01 August, 2021

Was uns tröstet

Alexander Kluge schrieb 1983 in seinen Thesen: „Videokassetten fordern Filme, die auf Wiederholbarkeit angelegt sind. Ähnlich einer Schallplatte. Niemand kauft Schallplatten, deren „Handlung” man nach einmal Abhören kennt. Das Rätselhafte erhält eine neue Chance.” 

Man kann sich darüber streiten, ob die Film-Konserven und mit ihnen die Wiederholbarkeit, die uns heute zur Verfügung steht, das Medium in Richtung „Rätselhaftigkeit” verändert haben. Vielleicht steckt in der These auch ein Widerspruch: was, wenn die technische Wiederholbarkeit gerade eine Handlung begünstigt, die man „nach einmal Abhören kennt”? 


Das wäre eine Debatte wert. Fest steht aber, dass wir erst seit der Videokassette im privaten Raum Filme wieder- und wiedersehen können. Und warum kommt man auf Filme zurück wenn nicht, weil man auf bestimmte Echo- oder Wiederholungseffekte hofft?


Katinka Narjes schreibt im aktuellen Revolver (Heft 44) „Nach vielen Wiederholungen gerate ich mit der Musik in einen somnambulen Zustand. Dann gelingt es mir, meine so innig liebgewonnene Stelle im Stück manchmal wie zum ersten Mal wahrzunehmen. Sie erscheint für einen kurzen Augenblick wieder überraschend und neu. Oft aber bleibt das vorherrschende Gefühl eines des Verlusts. So geht es mir auch mit Filmszenen, die plötzlich etwas in mir treffen. Der Film kann wieder gesehen werden, aber nun ist das Zuschauen immer in Erwartung darauf, ob sich das Gefühl wieder einstellen wird, oder nur eine Erinnerung daran nachhallt.” 


Trost im Film ist ein zirkuläres, vielleicht auch regressives Begehren. Aber vielleicht gehört zur Wirkungsweise des Tröstens auch die Abnutzung, das Wissen um die Leere der Formel. Der Trost wäre dann der einer beherrschten Zeit, der Überschaubarkeit. Auch Kindern spenden wir Trost mit der Wiederholung von Formeln. „Heile heile Segen, morgen kommt der Regen.” 


Wenn ich daran denke, wie wiederholungsselig meine Kinder bei der Wahl der Filme sind, dann hat das einerseits sicher mit einer – bis zu einem gewissen Grad vergeblichen – Jagd nach vergangenen Freuden zu tun, aber eben auch mit der Gewissheit, von keiner Abzweigung der Handlung überrascht (und damit womöglich auch verstört) zu werden. Vielleicht eignen sich traurige Filme deshalb besonders zur Wiederholung. Denn das Wiedersehen macht uns zu Wächtern eines unabänderlichen Schicksals. Man könnte auch sagen: beim Wiedersehen besiegen wir die Zeit, oder doch beinahe.



Welche Filme trösten mich? Eher nicht die Filme, die ich innig liebe. Denn ich habe Scheu, meine „heiligen” Erlebnisse mit der abgebrühteren Haltung in der Wiederholung zu überschreiben. Einige DVDs in meiner Sammlung habe gekauft, um sie mir nie anzusehen. Aber ich sehe gerne Filme wieder, die als zuverlässige „Maschinen” funktionieren, meine Gefühle zu sortieren. Oft sind das Genre-Filme, Western und Gangsterfilme, Film noirs, die ja ohnehin ihre Kraft aus der Variation des Bekannten schöpfen. 


Jacques Tourneurs OUT OF THE PAST ist wahrscheinlich der ideale Film für diesen Zweck. Er lässt sich beinahe ohne Verlust wiederholen, finde ich, vielleicht, weil er selbst eine Art Loop ist, aber auch, weil man die Verstrickungen der Handlung unterwegs vergisst. Und der melancholische Grundton, der „sense of doom”, verbindet sich anschmiegsam mit jedem Schmerz, an dem man leiden will.


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