20 September, 2008

Himmel ohne Sterne

Es wird so gerne über „deutsche Stars” geschrieben in der letzten Zeit. Manchmal bin ich versucht, mitzusingen in diesem Chor, Stimmung zu machen für die tollen Schauspieler, die es hierzulande gibt. Im poetischen Überschwang kann man sie gerne Sterne nennen, für's Blumige bin ich zu haben. Aber fehlt nicht der Himmel, auf dem sie leuchten könnten? Und wäre das so schrecklich?

Günther Rohrbach, Produzent großer Wegsteine des deutschen Films, schrieb 1983 in seiner Polemik „Die verhängnisvolle Macht der Regisseure”: „Filme, das waren Wünsche, Sehnsüchte, Ängste, Hoffnungen, erlebt und erlebbar gemacht durch Menschen, die größer waren als man selber, schöner, reicher, die das Produkt von Träumen waren. Der klassische Kinostar war entrückt und überhöht, fern aller Wirklichkeit, ein Wesen von unirdischen Glanz, ein Stern am Himmel.” Dass der damals gerade in die Jahre kommende Neue Deutsche Film (kurz vor seiner politischen Demontage) solche „Entrücktheiten” nicht hervorgebracht hatte, bedauert Rohrbach in seinem Text ausführlich - und macht dafür die „verhätschelten” Regisseure verantwortlich.

Aber auch 25 Jahre später gibt es - trotz der Wiedergeburt des Proudzentenkinos - wenig „unirdischen Glanz” im deutschen Kino. Stattdessen sind die „Stars” ganz zutrauliche Leute, die hart daran arbeiten, als bodenständig zu gelten, sich mit „alten Kumpels” brüsten, denen sie angeblich die Treue halten und entsprechende Rollen spielen, nach dem Motto: das nette Mädel / der junge Mann von Nebenan. Ein Missverständnis, finde ich, in zwei Richtungen: Zum einen ist ein „Star” eben nicht zu haben ohne Distanz, Kontrolle, Macht. Welcher Schauspieler in Deutschland hätte die Macht, sein öffentliches Bild präzise zu formen, über viele Filme hinweg, und dieses Bild mit einem „zuverlässigen” Begehren des Publikums zu verbinden? Zum anderen wäre es - Star hin oder her - angebracht, in die sympathische Wohlfühlmelodie ein paar Dissonanzen zu bringen, dem Kino zu Liebe.

Was mir am meisten fehlt im deutschen Film, das ist Gefahr - nicht nur um Leib und Leben, sondern auch Gefahr für den Seelenfrieden, die geistige Gesundheit und die erschlafften Lenden. Das Kino, von dem ich träume, ist aufregend im ursprünglichsten Sinne des Wortes, scharf und genau. Ich will Filme sehen, die meine Wahrnehmung intensivieren, mein Denken verändern, meine Sicherheiten in Frage stellen. Die Stars alter Prägung haben letztlich nur in ihren Vehikeln funktioniert, wo sie ihre Leinwandpersona varieren, sich aber nicht entwickeln durften. Ich sehe lieber Schauspieler, die mich zur Aufmerksamkeit verführen, Menschenkenner, die Widersprüche nicht vertuschen, Grenzgänger, die keine Angst haben, die Gunst der Schwiegermutter zu verlieren... Kurzum: keine netten Nachbarn, keine Stars in Cellophan, sondern lebendige Menschen.

18 September, 2008

Entwarnung!

Die Regisseurin Jutta Brückner hat in der neuen Ausgabe der Zeitung FREITAG eine (vage) Antwort auf meinen Blogeintrag „Das Rezept” geschrieben. Unterzeile: „Warum wir keine andere Filmförderung brauchen.”

Es freut mich natürlich, dass mein kurzer Text die Durchblutung fördert. Die Debatte ist mir willkommen. So richtig verstehe ich nach Lektüre des Artikels aber immer noch nicht, warum es in Ordnung sein soll, dass, Zitat Brückner, „immer mehr Filme gefördert (werden), die auf diesen großen, internationalen Markt zielen und dabei die Infantilität und den Kitsch bedienen müssen, die zwangsläufig mit der Herausbildung eines globalisierten Massengeschmacks verbunden sind.”

Nachlesen: http://www.freitag.de/2008/38/08381302.php



Brückner-Film HITLERKANTATE (D 2005)

P.S.:
Was Frau Brückner - deren unabhängige Meinung ich schätze - in ihrem Artikel unerwähnt lässt: dass sie selbst als BKM- Jurymitglied in der Filmförderung aktiv ist / war --- wie übrigens auch Marco Kreuzpainter.

Romuald Karmakar:

„Bis heute verstellt die Suggestion von Geschichte im Arthouse-Mainstream-Kino den Blick auf unsere Welt.”

Aus einem sehr lesenswerten FAZ-Artikel des Regisseurs über Margarete von Trottas „Die bleierne Zeit”.

http://www.faz.net/s/Rub8A25A66CA9514B9892E0074EDE4E5AFA/Doc~E6026FD988C5B4E4899F82012537D171A~ATpl~Ecommon~Scontent.html

An gleicher Stelle zu lesen: Domik Graf über Fassbinders „Die dritte Generation”, Nicolette Krebitz über Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum”, Tom Tykwer über den Gemeinschaftsfilm „Deutschland im Herbst” und Hans Steinbichler über Hauffs Filme „Messer im Kopf” und „Stammheim”.

12 September, 2008

Joachim Güntner:

„Innerhalb der RAF hiess das Unternehmen, die Stammheimer Gefangenen freizupressen, «Big Raushole». Was der Vorbericht zum Film im «Spiegel» liefert, eine Mischung aus Reportage und Rezension, könnte gut «Big Ranschmeisse» heissen. Der Rezensent zeigt sich als Meister der Einfühlung – in die Schauspieler. Als «Meilenstein für den deutschen Umgang mit der RAF» gilt ihm, und er meint das nicht satirisch, wie die Schauspielerin Nadja Uhl, die «sehr schön lächeln» kann und doch leider die hartgesottene Brigitte Mohnhaupt verkörpern muss, zu ihrer Rolle findet: dass Uhl alle biografische Recherche weglässt und sich darauf konzentriert, «das Töten in ihr Gesicht zu kriegen». Schmierenstücke solcher Art haben wir zuletzt gelesen, als es darum ging, Eichingers Produktion «Der Untergang» als Meisterwerk über Hitlers letzte Tage im Führerbunker zu verkaufen. Hoffentlich ist dieses Mal wenigstens der Film besser als die Publizistik.”

(Aus einem Artikel der NZZ vom 12.09.2008)

http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/die_raf__reif_fuer_grosses_kino_1.829626.html

07 September, 2008

Identifikation eines Lesers

Früher war es üblich, dem gelangweilten oder schlaflosen Hotelgast eine Bibel nahezulegen. Heute befindet sich im Nachttisch mitunter ein Kriminalroman, wie zum Beweis, dass unsere Religion Unterhaltung heisst. So oder so, ich habe „The Talented Mr. Ripley” vorgefunden und mit großem Vergnügen ohne Anzuhalten durchgelesen, womit meine Frömmigkeit hoffentlich bewiesen wäre...

Was ich so berückend fand, war das mit spitzen Fingern bereitete Vergnügen der Identifikation. Obwohl uns Highsmith keinen Moment darüber im Zweifel lässt, dass Ripley ein Schwein ist, wollen wir mit ihm „Erfolg” haben - was immer das heissen mag im Kontext seiner kleinen Hölle. Die Einfühlung in diesen verblüffend „normalen” Soziopathen geht parallel zur Identifikation Ripleys mit Dikie, so dass wir gewissermassen eine Spiegelung unserer eigenen Aktivität erleben - und uns selbst verdächtig werden. Nicht zufällig erreichen Ripleys empathische Anstrengungen ihren Höhepunkt, NACHDEM er Dikie umgebracht hat... Einen effektiveren Diskurs über die Einfühlung als „Ausgeburt” unseres Narzismus' kann ich mir kaum denken. Auf diese Weise hat der Roman sehr viel mit dem Kino zu tun, wenn auch reichlich wenig mit seinen Verfilmungen, was sehr für die Autorin spricht, die ich Snob wegen Minghella & Co bisher nie gelesen habe.

04 September, 2008

Musterlösung

Ich fahre gerne S-Bahn. Man sieht die Stadt, den Abriss hier, den Baufortschritt dort, kann eine Station lang oder zwei ein Gesicht studieren, erlebt Sprechweisen, Moden und Milieus, mit denen man privat nicht zu tun hat und während die Bewegung die Welt zum Bild verdichtet, schweifen die Gedanken.

Mehr als einmal allerdings bin ich bei meinen Gedankenflügen am Muster der Sitze hängen geblieben. Für Nicht-Berliner: Im Kampf gegen den Vandalismus in Form „getaggter” Oberflächen hat man sich vor einiger Zeit dazu entschieden, den Innenraum von vorne herein mit Geschmier zu verzieren. Ein grausig buntes Muster wurde nach der Massgabe entworfen, Vandalen den Spaß dabei zu verderben, selber ihre Edding-Kürzel zu hinterlassen.



Das funktioniert recht und schlecht, weil das Prinzip „Fame” kollabiert, wenn sich der „Künstlername” nicht vom Sitzbezug abhebt... stösst mir aber trotzdem übel auf. Nicht nur, dass ich, als Nicht-Vandale, mit der schier unüberbietbaren Hässlichkeit des Musters bestraft werde. Mich irritiert auch das Prinzip, dem Gegner so weit entgegenzukommen - vorauseilend kapitulierend sozusagen. Ist das nicht wie der sprichwörtliche Schuss ins Knie? Lieber verstümmele ich mich, als den Kampf aufzunehmen? Ich weiss, es geht nur um ein Sitzmuster - aber womöglich reicht diese Haltung über die S-Bahn hinaus.

Was wäre, wenn man in dieser Art Filme machte? Von einer „qualifizierten” Minderheit der Zuschauer das Schlimmste erwarten und deshalb vorauseilend und zynisch die ästhetische Niederlage vorwegnehmen - und sich freuen, dass es „funktioniert”. Oh ja, das gibt's. „Privat sehe ich auch gerne solche Filme, aber wir müssen ans Publikum denken.” höre ich oft. Für viele Medienmacher sind die Zuschauer eine feindliche, gesichtslose Masse, die man mit kalkulierten Geschmacklosigkeiten in Schach halten möchte...

Ich empfehle: S-Bahn fahren - und dem Nachbarn ins Gesicht sehen.