THE INTRUDER (Roger Corman, USA 1962)
Ein Mann in strahlend weißem Anzug kommt in eine Kleinstadt, um sie einzuseifen. William Shatner spielt den Rassisten „Adam Cramer” als fiebrig-kalten Verführer, der die eigenen Defizite in der Wirkung auf andere korrigiert sehen will. Besonders im Gedächtnis bleibt mir die Entzauberung des Demagogen durch den Mut eines „einfachen” Mannes, mit überraschenden Zwischentönen gespielt von Leo Gordon. Der Film ist, für Corman ungewöhnlich, der Versuch einer direkten politischen Intervention, inmitten einer vom Ende der Segregation aufgewühlten amerikanischen Gegenwart, und gehört angeblich zu Cormans größten kommerziellen Misserfolgen – was noch einmal ganz andere Fragen aufwirft.
BELLE (Mamor Hosoda, Japan 2021)
Die Welt wartet noch immer auf einen Film, der jenen wachsenden Teil unseres Lebens, den wir online verbringen, auf den Punkt bringt. Dieser Film ist ziemlich nah dran, finde ich. Nie jedenfalls habe ich das digitale „Wir” zwischen warmer Dusche und Lynchmob überzeugender erlebt.
HER (Spike Jonze, USA 2013)
Science Fiction ist ja notwendig Spekulation, die die Gegenwart verlängert. In diesem Fall geht das auf, finde ich, zehn Jahre später kann man sagen: die Zukunft, die heute unsere Gegenwart ist, hat vielsagende Berührungspunkte mit dieser Fiktion, in der die „Affäre” mit einer künstlichen Intelligenz (Scarlett Johansson) in intimere Seelenwinkel vordringt, als es dem professionellen Briefeschreiber „Theodore” (Joaquin Phoenix) gegenüber und mit Menschen möglich ist.
Beim Wiedersehen hat mich die meisterhaft „entfesselte” Kamera noch mehr und die Liebesgeschichte etwas weniger beeindruckt – sie kam mir jetzt seltsam unspezifisch vor und ist dadurch natürlich besonders offen für Projektionen eines sehnenden Publikums. Aber wie die Kamera zaubert!
Ein Film, der sich über seine lange Laufzeit verjüngt, der immer lebendiger und dringlicher wird und den Zuschauer am Ende eine ganze Welt bewohnen lässt. Ein Meisterwerk, das ich nach der ersten Stunde noch nicht habe kommen sehen, was nicht heißen soll, dass die erste Stunde enttäuscht, sondern nur, dass ich Abstand gewinnen musste von meinem Alltag, entlang langer gewundener Straßen, bis ich bereit war.
Ich war immer der Meinung, dass Zeigen seliger denn Reden sei im Kino, aber hier ist das anders. Die tour de force der (größtenteils verbalen) Konfrontation zwischen dem etablierten Autor und dem arroganten jungen (Anti-) Helden zum Beispiel dauert „endlose” acht Minuten, aber entwickelt eine Intensität, die über die eines üblichen Film-Dialogs weit hinausgeht. Und dann ist da noch die Begegnung mit der Frau, die heiraten wird, und die ihn zu seiner Überraschung erwählt, die schon besiegelte Abzweigung einen Moment lang aufzuheben. Diese Szene der sich aufbäumenden Lust am Leben, das Haar im Wind, zwischen Süße und Bitterkeit, ist herzzerreissend.
Mit leichter Hand skizziert Jun Ichikawa eine Fülle kleiner, alltäglicher Momente, die sich nach und nach zu einem schwebenden Panorama verpasster Chancen fügen. Traurig und schön.
Beinahe so etwas wie ein Comeback für Scorsese; ein Film, der thematisch und visuell neue Herausforderungen sucht und sich nicht (wie zuletzt THE IRISHMAN) mit Eigen-Pastiche zufrieden gibt. Es entsteht das detailreiche Bild einer Gesellschaft, in der die Gier – wie es in dem schönen Teaser heißt – „ein Tier” ist, „das nach Blut durstet”, und Gewalt und Rassismus weniger als „Ursünde” denn als Standard-Betriebssystem des amerikanischen Kaptalismus' kenntlich werden.
Entgrenzung als Programm: Wenn es niemanden gibt, dem man Rechenschaft schuldig ist, warum dann noch mühsam den Firnis der Zivilisation nachpinseln? Für „Lucien Cordier” (Phillippe Noiret in seiner besten Rolle) gibt es kein Halten mehr, als er – einer plötzlichen Eingebung folgend – versteht, dass er die Demütigungen, die er bis dahin geduldig ertragen hat, auch erwidern kann. Im Irgendwo Französisch-Westafrikas, am Vorabend des 2. Weltkriegs, nimmt er sich fortan alles heraus, was ihm zupass kommt, von Sex bis Mord. Seine unmoralische Ermächtigung ist rasend komisch, haarsträubend grausam und gerade in seiner befreiender Wirkung verstörend.
