29 April, 2012

Angriff der Gegenwart

Unter der Überschrift „Angriff der Gegenwart” mache ich am 7. Mai 2012 ein neues Revolver Live (Volksbühne/Roter Salon), und zwar mit Jessica Krummacher (TOTEM), Hannes Lang (PEAK), Maximilian Linz (DAS OBERHAUSENER GEFÜHL) und Timo Müller (MORSCHOLZ). Vier Debüts, vier junge Stimmen, die so etwas wie eine neue Generation bilden - im Gespräch über Ästhetik, Politik und Gegenwart des deutschen Kinos. Mehr dazu hier.

22 April, 2012

Zeitung lesen



Was die Welt mit ihrem Bild in den Medien zu tun hat - darum geht es in meinem nächsten Projekt, einem Thriller um einen Journalisten, der in das Kraftfeld einer Lobby gerät. Aber auch in FALSCHER BEKENNER und UNTER DIR DIE STADT spielen falsche Schlagzeilen eine gewisse Rolle. Oben lesen Manfred Zapatka und Viktoria Trauttmansdorff im fiktiven Boulevardblatt „MG Stadtbild” (Fake von Melanie Polack), unten studiert Angelika Bartsch die erfundene Finanzzeitung „Intl. Banking” (Fake von Kikkerbillen).

15 April, 2012

Robust?

Letzte Woche war ich in Dreux, um vor Schülern eine „leçon de cinéma” zu geben. Anhand von Ausschnitten – aus meinen und anderen deutschen Filmen, von Wenders bis Fleischmann – sollte ich zum Thema „Deutschland filmen” sprechen. Ich war also auch als Botschafter gefragt. Das Interessante war die Inbrunst, mit der ich unwillkürlich auf Ausschnitte hoffte, die die jungen Franzosen für das Kino meines Landes einnehmen würde. Nicht nur meine eigenen Filme, auch die der Kollegen wünschte ich mir weniger verletzlich, eindeutiger „gut”. Nach der Lektion bin ich darüber mit meinem Gastgeber (dem Kritiker Thierry Méranger) ins Gespräch gekommen. Wie fragil das deutsche Kino doch sei, meinte ich, ausweislich der gewählten Ausschnitte, und wie beneidenswert mir in diesen Augenblicken die amerikanische Stabilität erschiene. Er erzählte, dass es ihm bei der Zusammenstellung eines US-Independent-Programmes im letzten Jahr darum gegangen sei, amerikanische Filme zu zeigen, so „zerbrechlich wie unsere”. Dann sprachen wir von gelegentlichen Versuchen des französischen Kinos, zu einer „amerikanischen Robustheit” vorzustossen. Jacques Becker fiel uns ein, Jean-Pierre Melvile mit Abstrichen, Louis Malle in einigen Filmen. Vielleicht war Robustheit auch, was Truffaut suchte, auch wenn mich die härter gebackenen Filme nicht überzeugen. Und ist nicht Fassbinders Para-Hollywood der späten Jahre einer ähnlichen Sehnsucht geschuldet? Nichts „beschützt” einen Filmemacher so gut wie die Konvention - aber in der Konvention wirklich lebendig zu bleiben, das gelingt nur wenigen Europäern.

13 April, 2012

Virus

„Psychologische Plausibilität ist ein Virus, gegen den die Wirklichkeit immun ist.”

12 April, 2012

Blattschuss




„Von allen Dingen, die man der Berliner Schule vorwerfen kann, ist der Mangel an Unverschämtheit und Zumutung das Tödlichste.”

(aus einer Unterhaltung)

04 April, 2012

Typisch?

Auch wenn wir alle eine Vorstellung davon haben, was „typisch deutsch” ist - oder typisch für einen deutschen Film -, bleibt es heikel, diesen so genannten „Volkscharakter” zu buchstabieren oder konkret zu benennen, wie er sich kreativ ausprägt. Mir liegt nichts daran, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Trotzdem möchte ich hier eine Beobachtung teilen, die ähnlich summarisch vom deutschen Film, vom deutschen Erzählen überhaupt spricht. Mir scheint, es habe in der überraschend vielseitigen, aber auch bruch- und narbenreichen deutschen Filmgeschichte Erfindungen in beinahe jedem Aspekt des Mediums gegeben, die auf die eine oder andere Art Einfluss auf das Weltkino hatten.

