19 März, 2024

Dialogische Arbeit

Über das Schreiben mit Ulrich Peltzer (2012).

„Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler” heißt es bei Bachmann (Malina) – einer jener „schlagenden” Sätze, die man für wahr hält, obwohl oder weil sie der Erfahrung ganz entzogen sind. Für die Filmgeschichte scheint das Gegenteil zu gelten. Allenthalben Schüler, Lernwillige, ewige Studenten, die die Filmgeschichte nach Brauchbarem abklopfen, die Regeln herauszulesen suchen, und Regelmässigkeiten, bis sie von der nächsten Seherfahrung wieder umgeworfen werden. 

Den Genrebeschwörungen (und den vielen Metern Beratungsliteratur) zum Trotz: Jede Dramaturgie ist experimentell. Das ist die Quintessenz unserer Zusammenarbeit, Ulrich Peltzers und meiner. Wir schreiben zusammen, buchstäblich, das heißt wir sitzen einander gegenüber, Ulrich meistens am Rechner. Er tippt, liest vor, hört sich meine Vorschläge an, lässt sich diktieren, weist Sätze zurück oder wägt sie ab, hört sich meine Argumente an, argumentiert dagegen. Es ist eine dialogische Arbeit. 

Wichtig ist, einen Vorschlag zu hören. Ihn widerzugeben. Immer wieder entspinnen sich weitreichende Diskussionen: ästhetische, politische, persönliche, angeregt von einem Dialog, einer Szenenidee – wer würde so etwas tun oder sagen? Mitunter nehmen diese Gespräche einen größeren Raum ein als die „Arbeit”. Immer wieder befragen wir das Netz, Wikipedia, Youtube, die Filmgeschichte, sehen uns Szenen an, lesen in bewunderten Büchern oder Drehbüchern – „Wie haben es die anderen gemacht?” – um dann unseren eigenen Weg zu gehen. 

Es sind Gedankenreisen mit Einträgen ins Logbuch, als Basis für Dreharbeiten, die den Text „restlos” verzehren sollen, um selbst „Text” zu werden. Für einen Schriftsteller ist das Drehbuchschreiben also eine Zenübung, ein „Werk” bleibt nicht übrig, ja im Zweifel sieht die Öffentlichkeit im Regisseur den Autor, später. Vielleicht ist unsere Zusammenarbeit deshalb so heiter? 

Zweifel gibt es auch. Immer wieder betreffen sie Konstruktionsfragen. Wie fädelt man eine Geschichte ein? Was ist glaubwürdig? Was anschaulich? Entlang dieser Naht passieren die meisten Korrekturen. „Die Handlung als einen Bogen begreifen, der die Charaktere so in Spannung bringt, dass sie kenntlich werden. Im Relief der Bewegungen, Gesten und Worte ein dreidimensionales Bild entstehen lassen.” So habe ich mein filmisches Ideal einmal beschrieben. Aber mit Idealen kann man nicht arbeiten. 

Eher ist es so, dass man sich auf ein Material einlässt, einer Neugier folgt, die unerklärlich ist – um später dann, in einer Phase der Kritik, auf das Ideal zurückzukommen. Nicht um alles zu ändern. Eher um staunend das eigene Scheitern zu vermessen. Jeder Film ist die Ruine seiner Ambition. Das gilt natürlich auch für das Drehbuch. Zwei Bücher haben wir bisher zusammen geschrieben. Das neue Buch soll bald „verzehrt” werden. Ich bin gespannt auf die nächste Reise. 


(Den Anlass für den Text erinnere ich nicht mehr genau. Inzwischen haben Ulrich Peltzer und ich übrigens vier Drehbücher verfasst: UNTER DIR DIE STADT (2010), DIE LÜGEN DER SIEGER (2014), DER TOD WIRD KOMMEN (2024) und, noch unverfilmt: ICH HAB' DICH LÄCHELN SEHEN. Ein fünftes Projekt ist in Sicht.)

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