30 März, 2018

Notizen zum Spiel von Danielle Darrieux

DD in Max Ophüls' LA RONDE (Frankreich 1950) – mit Daniel Gélin.

Widersprüche. Als junge Frau wirkt sie alt, als alte Frau jung. In ihrer Fröhlichkeit steckt ein trauriger Kern. In ihrer Traurigkeit ein Lächeln. Ihre Verletzlichkeit ist Stärke, ihre Stärke brüchig (Joseph Mankiewicz 5 FINGERS). Sie ist in einen Moment strahlend schön und im anderen unscheinbar, ja hässlich. Vielleicht könnte man sagen: Schon die Schönheit muss sie spielen.


Auch ihr Gesicht kennt zwei komplementäre Zonen: Madonnenaugen, die immer eine gewisse Schwere haben, und ein freches, bewegliches Mundwerk, das auch dann Schnuten ziehen kann, wenn der Blick keusch gesenkt wird (Henri Decoin PREMIER RENDEZVOUS). 

(Wenn man im Kino das Oben und Unten ihres Gesichtes mit der Hand abschirmt, wird dieser Widerspruch frappant.)

Fotografien von Darrieux haben nur wenig zu tun mit dem Bild, das sie im Film, d.h. in Bewegung abgibt. Ihr Fotogenie erwacht erst im Wechsel. Anders als bei „steinernen” Schönheiten à la Garbo lauern wir bei Darrieux auf das, was sich ändert. 

Max Ophüls beschreibt Darrieux' Polaritäten so: „Denn um die Darrieux herum liegen Leichtsinn und Glaube, Frivolität und Ernsthaftigkeit, Grazie und Grausamkeit, Lebensfreude und Tod. Alles das reflektiert aus ihr heraus in ihr Spiel, das zur Wahrheit wird, ehe man sich umdreht – und sicher, sobald man dreht.”


DD in Max Ophüls' LE PLAISIR (Frankreich 1952) - mit Jean Gabin (Coloriertes Szenenfoto).

Wenn Hitchcock über MM sagt, sie sei zu bedauern, weil der Sex ihr ins Gesicht geschrieben sei - dann steht DD am anderen Ende des Spektrums: ihr diskretes Spiel zwingt uns Zuschauer regelmäßig, die Gefühle auszuagieren, die hinter ihrer Maske schimmern. Ihre Kunst ist es, sich so zu entziehen, dass wir ihr zuvorkommen können.

In dieser Maske - dem gespielten Spiel - trifft sie sich mit Ophüls, den „Magician” dessen MADAME DE… ein Höhepunkt in beider Werk ist (siehe auch *). Im gespielten Spiel scheint ein Zwang auf, die Last der Maske, die Notwendigkeit sich zu verbergen, weil diese Welt, weil die Blicke der Anderen gefährlich sind. 

Die „Oberflächlichkeit” des Spiels, die erste Schicht, die ostentative Affektiertheit - ist für die Augen der Anderen, für die, die man täuschen muss, um zu überleben. Aber darunter liegt immer schon die Müdigkeit, die mühsam verborgene Sehnsucht, das wahre, das letzte Gesicht zu zeigen. Indem sie uns zeigt, dass sie sich nicht zeigen darf, indem sie die Anstrengung des Comment spüren lässt, zeigt sie uns - induktiv gewissermaßen - ihr wahres Ich. Dieses tiefere Sehen ist der Kamera, ist dem Zuschauer vorbehalten.

Bei Rilke („Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge”) heißt es, dass die Menschen eine endliche Zahl an Gesichtern hätten und manche ihr Gesicht schon so aufgetragen, vernutzt hätten, dass darunter das Nicht-Gesicht zum Vorschein komme. Daran musste ich denken bei Darrieux als „Madame de…”. Auch ihr Gesicht ist am Ende „an vielen Stellen dünn wie Papier” geworden, wie es bei Rilke heißt.


DD in Max Ophüls' MADAME DE (Frankreich 1953) – mit Charles Boyer.

Die Szene, nachdem der General (Charles Boyer) die Ohrringe zurück gekauft hat, und beide an der Lüge festhalten. „Ich lüge so schlecht” sagt sie, und er: „Ich weiß, aber es muss ja nicht zur Gewohnheit werden”. Das ist vielleicht die Apothese des Darrieux'schen Spiel des Spiels. Die ehrlichste Szene des Films. Alles muss verborgen werden um das Wesentliche sichtbar zu machen.

Immer wieder spielt sie Verlegenheiten, die zwei Schichten haben: die erste ist eine Täuschung, auf die wir nicht hereinfallen, damit wir ihr mit der zweiten umso mehr auf den Leim gehen... (Die Apfelszene in Decoins BATTEMENT DE COEUR). 


Ganz wesentlich zu ihrem Spiel gehören eruptive Beschleunigungen, die den ganzen Körper erfassen (wie am Anfang von Robert Siodmaks LA CRISE EST FINIE). Ihre Erotik ist mit diesen Energieschüben verbunden, die im Kern opportunistisch sind. „Lebensgier” hätte man das früher genannt. In keiner der Rollen, die ich erinnere, ist sie idealistisch, fromm, bigott oder bieder. Aber bei allem Überlebens- und Aufstiegswillen bleibt eine Reserve. Alles hat seinen Preis: das ist Darrieux' Realismus. 

Dass sie ihre Karriere während der deutschen Besatzung nahtlos fortgesetzt hat – und mit ihrer Mitwirkung in Produktionen der von Berlin kontrollierten Continental-Film zur schnellen „Normalisierung” beigetragen hat – passt ins Bild.


Darrieux fasziniert mich nicht zuletzt, weil ich nie sicher bin, wer sie ist, was sie wirklich denkt und fühlt - und dieses Geheimnis wird vergrößert noch von dem Gefühl, dass sie sich auch selbst ein Rätsel war.


(Geschrieben zur Vorbereitung eines Gespräches für eine Arte-Dokumentation über Danielle Darrieux, Regie: Pierre-Henri Gilbert, aufgezeichnet letzte Woche.)

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