Ein paar Schlaglichter: Fritz Lang als der vielleicht wichtigste Innovator des Genrekinos, der (Film-) Expressionismus als Vorbild der Raum- und Weltsicht des Film Noir, der Einfluss Lotte Reinigers auf Disney, Richard Oswalds ANDERS ALS DIE ANDEREN als Vorreiter in der Darstellung von Homosexualität, G.W. Pabsts DIE BÜCHSE DER PANDORA als Starmaker – und „erster Film, der eine lesbische Frau zeigte”, die „Entfesselung“ der Kamera in DER LETZTE MANN bei Murnau und die Folgen, Schüfftans Kameratricks und Erich Kettelhuts Bauten in METROPOLIS und ihr Echo auf zahllose Science-Fiction-Filme, die DREI VON DER TANKSTELLE und sein Einfluss auf das Filmmusical, die „symphonische Montage” bei Ruttmann und seine Nachahmer, MENSCHEN AM SONNTAG als Geburtshelfer des Neorealismus, Riefenstahls Ästhetik der Überwältigung als Grundlage der Werbeästhetik, Fassbinders IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN als Pate Almodóvars und des queeren Kinos, RWFs BERLIN, ALEXANDERPLATZ und Reitz' HEIMAT als Vorboten komplexen epischen Fernsehens, Syberbergs HITLER und sein Einfluss auf Francis Coppola, Cindy Sherman und Lars von Trier, LOLA RENNT als Pionier des Schicksalsvariantenfilms usw. usw.

Auffällig wenige Beispiele fallen mir hingegen ein, wenn es um das Erzählen von glaubwürdigen Charakteren geht. Das fängt schon damit an, dass ich nur wenige Figuren des deutschen Kinos beim Vornamen kenne, es sei denn, der Titel verrät sie. Kaum einer der wichtigen deutschen Filme lässt sich als Portrait verstehen. Die meisten haben Ideen oder Themen, oft sind es formale Neuerungen, die die Filme aus der Masse heben. Ich meine – aber ich kann mich täuschen – dass das auch für die Literatur zutrifft. Die besten Romane (von, sagen wir, Goethe bis Kafka, von Mann bis Brinkmann) beschreiben eher Systeme oder Zustände, das Personal ist eher Symptom als dass es Ursprung der Geschichten wäre. Das soll nicht heissen, dass es an einprägsamen, großen Figuren fehlte. Aber gerade die unvergesslichen Figuren sind oft genug nicht aus der Beobachtung gewonnen, sondern sind Allegorien, Funktionäre einer Absicht, Fantasie-Wesen.

Ich weiss, der erste Oscar überhaupt ging an einen deutschen Schauspieler, Emil Jannings, aber Jannings ist das beste Beispiel für das, was ich meine. Ohne Frage hat er als „letzter Mann” (bei Murnau) beeindruckt, aber eben nicht als glaubwürdiger Charakter, sondern als Idee. Sein exaltiertes Spiel ist unbedingt unterhaltsam, aber gewissermassen unbescheiden gegenüber der Wirklichkeit. Diesen Mann kann es so nie gegeben haben, er verkörpert keine soziale Wirklichkeit. Dagegen ist durchaus nichts zu sagen, ich frage mich nur, was dieses Absehen von Erfahrung, die Aversion gegen Recherche und Psychologie bedeutet. Ich schreibe das als jemand, der sich immer wieder gegen die Psycho-Logik im Film geäussert hat.

Ich habe gerade – mit dem größten Vergnügen – die beiden BBC-Mehrteiler von Le Carrés Smiley-Romanen gesehen. TINKER, TAILOR, SOLDIER, SPY und SMILEYS PEOPLE. Film als Portraitkunst: Es geht für Drehbuch, Regie und Schauspiel wirklich nur darum, Menschen in den kleinsten sprachlichen und gestischen Nuancen zu „verwirklichen”. Handlung heißt hier eine Begegnung nach der anderen zu organisieren, in der sich die Figuren „verraten”. Die filmische Gestaltung tritt auf angenehme Weise in den Hintergrund, bleibt noch in den größten Ausnahmesituationen konventionell. Die Schauspieler aber sind glaubwürdig, schlüssig, ganz im Dienst ihrer Charaktere (was man im Falle der mittelmässigen Neuverfilmung leider nicht behaupten kann), machen die Figuren und ihre Widersprüche so lebendig wie ich es selten überzeugender gesehen habe. Vielleicht ist das ja ein englisches Talent - von den Figuren auszugehen. Ich würde mir jedenfalls wünschen, auch für mein Kino übrigens, dass die Figuren im deutschen Film wichtiger werden, reifer, komplexer, eigendynamischer, und den einen oder anderen Film davontragen, den Themen oder ästhetischen Konzepten wegstehlen sozusagen. Was kann es aufregenderes geben als zu verstehen, wie ein anderer tickt, was ihn antreibt, wie er „ist”?

(Kommentare sind wie immer willkommen.)