21 Juni, 2016

(Wieder-) Gesehen [8]


EXHIBITION (Joanna Hogg, GB 2013)


Ein Film über ein Haus als einen Körper, in dem die Innereien rumoren. Zwei Künstler, professionell, selbstbezogen, post-solidarisch, geben die „Organe”, die sozusagen nervlich verbunden sind, aber nicht wirklich miteinander leben. Das Haus gängelt, beschützt, beschneidet, ist Festung und Gefängnis, Schaufenster und Spiegel; lange scheint es, als seien seine Bewohner zu fest vernabelt, zu regressiv, um auch nur vor die Tür zu treten. Am Ende muss das Haus buchstäblich verzehrt werden, der Wind, der Wind, das himmlische Kind, damit ein neues Leben, ein anderes Verhältnis zum Aussen möglich wird – aber zu großem Optimismus, der Aussicht auf eine echte Befreiung, persönlich und politisch, gibt der Film wenig Anlass.




DER NACKTE MANN AUF DEM SPORTPLATZ (Konrad Wolf, DDR 1974)


Es ist manchmal zum Verzweifeln mit dem deutschen Film. Warum nur ist dieser großartige, lebensvolle Film nicht bekannter? So ungefähr stelle ich mir erzählerische Reife vor: es geht um Alles und Nichts, um Vergangenheit und Gegenwart, um das Sichtbare und um das Unsichtbare. Im Mittelpunkt steht der Bildhauer Kemmel und die Frage nach der Stellung des Künstlers in der Gesellschaft. Kemmel hat vergleichsweise viel Platz, und ist zugleich gut geerdet, aber dass der Film über sozialistische Ideale weit hinaus geht, hat nicht nur mit Kurt Böwes charismatischem Phlegma zu tun, sondern auch mit Konrad Wolfs Insistieren auf dem Beinahe, dem Scheitern, den Wunden der Vergangenheit. Wolfgang Kohlhaases kluges Buch verzichtet dabei weitgehend auf Pointen, lässt die Szenen nebeneinander stehen, in lockerer Reihung. Erst in der Rückschau wird klar, wie genau die Dramaturgie gearbeitet ist. Großartig.




THE ASCENT (Larisa Shepitko, UdSSR 1977)


Russische Partisanen, im Winter, von den Deutschen gejagt. Die Welt ist schwarz-weiss, Sein oder Nicht sein. Der Auftrag, Essbares zu organisieren, holt zwei Männer aus der Gruppe. Der Film folgt den beiden durch Schnee und Eis bis in die Hölle deutscher Gefangenschaft, und er bleibt erstaunlich differenziert dabei, macht aus den Entbehrungen kein Heldenlied, bleibt auf Augenhöhe. Aber dann bricht der Film für mich. Denn Shepitko, die viel zu früh gestorbene, genialisch begabte Regisseurin, geht im Gefängnis ganz ins Gleichnishafte – und überhöht das Opfer, zelebriert den Märtyrer, während sie den, der überleben will, zum Verräter macht. (Interessanterweise verzichtet Sergei Loznitsas Beinahe-Remake IM NEBEL von 2012 auf diesen Dostojewksi-Christus).




LES FAVORIS DE LA LUNE (Otar Iosseliani, Frankreich 1984)


Ein Film, der „kleine Welt” spielt und den Kurzschluss ganz unverblümt zur Methode macht. Das Ergebnis ist eine verblüffend anregende Vernetzung des Unverbunden, eine Vorahnung der absurden Verbindungen, denen wir im Netz heute täglich frönen. Alles hängt zusammen, aber tröstlich ist es nicht – oder besser gesagt: tröstlich ist daran nur, dass man es (so oder anders) erzählen kann. 



ADAM'S RIB (George Cukor, USA 1949)


Zwei Filme zum Preis von einem. Einmal die vergnügliche „feministische” Erzählung über die (unmögliche) Trennung von Berufs- und Privatleben, ein moderner, raffinierter Plot, den der Film nie allzu zu ernst nimmt, parallelisiert von einem Geben und Nehmen zwischen Hepburn und Tracy, das es in sich hat: ein unerhört natürliches, dabei aber nie formloses Mit- und Ineinander des Schauspiels zweier wirklich Liebender, die Liebende spielen. Ohne falsche Süße. Ohne Rabatt.




CAROL (Todd Haynes, USA 2015)

Korn ohne Schleier. Ein digitales Bild des Analogen. Das digital invertierte 16 mm Negativ ohne den Firnis des Positivs, das das Korn umfängt. Ein Bild von einem Bild. In dieser reflexiven Grundbedingung liegt auch eine Schwäche – der Blick bleibt gefangen im Bild, das Bild wird nicht Blick. Das Leitereske tut ein Übriges, obwohl die Imitation superbe Momente hat. 


„The Price of Salt” wäre vielleicht der bessere Titel, mehr noch: der bessere Film gewesen. Die Verschiebung auf Carol führt ins Generische, das „großschauspielerische” bei Blanchett verstärkt diese Tendenz. Aber sie hat ihre Momente, nicht zufällig dann, wenn es dramatisch wird, vor allem in der zweiten Hälfte, ihr Plädoyer beim Scheidungsanwalt zum Beispiel hat mir Spaß gemacht. Über weite Strecken wäre der Film nichts als gepflegte Langeweile, würde man die Rolle der Therese – Mara macht ihre Sache sehr gut – mit einem Mann besetzen. Die lesbische Liebe als „Innovation” ist zu wenig. 


Der Film hat keinen Sinn für Klasse, für den Faktor Geld. Das ist ein echtes Versäumnis, denn Klassenfragen drängen sich auf. Besonders enttäuschend finde ich, dass das Begehren so vernünftig ist.Therese ist – ausweislich der im Film verwendeten Bilder – eine begabte Fotografin. Klavierspielen kann sie auch. Und natürlich sieht sie nicht nur gut aus, sondern weiss sich auch anzuziehen. Ein guter Deal also. Wäre das Ganze nicht viel interessanter, wenn das Mädchen, das sich Carol angelt, herzlich untalentiert wäre? Oder wenigstens keinen Geschmack hätte? Und wäre diese lesbische Liebe nicht genauso stark, wenn das heterosexuelle Personal nicht so eindeutig als untauglich markiert wäre? Aber offenbar glaubt Haynes, er müsse um der guten Sache willen übertreiben. 

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