschnitt werden erst in der Postproduktion festgelegt.

In Falle von Zemeckis' (BEOWULF, THE POLAREXPRESS, A CHRISTMAS CAROL) fand gar keine Kadrage on set mehr statt; Cameron dagegen hat bei AVATAR mit einer „nackten Kamera” nach Einstellungen gesucht und diese virtuell gedreht. In einem Interview spricht er davon, dass jeder Take individuell „wie eine Schneeflocke” sein solle; die Aufzeichnung dieser Takes bezog sich freilich nicht mehr auf ein Filmbild, sondern auf die Bewegungs- und Raumkoordinaten des Bildrahmens.

Neu und aufregend an diesem Aufbau ist die zeitliche Verschiebung des „Aggregatszustandes” des Bildes. Während die Aufnahme in der klassischen Produktionsweise nur am Set „flüssig” d.h. frei manipulierbar ist, und im Schneideraum mehr oder weniger nur mehr Übergänge (Schnitte, Blenden etc.) gestaltet werden können, findet plötzlich die ganze erzählpraktische Arbeit - was sieht die Kamera wie? - in der Postproduktion statt. Der „Dreh” selbst besteht nur mehr aus Schauspielarbeit, aus der Interaktion der Akteure im (freien) Raum.


Tom Hanks und sein digitaler Stellvertreter in Zemeckis' POLAREXPRESS (USA, 2004).

Die Nachteile von Motion Capture liegen auf der Hand. Die Spielsituation ist vollkommen abstrakt. Der Raum als Faktor, der sich produktiv ins Schauspiel einmischt (der Türrahmen, das Spiel mit einem Gegenstand etc.), fehlt weitgehend. Die simulierte Reflexion der Avatare kann mit dem komplexen Lichtspiel der Wirklichkeit nicht im Entferntesten mithalten. Auch der Auflösung fehlt ein gewisser produktiver Widerstand; die totale Verfügbarkeit der „günstigsten” Perspektiven wird schnell langweilig - von den Kosten dieser Technik ganz zu schweigen.

Was mir vorschwebt ist verwandt mit Motion Capture nur insofern, als dass ich mich auch für die „Abschaffung” der Kamera- und Lichtumbauten innerhalb einer Szene (und dem daraus resultierenden Wiederholungszwang für die Schauspieler) interessiere. Auf analoge Licht- und Raumverhältnisse würde ich jedoch um keinen Preis verzichten wollen.

Meine Idee, nennen wir sie für den Moment Mastershot Coverage Technique (MCT), sieht vor, eine Szene in ein oder maximal zwei (90° zueinander stehenden) hochauflösenden Mastershots aufzunehmen und erst im Schneideraum dann in kleinere Einheiten („Einstellungen”) zu rekadrieren bzw. mit simulierten Fahrten zu „befragen”.

Diese Mastershots wären noch keine Bilder, eher Blickfelder, die die wesentlichen Aktionen einer Szene erfassen. Wenn man so will ein Coverage-System, aber eben nur aus einer (oder zwei) Richtungen und ohne die üblichen Symmetrien (Schuss-/Gegenschuss). Man käme so zu einer sicherlich gewöhnungsbedürftig „flachen” Bildanmutung, vergleichbar mit der Ästhetik eines Zooms, wäre aber von der zeitraubenden Arbeit mit immer neuen Kamera-Set-ups (die wie gesagt Lichtanpassungen nach sich ziehen und die Schauspieler zu Wiederholungen zwingen) weitgehend befreit, ohne deshalb auf erzählerische Zuspitzungen und Betonungen verzichten zu müssen.

Die „Einstellungen” d.h. die Ausschnitte aus dem Mastershot, hätten notgedrungen eine andere Bildqualität, je enger der Bildausschnitt, desto schlechter. Es könnte reizvoll sein, diese Unterschiede beizubehalten (die Bilder würden auf diese Weise von ihrer „Abstammung” sprechen), aber natürlich wäre es auch möglich, sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunterzurechnen.

In UNTER DIR DIE STADT haben wir, als ersten kleinen Test in diese Richtung, Vergrößerungen als Splitter in halbtotal aufgelöste Szenen eingefügt. Den Vergrößerungscharakter der Splitter haben wir dabei bewusst nicht kaschiert - mit interessanten Ergebnissen, wie ich finde. Weil das Ausgangsmaterial (in unserem Fall RED) subjektiv einen Detailüberschuss produziert, konnten wir mit Vergrößerungsfaktoren bis zu 400 Prozent operieren, was für eine Dialogszene eine „Spannweite” von der Totale bis zum Extremen Close Up bedeutet. Eine ungeahnte Freiheit in der visuellen Modulation einer Szene.


UNTER DIR DIE STADT: Die ursprüngliche Einstellung...


... und eine Vergrößerung daraus, die wir als Großaufnahme eingeschnitten haben.

Aber zurück zur Mastershot Coverage Technique: Für den Anfang würde es vielleicht genügen, sich auf relativ stationäre Schauspielszenen zu beschränken. Als Weiterentwicklung wäre denkbar, mit mehreren verschalteten Kameraeinheiten auch kompliziertere Raumfügungen zu covern.