Eine Ehrenrettung des Angebers? Ein Lob der Dreistigkeit? In jedem Fall bringt die Figur des „Bruno Cortona”, die Vittorio Gassmann hier mit Gusto spielt, den Film, unsere brave Stellvertreterfigur „Roberto” (Jean-Louis Trintignant) und auch das weitere Personal des Filmes groß in Fahrt. Bruno hupt, beschleunigt, überholt, macht sich über alles und jeden lustig (sogar Antonioni!), aber natürlich entstehen mit der Beschleunigung Fliehkräfte... die zunächst vor allem auf Roberto wirken, der seine Lebensabwehr, als Vernunft getarnt, zu hinterfragen beginnt. Eine temporeiche Komödie, ja, (der deutsche Titel will es dabei belassen: „Verliebt in scharfe Kurven”) aber die „Strecke” wird nach und nach brüchiger, der Humor doppelbödiger, und konsequenter Weise endet der Film im Schrecken.
Kein Gramm Fett – die Ökonomie dieser Genre-Erzählung ist beinahe schmerzhaft, was zu den verengten Spielräumen der Hauptfigur „Trojan” (Mišel Matičević) passt, 14 Jahre nach dem ersten Auftauchen in Arslans IM SCHATTEN. Gleichzeitig hat die Effizienz nichts mit dem gedankenfaulen Primat des Erzählens zu tun, wie wir es aus vielen Serien kennen, sondern interessiert sich für Handlungen, die die Haltung der Figuren auf den Punkt bringen. Gelegentlich hat das Züge eines bresson'schen Gestenspiels, entleert und modellhaft, dann wieder gibt der Film sich ganz dem Spaß am Genre hin. Ein Glücksfall. (Kinostart: 18.07.2024.)
Das rare Beispiel einer echten Dreistigkeit im deutschen Kino. Bonny und die Titelfigur „Johnny“ – gespielt von Lars Eidinger, den ich noch nie so gut gesehen habe – scheinen sich gegenseitig anzustacheln, sind Sparringspartner in dieser erschreckenden und schön riskanten Schlachtplatte, die auf einem wahren Fall basiert (oder sich zumindest daran entzündet hat). Solche „unentschuldbaren“ Charaktere, die ihr Umfeld - und uns - verlegen machen und zum Bekenntnis zwingen, gespielt von Schauspielern, die sich nicht selber richten, die nicht dauernd „Sorry” sagen und in Richtung Publikum blinzeln, sind in der deutschen Kino- und Fernsehbürokratie quasi nicht vorgesehen; um so schöner, dass der Film in der kurzen Morgenluft der Streaming Wars entstehen konnte und jetzt die Hand aus dem frischen Grab von Paramount+ hervorstreckt. Wir sollten sie ergreifen!
(Ich hoffe sehr auf ein Double Feature mit VERBRANNTE ERDE, im Kino, als zwei faszinierend gegensätzlichen Spielarten des Gangsterfilms, die – zusammen mit dem schönen SCHOCK von Daniel Rakete Siegel & Denis Moschitto – beinahe so etwas wie eine Gangster-Dämmerung im deutschen Film darstellen.)
Ein Film über die entmenschlichende Aufspaltung der Welt in berührungslose Sphären. Jonathan Glazer hat eine schlüssige Form gefunden für die moderne Abstraktion des Massenmords. Der Horror heißt Kontext. Der Film erzählt, einerseits, von den Banalitäten eines Täterlebens, des Lagerkommandanten Höß und seiner Familie in Auschwitz, ohne eindeutige Angebote der Identifikation, ohne klassische Mittel der Subjektivierung. Ein Haus, ein Garten, eine Mauer – und kein Blick ins Jenseits dieser Mauer. Die Bildpolitik des Films ist vielleicht manchmal zu sehr „Klinik”, die der Welt perfekte Präparate abringen möchte, auch wenn das Leben eben wuchert. Aber die Klarheit, die so möglich wird, bedeutet, dass man das „Modell” drehen und wenden kann. Die Praxis des Mordens in Auschwitz wird, andererseits, verlagert in einen „B-Film”, der nur aus Tönen besteht, und den wir uns komplementär zum häuslichen Idyll, komplettierend, vorstellen müssen. Diese sozusagen auf Schienen geführte, audio-visuelle Schizophrenie antwortet auf die bekannten Repräsentationsprobleme, und auch wenn sie für mich (beim ersten Sehen) unter „Originalitätsverdacht” stand, habe ich dem Film vertrauen können. Interessant sind die Ausnahmen, die sich Glazer eben dann doch erlaubt: das Rot der Blume, die die Leinwand flutet, Höß, der aus „Hänsel und Gretel” vorliest, ein Mädchen, das – gefilmt mit Wärmebildkameras – für die KZ-Häftlinge Äpfel versteckt und ein Notenblatt der Hoffnung rettet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen