07 Oktober, 2006

Kleine Theorie des Populären (1)

Gestern habe ich in der Filmzeitschrift Shomingeki gelesen. In der Hauptsache werden Filme und Filmemacher besprochen, die mir unbekannt sind. T. schreibt ohne Prätention über seine Entdeckungen, sehr direkt. Er scheint sich auf sein Expertentum nichts einzubilden. Angenehm. Trotzdem hat sich meine Neugier bald verflüchtigt. Vielleicht, weil das Lesen über Filme interessanter ist, wenn man vom besprochenen Gegenstand eine eigene Anschauung hat, die man ins Verhältnis setzen kann.

Film ist immer auch ein Vehikel, um zu sprechen, ein wohlfeiles Thema, fast so präsent wie das Wetter und mitunter ebenso harmlos. Über einen unbekannten Film aber spricht sich nicht so leicht. Wer möchte über Wetter reden, das ihn nicht betrifft? Was ich also über einen Film lese, den niemand gesehen hat, werde ich sozial nicht umsetzen können. Diese Funktion hat das Schreiben über Film eben auch: den Leser mit Argumenten zu versorgen, die er für seine Debatten brauchen kann.

Populär ist demnach ein Kino, über das sich gut sprechen lässt. Und umgekehrt wird ein Film populär, über den viel gesprochen wird. Man will mitreden können. Ob der Film der Rede wert ist, ist letztlich zweitrangig – die Einbindung in den allgemeinen Diskurs ist Entschädigung genug, die individuellen Defizite des Films werden sozial beglichen.

Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Film nur von wenigen Menschen gesehen wird. Über die Qualität des Films sagt das nichts aus. Aber ganz ohne soziale Belohnung – und seien es die höheren Weihen cineastischer Zirkel – will kaum jemand ins Kino gehen. Das Kino ist als Massenmedium gruppendynamischen Prozessen unterworfen, und je mehr es seine Selbstverständlichkeit und Verankerung im Alltag verliert, desto stärker verlässt es sich auf gemachte Meinung.

Hollywood bietet ein ganzes Arsenal von Verknüpfungsangeboten auf, um seine Produkte ins Gespräch zu bringen, vom Set-Gerücht über den Skandal des (Bestseller-) Themas zur weitverzweigten Werbekampagne, die bis zu unseren Cornflakes dringt. PR-Agenturen spielen auf der Volksseele Klavier, in der Hoffnung, dass aus einem mutwilligen Funken ein Feuer hysterisierter Wahrnehmung wird. Den „armen Künstlern” bleibt der besonders spitze Ton, das exzentrisch gebrochene Tabu, von John Waters bis Lars von Trier.

Und wir anderen, die wir nicht die Gunst der großen Vertriebe und nicht das Talent zur Hemmungslosigkeit haben, bemühen uns um Zuschauer ohne Herdentrieb und verklären unsere Erfolglosigkeit als grausamen Ausdruck einer verkommenen Zeit.

Aber so verkommen war die Zeit schon immer, dass die Menschen im Kino diesen doppelten Trost gesucht haben: Im Film die Süße einer Welt zu schmecken, in der alles Sinn macht, sogar das Leiden. Und nach dem Film verbunden sein mit der Masse, die sich am selben Stoff gelabt hat. Was wäre daran auch so schlecht? Ist dieses Reden nicht wirkliche, soziale Zärtlichkeit, die sich nach zwei Stunden stummer Empfindsamkeit entladen muss?


Fortsetzung folgt.

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