Ein Beispiel dazu habe ich zufällig im Making-of zu Finchers THE SOCIAL NETWORK entdeckt. Aus verschiedenen Gründen (die alle mit der Weigerung der Harvard University zu tun haben, die nötigen Drehgenehmigungen zu erteilen) hat man den großen etablierenden Schwenk am Anfang des Films mehr oder weniger im Sinne meines Vorschlags gedreht (so viel zum Thema „neu”). Drei stationäre Red-Kameras „covern” Mass. Ave und Harvard Square. Die drei perspektivisch nicht ganz kongruenten Bilder werden digital korrigiert und am Computer zusammengebaut. Die so gewonnene Supertotale (= „Blickfeld”) ist Grundlage des langsamen, etablierenden Schwenks, der dem laufenden Zuckerberg folgt (das Bild folgt direkt nach der Trennungsszene in der Bar am Anfang). Der fertigen Aufnahme im Film ist seine Herstellung nicht anzusehen, oder nur insofern, als dass der Schwenk (der in Wirklichkeit eine virtuelle Bewegung ist) unverschämt präzise ist.


Drei Red-Kameras auf dem Dach ...


... covern das Blickfeld des vorgesehenen „Schwenks”. Die Aufnahmen werden später am Computer zusammengesetzt:


Eins ...


Zwei ...


Drei. Im nächsten Arbeitsgang müssen die Übergänge geglättet werden - dann kann das virtuelle Schwenken beginnen (Alle Bilder aus dem Making-Off; die fertiggestellte Sequenz habe ich auf Youtube leider nicht finden können, sonst hätte ich sie hier eingebunden).

So weit, so vielversprechend. Trotzdem habe ich meine Zweifel, ob dieses Prinzip pauschal für einen ganzen Spielfilm gelten sollte. Ich sehe vor allem zwei Gefahren: Monotonie und „Verflachung”. Monotonie, weil die Möglichkeiten der Rekadrage natürlich endlich sind und ein pauschales Mittel natürlich auch zu pauschalen Lösungen führt. „Verflachung”, weil die Blickrichtung auf eine Handlung immer gleich bliebe, nicht nur keine „Erfrischung” durch eine neue Perspektive gegeben wäre, sondern womöglich nicht der sinnfällige, verständliche Blick auf eine Sache möglich wäre. Lediglich der Bildausschnitt wäre jeweils neu.

Wenn ich versuche, mir die Auswirkungen dieser Technik auf eines meiner Projekte vorzustellen, entsteht sofort eine starke Polarität: es gibt Szenen, die zu dem Vorschlag passen und andere, die sich dagegen sperren. Deshalb möchte ich hier noch einen weiteren Vorschlag machen, direktes Resultat meiner letzten beiden Dreherfahrungen: die zweigleisige Produktion.

Mein Vorschlag wäre, das Drehbuch in minimalistische und „maximalistische” Szenen zu unterteilen und entsprechende personelle / produktionelle Konsequenzen zu ziehen. Minimalistische Szenen: kleines Team, MCT. Maximalistische Szenen: größeres Team, differenzierte Auflösung.

Im Interviewbuch von Peter Bogdanovich erzählt ein Regisseur (Howard Hawks?), dass er Regisseure, die jede Szene gleich ernst nähmen, nicht ernst nehmen könne. Regie, das sei die Fähigkeit, das wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Jeder Film enthalte zwei oder drei entscheidende Momente, Schlüsselszenen, und der Rest müsse „nur laufen”. Diese Sichtweise ist mir sehr sympathisch und die oben skizzierten Werkzeuge könnten helfen, Raum (und Zeit) für diese wesentlichen Szenen zu schaffen. Ziel wäre nicht die nahtlose Immersion, von der zur Zeit so viel die Rede ist, sondern ein lebendiges, bewusst heterogenes Kino unterschiedlicher Intensitäten und Ausarbeitungsgrade, das seine Herstellung und Grenzen nicht verbirgt.

P.S.:
Für mein neues Projekt, LICHTJAHRE, das ich hoffe, nächstes Jahr zu drehen, werde ich diese Ideen einem Praxistest unterziehen. Ich bin gespannt.


UPDATE:
Georg Boch hat mir eben einen Hinweis geschickt, eine neue Entwicklung des Fraunhofer-Instituts betreffend, die meinen Vorschlag technisch entgegenkommt. Faszinierend.


(Dieser Text ist der Versuch einer Antwort auf die Probleme, die ich in dem Post Permanent Experiment skizziert habe. Wer also Kontext vermisst, sei darauf verwiesen.)

18 Juli, 2011

Unter Druck

Ferien. Habe mir gestern einen Film auf der Couch liegend angesehen, das Laptop gekantet auf der Brust. Eine Haltung, die einerseits ein halbwegs intimes Verhältnis zum Bild erlaubt, andererseits für einigen Druck sorgt. Auch wenn der Film so gut ist, dass man vergisst, wie man ihn sieht, vermischt sich das Gewicht des Geräts mit dem Seherlebnis, wie man das aus Träumen kennt, in denen die zu Boden gerutschte Decke einen Schneesturm auslöst. Gestern hat es gut gepasst:



DECISION BEFORE DAWN (USA 1951, Regie: Anatole Litvak, Drehbuch: Peter Viertel, Carl Zuckmayer), dem generischen Titel zum Trotz ein im besten Sinne eigenartiger Film, gedreht überwiegend an Originalschauplätzen in Deutschland. Oskar Werner lyrisch ernst als deutscher Soldat in Gefangenschaft, der sich den Amerikanern freiwillig zur Verfügung stellt, Stellungen in der Heimat auszukundschaften. Der Blick auf Deutschland, der so entsteht, ähnelt einem Tauchgang. Gerade weil die äussere Handlung eher unspektakulär bleibt, erscheint jeder Blick, jedes Wort gefährlich. Dieser Kunstgriff ist genial: einen Deutschen unter Deutschen zu zeigen, der als „guter” Verräter doppelt fremd auf das Land blickt, für das er gerade noch gekämpft hat...